Karl Immermann
Münchhausen
Karl Immermann

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechszehntes Kapitel

Walpurgisnacht bei Tage

Der junge Jäger, welchem in diesem tollen Schlosse so unerwartete Dinge begegnen sollten, ging wie träumend die Söllertreppe hinauf, dem Schalle der Beilschläge nach, welche mit kurzen Zwischenpausen immer von neuem zu tönen begannen. Er öffnete die Türe der Bodenkammer, welche die Gerichtsstube des Schloßherrn bedeuten mußte, aber da hatte er einen Anblick, der ihm Grauen und Schreck erregte. Der alte Baron wirtschaftete nämlich in dem verwirrtesten Aufzuge dort umher. Er hatte sich eine Pferdedecke wie einen Mantel um die Schultern geworfen, auf den Kopf einen alten Damenhut mit verblichenen Blumen gesetzt, einen Strick wie eine Kette sich um den Hals geknüpft. Die weißen Haare sahen struppicht unter dem Hute in einzelnen Flocken hervor, die Augen starrten wild und gläsern – so trieb er, ein komischer Lear, die Werke des Wahnsinns, welchen Nachtwachen, Erwartungen, Grübeln, Zorn und zuletzt die aberwitzigsten Phantastereien in ihm ausgebrütet hatten. Er fuhr mit großen Schritten auf der Bodenkammer hin und her, ein Beil in der Hand; der Tisch war zur Seite geschleudert, der alte Lehnstuhl lag in Trümmern, um diese Trümmer hatte er Kleidungsstücke, Flaschen, Gerüll und Gerümpel aller Art, welches die Bodenkammer verwahrte, aufgehäuft. Jetzt lief er mit dem Beile an das Giebelfenster, bog sich hinaus, hackte an der Stütze, welche gegen die Giebelwand gelehnt war, dann kehrte er zu dem Gerümpel zurück, nahm was er fassen konnte und warf Kleider, Flaschen, zerbrochenes Gerät zum Fenster hinaus. So wechselte er in seinen verrückten Beschäftigungen von Sekunde zu Sekunde ab und trieb dieselben mit solcher Anstrengung, daß ihm der Schweiß vom Haupte floß. Dazwischen rief er mit voller und tönender Stimme unverständliche Worte wie: »Fort mit Euch! Fort mit Euch Eindringlingen, erkennt Euren Herrn, der in Frankfurt gekrönt wurde, dem Ihr Treue auf die Wahlkapitulation gesprochen habt!«

Der Jäger hatte sich bei seinem Eintreten in eine Ecke gedrückt und sah dem unheimlichen Schauspiele einige Minuten lang entsetzt zu. Dann faßte er sich ein Herz, schritt mutig vor, ging zu dem Wahnwitzigen, der eben wieder am Hacken war und sagte festen Tones: »Herr Baron, was treiben Sie?«

Der Alte fuhr hastig herum, sah den Jäger mit seinen starren Augen groß an, schwang das Beil und rief: »Sie müssen sehr unwissend sein, daß Sie mich so fragen. Kennen Sie den letzten deutschen Kaiser nicht? Mein Bruder ist geborener Geheimer Rat im höchsten Gericht. Ich ward in Frankfurt gesalbt und gekrönt.« – Nun legte er die Hand an seine Stirn, wie wenn er nachsänne und sprach dann leiser, wie ein Mensch, der im Schlaf redet: »Ich war lange abwesend – lange – lange – gefangengenommen vom Reichsfeinde, von Münchhausen – o pfui! nannte mich Du mit einem Munkel – Luftversteinerung – Aktien auf Jesuiten – und dann – dann –

Aber« – hier richtete er sich majestätisch auf und seine Stimme donnerte – »das heilige Römische Reich ist ewig, die alten Verhältnisse kehren immer wieder und der Kaiser stirbt nicht. – Ich komme zurück, jedoch da ist alles in Unordnung, da hat sich Genist allerorten eingehängt, da muß ich Ordnung stiften und reine Bahn machen.«

Er warf die Trümmer des Lehnstuhls hinaus und ein paar leere Flaschen. – »Das sind die Fürsten!« rief er. »Wie haben sie sich mausig gemacht! Aber ich leide keine Hoheit neben meiner, denn ich bin der Kaiser.« – Er hackte draußen vor dem Giebelfenster. – »Den Bundestag habe ich bald durchgehackt, diese Stütze ist ohnehin sehr morsch!« rief er erhaben lachend.

