Karl Immermann
Münchhausen
Karl Immermann

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Achtes Kapitel

Handelt von dem Bedienten Karl Buttervogel, und von der freundlichen und ehrenvollen Aufnahme, welche der Freiherr von Münchhausen im Schlosse Schnick-Schnack-Schnurr fand

»Und ich«, sagte der Diener, dreist zu den Herrschaften herantretend, »bin der Bediente Karl Buttervogel, bürste meinem Herrn die Kleider aus, und putze seine Stiefeln. Die gnädige Dame da sehen verwundert meinen Blumenstrauß am Hute, und dieses Tuch an, welches beinahe wie ein Lauferschurz läßt; ja, ich wäre so ein Laufer, den jede Schnecke einholen würde; ich habe zu schwer hier an meinem Tornister zu schleppen, worin die Instrumente des gnädigen Herrn stecken. Nein, ich pflückte mir die Blumen aus Langerweile, während mein Herr die Luft untersuchte, und was den Schurz betrifft, so habe ich mir den umgeknüpft, meine Unterkleider vor den verdammten Dornen in acht zu nehmen, durch die der gnädige Herr sich absolut hindurcharbeiten wollte. Ich glaube nicht, daß die Schindmähre vor einem historischen Moment gescheut ist, wie Sie sagen, sondern die Dornen rissen sie, und davon wurde das Vieh fuchstoll.«

Der alte Baron und der Schulmeister hörten mit Verwunderung diesen überkecken Reden eines Dieners zu. Münchhausen suchte mit einem gewichtigen Blicke den Vorlauten in seine Schranken zurückzuweisen, da aber jener den Blick ertrug, ohne sich niederschlagen zu lassen, so senkte der Herr die Augen, und die Züge seines Gesichtes begannen, ein geheimes geistiges Leiden auszusprechen. In dem Fräulein aber war die heftigste Gemütsbewegung entstanden. Ihre Wangen hatten sich bei den Reden Karl Buttervogels in Purpurglut gefärbt, ihre fliegenden Blicke schweiften von dem Herrn zum Diener, und von diesem zu jenem, während die Lippen leise Fragen an das Schicksal vor sich hin flüsterten, welche wie: »Lauferschurz? Blumenhut?« lauteten.

Der alte Baron lud den Freiherrn von Münchhausen auf das freundlichste ein, bei ihm so lange vorlieb zu nehmen, als es ihm gefiele, was Münchhausen dankbar annahm. Alle begaben sich hierauf aus dem Garten in das Haus, nachdem der Schloßherr seinem Gaste, der das zerstörte Gebäude einigermaßen stutzig anblickte, zuvor eröffnet hatte, die Wirtschaft sei in diesem Augenblicke durch allerhand Zufälligkeiten etwas in Unordnung geraten, auch solle gebaut werden. Auf der Treppe, die vom Hausflure zu dem Wohnzimmer führte, hätte der Freiherr beinahe wieder ein Unglück gehabt. Denn eine von den morschgewordnen Stufen knackte, als er sie betrat, und brach. Hierauf verlor er das Gleichgewicht, wollte sich an dem Geländer halten, faßte aber nur in die dünne Luft, weil das Geländer vorlängst zu Brennholz verwendet worden war. Er wäre gefallen, wenn ihn nicht der alte Baron am Rockzipfel gehalten hätte. So aber kam er doch wieder glücklich auf seinen Füßen zu stehen, und wurde vorläufig in das Wohnzimmer geführt, bis seine Appartements instandgesetzt waren. Diese Einrichtung besorgte der Schulmeister, da mit dem Fräulein nichts anzufangen war. Sie saß verklärten Blicks in einer Ecke des Zimmers, sah vor sich hin, und ihre Gedanken schienen abwesend zu sein. Als der Vater zu ihr sagte: »Renzel, (so nannte er sie, wenn er besonders guter Laune war) wo kriegen wir den Nachttisch her für den Fremden?« versetzte sie: »O Vater, es wird Tag!« und als er sie bat, die Bettung des Gastes zu besorgen, blickte sie ihm starr in das Antlitz und verstand ihn nicht. Der Schulmeister, welcher unter sotanen Umständen sich zum Haushofmeister anerbot, bewies dagegen eine nicht geringe Anstelligkeit. Er war während seines Dienstes zu Hackelpfiffelsberg sich Knecht und Magd gewesen, und hatte dadurch die genauste Kenntnis aller kleinen häuslichen Geschäfte erworben. – Flink räumte er von der Vorratskammer, die der Schloßherr zum Gastzimmer bestimmt hatte, weil sie das einzige Gelaß war, welches noch Fenstern hatte, die getrockneten Äpfel, die Bohnen und Erbsen hinweg, welche für den Winterbedarf dort aufgeschüttet lagen, sorgte für das Haupt des Fremden, indem er die lose Gipsbekleidung der Decke mit einer Stange abstieß, fegte den Estrich rein, verjagte die Spinnen aus ihren luftigen Schlössern, nahm aus den Betten der Schloßbewohner die noch einigermaßen entbehrlichen Stücke, stellte verschiedene Holzfragmente mittelst Säge, Hammer und Nägel zu einer Art von Sponde zusammen, und wußte selbst noch einen erträglichen Tisch und Stuhl für den Freiherrn aufzutreiben.

