Karl Immermann
Münchhausen
Karl Immermann

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Neuntes Kapitel

Der Jäger erneuert eine alte Bekanntschaft

Am folgenden Tage zur Mittagsstunde hörte der Jäger unter seinem Fenster ein Geräusch, sah hinaus und bemerkte, daß viele Menschen vor dem Hause standen. Der Hofschulze trat in sonntäglichem Putze soeben aus der Türe, gegenüber aber hielt am Eichenkampe ein zweispänniger Karren, auf welchem ein Mann in schwarzen Kleidern, anscheinend ein Geistlicher, zwischen mehreren Körben saß. In einigen derselben schien Federvieh zu flattern. Etwas hinterwärts saß eine Frauensperson in der Tracht des Bürgerstandes, welche steif vor sich hin auf dem Schoße ebenfalls einen Korb hielt. Vorn bei den Pferden stand ein Bauer mit der Peitsche, den Arm über den Hals des einen Tiers gelegt. Neben ihm hielt sich eine Magd, auch einen Korb, mit schneeweißer Serviette überlegt, unter dem Arme.

Ein Mann in weitem, braunem Oberrocke, dessen bedächtiger Gang und feierliches Antlitz ohne Widerspruch den Küster erkennen ließ, schritt mit Würde von dem Wagen dem Hause zu, stellte sich vor den Hofschulzen hin, lupfte den Hut und gab folgenden Reimspruch von sich:

»Wir sind allhier vor Eurem Tor,
Der Küster und der Herr Pastor,
Des Küsters Frau, die Magd daneben,
Die Gift und Gabe zu erheben,
So auf dem Oberhofe ruht;
Die Hühner, Ei'r, die Käse gut.
So sagt uns an, ob alles bereit,
Was fällig wird zur Sommerszeit.«

Der Hofschulze hatte bei Anhörung dieses Spruchs den Hut tief abgenommen. Nach demselben ging er zum Wagen, verbeugte sich vor dem Geistlichen, half ihm in ehrerbietiger Stellung herunter und blieb dann mit ihm seitwärts stehen, mancherlei Reden wechselnd, welche der Jäger nicht hören konnte, während die Frau mit dem Korbe auch abstieg und sich nebst dem Küster, dem Bauer und der Magd wie zu einem Zuge hinter jenen beiden Hauptpersonen aufstellte. Der Jäger ging, um den Zusammenhang dieses Auftritts zu erfahren, hinunter, sah im Flur weißen Sand gestreut, und die daranstoßende beste Stube mit grünen Zweigen geschmückt. Die Tochter saß darin, ebenfalls sonntäglich geputzt, und spann, als wolle sie noch heute ein ganzes Stück Garn liefern. Sie sah hochrot aus und blickte von ihrem Faden nicht auf. Er ging in das Zimmer und wollte eben bei ihr Erkundigung einziehen, als schon der Zug der Fremden mit dem Hofschulzen die Schwelle vom Flure aus betrat. Voran ging der Geistliche, hinter ihm der Küster, dann der Bauer, dann die Küsterfrau, dann die Magd, zuletzt der Hofschulze; alle einzeln und ungepaart. Der Geistliche trat auf die spinnende Tochter, welche noch immer nicht emporsah, zu, bot ihr freundlichen Gruß und sagte: »So recht, Jungfer Hofschulze, wenn die Braut noch so fleißig ihr Rädchen dreht, da kann sich der Liebste volle Kisten und Kasten erwarten und verhoffen. Wann soll denn die Hochzeit sein?« – »Auf Donnerstag über acht Tage, Herr Diakonus, wenn es erlaubt ist«, versetzte die Braut, wurde womöglich noch röter, als zuvor, küßte dem Geistlichen, welcher noch ein jüngerer Mann war, demütig die Hand, nahm ihm Hut und Stock ab und reichte ihm zum Willkomm einen Erfrischungstrunk. Die andern, nachdem sie Reihe herum die Braut ebenfalls mit Handschlag und Glückwunsch bedacht hatten und durch einen Trunk erquickt worden waren, verließen die Stube und gingen auf den Flur, der Geistliche aber unterhielt sich mit dem Hofschulzen, der beständig seinen Hut in der Hand, in ehrerbietiger Stellung vor ihm stand, über Gemeindeangelegenheiten.

