Karl Immermann
Münchhausen
Karl Immermann

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Neuntes Kapitel

Der Schriftsteller Immermann eröffnet das Protokoll über die Frage Münchhausen

Die Eröffnungen Karl Emanuels und Karl Gabriels würden bei nur einigermaßen ruhigen Menschen die größte Sensation hervorgebracht haben. Aber in dem erregten Kreise, welcher sich um das Bette des schlafenden Freiherrn gebildet hatte, verhallten sie fast wirkungslos. Alle drängten auf den Schriftsteller ein und verlangten, ein jeder an seinem Teile, er solle die anderen aus dem Zimmer entfernen, wobei jedoch, wie sich von selbst versteht, die drei Unbefriedigten nur für einen Mann standen. Keiner kannte den erwählten Schiedsrichter; das tat aber nichts; denn es kam ihnen nur auf einen Richterspruch an. So geschah hier, was allenthalben unter ähnlichen Umständen geschieht. Wenn ein paar Menschen sich tüchtig zanken, so rufen sie einen zufällig Vorübergehenden zur Entscheidung auf, weil jeder meint, daß diese unmöglich wider ihn ausfallen könne.

Der Schriftsteller sah auf seine Uhr und erschrak, weil nur noch fünfzehn Minuten vom Waffenstillstande übrig waren. Er sagte den Interessenten an Münchhausen in fliegender Hast, der Gegenstand ihrer Liebe und Verehrung liege gewissermaßen da wie Polen vor der ersten Teilung oder heutzutage Luxemburg und LimburgIst nun auch schon veraltet. – Doch wer weiß?. Er wolle daher über die allseitigen Behauptungen, Ansprüche und Befugnisse Protokoll eröffnen, bitte aber, sie deutlich und vor allen Dingen kurz zu fassen.

Damit waren alle einverstanden. Semilasso bat nur mit einem feinen Lächeln, einige Arrièrepensées haben zu dürfen. – Immermann faltete den Bogen, auf den er die Arabesken gekritzelt hatte, schrieb an den Kopf des Bogens: Actum dann und dann, und verzeichnete zwischen den Schnörkeln, Ranken, Vogelköpfen und Fratzen, womit das Papier bedeckt war, folgende Erklärungen der AnwesendenUnbegreifliches Verfahren! Warum setzte er die Interessenten nicht von der ihrem Meister und Freunde drohenden Gefahr in Kenntnis? Sie würden sich mit ihm gegen die Feinde verbündet haben und nachher hätten sich die allseitigen Ansprüche ordnen lassen. Statt dessen verliert er die Zeit mit unnützem Protokollieren! Es ist offenbar, daß sein erster Fehlschritt ihm das klare Bewußtsein von der Lage der Sache getrübt hatte..

»Semilasso gibt historisch zu erkennen, daß Schlummernder, welcher kein anderer sei, als der Doktor Reifenschläger von der Pyramide des Cheops, ihm versprochen habe, das Vollbluts- und Menschenveredelungsinstitut auf seinen Gütern in der Lausitz einzurichten. Verlangt daher, daß Schlummerer, sobald er erwache, mit ihm in Schritt ab- und nach der Lausitz fahre, wo die Fonds für das Institut schon bereitgestellt seien.

