Victor Hugo
Victor Hugo's sämmtliche poetische Werke. Zweiter Band
Victor Hugo

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V.

Navarin.

Η η η η η τ ρισχαλμοιοιν
Η η η η η βαρισιν ολομενοι

Aeschylos, Perser.

I.

O weine, Kanaris! – Der Maste waren's viel, –
Einhundertzwanzig! – Wo triebst Du Dein kühnes Spiel
  Fern dem gewalt'gen Abenteuer?
Besiegt ist ohne Dich der Türke? Höll' und Tod!
O weine, wie Crillon, dem man den Kampf verbot!
  Gefehlt hast Du bei diesem Feuer!

Wenn Deiner Meere Flut blutroth sich je und je
Gefärbt, und weit im Kreis sich, wie ein Höllensee,
  Ausbreitete, verderbensprühend,
Wenn oft ein schwarzes Schiff vor unsrem Blick zersprang,
Und dann ein Feuerkranz um seinen Bord sich schlang,
  Wie ein Vulkan, im Wasser glühend;

Wenn Zelte, Segel man, Turbane, Maste, ganz
Geknickt, Krummsäbel sah, Halbmonde sich im Tanz
  Der Wogen drehn beim Windeshauche,
Matrosenjacken und Festkleider, pelzverbrämt,
Den Auswurf, dessen sich so Flut wie Feuer schämt,
  Grauweiß vom Schaum, geschwärzt vom Rauche;

Wenn von Aegina, wenn von Jolkos fern daher
Ein mächt'ger Knall erscholl, sich wälzend über's Meer,
  Wild prasselnd, donnernd durcheinander: –
Dann wandt' Europa sich dem rothen Osten zu,
Und ein Matros am Bord still lächelnd sprach mit Ruh:
  »Held Kanaris! Das ist sein Brander!«

Bisher, wenn in die Luft aufflog im Flammengraus
Ein Kapudan-Pascha mit Schiff und Mann und Maus,
  Glut streuend über Meer' und Lande,
Am schrecklich schönen Spiel wer hätt' erkannt dich nicht?
Die Schiffe flammend all, dir danken sie ihr Licht,
  Dein Brander leuchtete dem Brande.

Heut aber, – weine! – schlug man sich, und, Kanaris,
Du fehltest, als man los dem Krieg die Zügel ließ
  Und eine Flotte gab zum Besten.
Bist Du nicht Gottes Arm, der Hellas schirmt und rächt?
Dein harren mußten sie. Bist Du mit Fug und Recht
  Nicht Gast bei allen solchen Festen?

II.

Doch tröste Dich: es ist gebrochen
Der Henker Macht, Hellas ist frei,
Europa hat ein Wort gesprochen,
Zertrümmert ist die Tyrannei.
Wenn Frankreich kämpft, dann muß sich wenden
Dein Schicksal, seinen Rächerhänden
Magst Du vertraun, und gern ihm spenden
Aus Deinem Kranz ein Lorbeerblatt.
Hellas, sei froh und guter Dinge,
Land Byron's und Homers, umschlinge
Als Schwester, Mutter, uns, und singe,
Ist Deine Stimme nicht zu matt.

Zu schön warst Du, zu tief im Leide,
Hellas, um schon zu ruhn im Grab.
Ein jeder Pascha riß vom Kleide
Dir einen heil'gen Fetzen ab.
Hier, wo geschwärmt einst die Mänaden,
Vernahm, statt Liebesserenaden,
Man Jahre lang nur Kanonaden,
Und Gottes Tempel stürzten ein.
Am Himmel des geliebten Landes,
So weit das Auge spähte, fand es
Nicht Wolken, nur den Rauch des Brandes
Und deiner Städte Feuerschein.

