Karl Immermann
Münchhausen
Karl Immermann

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»Dein scheußlicher Eigennutz läßt dich so eifrig diese Bitte aussprechen«, sagte Münchhausen ernst. »Die technische Mitdirektorschaft ist es allein, welche dir im Sinne liegt. Aber tröste dich, mein Freund, du wirst nichts verscherzen, wenn du von mir gehst. Wie sollte ein Lügner jemals Wahrheit sagen? Auch die Luftverdichtungsaktienkompanie habe ich nur vorgespiegelt.«

»O nein, nein, nein!« rief Karl Buttervogel laut und begeistert. »Ich lass' mich nicht irremachen. Nein, wenn der gnädige Herr auch sonst jezuweilen aus Liebhaberei 'n bissel flunkern, damit hat es seine volle Richtigkeit. Ach, ich sehe wohl, der gnädige Herr prüfen mich nur noch und spaßen schon; und ich bleibe bei Ihnen.«

»Nun denn«, sagte Münchhausen, »für dieses Mal will ich dir verzeihen; es ist aber das letzte Mal. Ob du indessen technischer Mitdirektor wirst, hängt lediglich von deiner ferneren Aufführung ab. Und nun hole mir den Stock da her, du Spitzbube, denn der neue Kontrakt, welchen wir beide abschließen, will seine Bekräftigung und Draufgabe haben.«

Karl Buttervogel brachte den Stock, welcher in der Nähe des Bettes stand, getragen, sein Herr zog ihm damit einige sogenannte Jagdhiebe über den Buckel; der Diener ächzte zwar unter der Last dieser Streiche, schüttelte sich aber nachher und sagte getröstet: »Es wird einem doch gleich wieder so wohl, wenn man wieder seine feste Anstellung hat.«

Nach seinem Abgange blieb der Freiherr im Bette emporgerichtet sitzen und sprach: »Erstaunlich, was für eine Gewalt ich über meine Umgebungen ausübe!« Er warf sich auf sein Kissen nieder, wandte sich um und schlief abermals ein. Indessen sollte ihm noch keine dauernde Nachtruhe gegönnt sein. Denn nachdem er etwa eine halbe Stunde geschlummert haben mochte, erwachte er wieder von einem Geräusche am Fenster. Im ersten Augenblicke meinte er, daß Diebe sich zum Einsteigen rüsteten; halb schlaftrunken fuhr er aus den Federn und an das Fenster, sah aber, nun durch den kühlen Nachtwind völlig geweckt, unten im Hofe eine dunkle Gestalt, mit einer überlangen Stange in der Hand. »Wer ist da? Und was soll das?« rief Münchhausen die Gestalt an.

Dieser erwiderte: »Ich bin es, der Schulmeister, auch Agesilaus geheißen, und diese aus mehreren Bohnenstiefeln zusammengefügte große Stange klopfte an Ihr Fenster, um Ihre Aufmerksamkeit mir zuzuwenden, Herr von Münchhausen, da mein leises und bescheidenes Rufen Ihres werten Namens nicht verfangen wollte. Noch Licht in Ihrem Zimmer sehend, hielt ich es nicht für unhöflich, eine Zwiesprach mit Ihnen zu begehren, welche ich denn hiemit begehrt haben will. Mich verlangt sehnlichst nach einer Unterredung über einen mir hochwichtigen Gegenstand. Wollen Sie mir wohl leise, auf daß die Hausbewohner nicht erwachen, die Türe öffnen und den Zutritt in Ihr Gemach verstatten?«

»Zum Teufel, Herr, das werde ich bleibenlassen!« rief Münchhausen ärgerlich. »Wer erlaubt Ihnen, die Leute aus dem Schlafe zu stören? Was Sie mir zu sagen haben, können Sie mir von da unten sagen.«

»Auch dieses«, versetzte ruhig der unten mit der Stange. »Die Unterredung aber muß vor sich gehen, damit ich heute noch meinen Entschluß fassen kann. Kürze, die körnige Kürze der Sparter sei mein Muster, denn es zieht hier etwas stark an der Ecke. – Herr von Münchhausen, der Mensch, welcher überhaupt diesen Namen verdient, hat Gedanken. Diese Gedanken haben einen Inhalt und dieser Inhalt kann wahr oder falsch sein. Falsch ist er, wenn er der Wirklichkeit wider-, wahr, wenn er ihr entspricht. Was nun die Wirklichkeit sei, ist zwar schwer zu sagen, indessen, bis dieses große Geheimnis entdeckt wird, müssen wir mit dem, was andere Menschen über unsere Gedanken denken, uns behelfen. Deshalb ist es so überaus wichtig, letzteres zu erfahren, weil wir dadurch zwar noch nicht die Wirklichkeit selbst, aber doch gleichsam eine Anweisung auf sie in die Hände bekommen. Eine solche Anweisung wünschte ich gegenwärtig von Ihnen zu empfangen, Herr von Münchhausen.«

»Herr, kommen Sie zur Sache! Nennen Sie diese Umschweife Kürze?« rief Münchhausen zornig, denn es fror ihn am Fenster.

