Karl Immermann
Münchhausen
Karl Immermann

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Die folgenden beiden Köchinnen, Jule und Jette, waren die besten von allen, sie waren reine Köchinnen, ohne Geist, Empfindung, Phantasie. Bei diesen lernte ich die Selbstsucht und die Hingebung der Liebe. Nämlich Julen, die den Herrn betrog, wo sie konnte, übrigens aber das rechtschaffenste, gutherzigste Ding von der Welt war, nahm ich alle ihre Schwänzelpfennige, die sie sich bei den Markteinkäufen machte, ab. Sie schnellte bloß für mich; wahrhaftig, so tat sie. Ich aber brauchte Geld, ich wollte mir gern einen neuen Rock kaufen und Rumohrs ›Geist der Kochkunst‹, um mich in meinem Fache auszubilden. Ich sagte immer zu ihr: ›Gebe Sie nur her, Geliebte; Geben ist seliger als Nehmen; ich gönne Ihr die Seligkeit, und bin mit dem Geringeren, mit dem Gelde zufrieden.‹ Was hatte ich davon? Meine fünfte Probegeliebte, die Jette, ein durchtriebener Vogel, hat mir die ganze Summe wieder gemaust, als wir unter Schwüren der Zärtlichkeit schieden. Nun, Hingebung muß auch sein; ich habe es ihr nicht nachgetragen.«

Münchhausen machte eine Pause, um sich zu erholen. Das Fräulein war wieder eingetreten. Nach einigem Schweigen, währenddessen er einen Blick, in dem die ganze Schwärmerei der Jugend leuchtete, zum Himmel emporgeschickt hatte, fuhr er also fort:

»O, was ist die gewöhnliche, unbewußte, roh-zutäppische Liebe gegen die bewußte Liebe, gegen die Liebe, die nach Prinzipien liebt? Jahre waren verflossen, die Küche lag weit hinter mir. Das Spiel des Lebens sah mich heiter an vom grünen Tisch, wenn stark pointiert wurde, und die Kugel für die Bank sprang. Münchhausen war ein Mann geworden, ein Mann im vollen Sinne des Worts. Dennoch trafen auch ihn die Zweideutigkeiten des Glücks. Ich hatte eine kleine Verdrießlichkeit gehabt, die mich zwang, inkognito zu leben, weit, weit von hier.

Nun muß ich Sie, meine Freunde, mit einer Eigenschaft bekannt machen, die mit den Geheimnissen meiner Erzeugung zusammenhängt. Je reifer ich wurde, desto mehr entwickelten sich in mir gewisse mineralische, oder genauer zu reden, metallische Bezüge, so daß ich von Geld nicht reden hören konnte, ohne in ein Zittern der Ekstase zu geraten. Da sah ich in meinem Inkognito, welches so streng war, daß ich nur verstohlen ausgehen durfte, die, welche alle sechs Bestandteile der Liebe zu einem großen Ganzen in mir kombinierte. Sie war nicht schön, sie hatte wenig Verstand und keine Eigenschaften, dennoch – – aber mein gnädiges Fräulein, mich dünkt, Sie werden schon wieder draußen gerufen.«

Emerentia stand abermals auf, warf von neuem einen dankenden Blick auf den Erzähler, und sagte: »Münchhausen, ich habe Sie immer verehrt, aber von heute bete ich Sie an.« Darauf ging sie wieder hinaus.

»Zum Geier!« rief der alte Baron, »warum schickt Ihr denn heute meine Tochter immer fort?«

»Ihr Zartgefühl zu schonen«, versetzte der Freiherr. »O könnten wir so alle Frauen zur Literatur hinausschicken, die getauften und die ägyptischen Marquisen, dann sollten Sie einmal sehen, wie bald alles kräftig wieder in Witz, Laune und Ironie aufblühen würde!

Meine Geliebte war also nicht schön, nicht klug, nicht angenehm, aber sie sagte mir, daß sie eine außerordentlich reiche Erbin sei. Und so wie dieses Wort erklungen war, regten sich in mir die metallischen Bezüge, und, Sie mögen es glauben oder nicht, es liegt mir nichts daran, aber es ist wahr; es tat in mir einen Ruck, daß mir die Rippen krachten, wie dem Filippo Neri, als ihm das Herz schwoll, und auf einen Schuß, wie sechs Rosen von Damaskus an einem Stengel, brachen in mir auf

  1. die Sinnlichkeit
  2. der Geist
  3. die Empfindung
  4. die Phantasie
  5. die Selbstsucht
  6. die Hingebung