Ehinger Spitzenkrämer: Captain Gooseberry, der da schläft, hat ihm und seinen fünfzig Ehinger Freunden im Auftrage der Königin der Koralleninseln Land auf dem Stillen Weltmeere zugesagt. Wer dreißig Morgen nimmt, bekommt vierzig Gulden Belohnung. Geld braucht keiner mitzubringen, denn es ist alles an Ort und Stelle umsonst zu haben. Man lebt dort meistens von Pasteten, die der große Pastetenbaum trägt, die Landespflanze. Er kommt wild fort, trägt dann aber warme Pasteten, die geringere Frucht. Wird einige Kultur an den Baum gewandt, so trägt er die wohlschmeckenderen kalten Pasteten, und, jenachdem der Dünger ist, mit Rebhühner- oder Hasengefüllsel. Die Königin der Koralleninseln wird die Kolonisten Reihe herum heiraten; nach der Hochzeitnacht erhält der jedesmalige Gatte ein Paar baumwollener Strümpfe, eine schwarzseidene Nachtmütze, einen Rock von Zwillich, und heißt Prinz von Geblüt. Die Kolonistinnen kriegen Minister und heißen dann bürgerliche Madamen. Verlangt, daß Captain Gooseberry sich baldigst nach Bremen begebe, ihm und seinen fünfzig Ehinger Freunden das Schiff anzeige, mit welchem sie absegeln können, ihnen zugleich Reisegeld und Landscheine überschicke.

Die drei Unbefriedigten durch den Mund Karl Gabriels: Bitten wörtlich ihre Erklärungen zu Protokoll zu nehmen. ›Wir waren bodenlos unglücklich, das Leben sah uns dürr an wie die Wüste Sahara und trieb uns Staubwirbel in die Augen. Wir lechzten wie trockene Eimer in der Sonnenglut, denn ich Karl Gabriel konnte kein Trauerspiel machen, Karl Nathanael keine nie erhörte politische Wahrheit, Karl Emanuel kein neues System. Da erschien uns jener schlummernde Gottmensch, vernahm unsere Nöte, entdeckte sich uns und die Geschichte seiner wunderbaren Entrückung in die Unsichtbarkeit, erlöste uns von der Pein der Nichtbefriedigung. Er offenbarte uns nämlich, daß seine Philosophie da draußen in der Welt nur die Hülle einiger geheim abgezogener Formeln sei, mit Hülfe welcher man alles zustande bringen könne, selbst Butter und Käse. Mir, dem Dichter, gelobte er die Formel für das reine und abstrakte Trauerspiel, welches ich ›Das Trauerspiel‹ nennen solle, dem Staatsmann verhieß er die Formel für die nie erhörte politische Wahrheit, dem Philosophen machte er kund, daß zwar über sein eigenes System hinaus, wie für sich klar sei, nichts liege, daß er ihm aber die Formel geben wolle, wonach es verständlich werde. Wir beiden anderen spürten einen stillen Neid auf Karl Emanuel, denn offenbar war diesem das größte Geschenk verheißen worden.

Inmitten der vorbereitenden Weihen verschwand er, entschwand er, schwand. – Wir verlangen, daß man uns allein lasse bei ihm, zu küssen seine leuchtenden Füße, zu fassen den Zipfel seines Mantels, zu harren, bis er aufwacht und uns die drei abstrakten Formeln mitteilt.‹«

Es waren nur noch zehn Minuten vom Waffenstillstande übrig. Der Schriftsteller befand sich in der sichtlichsten Verlegenheit, denn sämtliche Interessenten an Münchhausen riefen ihn jetzt zur Entscheidung auf, die, das sah er vorher, sie mochte ausfallen, wie sie wollte, ihm die Interessenten nicht vom Halse schaffen, sondern sie ihm erst recht auf den Hals bringen würde. Immer dichter zog sich der Knäuel der Anwesenden um ihn zusammen, da rief er in einem Anstoße von Verzweiflung: »Ich setze hiemit ein Provisorium fest, denn nur die Zeit kann die Schlichtung so verschiedenartiger Forderungen bringen. Jener große Mann und angebliche Reifenschläger-Gooseberry-Hegel bleibt auf gemeinschaftliche Kosten liegen, sämtliche Herren, welche ihn für sich reklamieren, ziehen sich vor das Schloß zurück und auch ich halte mir Protokoll offen für die Ansprüche des Hofes, in dessen geheimen Diensten ich zu stehen die Ehre habe. Dieser wunderbare Schläfer ist nämlich weder der Doktor Reifenschläger, noch der Captain Gooseberry, noch der in die Unsichtbarkeit aufgehobene unsterbliche Hegel, sondern – –«


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