Victor Hugo
Victor Hugo's sämmtliche poetische Werke. Zweiter Band
Victor Hugo

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XL.

Er.

Ein Riese war ich da und hundert Ellen hoch.

Buonaparte.

I.

Er immer! Ueberall nur Er! – Sein Bild, im Schimmer
Des Südens, oder kalt, wie Eis, – ich seh' es immer,
Sein Schöpferodem ist's, der meine Seele weiht,
Ich staune, wenn sein Bild in seiner Riesengröße
Erscheint, es bebt mein Mund, der gerne sich ergöße
In Feuerworten, die sein Strahlenglanz mir leiht.

Dort seh' ich ihn, wie er Geschütze zielend richtet,
Für Königsmörder wie er dort das Volk vernichtet,
Wie Volkstribunen er, der Krieger, niederzwang,
Wie einst dem Consul brannt' im jungen, heißen Hirne
Der Kaisertraum, indeß ihm um die bleiche Stirne
  Die Haare lagen, schwarz und lang.

Als Kaiser seh' ich ihn, wie auf dem Hügel, senkend
Das Haupt, er steht, der Held, die Schlachtgewitter lenkend,
Wie einen Stern er dem, der tapfer kämpft, verspricht,
Wie er dem Kanonier bedeutet, nicht zu fehlen,
Wie seine Seele fort sechshunderttausend Seelen
Zum Kampfe reißt, und blitzt ihm aus dem Auge licht.

Dann seh' ich ihn verhöhnt, gebeugt von schwerem Harme,
Gefangen, wie er sinnt, hinbrütend kreuzt die Arme;
Bewacht von Schergen rings, wie im Verbrecherthurm,
Besiegt, die kahle Stirn bedeckt von Wolkenstreifen,
Läßt auf dem Felsen, den der Sturm umsaust, er schweifen
  Des Geistes ruhelosen Sturm.

Groß ist er, wenn der Held, gebrochen und geknechtet,
Mit seinen Schließern, mit den Britten trotzig rechtet,
Und seine Würde stählt im Unglück und bewährt,
Wenn er mit seinem Tritt zwei Welten macht erzittern,
Und auf Sanct-Helena im Käfig, hinter Gittern,
In der Verbannung stirbt, weil er der Luft entbehrt.

Wie ist er groß, wenn ihm, bereit, vor Gott zu stehen,
Die Augen brechend schon vor Thränen übergehen,
Wenn ihn sein altes Heer im letzten Traum umrauscht,
Dem fern er sterben muß, allein und tief sich grämend,
Wenn er zum Leichentuch den Kriegermantel nehmend
  Das Feldbett mit dem Sarg vertauscht.

II.

In Rom, wo des Senats Nachfolger das Conclave,
Auf Elba's Bergen, weiß von Schnee, voll schwarzer Lave,
Dort im Alhambra, dort im Kreml, schwarz vom Brand, –
Er überall! – Am Nil entdeck' ich seine Spuren,
Sein Jugendfeuer strahlt zurück von Memphis' Fluren,
Sein Kaiserstern geht auf im lichten Morgenland.

Begeistert, feurig, stolz, voll kühner Siegerlaunen,
Macht er, ein Wunder selbst, das Land der Wunder staunen,
Den jungen Emir ehrt der alte Scheikh, es steht
Das Volk bestürzt und stumm, wo seine Reiter traben,
Dem Orient erscheint er leuchtend, hoch erhaben,
  Des Abendlandes Mahomet .

Sein Name klingt bereits in ihren Feenmähren,
Der Beduin' ist stolz, der dient' in seinen Heeren,
Im Zelt des Arabers, – er ist's, von dem man singt,
Nach unsrer Trommel Ton marschiren wilde, nackte,
Schwarzbraune Knaben schon in regelrechtem Takte,
Laut wiehert auf das Roß, wenn ihm sein Name klingt.

Oft mit dem Samum fährt er her und nimmt zum Sitze,
Zum hohen Piedestal die Pyramidenspitze,
Und überschaut das Meer von Staub und Sand und Stein,
Sein Schatten jagt empor aus ihrem Grab die Todten,
Daß, wie zur Riesenschlacht, sobald sein Mund geboten,
  Vierzig Jahrhunderte sich reihn.

»Steht!« – spricht er, und sie stehn und treten ihm entgegen,
Die mit dem Scepter, die umgürtet mit dem Degen,
Pharaonen, Magier, Satrapen, – all erstarrt,
Er zählt sie laut, die stumm, versteinert vor ihm zagen,
Sie seh'n des Riesen Stirn hoch über ihnen ragen, –
Die Vorzeit macht den Hof dem Herrn der Gegenwart.

Was nur sein Fuß berührt, es wird zum Monumente;
Durch Wüsten wandelt er im staub'gen Elemente,
Von sand'gen Wogen ist bedeckt Assyriens Flur,
Des Nordwinds Flügel peitscht den Sand, den aufgeregten,
Der Wüste drückt er auf die Züge, die bewegten,
  Des Riesenfußes ewge Spur.

III.

Sein Fuß verknüpft die Höhn der Dichtung und Historie;
Was immer Großes mir erscheint, an seine Glorie,
An seinen Namen streift der Dichter jederzeit.
Ja, wenn Dein Bild ich schau' und staune oder grolle,
Von heißen Lippen strömt dann mein Gesang, der volle,
Napoleon, – Sonne, die zum Memnon mich geweiht.

Gott oder Teufel, – Er beherrscht die Zeit, die neue,
Und fliegt sein Adler auf, mitreißt er unsre Treue,
Ihn schaut das Auge selbst, das aus dem Weg ihm geht.
Stets ist's Napoleon, der Strahlen rings versendend,
Und Schatten werfend rings, erschreckend oder blendend,
  An des Jahrhunderts Schwelle steht.

So, wenn der Wandersmann, weit den Vesuv umkreisend,
Neapels Thor verläßt, nach Portici dann reisend,
Halbträumend Ischia erreicht, von Duft umwallt,
Das süße Blumenbeet, umrauscht von Wellentönen,
Hinschmachtend, wie das Lied verliebter Haremsschönen,
Wie eine Stimme, die aus Rosenbüschen schallt;

Wenn PästumGenauer: auf der Straße nach Pästum . Denn von Pästum selbst aus sieht man den Vesuv nicht. er besucht, die hohe Colonnade,
Und hört in Puzzoli die heitre Serenade,
Die Tarantilla singt, den römischen Wall entlang,
Und im Vorübergehn aufweckt die Stadt der Todten,
Pompeji's Mumienleib, der schimmert unter'm Boden,
  Den der Vulkan einst jäh verschlang;

Wenn er zum Pausilipp hinschwebt auf leichter Barke,
Und Tasso und Virgil der Schiffer singt, der starke: –
Stets unter'm grünen Baum, auf Auen lichtbesonnt,
Zur See, auf hohem Cap, im gelben Dünensand,
Stets, überall erblickt, auf jedem Punkt am Strand
  Den schwarzen Riesen er, der raucht am Horizont.

December, 1827.


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