Bei diesen grauenvoll lächerlichen Dingen faßte sich der Jäger in den gesunden Tiefen seines schwäbischen Herzens und sprach zu sich: »Der unglückliche Alte hat den Verstand verloren und du kannst ihn in diesem Zustande nicht um die Lisbeth bitten. Sie ist dein, das Mädchen, du wirst ihr den traurigen Zustand mit Schonung beibringen und ihr dann für den armen Pflegevater sorgen helfen. Jetzt hast du weiter nichts hier zu tun, als dich mit dem verruchten Schrimbs oder Peppel oder Freiherrn von Münchhausen zu schießen.« – Er konnte nicht wissen, in welche Gefahr der Alte sich und ihn durch das Hacken setzte, sonst würde er ihm mit Gewalt das Beil entwunden haben.

»Walpurgisnacht bei Tage!« setzte er, sich dennoch schüttelnd vor Grauen, seinen Worten hinzu. Er sah die zweite Pistole auf dem Tische liegen, die nahm er und das Pulverhorn dazu; beides steckte er zu sich. Sein scharfes Auge spähte nach Kugeln; es entdeckte sich ihm ein lederner Beutel, der von einem Brette herabhing, welches der Alte durch das Hinwegräumen des Gerülls von seiner Verhüllung entblößt hatte. Er ging nach dem Brette, seine Vermutung täuschte ihn nicht, es war ein Kugelbeutel, der da herabhing.

Er nahm ihn, da rollte etwas nach, was auch auf dem Brette vergessen gelegen hatte, es fiel auf den Boden. Mechanisch hob er es auf; es war ein Zylinder mit dickem Staube überzogen, viele Jahre mochte er dort gelegen haben. Ein Papier war um den Zylinder gewunden.

Der alte Baron schoß wie ein Pfeil herbei und faßte beide Arme des jungen Mannes. »Halt Räuber!« rief er, »du darfst die Mitgift der kaiserlichen Prinzessin nicht entwenden. – Ja! Ja!« – sagte er, den Zylinder tiefsinnig betrachtend und das Papier von demselben loswickelnd; »das ist die Mitgift der kaiserlichen Prinzessin, meiner lieben Tochter.« – Der Jäger mochte mit diesem neuen Ausbruche des Unsinns nichts weiter zu schaffen haben, er ließ daher dem Alten, was diesem so wichtig zu sein schien, und wollte gehen. Der Alte hatte das Papier, auf welchem, wie dem Jäger ein flüchtiger Blick gezeigt hatte, in den Ecken allerhand Buchstaben und Charaktere standen, glatt und grade gestrichen, die Gläser des Zylinders abgewischt und hindurch gesehen. – »Ach Lisbeth! Lisbeth!« seufzte er.

Dieses Zauberwort fesselte den Jäger an die Stätte. Zu seiner Verwunderung sah er, daß der Alte sich platt auf den Boden setzte und bitterlich zu weinen anfing wie ein Kind. »Ach«, sagte er und sah wieder durch den Zylinder in die leere Luft, indem er dabei das Blatt Papier steif in der anderen Hand hielt, »ich sehe mein Kind Lisbeth noch immer nicht dadurch. O wie gern legte ich meinen Kopf auf ihren Schoß und ließe ihn streicheln von ihren sanften Händen, denn die Regierungssorgen machen müde und ein Kaiser bleibt auch ein Mensch!«

Vergebens bemühte sich der Jäger, Aufschlüsse von dem Alten zu erlangen. Dieser faselte nur durcheinander von Lisbeth und von der kaiserlichen Prinzessin, welche einst die Mitgift in das Haus gebracht habe, aber durch die Gläser nicht zu entdecken sei.

