Victor Hugo
Victor Hugo's sämmtliche poetische Werke. Zweiter Band
Victor Hugo

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XIV.

Das feste Schloß.

Ερρωσο

Wie kommt es, daß die Flut hier ohne Groll die Flanken
Des Felsen küßt, der glänzt dem Harnisch gleich, dem blanken?
Ihr eigner Spiegel hätt' ihr zeigen doch gesollt,
Daß dieser Fels, der tief sich wühlt mit scharfen Hauern,
Trägt auf der Stirn ein Schloß, umkränzt von weißen Mauern,
Wie um ein schwarzes Haupt sich rings ein Turban rollt.

Wie kommt's? ... Für wen, o Meer, sparst du den Zorn, die Stürme?
Wann wirst zerstören du die hundertjährigen Thürme?
Wann naht die Zeit, wo dem Matrosen Ruhe winkt?
Zernage diesen Fels, er soll nicht länger dauern,
Nein, wanken, stürzen soll er sammt den weißen Mauern,
Das stolze Haupt voran, das in die Wogen sinkt!

Muß denn so lange Zeit, du stolzes Meer, zerrinnen,
Bis du ihn niederwirfst, den Fels mit seinen Zinnen?
Ein Tag? Ein Jahr? Ein ganz Jahrhundert? ... Aus dem Reich
Der Tiefe wirf hinauf die Flut, die schlammig schwere,
Nach jener Räuberburg! Was ist die Zeit dem Meere?
Rollt ein Jahrhundert doch dir hin der Welle gleich.

Verschlinge dieses Riff und Schloß und Citadelle,
Und um die Trümmer laß sich tummeln Well' um Welle,
Grünhaar'ge Algen, deckt es zu, das Frevlernest!
Mag auf der Seite ruhn der Thurm im feuchten Bette,
Mag jede Welle Stein um Stein dann von der Stätte
Wegschwemmen, bis vom Thurm verwischt der letzte Rest.

Frei athmen wird die Welt, wenn tief im Meeresbecken
Ruht Ali Pascha's Thurm, der Spiroten Schrecken,
Und wenn ein Seemann einst von Kos dem Volk am Bord
Im Meer, am Strande, den geschändet Ali's Tritte,
Den großen Strudel zeigt, sich höhlend in der Mitte,
Und spricht im stummen Kreis: »Dort ist's gestanden ... dort.«

November, 1828.


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