Victor Hugo
Victor Hugo's sämmtliche poetische Werke. Zweiter Band
Victor Hugo

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Drittes Buch.

1824 – 1828.

Schnell hat die Zeit, der Jugend schlauer Dieb,
Der Jahre dreiundzwanzig mir geraubt.
Die Tage fliehn. Und noch ist unbelaubt
Mein Sommer, ohne Blüt' und Knospentrieb.

Doch wie sich auch zur Reife mag entfalten,
Karg, glänzend, langsam, rasch, mein Geist: – wohlan,
Stets mit dem Ziele, das mir Gott hienieden

Gesetzt, im Einklang wird er sich erhalten,
Vor Seinen Augen wandl' ich meine Bahn,
Treu meiner Sendung, die Er mir beschieden.

Milton, Sonette.


An Alphons von L.

Dieweil wir denn wissen, daß der Herr zu fürchten
ist, fahren wir schön mit den Leuten, aber Gott sind wir
offenbar.

II. Korinth. 5, 11.

Erste Ode.

I.

Ich sprach: »Mein Nachen soll im Hafen Ruhe finden,
Mein Segel geb' ich Preis nicht länger mehr den Winden.
Verbirg, o Leier, dich; und Alles wird noch gut!
Wie ein Soldat will ich mich ohne Murren legen,
Der über seinem Bett aufhängt den schart'gen Degen;
  Ob Sieger, ob besiegt, – er ruht!«

Ein Lied nur, Muse, wünscht' ich noch aus deinem Munde,
Ein heilig ernstes Lied, – für meine Todesstunde!
Ein Dichter muß dem Tod ins Antlitz heiter sehn.
Blickt' er nicht lächelnd auf die Weinenden hernieder:
  »Wie?« – sagte man ihm, – »ohne Lieder,
Klanglos, o Dichter, willst Du aus dem Leben gehn?«

Der Tod ist nicht, wie er erscheint dem Menschenschwarme.
Er ist der Augenblick, wo in des Vaters Arme
Stürzt der verbannte Sohn nach langem Pilgergang.
Wenn horchend unser Ohr wir zu dem Todten neigen,
Singt seine Stimme schon – für uns in tiefem Schweigen –
  Jenseits den ew'gen Lobgesang!

II.

Ich sollt' es nicht .. und doch in des Turnieres Schranken
Kehr' ich zurück! – Du willst's, mein Freund! An dem Gedanken
Trägt deine Muse mit die Schuld! Du sprachst: »Wohlan!
Noch einmal wollen wir zum Kampf die Schwerter schärfen
  Und kühn uns ins Getümmel werfen,
Als Gottesstreiter laß uns treten auf den Plan!«

Ja! Meine Muse soll die Deinige begleiten!
Nimm Deine Laute! – Komm, als Brüder laß uns streiten,
Fest für Altar und Herd verbunden wie Ein Mann.
Wie ein Homerisch Paar laß uns auf Einem Wagen
Hinaus in das Gewühl der Musenkämpfer jagen:
  Du führst den Speer, ich das Gespann.

Ja, laß die Schwäche mich, die menschliche, bekennen:
Mich lockt zum Kampf hinaus, – ich weiß es nicht zu nennen, –
Ein eigner Trieb: den Feind, den ich bekämpft so lang,
Ich möcht' ihn wieder sehn, den Frevler möcht' ich schlagen –
  Und Dir, daß ich Dich liebe, sagen,
Und dann der Tugend weihn noch einen Lobgesang.

III.

Die Zeit ist nicht mehr, wo zum Himmel die Poeten
Als Priester sprachen, und zur Erde als Propheten.
Erschiene Moses uns und Jeremias heut,
Zu richten unser Volk, zu lösen, zu verdammen,
In ihrem Auge säh' es nicht des Blitzes Flammen,
  Die Funken, die ihr Lied verstreut.

Vergebens liefen sie und schrie'n durch alle Gassen:
»Genug des Bürgerkriegs! Wollt ihr denn ewig hassen?
Der Tanz ums goldne Kalb, wann endet er einmal?
Dagon wird untergehn, und Baal wird verschwinden.
  Gott sprach: Du sollst dem Volk verkünden:
Thut Buße, sonst ereilt euch jäh der Rache Strahl!

