Karl Immermann
Münchhausen
Karl Immermann

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Siebentes Buch

Das Schwert Karls des Großen

Erstes Kapitel

Der Lendemain in einem Oberhofe

Während des Hochzeitschmauses und des Tages, der darauf folgte, hatte der einäugige Spielmann im Eichenkampe nicht weit vom Oberhofe gesessen. Man brachte ihm Speise und Trank dorthin, er rührte aber nur wenig an und genoß auch dieses wenige mit Widerstreben, etwa so viel, als hinreichte, seinen wütenden Hunger zu stillen. Die Stelle, wo sich dieser Mensch aufhielt, lag kaum fünf Schritte von der Straße ab, die durch den Kamp führte, sie war von den dicksten und höchsten Stämmen überstanden, deren einer mit seinen gewaltigen Wurzelknorren eine natürliche Brustwehr vor dem Erdreich bildete, welches hinter ihm in eine Vertiefung ablief, auf deren Rande man bequem sitzen konnte.

Dort saß denn auch der Spielmann und sah beharrlich lauernd nach dem Hause hinüber. Zuweilen erhob er sich mit halbem Leibe, um aufzustehen, und dies geschah, wenn sich eben niemand in der Türe und im Flure des Oberhofes blicken ließ, aber bei dem Ab- und Zulaufen der Menschen dauerte das immer nur einen Augenblick. Sobald wieder Menschen sichtbar wurden, setzte er sich immer wieder unwillig hin. Auch drehte er zuweilen heftig an seinem Leierkasten, worauf dieser widerwärtige Töne von sich gab, die pfeifend und heulend ausklangen. Darüber machten die Leute, die eben vorbeigingen, (und es gingen viele an jenem Tage durch den Eichenkamp) ihre groben Späße, und einer oder der andere sagte, der Patriotenkaspar pfeife aus dem letzten Loche. Doch äußerte sich so meistens nur das junge Volk, dessen Erinnerung den Spielmann bloß als eine lächerliche Gestalt kannte; die Alten bekümmerten sich hier so wenig um ihn als andererorten, wenn sie ihm zufällig begegneten. Die Späße der jungen Leute ließ der Patriotenkaspar ruhig und ohne Erwiderung an sich vorübergleiten, oder höchstens zwinkerte er dazu mit seinem unversehrt gebliebenen Auge. Ging aber ein Alter vorbei, der gar nicht tat, als ob er, der Patriotenkaspar, der die alte Orange in Schonhoven mit hatte vermolestieren helfen, da sitze, so ballte er grimmig in dessen Rücken die Faust und murmelte: »Ihr Schubjacken! aber ich werde Euren Obersten schon...«

Was ihm am Tage mißlungen war, nämlich in das Haus einzudringen, das meinte er, werde ihm in der Dunkelheit des Abends glücken. Aber er hatte sich getäuscht. Denn als es finster wurde, begannen ein paar Mägde vor dem Hause ein Topfwaschen und Kesselscheuern, welches bis spät dauerte und ihn verhinderte, unbemerkt hineinzuschlüpfen. Als diese mit dem letzten Kessel fertig waren, hatten inzwischen zwei Betrunkene sich in die Türe gestellt, wovon der eine dem anderen seinen Prozeß klarmachen wollte, den er seit mehreren Jahren über eine Durchgangsgerechtigkeit führte. Der andere sagte nach jedem Satze seines Nachbarn: »Verstanden«, und fragte darauf: »Wie war es aber eigentlich?« Der Prozeßführende wiederholte dann seinen Satz, der andere noch einige Male sein verstehendes und fragendes Wort; so rückte die Geschichte äußerst langsam vor und es war kein Ende derselben abzusehen. Dabei hatten die beiden noch gerade so viel Besinnung, um jeden, der zwischen ihnen durch in die Türe gehen wollte, mit heftigen Gebärden zurückzuweisen, weil sie, in die Prozeßgeschichte vertieft, behaupteten, hier sei keine Durchgangsgerechtigkeit. Weshalb denn auch mehrere, die sich mit jener Absicht ihnen näherten, um Streit zu vermeiden, zurück und neben dem Hause vorbei nach der Hoftüre gingen, der Spielmann aber die Ausführung des Vorsatzes, der ihn an seine Stelle fesselte, aufgeben mußte, solange die Betrunkenen da standen. Endlich, es war schon Mitternacht, kam ein dritter vom Flure nach der Türe gegangen, faßte, ohne ein Wort zu sagen, die beiden von hinten am Kragen, zog sie zurück und in den Flur, schlug aber darauf sogleich die Türe zu und verriegelte sie von inwendig. Sie wurde nachmals nicht wieder aufgetan.