Sechs Jahre hausten sie im Lande,
Sechs Jahre wilder Kämpfe sah
Hellas, und Bande kam auf Bande
Aus Asien und Afrika .
Nicht vor Apoll noch Christus scheute
Sich Ibrahim, der sie entweihte,
Und wie ein Geier zog auf Beute
Er aus, ein Wolf in gier'ger Eil,
Und was sich in den Weg ihm stellte,
Schlug er und schleppt' es heim zum Zelte,
Die Köpfe hängt' er, die er fällte,
Rings aufgespießt an das Serail.

III.

Nun endlich! – Navarin, die Stadt mit bunten Dächern,
Die Stadt mit goldnem Dom, das weiße Navarin,
Das Terebinthen rings umwehn mit grünen Fächern,
Leiht seinen schönen Golf heut Hellas' muth'gen Rächern,
Zwei Flotten sind's, die sich zum Kampf entgegenziehn.

Zwei Flotten: – Seht ihr nicht des Meeres Rachen gähnen?
Des Feuers Qualm ist ihm, des Blutes Strom ein Schmaus.
Von ihrem Gotte mag man sie geordnet wähnen,
Die Flotte seht ihr weit in Kreuzesform sich dehnen,
Die andre Flotte streckt die Arm' im Halbmond aus.

Hier ist Europa, das dir endlich hilft, Hellene,
Das endlich Feuer spei'n die Seekolosse läßt;
Aegypten, Asien hier, schwerfällge Schiff' und Kähne,
Piraten, die nicht todt genug einst schlug Duquesne,
Und nicht zertreten ganz, zerstört ihr Geiernest.

IV.

Hört ihr die Kanonen knallen? –
Mächtig soll die Antwort schallen,
Die dem Feinde nicht gefällt.
Seht die Flotte dort, die zage,
Gebt ihr eine volle Lage,
Ihr Fregatten, daß es gellt!
Vor dem Hauch aus eurem Munde
Soll zerstäuben sie zur Stunde,
An dem Hafenfels zerschellt!

Alles kracht und zischt zusammen,
Blitz und Schlag, und Rauch und Flammen,
Und die Mordlust hält nicht Rast,
Alles lodert durcheinander;
Feurig jagt dahin der Brander,
Wirft die Hacken nach dem Mast,
Wie der Schakal Elephanten
Beißt, so wird vom wohlbemannten
Boot das Kriegsschiff keck gefaßt.

– Entert, entert, werft die Brücke! –
Und sie fassen rasch die Stricke,
Klettern, schwingen sich hinan,
Bord an Bord! Sie hau'n und stoßen,
Ruderknechte und Matrosen,
Truppen mit gespanntem Hahn,
Durcheinander, wie im Nebel,
Fahren Messer, Degen, Säbel,
Helm und Tschako und Turban.

Segel reißen sammt den Tauen,
Fackeln zünden, Beile hauen,
Todte, wo ein Stahl nur blinkt,
Trümmer überall und Fetzen,
Leichenhaufen zum Entsetzen,
Die der Schlund des Meeres trinkt ...
Ha, ein Schlachtfeld, auf den Fluten
Schwimmend, das in hellen Gluten
Sammt den Kämpfern untersinkt.

V.

Welch grause Schlacht! ... Wenn nun der Mensch, dem allzu enge
Das Land, ins Meer hinaus verlegt das Handgemenge,
Dann zittert unter ihm der Boden, wankt und kracht.
Mit seinen Flotten spielt der Ocean, der große,
Ob Sieger, ob besiegt, er birgt sie all im Schooße,
  Der Schiffbruch endet jede Schlacht.

Indeß aus Afrika die Barbareskenrotte
Um unsre Schiffe tobt mit ihrer schlechten Flotte,
Und in ohnmächt'ger Wuth die Türken matt sich schrei'n,
Klafft jedem Riesenschiff der feuerrothe Rachen,
Auf die Barbaren wirft sich rasch ein Heer von Drachen,
  Die in gemessnem Takt auf sie Verderben spei'n.

