Karl Immermann
Münchhausen
Karl Immermann

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Zwölftes Kapitel

Aus dem Tode Leben

Aber dieser abgeschmackte Vorfall brachte an einer anderen Stelle eine tragische Wirkung hervor.

Lisbeth war auf ihrem Wege gerade dem Spritzenhäuschen gegenüber angekommen, als das Gebrüll des Küsters in demselben erscholl. Was nun die erhitzten Bauern mit ihrem gefährlichen Schießen nicht über sie vermocht hatten, das bewirkte das Geschrei der Feigheit; sie entsetzte sich, floh vor dem Orte, wo jener furchtbare Ton dröhnte, und stürzte, wie von einem dunkelen Triebe geleitet, bewußtlos in die Arme Oswalds, die sich ihr entgegenbreiteten. Er fühlte die Geliebte abermals an sich ruhen, wenn auch nur aus Angst, aber dieser neue plötzliche Übergang von einem zum anderen entfesselte die Dämonen in ihm, die schon seit zwei Tagen an ihrem Gefängnisse gerüttelt hatten. – Das alte Übel, welches Schmerz, Angst, Zorn, körperliche Anstrengungen, selbst das Übermaß der Freude an seinem Liebestage, in ihm emporgewühlt, brach kläglich aus.

Mit einem Schrei faßte er an seine Brust. Mit einem zweiten Schrei stieß er Lisbeth fast zurück. »Ich hab's gedacht, mein Blut, da ist es!« ächzte er und ein dunkler Purpurstrom quoll aus seinem Munde. Er taumelte und sank auf eine Rasenerhöhung. »O mir! Ich ersticke« – waren seine letzten Worte, denn es folgte ein zweiter Anfall des grimmigen Übels. Sein Gesicht war wie eines Toten Antlitz.

Im ersten Augenblicke war Lisbeth über das Zurückstoßen erschrocken gewesen. Aber was wollte dieser Schreck gegen das Entsetzen bedeuten, als sie das Blut ihres Lieblings sah? – Ja, ihres Lieblings! Sein Ächzen, sein Blut, sein Totenantlitz gab ihr augenblicklich den Liebling zurück. Vergessen war der Lügner, nur der sterbende Geliebte lag vor ihr. Mit einem Rufe, in dem sich Zärtlichkeit, Jammer und die alleräußerste Besorgnis zum herzzerreißendsten Tone mischten, stürzte sie zu ihm nieder und sah ihm mit dem Blicke der innigsten Verzweiflung in die müden und erloschenen Augen. Weinend und wimmernd legte sie ihre unschuldigen Finger auf seine Lippen, als könne sie damit den furchtbaren Blutstrom hemmen. Noch immer sandte die in ihren Tiefen versehrte Brust einzelne Tropfen nach, obgleich die Gewalt des Übels bereits gebrochen zu sein schien. Keiner Befleckung an Händen und Kleid achtete sie, sie, die Reine, Reinliche. Sie rief heftig und mit lauter Stimme: »Gott! Gott! Gott!« als müsse Gott ihr helfen, denn auf Erden wußte sich das unglückliche Mädchen keinen Rat. Unwillkürlich war sie in die Kniee gesunken. So entstand dem Kranken eine Ruhestätte für sein Haupt auf ihrem Schoße, denn sie hatte sich mit dem Leibe rückwärts gebeugt, um ihm die Lage bequem zu machen. Er lag auf dem Rücken, seine Augen waren geschlossen, seine Wangen völlig farblos. Matt und kalt hingen die Arme in das Gras hinunter; in welchem liebliche Vergißmeinnicht blühten, gleichsam ein Blumenspott über den Jammer der Menschen. Sie aber hatte ihm um Haupt und Brust ihre Arme gebreitet in der allerzärtlichsten und sanftesten Weise. Traurig schaute sie in sein Gesicht, so viel sie vermochte. So ruhte er ganz von ihr umfangen und an sie gelehnt im Heiligtume jungfräulicher Liebe und Bekümmernis! Sie wußte nicht, was sie tun sollte, ihm seinen Schmerz zu erleichtern, sie hätte zur Quelle werden mögen, zum umspülenden Bade, wenn das ihm Linderung zu verschaffen vermocht hätte. Schluchzend fragte sie ihn, ob er auch so bequem ruhe? und bat ihn dann inständigst nicht zu antworten, weil ihm das Sprechen schaden könne.

In der Tiefe dieser Not empfand sie den heißesten Drang, sich mit ihm zu verständigen. »Ach«, schluchzte sie, »mein Oswald, vergib mir doch nur und fühle, daß du nicht sterben darfst! O mein Gott, du mußt ja nicht sterben, mußt's nicht, denn was sollte dann aus mir werden, wenn du stürbest?

