Karl Immermann
Münchhausen
Karl Immermann

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Sechstes Kapitel

Suchen und nicht Finden

Er sagte: »Aber erfahren darf sie es nie, nie darf sie nach ihrem Ursprunge forschen. Auf mich allein und in meine Brust muß sie gepflanzt sein.« – Da war nun das Erdreich, in welchem die arme abgeschnittene Staude wieder wachsen sollte, und sie wußte es nicht. Sie war so nahe, daß sie fast seine Stimme hören konnte und doch wußte sie es nicht. – Nichtige Nöte! Ihr gehört zur Liebe, wie Schwindel zum Rausche.

Sie kam aber immer nicht. Er wurde unruhig, ging hinunter und fragte nach ihr. Die eine Magd wollte sie den ganzen Tag über nicht gesehen haben, die andere meinte, sie sei aus dem Hofe gegangen. Er durchstrich die nächsten Umgebungen des Oberhofes, aber da war nichts von Lisbeth zu erblicken. Es fing schon an, düster zu werden.

Sein Herz wurde ihm nach kurzer Freude noch schwerer als früher. Ihr Verschwinden war ihm unerklärbar. Er ging wieder auf ihr Zimmer, worin er wegen der Dunkelheit die Gegenstände nicht mehr unterscheiden konnte. Nach kurzem Verweilen trieb es ihn abermals hinunter, er traf nun den Hofschulzen an und erkundigte sich bei dem, wo sie sei? – »Die wird nach Ihnen nicht viel mehr fragen, junger Herr«, versetzte der Alte. »Sie ist gewitziget.« – »Was!« rief Oswald in äußerster Bestürzung und wollte von dem Hofschulzen nähere Auskunft haben. Diese versagte aber der Alte, denn er hatte zwar seine Pflicht, wie er meinte, gegen das Mädchen üben müssen, aber mit dem jungen verliebten Hitzkopfe mochte er nichts zu tun haben. Liebessachen gehörten überhaupt nicht zu den Gegenständen, die für ihn von Wichtigkeit waren, und worin er Treue und Glauben als Pflichten anerkannte. Um sich des Jünglings durch irgendeinen Vorwand, wahr oder falsch, zu entledigen, setzte er hinzu: »Junge Frauenzimmer sind wetterwendisch; es mag ihr wohl so ernst nicht gewesen sein, nun schämt sie sich und will sich nicht vor Ihnen sehen lassen.«

Ein Weiteres war von dem Alten nicht herauszubringen. Außer sich stürzte Oswald zum dritten Male nach Lisbeths Zimmer, als müsse sie dort sein, wenn er sie suche. Er hatte ein Licht mitgenommen. Lisbeth fand er nicht, wohl aber bei dem Scheine des Lichtes und mit dem Scharfsinn, den der Kummer gibt, die traurigen Zeichen der zerstörten Liebeshuld. Er nahm, was auf dem Kasten lag, hinweg, da sah er drinnen seine Goldrolle und das grüne Särglein liegen, von Lisbeths Busen verstoßen, hinweggeworfen! – Die Stücke des zerschnittenen Tüchleins sah er; der Schnitt ihrer Schere hatte eigentlich dem Bande zwischen ihnen gegolten! – Auch ein halbverbranntes Stückchen Papier erhob er vom Boden, denn alles war ihm wichtig, was sein Elend ihm erleuchten konnte. Noch stand darauf:

»In deinem Ernst, in deinem Lachen
Gehörst du dir –«

Weiter war nichts zu lesen. – »Ja«, rief er, »du gehörst nur dir und keinem anderen, aber das Lachen wird dir wohl eigener sein, als der Ernst!« – Er war böse auf sie, er zürnte ihr ingrimmig, denn auch er glaubte, was der Hofschulze ihm gesagt hatte, und meinte, das Mädchen habe nur in einem Anstoß, der rasch verflogen sei, sich in seinen Arm gelegt. Es war das Unglaublichste, was es nur geben konnte, aber er hätte nicht geliebt, wenn er gezweifelt hätte. – Liebe ist so feige, daß sie vor ihrem eigenen Schatten erschrickt; Liebe ist blind in der Wahl, noch blinder in der Qual.

Er stellte sich an die Türe des Zimmers und rief mit sanfter Stimme über den Gang: »Lisbeth!« – Sie hörte ihn wohl, aber sie antwortete ihm nicht, denn sie war entschlossen, lieber zu verhungern und zu verdursten, als sich zu zeigen, solange er im Oberhofe sei. Fest hielt sie ihre Hand auf die Lippen gedrückt und wimmerte leise wie ein blutendes Kind, daß sie nicht hinaus und an seine Brust fliegen dürfe. – Er suchte in mehreren Gemächern nach ihr, aber das übersah er, worin sie sich befand. Nun ging er nach dem Zimmer und sah die Goldlocke und das grüne Särglein abermals an, und wollte das Särglein zu sich stecken, denn was ging ihn das Gold an? aber er nahm die Rolle und ließ das Särglein liegen, so verwirrt waren seine Gedanken. Die Blumen riß er aus dem Glase und warf sie heftig zu Boden, aber dann tat ihm dieser Zorn doch leid, und er hob sie wieder auf, wenigstens die Lilie, weil er wußte, daß diese der Lisbeth besonders gefallen hatte.

Fast wahnsinnig vor Leid machte er einen neuen Gang in die Dunkelheit und als auch der vergebens war, blieb er erschöpft vor dem Hofe stehen und jeder Windstoß, jeder ferne Ruf mußte ihm Lisbeths Gang oder Stimme bedeuten. Aber sie kam nicht. – Zornig trat er in das Haus zurück und fragte jeden wild, ob er nicht Lisbeth gesehen habe? und dann vertauschte er wieder das Haus mit dem Platze vor dem Hofe, dort immer von neuem horchend.

So trieb es Liebesmühe umsonst bis spät abends. Mit der verzweiflungsvollen Unruhe des Jünglings bildete die unzerstörliche äußere Fassung des Hofschulzen einen merkwürdigen Gegensatz. Während der junge Graf wie ein verwundeter Löwe umhertosete, saß der alte Bauer gleich einem Bilde aus Stein an seinem Tische, die entsetzlichste Aufregung zurückhaltend im verschwiegenen Herzen.


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