Mich soll der Teufel holen – denn ich werde allemal lyrisch, wenn die selige Rückerinnerung an diese Tage über mich kommt – habe ich meine angebliche reiche Erbin nicht geliebt, wie noch nie eine Frauensperson geliebt worden ist! Ich war sinnlich, aber nie ohne Empfindung, denn ich weinte immerfort, so daß ich mir eine Tränenfistel zuzog. Geist spendierte ich, daß es nur so eine Art hatte; wie oft rief ich: ›Arm in Arm mit dir fühle ich eine Armee in meiner Faust! Ich habe Heroenmut, den alten Sauerteig des Jahrhunderts wegzufegen, und die Käuzlein aus den Höhlen zu treiben, worin sie noch immer blinzelnd über ihren verlegnen faulen Eiern brüten, denen nie eine lebendige Wirklichkeit entkriechen wird!‹«

»Münchhausen!« fuhr der Schloßherr auf; »die Geschichte nimmt eine unangenehme Wendung. Das Alte ist gut, und man muß wohlerworbene Rechte achten.« Auch er ging hinaus.

»Meine Geschichte muß zu Ende, und da niemand sonst mehr hier ist, so will ich sie Ihnen auserzählen, Herr Schulmeister«, sagte der Gast des Schlosses Schnick-Schnack-Schnurr. »Hingebung und Selbstsucht fluteten wie zwei Ströme durch unser Verhältnis. Ich gab ihr mein Herz, mehr wert, als eine Million, und bekam von ihr manchen Louisd'or. Schöne, freundliche Taille des Lebens, in welcher beide einsetzten, gewinnend zu verlieren! Daß die Phantasie nicht leer ausginge, ersann ich ein freundlich Märchen, ich stamme von Fürstenblut ab, sagte ich ihr, sagte es ihr so oft, daß ich es endlich selbst glaubte.«

Der Schulmeister warf das Haupt in den Nacken, als habe er einen Schlag vor die Stirne bekommen. Seine Lippen krämpelten sich zu einer Art von Wulst zusammen; er sah sehr verdrießlich aus.

Münchhausen aber achtete in seinem Feuer dieses Umstandes nicht. »Herrlicher Traum! warum mußte ich aus dir erwachen?« rief er. »Ich hätte ja alles gern dulden wollen, das Erkalten der Geliebten, die Entdeckung, daß sie schon andre vor mir geliebt, und was sonst noch Widerwärtiges an und von ihr! Warum aber mußtest du mich so hart prüfen, Schicksal? Warum berührtest du die Stelle, wo ich sterblich war, da du doch meine inneren metallischen Bezüge kanntest?

Es kam der Tag –
                            o laßt von ihm
Sich Höllengeister nächtlich unterreden!

– es kam der Tag, an welchem unheimliche Gestalten in mein Leben traten, bedrohliche Gewalten mich umspannen mit geisterhaftem Netz und die grause Trennung befahlen. In den Schaudern jenes Augenblicks sagte sie mir unter andern Kleinigkeiten, zu denen unser Verhältnis geführt hatte, das entsetzliche Wort: mit der reichen Erbschaft werde es kläglich genug ausfallen, denn sie habe erfahren, daß ihr Vater arm, wie eine Kirchenmaus sei. – Das traf! Ich fühlte meine Säfte gerinnen, ich fühlte, daß sie sich nach neuen chemischen Gesetzen mischten und entmischten. Meine Gebeine schlotterten, und obschon ich bald meine äußere Fassung wiedergewann, so merkte ich doch, daß über meine Wangen ein fremdes Etwas lief, als ich erröten wollte. Die Elemente in mir waren in Aufruhr, und aus diesem Chaos haben sich denn ganz neue Humoralgruppen in mir gestaltet.