Nach vollbrachtem Werke ging er hinunter und fand den alten Baron um zehn Jahre verjüngt. Münchhausen hatte ihm die Wirtschaft der Infusionstiere mit so reizenden Farben geschildert, daß sein Zuhörer in Entzückung geraten war, er hatte ihm ganze Idyllen, Epen und Tragödien vorgetragen, die sich in jedem Wassertropfen seiner Versicherung nach ereigneten. Als der Schulmeister nun einige Augenblicke mit Münchhausen allein gelassen wurde, gab ihm dieser auf Verlangen sein Wort, daß er unfern von Buxtehude in einem Bauerndorfe die deutlichsten Spuren spartanischer Sitte und Abkunft angetroffen habe, indem die Leute dort nichts von den Wissenschaften hielten und von Schmutz starrten. Der Schulmeister ging höchst befriedigt von dannen, um seine schwarze Suppe zu verzehren, und überließ Emerentien den Freiherrn.

Nach einer Pause, die so feierlich war, als diejenige zu sein pflegt, welche die Komödianten vor der großen Szene machen, in welcher die Liebe dadurch über die Kabale siegt, daß Ferdinand seiner Louise Rattenpulver in Limonade eingibt, nach einer Pause, lang und lastend, wie die vorstehende Periode, sagte das Fräulein schüchtern zum Freiherrn: »Herr von Münchhausen, Sie treten wie ein mythisches Produkt unsrer Zustände mit innerer Notwendigkeit in die Burg meiner Väter. Schon haben Sie sich selbst in Ihrer Gartenrede als einen durch beziehungsvolle Beziehungen mit unsern Wünschen und Aussichten Verknüpften empfunden. Verargen Sie es daher der schüchternen Jungfrau nicht, wenn sie, die Gesetze der Zurückhaltung, welche sonst meinem Geschlechte eignen, brechend, Sie herzlich und dringend fragt: Gibt es noch Laufer?«

»Ja, meine Gnädige«, erwiderte der Freiherr mit ernster Rührung; »es gibt allerdings noch Laufer.«

»Pflegen sich wohl Fürsten dergleichen Laufer zu halten?« fragte das Fräulein, indem sie eine Träne im rechten Auge zerdrückte.

»Nur ein Fürst ist dessen fähig!« rief Münchhausen, und führte das Taschentuch an sein linkes weinendes Auge.

»Und nun die letzte Frage an Ihr schönes Herz, edler Mann, eine Frage, in der Sie meine Seele empfangen: Trägt ein Laufer, wo er erscheint, Blumenhut und Schurz?«

»Blumenhut und Schurz bleiben die Zeichen eines Laufers bis an das Ende der Tage«, sprach der Freiherr erhaben, und streckte, wie schwörend, den Daumen und die beiden ersten Finger der rechten Hand empor.

»Ich danke Ihnen für diese Stunde«, sagte das Fräulein. »Mein Leben beginnt wieder seine Schwingen zu regen. Das Schicksal gibt mir ein Zeichen; auf die Lippen der Unschuld, auf die Lippen Ihres Karl legte es sein bedeutendes Wort, wundersamen Tönen meines Tiefinnersten entsprechend, Schätzen des Busens, die sich eben leuchtend dem Dunkel entrungen hatten. Sie aber, hoher Meister, legten zart und weise die süße Fabel als schlichte, treue Wahrheit aus. O ich wußte wohl, daß ich hier verstanden werden würde!«

»Durchaus verstanden!« rief Münchhausen.

In diesem Augenblicke trat der alte Baron, der inzwischen die Einrichtung der Gaststube besichtigt hatte, wieder in das Zimmer, und lud Münchhausen ein, ihm dahin zu folgen, damit er es sich vor der Hand etwas bequem machen könne.

Emerentia sagte, als sie allein war: »Er ist erschienen, der mich ohne Wort versteht; der Himmel hält uns die Verheißungen, die er uns in der Sehnsucht gibt! Bald, bald wird nun auch Rucciopuccio kommen, der Fürst von Hechelkram, seine Freundin im reinsten Sinne des Worts abzuholen.«


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