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Jetzt redete der Hofschulze die Versammlung mit folgenden Worten an: »Ist es die rechte Stätte und die rechte Stunde, Ding und Gericht zu halten nach Freistuhlsrecht unter echtem Römischen Königsbann?« – Die Bauern antworteten einstimmig: »Ja, sie ist es«; und der Hofschulze fuhr fort: »So warne ich Euch vor Unlust, Keif, Scheltwort. Niemand soll sprechen, denn mit Fürsprach, niemand scheiden vom Gericht, denn mit Urlaub. – Dieweil –« setzte er hinzu –
»Dieweil an diesem Tage Mit Eurer aller Behagen Unter dem hellen Himmel klar, Ein frei Feldgericht offenbar Wo Notschöffen keine Gehegt beim lichten Sonnenscheine, Nicht in Schlüften Nicht in Klüften Zwischen sieben Uhr frühe Und Ein Uhr mittags; siehe! Alle Mann auch nüchtern kommen sind, Königsstuhl und Maß man recht befindt, So sprecht das Recht ohne Witz und Wonne, Weil scheint die Sonne.« |
Die Bauern sprachen: »Wir wollen's.«
Der Hofschulze fragte abermals: »Was gibt dem Freischöffen Fug und Recht?«
Die Bauern murmelten dumpf: »Hebende Hand, blickender Schein, gichtiger Mund.« –
Darauf sagte der Fronbote: »Herr Grafe, es steht draußen ein Mann, der Begehr am Ding und Gericht hat.«
Der Hofschulze wandte sich wieder an die Versammlung und sprach:
»Ist es Euch genehm und zum Behagen, Daß mein Eidam vom Jürgenserb, Frei, keinem eigenbehörig, Ohne Schimpf noch Schande, Unverleumd't im Lande, Wissend gemacht werde Auf roter offener Erde, Fahe Losung und Heimlichkeit, Wie Kaiser Carolus gesetzt zu seiner Zeit?« |
Die Freischöffen erwiderten: »Es geschehe.« – Der Hofschulze gab nun dem Fronboten einen Wink, dieser ging zu dem Eidam und führte ihn herbei. Der junge Bauer sah sehr stolz und freudig aus, als er in den Kreis trat, in welchem er die höchste Ehre von seinesgleichen empfangen sollte.
Der Fronbote gab ihm Anweisung, darauf entblößte der junge Bauer sein rechtes Knie, kniete bedeckten Hauptes vor seinem Schwiegervater nieder, legte die linke Hand auf die Weide, die ihm der Fronbote vorhielt, und empfing in dieser Stellung vom Hofschulzen die Vermahnung vor Eidbruch, die ihm unter schweren Verwünschungen erteilt wurde. Bei der Weide solle er denken an den Strick um den Hals, hieß es darin, und bei der Linde, die er sehe, an den Baum, der den Verräter trage. Vermaledeit sei dessen Fleisch und Blut, der Wind solle ihn verwehen, die Krähen, Raben und Tiere in der Luft sollen ihn verführen und verzehren.
Noch schrecklichere Drohungen enthielt dieses Verwarnen. Der Eidam verzog aber keine Miene dabei. Hierauf nahm ihm der Fronbote den Eid ab, den der neue Schöffe nachsprach. Er schwor, die Feme zu hüten:
»Vor Mann, vor Weib, Vor Dorf, vor Traid, Vor Stock, vor Stein, Vor groß, vor klein, Auch vor Quick Und vor allerhand Gottesgeschick, Ohne vor dem Mann, Der die heilige Feme hegen und hüten kann, Und nicht zu lassen davon Um Lieb noch um Leid, Um Pfand oder Kleid, Noch um Silber, noch um Gold, Noch um keinerlei Schuld.« |
Als der Eidam den Eid geleistet hatte, wollte er aufstehen, der Fronbote hielt ihn aber in seiner knieenden Stellung fest und sagte, sich vergessend, und aus der feierlichen Redeweise in seine Bauernsprache fallend: »Wollt Ihr denn wie das liebe Vieh Schöffe sein? Ihr kriegt ja erst die Losung.«
»Auch gut!« rief der junge Bauer, dem die fürchterliche Verwarnung und der Eid ein Behagen erregt zu haben schien. »Her mit der Losung!«
Der Hofschulze setzte den Hut auf, der Eidam mußte ihn abnehmen und nun sagte jener: »Die Losung und das Notzeichen, das ich dich lehre, lautet: Stock, Stein, Gras, Grain.«
»Gut«, versetzte der Eingeweihte. »Stock, Stein, Gras, Grain, das ist wohl zu behalten. Aber was bedeutet: Stock, Stein, Gras, Grain?«
»Neige dein Ohr zu meinem Munde«, versetzte der Freigraf, »du sollst den heimlichen Sinn erfahren, den außer dir nicht einmal die Lüfte hören dürfen.«
Indem der Eidam sich zu den Lippen des Schwiegervaters hinüberbeugte, rief aber der alte Fronbote überlaut: »Halt! Das Ding ist geschändet, wir haben einen Lauscher in der Nähe, ich hörte ein Geräusch ganz deutlich.«
»Nun ja«, sagte Oswald, der hinter der alten Linde hervortrat, gezwungen lachend, »ich habe Euch belauscht. Ich stand in dem hohlen Baume da. Das Horchen, welches ich noch nie getan, wollte mir aber so schlecht behagen, daß ich mich rührte, um fortzugehen, womöglich da in den Forst, Euch unbemerkt. Nehmt mir's nicht übel, ich werde nichts von Euren Sachen verraten, es ist, als ob ich sie nicht gehört hätte.« – Er trat in den Forst zurück und verlor sich unter den Bäumen.