Gern hätte der junge Jäger, welcher, von den übrigen unbeachtet, aus einer Ecke der Stube den Auftritt mit angesehen hatte, schon früher den Geistlichen begrüßt, wenn es ihm nicht unbescheiden vorgekommen wäre, die Anreden und Antworten der Fremden und Hofesgenossen, welche trotz der bäuerlichen Szene etwas Diplomatisches hatten, zu stören. Denn in dem Diakonus war von ihm mit Erstaunen und Freude ein ehemaliger akademischer Bekannter wiedergefunden worden. Jetzt verließ der Hofschulze auf einen Augenblick das Zimmer und nun ging der Jäger zum Diakonus, ihn bei seinem Namen begrüßend. Der Geistliche stutzte, fuhr mit der Hand über die Augen, erkannte jedoch auch den andern sogleich wieder und freute sich nicht weniger, ihn zu sehen. »Aber« – fügte er den ersten Grußworten hinzu – »jetzt und hier ist keine Zeit zur Unterhaltung, kommen Sie nachher mit, wenn ich vom Hofe abfahre, dann wollen wir zusammen plaudern; hier bin ich ein öffentlicher Charakter und stehe unter dem Banne des gebietendsten Zeremoniells. Wir dürfen voneinander keine Notiz nehmen, fügen auch Sie sich passiv dem Ritual; vor allen Dingen, lachen Sie über nichts, was Sie sehen, das würde die guten Leute auf das höchste beleidigen. Und diese alten, festen Sitten, so seltsam sie aussehen mögen, haben doch auch immer ihr Ehrwürdiges.« – »Sorgen Sie nicht«, versetzte der Jäger, »aber ich möchte doch wissen...« – »Alles nachher!« flüsterte der Geistliche, nach der Türe blickend, durch welche soeben der Hofschulze wieder hereinkam. Er trat vor dem Jäger, wie vor einem Fremden, zurück.

Der Hofschulze und seine Tochter trugen die Speisen auf dem Tische, welcher in dieser Stube gedeckt stand, selbst auf. Da kam eine Hühnersuppe, eine Schüssel grüner Bohnen mit einer langen Mettwurst, Schweinsbraten mit Pflaumen, Butter, Brot und Käse, wozu eine Flasche Wein gestellt wurde. Alles dies wurde zu gleicher Zeit auf den Tisch gestellt. Der Bauer war von den Pferden ebenfalls hereingekommen. Als alles stand und dampfte, lud der Hofschulze den Diakonus höflich ein, es sich gefallen zu lassen.

Es war nur für zwei Personen dort gedeckt; der Geistliche, nachdem er ein Tischgebet gesprochen, setzte sich und etwas von ihm entfernt der Bauer. »Esse ich hier nicht mit?« fragte der Jäger. »Ei behüte«, antwortete der Hofschulze, und die Braut sah ihn verwundert von der Seite an. – »Hier ißt bloß der Herr Diakonus und der Kolonus, Sie setzen sich draußen bei dem Küster zu Tische.« Der Jäger ging in ein anderes, gegenüberliegendes Zimmer, nachdem er noch zu seiner Verwunderung bemerkt hatte, daß der Hofschulze und seine Tochter auch die Bedienung jenes ersten und vornehmsten Tisches selbst übernahmen.

In dem andern Zimmer traf er den Küster, die Küsterin und die Magd um den dort gedeckten Tisch stehen, und, wie es schien, mit Ungeduld ihres vierten Genossen warten. Auch auf diesem Tische dampfte dieselbe Speise, wie auf der Pastorstafel, nur fehlte Butter und Käse, auch zeigte sich dort statt des Weines Bier. Mit Würde trat der Küster an den Oberplatz und ließ, die Augen in den Schüsseln, abermals folgenden Spruch vernehmen:

»Alles, was da fleucht und kreucht auf der Erden,
Ließ Gott der Herr für den Menschen erschaffen werden;
Hühnersuppe, Bohnen, Wurst, Schweinsbraten, Pflaumen sind allerwegen
Gottesgaben, gib, o Herr, dazu uns deinen Segen!«

Worauf die Gesellschaft Platz nahm, der Küster obenan. Dieser wurde von seiner Gravität nicht verlassen, wie die Küsterin nicht von ihrem Korbe, den sie dicht neben sich hinstellte. Dagegen hatte die Pastorsmagd den ihrigen anspruchslos beiseite gesetzt. Bei dem Mahle, welches aus wahren Bergen auf den Schüsseln bestand, wurde kein Wort gesprochen; der Küster verschlang in ernster Haltung ungeheuer zu nennende Portionen, und die Frau blieb wenig hinter dem Manne zurück; am bescheidensten zeigte sich in diesem Punkte auch wieder die Magd. Was den Jäger betrifft, so beschränkte er sich fast nur auf das Zusehen; das heutige Zeremonialessen war nicht nach seinem Geschmack.