In Sack und Asche geht, ihr Kön'ge sammt dem Volke,
Der Richter kommt herab auf einer Wetterwolke:
Ihr schlaft? Wacht auf einmal! Jetzt ist nicht Schlafenszeit.
Gomorrha liegt in Glut, und Tyrus in den Wogen,
Streift die Betäubung ab, die euer Aug' umzogen,
  Wacht auf und seid zum Tod bereit!

Den Herrn der Erde weh, die ihren Lüsten fröhnen,
Des Volkes lachen, wenn es weint, und uns verhöhnen!
Des Sehers spotten sie, nicht ahnend das Gericht.
Belsazar schwelgt beim Mahl, und Flammenworte glänzen
  Rothglühend unter Blumenkränzen
Geschrieben an der Wand: – der Trunkne sieht sie nicht!

Sie sind verworfen, gleich dem großen, finstern Recken!
Sein Ruhm, sein Todeskampf war allem Volk ein Schrecken.
Dem eine Welt gehorcht, jung fiel Napoleon,
Der außer Athem sein Jahrhundert jagt' und hetzte,
Der den bespornten Fuß auf Königsstirnen setzte, –
  Sie tragen noch die Spur davon.

Weh ihnen! – Weh auch dem, der tückisch Ränke zettelt,
Der heuchelnd, kriechend vor Satrapen-Thüren bettelt,
Dem feigen Sklaven weh, und weh dem stolzen Herrn,
Der den Unschuldigen zum Tode der Verbrecher
  Sieht gehn inmitten zweier Schächer,
Und legt ihm vor den Fuß sein schönstes Kleid nicht gern!

Weh dem, der spricht: »Die mich gebar, war eine Dirne!«
Der ein gemeines Herz birgt unter strenger Stirne,
Bei dem ein Eid im Wind verweht wie leichter Schnee,
Der schmeichelt ins Gesicht, und lästert hinterm Rücken,
Der selbst sich weise nennt und klug in allen Stücken,
  Weh diesem Thoren, dreimal weh!

Ihr Völker, der euch schuf, der Gott ist euch verborgen? –
Doch gibt er Jedem kund sich, wie der lichte Morgen.
Was ihr auch leidet, thut, genießt, und fühlt und denkt,
Gott ist euch nah, er wacht am Sarg, wie an der Wiege.
  Führt ein Erobrer euch zum Siege,
Der euch regiert, der Arm ist selbst von Gott gelenkt.

Zur Zeit, wo tollem Wahn ihr fröhntet, schnöder Sünde,
War Er's, der aufgethan des Aufruhrs wilde Schlünde!
Und der Gerechten Blut, in Strömen floß es hin,
Ein Schwert ob ihrem Haupt, so lagen sie und schliefen.
Die Völker, und im Traum, wie Jakob, aus den Tiefen
  Sahn Engel sie zum Himmel ziehn.

Ihr Völker, bebt und hört, was ich ins Ohr euch raune:
Aus finstrer Wolke wird erschallen die Posaune;
Der Tag des Heils, der Tag der Qual ist nicht mehr fern.
Von seinem Strahlenthron wird Er herab sich neigen,
   Auf eure Götzen wird er zeigen
Und fragen: »Wer ist Gott? Erkennt ihr jetzt den Herrn?« –

Gewaltig siebenmal wird die Posaune rufen:
Und, Well' auf Welle, ziehn zu seines Thrones Stufen
Die Schatten, fahl und bleich, die Völker allzuhauf.
Der Heiland winkt, ihm tritt die Mutter an die Seite.
Aufspringt das Himmelsthor, das Höllenthor, das weite,
   Thut knarrend seine Flügel auf.

Gott zählt sie allzumal, die Himmel hallen's wieder,
Die Kön'ge beugen sich, zu seinen Füßen nieder
Legt Jeder, was er hofft, was er gefehlt, erstrebt.
Und über Berg und Meer und tiefe Felsenklüfte
   Und durch den Marmor selbst der Grüfte
Wird wehn sein Odem, der den Todtenstaub belebt.

Ihr Sterblichen wacht auf aus euren eitlen Träumen!
Wie mögt ihr flattern doch in pestdurchhauchten Räumen?
Ruhm, Reichthum, Lust – es weht ja Alles weg die Zeit.
Die ihr im Taumel lebt, als wär't des süßen Weines
Ihr voll, und sorglos schwelgt, ihr Sünder, denkt an Eines –
   Die Ewigkeit! Die Ewigkeit!«

IV.