Die Hochzeitgesellschaft verlor sich gegen ein Uhr nachts und der Oberhof lag nun in dunkelen Schatten still und lautlos da. Jetzt erhob sich der Spielmann von seinem Sitze und umschlich das ganze Gehöfte tückisch spähend wie eine Katze, um irgendwo eine offenstehende Lucke oder sonst eine vergessene Öffnung zu finden, durch welche er eindringen konnte. Aber es wollte sich nichts dergleichen finden, und als er an der niedrigsten Stelle der Hofesmauer sich bereitete, überzusteigen, erhoben die Hunde im Hofe ein solches Gebell, daß er befürchten mußte, es möge jemand im Gehöfte wach werden. Er wich daher auf den Zehen und die Zähne zusammenbeißend zurück und ging wieder, seine Flüche verschlingend, nach der Sitzstelle im Eichenkampe, wo er nun ebenso hartnäckig in der Nacht ausharrte, wie bei Tage.

So saß dieser Mensch einen ganzen Nachmittag, einen Abend und mehrere Stunden der Nacht hindurch, erpicht auf sein Vorhaben. Und gleichwohl war dieses nicht auf ein großes Verbrechen oder auf einen reichlichen Vorteil gerichtet; er wollte dem Hofschulzen weder seine Geldsäcke rauben, noch ihm das Haus über dem Kopfe anzünden, sondern nur ihm einen Schabernack anzutun übte der Feind des Reichen eine solche zähe Beharrlichkeit.

Gegen vier Uhr morgens endlich, als die Gegend noch im halben Dämmer lag, wurde die Türe aufgestoßen, ein Knecht kam herausgegangen um Wasser zu holen und diesen Augenblick benutzte der Lauerer, um in das Haus zu schlüpfen. Er lief über den Flur und die Treppe hinauf, sich vorläufig zu verbergen und während des Tages, wann, wie er vorher wußte, der Oberhof von allen Bewohnern verlassen werden würde, mit seiner Beute zu entkommen.

Nachdem es heller Morgen geworden war, ging der Hofschulze, zwei große Geldsäcke tragend von dem oberen Teile des Hauses nach der Stube unten neben dem Flure und hinter ihm drein ging der Schwiegersohn. Dort setzten sich beide schweigend, wie gestern bei allen wesentlichen Stücken der Hochzeit, an einen großen Tisch. Jeder von ihnen öffnete einen Sack und zählte aus demselben dreitausend Taler in harten runden Talern auf. Es störte den Hofschulzen nicht, daß mehrere Hausgenossen und auch einige Nachbarn, welche sich schon im Hofe eingefunden hatten, vom Flure aus, oder in der Türe der Stube stehend, diesem Aufzählen zusahen. Vielmehr schien es ihm lieb zu sein, Zeugen bei dieser Handlung zu haben, die seinen Reichtum dartat, wie ein hin und wieder zur Seite geworfener stolzer und schmunzelnder Blick andeutete. Das ganze Geschäft nahm wie es begonnen worden, seinen Fortgang und erreichte auch so seine Endschaft; nämlich beide Hauptpersonen redeten kein Wort miteinander während des Geldzählens. Als sechstausend blanke Taler auf dem Tische lagen und von dem Schwiegersohne sorgfältig nachgesehen worden waren, schrieb dieser stumm die Quittung über die empfangene Mitgift und reichte seinem Schwiegervater den Schein, ohne Dank zu sagen, hin, strich sodann das Geld wieder in die beiden Säcke ein und setzte sie zur vorläufigen Verwahrung in einen Wandschrank, der sich in der Stube befand und von welchem er die Schlüssel zu sich steckte.