Rings Mord und Brand, das Meer ist überstreut mit Asche.
Vom Mast in Flammen reißt den Rauch der Wind, der rasche;
Bewegte Brücken schlägt von Deck zu Deck die Glut,
Die Balken brennen, und die schwarzen Wände brechen
Zusammen, Wasser stürzt hinein in vollen Bächen,
  Das Feuer überspringt die Flut;

Das Admiralsschiff faßt es plötzlich, Mast und Stangen
Umringelt hoch hinauf die Glut mit rothen Schlangen,
Und der Matrose heult, ins Feuernetz gebannt,
Hoch springt der rothe Strahl und fährt dahin im Bogen,
Und triumphirend wirft er auf den Schaum der Wogen,
Die weite Kreise ziehn, den lichten Purpurschein.

VI.

Wo ist, Cairo's Söhne.
Die Flotte nun, die schöne,
Die hoffend, daß sie kröne
Der Sieg, von Stapel lief?
Wo sind die Segel alle,
In die mit lautem Schalle
Die scharfe Eisenkralle
Der Brander schlug so tief?

Wo sind die stolzen Schwäne,
Die Nachen all und Kähne,
Die stolzen Kapitäne,
Armada Mahmuds, wo?
Wie Leviathan, prächtig
Schwamm sie und übermächtig
Daher, bis niederträchtig
Sie sank, verbrannt wie Stroh.

Der Kapudan mit Schrecken
Sieht rings die Flammen lecken
Nach alle den Schebecken
Von Algier und Tetuan;
Wie andre Galeassen
Sieht er die Flamme fassen
Sein Schiff, das breite Gassen
Einst zog im Ocean.

Auf wilden Fluten schwanken
Mit angebrannten Planken
Die Klipper all, die schlanken,
Die Yachten bunt geschmückt,
Kaïken und Tartanen,
Die Köpfe den Sultanen
Einst brachten, Siegesfahnen
Und Blumen, fern gepflückt.

Fahrt wohl, ihr Sloops, ihr schnellen,
Ihr Jonken, die in hellen
Mondnächten auf den Wellen
Ihr wiegt die Jcoglans,
Fahr wohl, du Goëlette,
Verkohlt bis zum Skelette
Verschwindest du im Bette
Des tiefen Oceans.

Die Barcarolen liegen
In Trümmern, die sich wiegen
Im Meer, und nicht mehr fliegen
Sie aufgeschreckt dahin,
Wenn bei des Windes Tosen
Des Linienschiffs Matrosen
Die Segel rasch, die losen,
Empor am Maste ziehn.

Fahrt wohl, ihr Caravellen,
Mit Segeln, schneeig hellen,
Hingleitend auf den Wellen,
Ihr Doggers, leicht beschwingt,
Ihr Bricks mit Taun, die schwirren,
Wie lautes Waffenklirren,
Wenn Stürme sie verwirren,
Mit welchen kühn ihr ringt.

Fahrt wohl, ihr Brigantinen,
Jetzt Trümmer und Ruinen,
Zum letzten Mal erschienen
Ist euch des Tages Glut;
Ihr tanzt nun auf den Wellen
Nicht mehr, ihr Balancellen,
Ihr glänzt nicht mehr gleich hellen
Lichtfunken auf der Flut.

Ihr Lugger sollt, ihr schweren
Fregatten und Galeeren,
Nicht Städte mehr verheeren,
Ihr Schiffe, groß und klein,
Masonnen, Prahmen, schlucken
Müßt Wasser ihr, Felucken,
Polaken, durch die Lucken
In Strömen dringt es ein.

Schaluppen mit Kanonen,
Bombarden, ohne Schonen
Gesprengt, aus allen Zonen
Ihr Schiffe, hoch am Mast
Des Pascha's stolze Fahnen,
Die auf den feuchten Bahnen
Ihr treibt, gleich wunden Schwanen,
Bis euch der Wirbel faßt!

Wie euch die Glieder knacken,
Gabarren und Karacken,
Ihr sitzt nun auf dem Nacken
Dem Griechenvolk nicht mehr.
Wo blieb im Schlachtgetümmel
Der Flotte bunt Gewimmel? –
Das Meer wirft sie dem Himmel,
Der Himmel zu dem Meer.