Nach beendigtem Mahle sagte der Küster zu den beiden Mägden, welche diesen Tisch bedient hatten, feierlich schmunzelnd: »Jetzt wollen wir denn, geliebt es Gott, die allhier erfallende Gebühr und den guten Willen in Empfang nehmen.« Die Mägde hatten vorher schon den Tisch abgeräumt und gingen jetzt hinaus, der Küster aber setzte sich auf einen Stuhl mitten in der Stube, die beiden Frauenspersonen, die Küsterin und die Magd, setzten sich ihm rechts und links zur Seite, vor sich die neugeöffneten Körbe. Nachdem die Erwartung, welche diese drei ausdrückten, einige Minuten gedauert hatte, traten die beiden Mägde, begleitet von ihrem Herrn, dem Hofschulzen, wieder ein. Die erste trug einen Korb mit weitläuftigem Flechtwerk oben, in welchem Hühner ängstlich gackerten und mit den Flügeln plusterten. Sie stellte ihn vor den Küster hin und dieser sagte, hineinschauend und nachzählend: »Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs; es ist ganz richtig.« Darauf zählte die zweite Magd aus einem großen Tuche ein Schock Eier in den Korb der Pastorsmagd, und sechs Stück runder Käse, nicht ohne genaues Nachzählen des Küsters. Dieser sagte, als es geschehen war: »So, nunmehro hätten der Herr Diakonus das Ihrige; jetzunder käme der Küster.« – Ihm wurden in den Korb seiner Ehehälfte dreizehn Eier und ein Käse zugeteilt. Sie prüfte jedes Ei durch Schütteln und Geruch, ob es auch frisch sei, und merzte zwei aus. Nach diesen Verhandlungen erhob sich der Küster und sprach zum Hofschulzen: »Wie ist es, Herr Hofschulze, von wegen des zweiten Käses, welchen Küsterei annoch vom Hofe zu gewärtigen hat?« – »Ihr wißt selbst, Küster, daß der zweite Käse vom Oberhofe nimmer anerkannt worden ist«, versetzte der Hofschulze. »Dieser angebliche zweite Käse ruhte auf dem Baumannserbe, welches vor hundert und mehreren Jahren mit dem Oberhofe in einer Hand vereinigt war. Hernachmalen ist die Trennung wieder eingetreten, und es haftet demnach hier auf dem Hofe nur ein Käse.«

Über des Küsters rotbräunliches Gesicht hatten sich die stärksten Falten gelagert, welche dasselbe nur aufzutreiben vermögend gewesen war, und zerlegten es in mehrere bedenkliche Abschnitte von viereckter, rundlichter, winklichter Gestalt. Er sprach: »Wo ist das Baumannserbe? Zersplittert und zerspellt wurde es in den unruhigen Zeitläuften. Soll Küsterei darunter leiden? Dem sei nicht so. Jedennoch, unter ausdrücklichem Vorbehalt aller und jeder Rechtszuständigkeiten wegen des seit hundert und mehreren Jahren strittigen, vom Oberhofe erfallenden zweiten Käses, empfange ich und nehme ich hiemit an auch den einen Käse. Sonach wäre die Zinsgebühr an Pastor und Küster abgestattet, und es käme nunmehr der gute Wille.«

Dieser bestand in frischgebackenen Rollkuchen, wovon sechs in den Pastorskorb und zwei in den des Küsters gelegt wurden. Hiemit war das ganze Empfangsgeschäft beendigt. Der Küster trat dem Hofschulzen näher und sagte folgenden dritten Spruch her:

»Die Hühner waren alle sechs richtig,
Und die Käse alle vollwichtig;
Die Eier sind befunden worden frisch,
Und was sich gebührte, stand auf dem Tisch.
Deshalb der Herr Euren Hof bewahr'
Vor Hungersnot und Feuersgefahr!
Bei Gott und Menschen ist beliebt,
Wer Gift und Gaben richtig gibt.«

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