Der alte Schmitz hatte das Geschäft unterbrechen wollen und war mit der Äußerung, daß er nach der Stadt zurück wolle, vorher aber seine Sache mit dem Hofschulzen in Ordnung bringen müsse, zu diesem in die Stube getreten. Der Hofschulze verweigerte jedoch heute wie gestern, ohne von seinen Talern aufzusehen, jede Einlassung, bis das ganze Pläsier, wie er sich ausdrückte, zu Ende sein werde, worauf er gern über alles und jedes zu Dienst stehen wolle. Denn zwei Sachen zu gleicher Zeit zu treiben, war nicht sein Ehrgeiz, er brachte immer erst eine vollständig zu ihrer Richtigkeit, ehe und bevor er eine andere angriff, und mit diesem Grundsatze war er zu den guten Umständen gelangt, in denen wir ihn kennengelernt haben. – Der alte Sammler entfernte sich verdrießlich und ging nach einem Stalle, worin er etwas hatte niedersetzen lassen, dessen Besitz jetzt seine Seele drückte. Er sah es unter wehmütigen Gedanken an und wünschte sehnlich das Ende des Pläsiers herbei, welches für ihn kein Pläsier war, weil es die Qual der Unentschiedenheit für ihn verlängerte.

Von der Regel, nur ein Geschäft zu derselben Zeit zu treiben, machte indessen der Hofschulze in betreff der kranken Blesse eine Ausnahme. Er begab sich ungeachtet der noch bevorstehenden Hochzeitvergnügungen zu dem Tiere, sah nach, ob ihm auch die Hausmittel gereicht würden, die er verordnet hatte, schaute es mitleidig an, schüttelte den Kopf, streichelte ihm sanft die Weichen und behandelte es überhaupt viel zärtlicher, als seine Tochter oder seinen Schwiegersohn. Leider schien diese Sorgfalt wenig zu verschlagen, da der Zaunpfahl die Kuh zu hart berührt hatte. Sie stöhnte noch erbärmlicher als gestern. Über den rothaarigen Knecht fühlte er den heftigsten Verdruß, denn er hatte dessen Gewaltsamkeit noch spät in der Nacht vor dem Schlafengehen erfahren. Sogleich hatte er dem Menschen den Dienst aufgesagt. Als er ihn daher jetzt ansichtig wurde, rief er heftig: »Was treibst du dich hier noch umher?«

»Ich wollte Euch nur fragen, Baas, ob es Euch ein Ernst gewesen ist mit dem Aufsagen?« versetzte der Rothaarige.

»Wenn ich aufsage, so heißt das Aufsagen und wenn ich nicht lache, so ist das kein Spaß«, erwiderte der Hofschulze.

»Es ist aber unrecht, daß wenn man den besten Willen hat zur Lustbarkeit und dafür sorgen will, daß alles recht schön wird, man aufgesagt kriegt«, antwortete der Rothaarige.

»Wenn ich einer Kreatur, die in ihrer Unvernunft keinen Begriff davon hat, daß Hochzeit ist, die Rippen im Leibe kaputt schlage, so hilft das nicht absonderlich zur Lustbarkeit«, versetzte der Hofschulze kaltblütig. – »Genug, du bist aus dem Dienste und kannst froh sein, daß ich dir nicht den Schaden vom Lohne abziehe, wie rechtens wäre.«

Der Rothaarige bat hierauf seinen gewesenen Herrn nur um die Vergünstigung, wenigstens noch ein paar Tage im Hofe bleiben zu dürfen, da es ihm gar zu despektierlich sei, gerade auf einer Hochzeit fortgejagt worden zu sein. Diese Erlaubnis gab ihm der Hofschulze, jedoch unter der Bedingung, daß er sich nicht in den heutigen Zug mische, denn er wolle ihn, sagte er, bei dem Pläsier nicht vor Augen haben. Der Rothaarige setzte sich mit einem giftigen Blicke auf einen Schemel im Flur, nicht weit von der kranken Blesse, deren Qualen ihm durchaus keine Gewissensbisse aufzuregen schienen. Er greinte und sagte halblaut für sich: »Könnte ich dem alten Hunde noch zu guter Letzt einen rechten Possen spielen, so würde mir das eine wahre Herzerquickung sein.« – Der Hofschulze ging mit den Worten: »Es muß alles mit Manier behandelt werden, selbst ein Vieh« – zu seinen Gästen, die sich schon wieder in bedeutender Anzahl zu versammeln angefangen hatten, und den Platz vor dem Hause nach dem Eichenkampe zu trinkend und rauchend erfüllten.

Denn heute war der Tag, an welchem die Neuverheiratete mit uralt hergebrachter Feierlichkeit in ihr künftiges Wohnhaus eingeführt werden mußte. Zu dieser Feierlichkeit gehörte eine Fahne, viel Schießgewehr, abermals ein Schmaus, jedoch dieses Mal im Gehöfte des jungen Ehemannes und wieder das Spinnrad, welches bei der Hochzeit seine Dienste geleistet hatte.


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