VII.

Vorbei ist's! Alles ruht im stillen Meeresraume!
Der Masten Spitze deckt die Flut mit weißem Schaume,
Des Sultans Schiffe sind der Wogen Spiel und Tand,
Hier eine Brick, und dort ein Kahn, geknickt, zerrieben,
Schwimmt, Seetang gleich, dahin, und von der Flut getrieben
Zerschellen ächzend sie am schwarzen Felsenstrand.

Das ist ein Sieg! Versenkt der Afrikaner Flotte,
Zertreten der Prophet des Trugs vom wahren Gotte,
Der Henker, der Tyrann gebeugt vom schweren Schlag,
Hellas, das sterbende, hat Rettung noch gefunden,
  Es wascht sich aus die blut'gen Wunden,
  Sechs Jahre rächt ein einz'ger Tag.

Die Völker seufzten längst: – »Muß Hellas denn verderben?
Du armes Griechenvolk, im Elend mußt du sterben?
Roth ist dein Himmel, du erblassest mehr und mehr.
Du edles, theures Volk, um dich zu retten, riefen
Wir auf die Priester, die in ihren Stühlen schliefen,
An Thronen bettelten umsonst wir um ein Heer.

Taub blieb Altar und Thron, kein König hat gesprochen.
Nur Dichterherzen noch macht Hellas' Name pochen!
Ihr lauter Hülferuf brach endlich doch sich Bahn.
Dem Griechenkreuz vertraut Hellas seit alten Tagen ...
  Ein Volk ist hier ans Kreuz geschlagen,
  An welches? ach, was liegt daran?

Auch deine Götter flohn! Und aus den Propyläen,
Dem stolzen Parthenon, den Mauern, die noch stehen,
Wird eine Waffe, die der Türke schießt mit Hohn
Auf Griechen schiffe hoch vom Thurm der Dardanellen,
Und jedes Denkmal wird zu Kugeln, Feuerbällen
Aus Marmor, die das Volk der Griechen selbst bedrohn.«

Statt solcher Klage schallt vom Isthmus bis herunter
Zum Cap ein Jubelruf, das Volk ist froh und munter,
Dem schöner als das Blau des Himmels Schwärze schien,
Der türkische Koloß stürzt nun auf Asien wieder,
  Auf Hellas' Freiheit klingen Lieder
  Aus Byrons Grab, – auf Navarin!

Sei, Albion, gegrüßt, du Königin der Meere,
Zweiköpfiger Adler du des Czaren! Ruhm und Ehre
Den Lilien Frankreichs, die so stolz, so herrlich blühn!
Als ebenbürtig muß sie England heut erkennen,
Der Seeruhm Frankreichs wird hell strahlen, funkeln, brennen,
Aufs neu entzündet hier am Brand von Navarin!

Oestreich, auch du? – Ihr meint wohl, Oestreichs Schiffe seien
Nicht auch dabei? – Doch! – dort in der Ungläub'gen Reihen!
Im Heer der Christen hat sein Aar sich nicht gezeigt,
Er sucht verschämt und scheu vorm Licht sich zu verstecken,
  Des Pascha's Roßschweif muß bedecken
  Sein Doppelhaupt, das tief sich neigt.

Dort, Oestreich, ist dein Platz! –Den Tamerlan, den Zweiten,
Vermochtest, Ibrahim, Du jüngst noch zu begleiten,
Die Todten zogst Du aus, die er zertrat in Wuth,
Eunuchen gleich hast Du bewundert feine Werke,
Zeigt' er durch Sengen nur den Griechen seine Stärke,
Löscht' er der Städte Brand nie anders als mit Blut.

Das Feuer zogst Du vor dem Morgenroth, dem hehren! –
Da seine Flotte selbst die Flammen heut verzehren,
Die schwarzen Schiffe, die Aegypten hergesandt: –
Oestreich, entartetes, schau hin und laß dich fragen,
  Wie diese Flammen dir behagen?
  Ist schöner der als jener Brand?

November, 1827.


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