»Zur Sache denn! Ich begehre Ihre Gedanken über meine Gedanken. Ich denke mir noch immer, daß ich meine Abkunft von den Lakedämoniern und insonderheit von jenem ihrem großen Könige herleiten darf. Was aber denken Sie über diese meine Gedanken?«

Münchhausen riß die Geduld. »Ich denke, daß Sie ein Narr sind!« rief er und wollte das Fenster zuschlagen.

»Einen Augenblick erbitte ich mir noch Gehör. Ihre Äußerung macht mir klar, daß Sie meine mir bis jetzt teuerste Überzeugung für unrichtig halten. Wären Sie wohl so gefällig, mir den Beweis der Unrichtigkeit zu führen, mir auseinanderzusetzen, warum die Agesels nicht von jenem griechischen Volke abstammen können?«

»Nein. Sein Sie, was Sie wollen, Athener oder Sparter, mir gilt es gleich!« – Münchhausen schlug das Fenster zu, murrte: »Das ist ja heute eine verhenkerte Nacht!« sprang wieder in sein Bette, wandte sich zum dritten Male um und schlief zum dritten Male ein.

Jetzt aber ließ ihn der Geist, welcher heute spuken ging, kaum eine Viertelstunde rasten. Er war kaum wieder eingeschlummert, als er sich derb am Arme gerüttelt fühlte. Auffahrend mit den Worten: »Sackerlot, was gibt es nun schon wieder?« sah er zu seinem großen Erstaunen bei dem Schimmer der Nachtkerze den alten Baron abermals vor dem Bette stehen, noch gekleidet, wie früher, nämlich an den Füßen gelbe Pantoffeln und den Leib in einen roten kattunenen Schlafrock mit grünen Weinblättern eingehüllt. – »Bruder Münchhausen«, sagte der Schloßherr und setzte sich auf den Stuhl vor dem Bette, »nimm es nicht übel, daß ich dich störe, aber ich kann kein Auge schließen. Du hast mir mit deiner Luftentreprise eine Unruhe in das Blut geworfen, daß ich in meiner Kammer nicht zu bleiben vermag. Sieh mir einmal recht steif ins Gesicht, und sage mir dann, Kavalier gegen Kavalier: Hast du mir nichts vorgelogen?«

»Schnuck...«

»Ich bitte dich, habe mir nichts vorgelogen! Ich glaube dir gern; es wäre schrecklich, wenn du gelogen hättest, denn meine ganze Seele ist schon bei dem Unternehmen, die Freude meines Alters wäre dahin, wenn nichts aus der Sache würde. Und an und für sich ist sie auch nicht unglaublich, da so viele andere staunenswerte Erfindungen neuerdings gemacht worden sind, als zum Beispiel: Licht aus Unrat zu ziehen, und Essig aus Holz, Zitronensäure aus Kartoffeln und Zucker aus Urin. Warum sollen sie also nicht Steine aus Luft machen können? Fällt sie uns doch oft schwer genug auf die Brust! Dein Wort wird mir daher genügen, dein Manneswort: Hast du mir nichts vorgelogen?«

Der im Hemde mit dem Zipfeltuche um das Haupt sah seinen Wirt starr an und sagte feierlich: »So wahr du geborener Geheimer Rat im höchsten Gericht wirst, so wahr tritt die Luftverdichtungsaktienkompanie ins Leben.«

»Wohl«, versetzte der im roten kattunenen Schlafrock mit den grünen Weinblättern, »nun bin ich beruhigt.«

Der Freiherr bat seinen Wirt um Gottes willen, ihn denn auch ruhen zu lassen, der Alte aber war außer aller Fassung und blieb unter erhitzten Reden auf dem Stuhle sitzen. »Du mußt mir einen Gefallen tun, Münchhausen«, rief er. »Abweisen lasse ich mich nicht von deiner Kompanie, denn die Zeiten sind schmal und einhundertsechsunddreißig drei achtel Prozent nach dem ersten Jahre stehen nicht zu verachten. Wenn mir Lisbeth die Zinsen bringt, kriege ich eine runde Summe, eine Aktie zu bezahlen – ich will und will und will eine haben.«

»Verfluchter Aktienschwindel!« rief der Freiherr. »Ich habe dir gesagt, daß keine mehr zu kaufen ist. Geh doch um aller Heiligen willen zu Bette!«

»Und zu Bette gehe ich nicht!« kreischte der aufgeregte Alte. »Versagst du mir die Luftaktie, so laß' ich dich morgen zum Hause 'naus werfen!«

»Das ist ja eine schöne Erfahrung, die ich an dir mache!« sagte Münchhausen und lehnte sich matt zurück. »Seit wir einander du nennen, kommen nichts als Grobheiten zwischen uns zum Vorschein. Es bleibt also doch wahr, daß manche Freundschaften durchaus nur auf: Sie eingerichtet sind und diesen Terminus ohne Gefährde nicht verlassen dürfen.«