Wie wenn bei einem fröhlichen Mahle plötzlich ein fremder Eindringling durch eine ungeheure Beleidigung der ganzen Gesellschaft den Fehdehandschuh hinwirft – anfangs ist alles lautlos und gleichsam versteinert, mit einem Male aber springt jeder auf und läßt das verletzte Gefühl in Blick, Gebärde, Drohung, Zornes- und Racheworten ausschäumen, so wirkte hier die unerwartete Erscheinung des fremden Zeugen anfangs nur ein atemloses Staunen und die Bauern sahen ihm, ohne ein Wort zu sagen, nach, bis er im Forste verschwunden war. Dann aber sprangen sie wütend auf, ballten die Fäuste und ergossen sich in einem Strome von wilden Reden, Drohungen, Verwünschungen. Einige riefen: »Soll das geschehen dürfen wider uns?« Andere antworteten: »Nimmermehr; tot sollte man ihn schlagen!« »Tot!« riefen alle und bekräftigten dieses finstere Wort durch ein lautes Murren, welches schauerlich von der nebelumgebenen Höhe klang. – An eine Fortsetzung des Freigerichts wurde nicht gedacht.
Der Hofschulze war während des Getöses stumm geblieben, sein Antlitz sah aber kreideweiß aus. Als jetzt nach jenem Murren eine augenblickliche Stille eintrat, erhob er sich und sagte: »Nachbarn, wollt Ihr mir überlassen, die Sache in aller Manier zu schlichten?«
Die Bauern versetzten: »Tut das, Hofschulze. Nur daß nichts auskommt von der Heimlichkeit.«
»Ich hoffe, es soll nichts auskommen«, versetzte der Hofschulze mit einem seltsamen Lächeln.
»Wie wollt Ihr es anfangen?« fragten seine Nachbarn.
»Ich will Euch nur veroffenbaren«, sagte der Hofschulze und sein Lächeln wurde immer sonderbarer, »daß ich eine Sache von meinem Vater seliger ererbt habe, die, wenn man sie gehörig braucht, jemandem den Mund schließt über jegliches Ding, worüber man will.«
»Ja«, sagte einer, »so etwas müßt Ihr wohl innehaben, denn vom Oberhofe ist niemals was herunter geschwatzt worden.« – Sie schüttelten ihm die Hand und liefen nach allen Richtungen hügelabwärts auseinander, unterweges ihr Murren, Schelten und Verwünschen fortsetzend.
Als die beiden Alten oben auf der Höhe allein waren, wechselten sie miteinander die allerverwunderlichsten Blicke. Der Fronbote hatte seit dem Abgange des jungen Grafen wie ein Falke nach jedem Gesichtszuge seines Freigrafen gespäht.
Er verstand ihn und der Freigraf verstand den Fronboten; es bedurfte aber dazu keines Wortes unter ihnen.
Nach langem Schweigen erhob zuerst der Fronbote seine Stimme und sagte: »Wollt Ihr mir eine Nachbargefälligkeit tun, Hofschulze?«
»Ja, wenn ich kann«, versetzte der Hofschulze.
»Ihr könnt schon«, sagte der alte Fronbote. »Es fehlt mir im Nußholz an Fällern und auf der Pfaffenwiese an Grummetwenderinnen. Darf ich Eure Knechte und Mägde dazu vom Oberhofe mitnehmen, die Knechte nach dem Nußholze schicken und die Mägde nach der Pfaffenwiese? Ihr kriegt sie aber vor spät abend nicht zurück, denn es ist viel zu tun.«
»Nehmt sie nur alle mit, Knechte und Mägde, und behaltet sie bis zum späten Abend draußen«; antwortete der Hofschulze.
»Ich tue Euch auch einen Gefallen dagegen«, sagte der Fronbote. »Ihr spracht neulich, daß Ihr den alten Brunnen hinter der Scheure wiederaufnehmen wolltet; er ist aber ganz versperrt; das Gestrohde vor dem Zugange will ich Euch daher immer schon etwas wegräumen, wenn ich hinunterkomme.«
»Es soll mir recht lieb sein«, erwiderte der Hofschulze.
»Wohin geht Ihr von hier aus?« fragte der Fronbote.
»In die Hollenberge, um nach den Mandeln zu sehen«, antwortete der Hofschulze, und schlug, ohne sich weiter zu verweilen, einen Pfad zwischen den Kornfeldern ein. Der Fronbote sah ihm nach und sagte dann: »Wenn man nun einstmals unvermutet um Sachen befragt werden sollte, so kann man schwören, daß er weder in den Oberhof noch in den Forst da gegangen ist, dem Menschen nach.« Hierauf schritt er den Weg zum Oberhofe hinunter.
Der Hofschulze kehrte, als er einige hundert Schritte gegangen war, um und ging in den Forst, bebend, bleich, außer sich.