Seit jenem Tage sah ich immer bleich aus, und wenn mir nachmals Zorn, Schreck, Freude, Scham das Blut in das Gesicht trieb, so lief ich grün an. Dieses Ergrünen kam daher, daß ich durch die furchtbare Entdeckung meiner sechsten oder Hauptgeliebten alle Verwandtschaft mit edlen Metallen einbüßte, und daß daher eines der unedlen, nämlich cuprum oder Kupfer, mir in das Blut trat. Kupfer steckt in jedem menschlichen Körper nach den neuesten Untersuchungen; bei meiner Entstehung aber war etwas zuviel davon verwendet worden, und der Überschuß ging mir ins Blut. Wenn ich mir zur Ader lasse, kriegt der Cruor eine ganz grüne Haut. Alle mögliche Mittel habe ich gebraucht, um die Sache wieder in das Geschick zu bringen, jedoch vergebens. Es ist immer angenehmer, rot zu werden, als grün. Ich bin durch die Kuprosität meines Blutes in so manchen unschuldigen Freuden gehemmt. So darf ich nichts Saures genießen, keine Gabelspitze Salat, denn, habe ich mich einmal in dieser Beziehung vergessen, gleich schlägt der Grünspan mir an allen Gliedern aus, wie das Manna an der Äbtissin Agnes von Monte Pulciano. Es ist sehr lästig. Berzelius in Stockholm, der mich vielfach analysiert hat, warnte mich vor Zinn- und Zinkgruben, weil Zinn und Kupfer Glockenspeise, Zink aber damit vermischt, Tombach gibt, und die Ausdünstungen in jenen Gruben mir leicht eine abermalige metallische Komposition zuziehen könnten. Sie ermessen, wie unangenehm mir bei meiner Wißbegierde und Reiselust solche Beschränkungen vorkommen mußten, und noch dazu, da ich gerade den Rammelsberg bei Goslar, wo sie auf Zink bauen, besuchen, und von da nach den Zinnbergwerken von Cornwall reisen wollte. Ich schlug nachher die Warnung in den Wind und befuhr dennoch die Zinkgrube am Rammelsberge bei Goslar. Es waren böse Wetter darin, mir wurde heiß und schwül. Als ich mit meinem Steiger wieder an das Tageslicht gekommen war, sah er mich verwundert an, und sagte: ›Mein Herr, Sie müssen an Mennige gekommen sein, denn Sie sind orangegelb im Gesicht geworden.‹ Er wollte mich abwischen; mir aber fiel die Warnung ein, ich ließ mir einen kleinen Handspiegel reichen, und siehe da! ich war wirklich im Antlitz hochgelb, wie eine reife Pomeranze. Mein Blut war in der Zinkgrube tombachen geworden. Ich schämte mich vor dem Steiger, sagte ihm, ich wisse nicht, was es sei, aber abwischen helfe nichts. Recht beschämt ging ich von dem Grubenhäuschen fort, aus dem mir der Steiger mit allen alten und jungen Burschen, Zimmerheuern und Pochjungen, die gerade zu Tage waren, verwundert und lächelnd nachsah.

Das bißchen Zink wurde ich zwar glücklicherweise wieder los durch eine Schmelzkur, aber die Reise nach Cornwall mußte ich zu meinem größten Leidwesen aufgeben. Was wäre daraus geworden, wenn mich die Zinndämpfe noch gar in Glockenspeise umgesetzt, und wenn ich angefangen hätte, ohne Privilegium zu läuten?

Solche metallische Naturspiele im Menschen bleiben also immer höchst verdrießlich. Kupfer im Blute ist so schlimm, als Kupfergeld in der Tasche. Nicht leicht ward ein Sterblicher gleich mir in der Liebe gezüchtigt. Ich habe aber auch durch dieses Schicksal einen solchen Widerwillen gegen die Leidenschaft bekommen, daß ich mich nachher nie wieder dazu verstehen wollte, obgleich ich Gräfinnen, Fürstinnen und Prinzessinnen die Hülle und die Fülle haben konnte. Vornehme Damen haben häufig den seltsamsten Geschmack in der Liebe. Daher mochte es rühren, daß die ganze vornehme weibliche Welt hinter mir her war, wo ich erschien. Sie wandten den schönsten Adonissen in Dolman, Ulanencollet und Legationsfrack den Rücken, wenn ich, der schlichte Partikulier, der unscheinbare Privatgelehrte, dahertrat mit dem pentelischen Marmorkolorit und grün anlief. Was für Erklärungen habe ich anhören, was für Winke überhören müssen, welches Unheil habe ich gestiftet! In Dünkelblasenheim machte ich grüne Schminke Mode, weil die regierende Herzogin gesagt hatte, in mir sei der ewiggrüne Gott der Jugend erschienen, und die ganze höhere Welt die Andeutung verstand. Sie waren eben einmal wieder ganz aschgrau geworden in Dünkelblasenheim; nun strichen sie sich grün an und meinten, sie hätten die Jugend damit. – An einem andern Orte fiel mir die Prinzessin von Mezzo Cammino da Napoli di Romania zu Füßen und bat mich um Gottes willen, ihr nur wenigstens eine Exspektanz auf mein Herz zu geben. Sie tat mir in der Seele weh – sie war eine schöne Person – aber gebrannte Kinder scheuen das Feuer! Ich hob sie höflich auf, führte sie zum Sofa und sagte: ›Durchlaucht, es geht nicht. Ich habe einmal Unglück in der Liebe und wer weiß, was durch Sie bei mir in Konfusion gebracht würde. Sie dauern mich, liebe Durchlaucht, aber jeder Mensch ist sich selbst der Nächste.‹

Den höchsten Abscheu empfinde ich vor meiner ehemaligen sechsten oder Hauptgeliebten. Ich habe mir tausendmal gesagt: Sie konnte ja nichts dafür, daß sie keine reiche Erbin war, aber – die Natur läßt sich nicht zwingen. Immer und immer durch Grünspan an die Enttäuschung über seine schönsten Hoffnungen erinnert zu werden, ist am Ende auch keine Kleinigkeit! Der Mensch bleibt Mensch. Ich glaube, daß, wenn ich die Hauptgeliebte wiedersähe, ich mich nicht würde fassen können, ich, der ich doch sonst so ziemlich mich zu beherrschen weiß.«


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