»Hm!« rief der Jäger, der vor Ungeduld brannte, irgendetwas zu entdecken, was die unsichtbaren Keime der Dinge, die um ihn her zu sprossen schienen, an das Tageslicht bringen möchte; »das Ding da muß doch eine Beziehung auf die Lisbeth haben. Was ist es denn eigentlich?« – Er nahm es dem Alten aus der Hand, der nun ganz weich und nachgiebig geworden war, seine Tränen abgetrocknet hatte und selig lächelte, weil dem zerstörten Geiste die Gestalt der lieblichen Pflegetochter vorschwebte. Es bedurfte keiner langen Untersuchung um ihn ins Klare zu setzen. Der Zylinder war eine jener optischen Spielereien mit einem Okularglase und einem konzentrierenden Objektivglase, welches verschiedene Figuren oder einzelne Buchstaben, die auf einer Fläche umher zerstreut sind, zum Bilde oder zum lesbaren Satze versammelt. Man fertigt zu diesen Gläsern Blätter, die in der Mitte wenn der Scherz vollkommen sein soll, ein kleines Bild oder ein Wort tragen, in den Ecken und Winkeln umher aber nur ein sinnloses Gemisch zeigen. Sieht man nun auf ein solches Blatt durch das Glas, so verschwindet, was in der Mitte steht und es fügt sich aus den Ecken und Winkeln eine andere Gestaltung zusammen.

Der Jäger nahm auch das Blatt dem Alten aus der Hand. In der Mitte stand das Wort: »Nizza« und kein Komma oder Punctum dahinter. Er stellte sich an den Tisch, legte das Blatt zurecht und richtete das Glas darauf, um zu sehen, was ihm dasselbe aus den Ecken und Winkeln zusammenführen würde.

Das Auge des Dichters gleicht einem solchen Glase. Es versammelt zum Bilde, was weit umher zerstreut ist und keine Gestalt annehmen zu können scheint, und oft verschwindet ihm das, was ihm zunächst vorschwebt.

 

Münchhausen schrieb unten hastig seinen Kreuz- und Querbrief an den Erbprinzen und dessen Vater zu Ende, siegelte beide, setzte die Adresse an den Freund in Stuttgart auf, tat sie in die goldene Kapsel und sagte: »Es ist nicht wahr, daß ich mich nicht vor dem Tode fürchte, aber ich habe Ehre zwischen mich und meine Feigheit geschoben, getrieben, gekeilt; Ehre steckt wie ein Pflock vor der Feigheit und läßt sie nicht zum Herzen dringen, Ehre ist etwas Großes und mehr wert als Tugend, denn zur Ehre gehört kein Herz, ohne welches Tugend sich nicht zu behelfen weiß.

Brav will ich sterben, wie ein Bräutigam!« rief er. – »Als Offizier sieht man selbst noch im Tode besser aus, darum rasch meine Uniform angelegt, meine rote Phantasieuniform und hinweg ihr unangenehmen Erinnerungen, die Ihr Euch an den Rock hängt! Sie ist tot! tot! tot! die Gans, oder eingesperrt, oder verheiratet. O du meines Lebens einzige Lüge, deren ich mich schäme und die mir selbst diese Abschiedsstunde vergiften will, hinweg!«

Er legte die rote Uniform an, setzte den Offiziershut auf, der aus dem kleinen Klack entstanden war, sah sich mit einer Art von schmerzlichem Wohlgefallen im Spiegel und philosophierte, vermutlich um den Pflock vor seinem Herzen festzuhalten, so weiter: »Ein Edelmann zu sein, unermeßlicher Vorteil, unschätzbares Glück, selbst wenn man, wie ich, nicht die Ehre hat der Freiherr von Münchhausen zu sein, sondern nur der – doch still! Selbst die Lüfte sollen nicht erfahren, wer ich bin. – Karl! – Als Schrimbs, Peppel, Reifenschläger liefe ich jetzt fort, wahrhaftig, so täte ich, als Freiherr von Münchhausen halte ich Stich. Karl! – Wo bleibt der Schlingel? Ich will ihn noch abstrafen vor meinem Ende, das soll meine letzte gute Handlung auf Erden sein. – Tut der Name schon so viel, wieviel mehr erst die Sache. Ja, der Adel ist eine Magie, Bourgeoisie und Philosophie mögen sagen, was sie wollen. Adel ist eine Schrift mit sympathetischer Dinte; tausendmal verschwunden kommt sie immer wieder zum Vorschein. Selbst, wenn man sich in eigener Person zum Ritter schlägt, kriegt man Ehre, und Ehre ist wieder eine Magie, ein Bann, eine Zauberformel. Hätten die Hasen Ehre, sie ständen wie die Löwen. Wohl hatte Heine recht, wenn er sagte, Mirabeau würde den Thron zu erschüttern nicht den Mut gehabt haben, wäre er nicht Graf gewesen, und ich sage, der Artillerielieutenant Bonaparte wäre nicht Kaiser der Franzosen geworden, hätten seine Vorfahren nicht im goldenen Buche von Bologna gestanden. Hundert bürgerliche Stimmen in mir rufen: Reiß aus, denn du kannst es, reiß aus vor diesem mörderischen Schwaben! Aber Münchhausen steht, Münchhausen steht wie ein Held, Münchhausen wird als Held zu fallen wissen. Karl! Karl! Ich muß den Esel mir selbst herbeiholen.«