Der alte Baron, der von seiner Aufregung zurückgekommen war, bat seinen Gast um Verzeihung, und es sei nicht so übel gemeint gewesen, sagte er. Dann ersuchte er ihn, ihm wenigstens eine besoldete Anstellung bei der Kompanie zu geben, damit er doch einigen Vorteil von der Unternehmung ziehe. – »Ja, was soll ich aus dir machen?« fragte Münchhausen. »Das Direktorium ist besetzt, der Verwaltungsrat vollzählig, Sekretariats- und Botengeschäfte passen nicht für dich; das einzige Syndikat, das Richteramt für die Streitigkeiten unter den Luftaktionären, ist noch offen – willst du das haben?«

»Ei!« rief der alte Baron, »dieses würde mich ganz trefflich kleiden. Es wäre eine Zwischenbeschäftigung, eine gute Vorübung auf die Zeit, da die alten Verhältnisse wiederhergestellt werden, und ich meinen geborenen Geheimerratsposten im höchsten Gericht antrete. Ja, das nehme ich mit Freuden an.«

»Topp!« rief Münchhausen. »Du sollst Richter unter den Luftverdichtern werden und einen Gehalt von sechsmal hunderttausend Pfund Luftsteinen jährlich beziehen. Denn wir haben, wie man in China mit Reis, als dem gangbarsten Produkte der Landeskultur bezahlt, die Verfügung getroffen, nur in unserem Produkte, nämlich in versteinerter Luft alle Besoldungen zu entrichten.«

»Sehr vernünftig«, versetzte der alte Baron. »So spart Ihr bar Geld. Ich bin damit zufrieden. Nur bitte ich mir probemäßige Luftsteine aus und verwahre mich gegen allen Müll und Abfall.«

Münchhausen mußte hierauf dem neuen Syndikus noch ein Langes und Breites von der Bereitung der Luft erzählen, wobei er sich freilich die eigentlichen Fabrikgeheimnisse vorbehielt.

Damit aber war sein Zuhörer noch nicht zufrieden, sondern er forschte auch gründlich nach der Verfassung der Kompanie, nach den stimmfähigen und stimmlosen Mitgliedern, nach dem Gesellschaftskapital, nach der Geschäftsführung, nach den Universal-, General-, Partikular- und Spezialversammlungen, damit er, wie er sagte, beizeiten alles erfahre, was zu seinem Amte ihm zu wissen not tue.

Münchhausen gab ihm über jeden dieser Punkte, obgleich er lieber geschlafen hätte, notgedrungen die bündigste Auskunft, so daß er sich ganz heiser sprechen mußte. Endlich ging der Alte.

Die Nacht war über diesen Vorfällen und Gesprächen verstrichen. Phöbus mit dem goldenen Haar sah in das Fenster. Erschöpft legte sich Münchhausen abermals zurück, um wenigstens noch eine Stunde Morgenruhe zu genießen. »Es ist doch übel, wenn man bei den Leuten allzuviel Ideen anregt«, sagte er vor dem Einschlafen.

Aber bald erhob sich unter seinem Fenster das Getöse einer eifrig arbeitenden Säge; der Ton, welcher vom erschrecklichsten Schrillen in einem unausgebildeten Sopran zum schauderhaftesten Schnurren in einem verdorbenen Alt regelmäßig sich senkend, bekanntlich auch den Taubsten erwecken kann. Münchhausen sagte anfangs zu sich selbst: »Es ist nur Täuschung«, und stopfte sich tief in die Kissen hinein; dann sagte er: »Es ist zwar keine Täuschung, aber ich will diesen sinnlichen Eindruck durch Abstraktion überwinden.« – Er begann daher von dem Schrillen und Schnurren seine Gedanken mit Macht seitwärts zu führen, und würde vielleicht bei der großen geistigen Kraft, die ihm beiwohnte, des Sinneneindrucks Meister geworden sein, wenn sich nicht plötzlich mit dem Sägegeräusche ein heftiges Rumoren über seinem Haupte verbündet hätte. Es ließ sich nämlich ein Gepolter über seiner Stube vernehmen, als ob der ganze Söller umgekehrt würde. Zwischen Sägegeräusch und Söllergepolter eingeklemmt, konnte er es nicht länger aushalten. Er rief: »So ist es und bleibt es demnach unmöglich, heute zu einem leidlichen Schlafe zu gelangen!« und sprang mit beiden Füßen aus dem ruhelosen Bette. Er schellte und ließ sich von seinem technischen Mitdirektor, der zugleich Prätendent von Hechelkram und Karlos der Schmetterling war, ankleiden.

Von der durchwachten Nacht sah er sehr gelbgrünlich aus, und die Augen standen ihm wüst im Kopfe. Das Sägen aber rührte vom Schulmeister und das Rumoren vom alten Baron her.


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