Die Weisen unsrer Zeit antworten: »Diese Leute,
Was wollen sie? – Sie sind uns fremd, sind nicht von Heute.
Wohl aus dem heil'gen Land sind sie, voll heil'gem Groll? –
Sprecht, wo ist ihr Olymp? Wo ihr Parnaß? –Ihr Meister,
  Der Gott, der uns bedroht, wie heißt er?
Trägt er das Schwert des Mars? – Den Bogen des Apoll?

Anstimmen wollen sie Pindar's erhabne Töne? –
Sie haben Hieron, die Helena, die Söhne
Des Tyndaros ... die Bahn, wo Wagendonner rollt,
Wo zu dem Staub des Kampfs die Weihrauchwolken fliegen,
Und wo zum Ziele rasch hin jagen die Quadrigen
  Mit reichem Schmuck in Erz und Gold.

Warum erschreckt ihr uns durch grelle Nachtgesichte?
Idyllen lieben wir, bukolische Gedichte,
Wo Daphnis mit Myrtill melodisch Rede tauscht.
Wir haben, um dem Blick die Zukunft zu enthüllen,
  Besessne, schäumende Sibyllen,
Um die ein böser Geist mit schwarzen Flügeln rauscht.

Warum, wie Schatten, mischt ihr euch in unsern Reigen?
Wer heißt euch, uns das Grab, das schaurig offne, zeigen?
Wo uns die Freude winkt, was will die schwarze Schaar? –
Gedacht' Anakreon, der Greis, der kummerlose,
Des Todes, dann verglich er lächelnd sich der Rose,
  Die welkt' auf seinem grauen Haar.

Auf seiner Leier ließ Virgil kein Lied erklingen,
Das seiner Lycoris nicht Gallus konnte singen.
Ein lautrer Born der Lust ist, was Horaz uns sang.
Nicht göttlich schien es ihm, in Thränen sich zu baden,
  Der Thau nur stäubender Kaskaden
Fiel aus die Myrte, die sein Saitenspiel umschlang!«

V.

So würden sie, mein Freund, empfangen Gott und seine
Propheten, – das Geschlecht, das lebt vom Tand und Scheine.
Vergeblich zürntest Du. Sie würden lachend gehn
Zu einem tollen Fest, und trunken nach der Feier,
Um einzuschlafen beim unheil'gen Klang der Leier,
  Sich auf die andre Seite drehn.

Doch sei's! Das heil'ge Werk, zu dem Du kamst, vollbringe,
Dein Mund ist gottgeweiht, drum richte, segne, singe!
Auf Deiner Stirne hat die Hand des Herrn geruht.
Und wie der Born dem Fels entquoll in alten Tagen,
  Nachdem ihn Mosis Stab geschlagen,
So strömt aus Deiner Brust der Dichtung heil'ge Flut.

Du weißt es, Freund, ich gäb', und wär' ich unterlegen,
Neidlos zu Deinem Sieg, mit Freuden, meinen Segen:
Der Lorbeer lacht auch mir, den sich ein Andrer pflückt.
Dem Dichter weiht ein Lied der Dichter mit Frohlocken.
Nie einen Schatten wirft der Kranz mir auf die Locken,
  Der eine fremde Stirne schmückt.

Du lächle zu dem Neid, der hämisch Dich verkannte!
Einst höhnt' er den Homer, er wagte sich an Dante,
Den Triumphator schmäht' er unter'm Siegesthor.
Die Zeit wird aus der Hand ihm schlagen seine Waffen,
  Und Dir Dein volles Recht verschaffen.
Die Wetterwolke sinkt, Dein Lorbeer steigt empor.

VI.

Wie herrlich klingt Dein Lied, rein wie der Ton der Saiten,
Wenn Engel drüber hin mit leisem Finger gleiten,
Fremd ist der Harfenklang, der himmlische, Dir nicht.
Gott selber, dessen Hauch des Sängers Lippen küßte,
Er hat wohl oft mit Dir gesprochen in der Wüste
  Von Angesicht zu Angesicht!

Oktober, 1825.


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