Münchhausen schoß in seiner roten Uniform gleich einer Feuerflamme des Herrn durch den Vorsaal, die Treppe hinunter, aus dem Hause nach dem Garten, um den Schneckenberg zu erklimmen, in dessen Häuslein er den Diener vermutete.

 

In diesem Augenblicke kam der junge Jäger vom Söller. Seine Schritte waren schwankend, er hielt sich, was er wohl noch nie getan hatte, am Treppengeländer fest, wie ein Siecher. Es mußte ihm etwas ganz Unerhörtes begegnet sein, denn man würde umsonst versuchen, den Ausdruck seines Antlitzes zu schildern. Ein halbes Lächeln wurde von Zügen des äußersten Schmerzes und einer zornigen Verachtung durchschnitten, Überraschung, Spott, herber Unwille, dieser vielleicht nicht auf einen einzelnen Menschen, sondern auf ein unbarmherzig neckendes Geschick, kämpften auf diesen reinen Wangen, auf dieser edeln Stirn, wie Sonnenblitze, Regenschauer, fahle Lichter und tückische Wolkenschatten an manchem Tage kämpfen, den die Natur ausersehen zu haben scheint, geheime Prozesse unter den Lamien, Empusen und Lemuren zur Entscheidung zu führen.

Seine Pistole brachte er nicht mit. An dem Zimmer Münchhausens schlich er vorbei, scheu wie ein Verbrecher. Er hielt die Hand den Augen vor, als fürchte er jemand zu begegnen. Es war ein Knarren und Knacken in dem alten wurmfräßigen Schlosse, als wolle der Baugeist, der es zusammengefügt, ausziehen.

In dem Nebel draußen standen die Gegenstände unheimlich zu Schemen verschattet. Er wollte eben den Weg nach der Schloßstraße einschlagen, als ein wilder Lärmen im Garten seine Schritte einen Augenblick lang hemmte. Auf den Gesang des Fräuleins, welchen er schon früher von weitem gehört hatte, war seine Aufmerksamkeit nicht gerichtet gewesen; plötzlich aber ward Münchhausens Stimme vernehmbar, welcher überlaut rief: »Was! Hölle, Teufel und alle Furien und Parzen –

Jetzt holet das Schicksal, der Racker« –

Das Fräulein kreischte:

»Erst den Nußknacker, dann holt es mich!

Gütiger Himmel, diese kaiserlich birmanische Uniform –

Dieser Anzug, – das rote Kleid, der Paradiesvogel – o Tod und Elend!« –

Das Gartentor rasselte. Eine Gestalt kam herbeigesprungen. Es war Münchhausen. Er hatte den Hut verloren. Sein Haar flatterte im Winde. Als er den Jäger erblickte, rief er keuchend: »Bei meiner Ehre, ich wollte nicht ausreißen, aber –«

»Ich – kann mich nicht mit Ihnen schießen!« rief der Jäger und lachte zerstört.

»... Der böse Feind ist hinter mir... Sassa! Adieu!« – Er sprang fort und über die Mauer.

Das Fräulein kam gelaufen, auch flatternden Haares. »Rucciopuccio! Wo hatte ich meine Augen?« – rief sie und verschwand nach wenigen Schritten im Nebel.

»Walpurgisnacht bei Tage!« murmelte der Jäger abermals. – Als er den Talgrund erreicht hatte, hörte er hinter sich oben ein Krachen und dann ein donnerartiges Getöse, wie wenn ein Gebäude zusammenstürzt.


 << zurück weiter >>