Nicht wahr, Oswald, du stirbst nicht, du tust mir das nicht zuleide? Ach, kannst du es mir denn so übelnehmen, daß ich ein ordentliches Mädchen bleiben will? Siehst du, mein Oswald, deine Frau mußte ich werden, deine ehrliche Frau und sonst nichts weiter! Denn wäre ich auf deine Schlechtigkeit eingegangen, Oswald, da hätte ich mich auch an dir versündigt und hätte dich mit zum Bösewicht werden lassen, und das darf die Geliebte nicht; nicht einen Flecken darf sie auf ihren Freund kommen lassen. Denn das ist eine schlechte Liebe, die nur den anderen herzen und küssen will, wie es auch sei, nein, daß das Leben des Liebsten rein bleibe und unbefleckt und unverworren, das ist die wahre Liebe, und die habe und hege ich im Herzen zu dir, mein Oswald, wie sie nur ein Mädchen haben und hegen kann, ja gewiß, so ist es. Und habe sie gehabt und gehegt immerdar, wie ich nun wohl fühle, obgleich ich mich vor dir versteckte. Stürbest du hier auf der Stelle, Oswald, und ich könnte dich retten durch Unrecht, doch täte ich es nicht, das sage ich dir frei heraus. Denn meine Schande könnte ich noch allenfalls überstehen, Oswald, aber nicht deine; nein, wahrhaftig nicht. Deine Ehre sitzt mir tiefer im Herzen, als meine. Und so mußt du mir auch von Herzen vergeben, Oswald, daß ich nicht dein Liebchen, wie du wolltest, werden mochte, und ich weiß auch gar nicht, wie der böse Gedanke in dein gutes Herz gekommen ist. Ich hätt' es auch nimmer geglaubt, aber du hattest gelogen, Oswald, und die Lüge ist aller Laster Siegel. Wer unter der Heimlichkeit einhergeht, der hat, was er verbergen muß, und wer seinem Mädchen etwas vorlügen kann, der will sie auch nicht in Wahrheit zu seiner Frau nehmen. Deshalb glaubte ich dem alten Bauer, was er mir von dir sagte, und wäre beinahe gestorben an dem Glauben. Es soll dir nun alles vergeben sein, alles, von meiner Seite ganz von Herzensgrunde, und wir wollen einander recht, recht freundlich Adieu sagen, wenn du wieder gesund bist, und wenn du stirbst, so will ich dir einen Busch Goldlack auf das Grab setzen und mich totweinen darauf. Ach, wie hast du mich so betrüben können? wenn ich dich ansehe, ist es mir noch immer unbegreiflich. Aber ich zürne dir nicht, zürne du mir nun aber auch nicht! Wie gerne wäre ich deine Gräfin geworden, und dann hättest du mich ja am dritten Tage nach der Hochzeit verstoßen können, so hätte ich doch an deinem Herzen geruht, und hätte in Ehren dran geruhet, Oswald!«

Die innerste Seele des Mädchens schwatzte in diesem Geplauder, welches zuweilen von schweren Seufzern und heftigem Schluchzen und Erkundigungen nach seinem Befinden unterbrochen wurde.

Aber wie stand es um Oswald? Glücklich. Er horchte auf, er ahnete, er schloß den Zusammenhang; durch alle Schmerzen seiner wunden Brust ging ein himmlisches Erkennen. Er wußte nun, daß er nur verleumdet worden war, daß die keuscheste und ehrenzarteste Liebe nicht einen Augenblick aufgehört hatte, ihm anzugehören. Um seine Wangen begann ein seliges Lächeln zu spielen, die Augen öffneten sich und helle Zähren der Wonne blinkten darin. Lisbeths liebliches Antlitz schwamm vor diesen schwimmenden Blicken, sie kam ihm leuchtend, wie eine Heilige kam sie ihm vor. Er konnte nicht sprechen, aber ein Zeichen mußte er ihr geben. Er hob seinen rechten Arm auf, zeigte Lisbeth mit einer freundlich-schmerzlichen Miene den Ring, den er noch an einem Finger der rechten Hand trug von der Dorfkirche her, legte sie auf sein Herz, führte dann den Ring zum Munde, und streckte die Hand gen Himmel, dann ließ er sie wieder auf seine Brust sinken und zog dann ihre Hand herbei, sie in die seinige zu legen, und sie mit ihr vereinigt auf seiner Brust ruhen zu lassen. Dazu sah er sie mit einem Blicke an, daß, wenn zwölf Zeugen von ihr vor dem Richter ausgesagt hätten: Diesen haben wir morden sehen, und er mit einem solchen Blicke seine Unschuld versichert hätte, der Richter ihm und nicht den zwölf Zeugen geglaubt haben würde.

Ein zärtliches Mädchen ist ein gläubiger Richter in solchen Dingen. – Lisbeth folgte seinen Gebärden mit der Aufmerksamkeit bräutlicher Liebe und als sie den Sinn gefaßt hatte, da sagte sie weiter nichts als: »Ah!« – Aber in diesem Laute war alle Wonne, die seit dem Anfang der Zeiten in menschlichen Herzen gewallt hatte. Es war ihr, als sei sie auf dem Hochgerichte, wo man sie unschuldig hinrichten wollen, begnadiget worden; bei lebendigem Leibe war sie in den Himmel erhoben worden, in den Himmel seiner unbeflecktgebliebenen Liebe. – »O mein Gott!« sagte sie und konnte sonst nichts vorbringen. Ein Zittern der Entzückung durchflog ihren Körper, sie meinte zu sinken und den geliebten Freund aus ihren Armen zu verlieren. Da nahm sie sich zusammen, um nicht durch ihre Unruhe ihm zu schaden. Nun wußte sie, daß sie seine Frau Gräfin werde, wenn er nicht sterbe und Oswald hatte recht gehabt, sie machte sich nicht sonderlich viel aus der Frau Gräfin, sie wollte es eben so gern sein, wie sie Frau Försterin geworden wäre.

So fanden Lisbeth und Oswald einander wieder. Stumm ruhte ihr Auge an seinem und seines an ihrem und die herzlichsten Tränen flossen von den Wimpern. Die Hände blieben auf seiner Brust vereinigt, sanft streichelte sie seine Finger, zumal den, an welchem er den Ring trug, den Dolmetsch des hergestellten süßesten Einverständnisses. – Ein Jüngling lag, vom heftigsten Blutsturze erschöpft, dem Tode nahe und sein Mädchen war bei ihm und wußte das, und Jüngling und Mädchen waren dennoch beide glückselig.


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