Victor Hugo
Victor Hugo's sämmtliche poetische Werke. Zweiter Band
Victor Hugo

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Viertes Buch.

1819 – 1827.

Spiritus fiat, ubi vult.


Der Dichter.

Betrachte nun dein Opfer, Muse!
Lamartine.

Erste Ode.

I.

Laß den Verkannten ziehn in Ruh', o Welt, und quäle
Den Mann nicht, dem der Schmerz schwer lastet auf der Seele,
  Genug schon drückt ihn sein Gewicht.
Bleib', eitle Sinnenlust, fern seinem strengen Leben!
Die Palme, die allein nur kann zur Höhe streben,
  Wächst unter deinen Blumen nicht.

Er hat genug des Leids, laß deine Freud' ihn missen!
Ein jeder Schritt zum Licht empor aus Finsternissen
  Ist ihm ein Weh; die Jugendzeit
Beweint er, die ihm viel zu früh, zu rasch entflogen,
Sein ganzes Leben, ach, das Rohr, das tief gebogen
  Die Bürde der Unsterblichkeit.

Kindheit, dein süßer Reiz weckt ihm nur herbes Sehnen,
Dein schuldlos Lächeln und die Anmuth deiner Thränen,
  Dein Glück, mit keinem Schmerz gemengt,
Dein Ruhn im süßen Nest, und, frei von jeder Bürde,
Dein Spiel, dein Rosenkranz, der rasch verwelken würde,
  An seiner heißen Stirn versengt.

Sich und sein Lied verklagt er, seine Zeit mit Strenge,
Den Taumelkelch des Ruhms, in welchen, ach, in Menge
  Der Wermuth bittrer Täuschung rinnt,
Den Wunsch, sich einmal ganz am Born des Glücks zu laben,
Sein Herz, den Genius, all diese Himmelsgaben,
  Die, ach, der Himmel doch nicht sind!

II.

Weh! Läg' er schlafend doch auf seinem Lebenswagen,
Und störte nie der Neid, kein Jubelruf, kein Klagen,
  Ihm seiner Träume heitern Tanz!
Könnt' er an seinem Ruhm arbeiten ganz im Stillen,
Und in sein Strahlenkleid, das blendende, sich hüllen,
  Wie Engel in der Sonne Glanz!

Doch folgen muß er stets, wohin der Strom ihn tragen,
Fortreißen, vorwärts ihn mag oder rückwärts jagen,
  Ihn stört der Menschen Lärm und Tand.
Sein ernstes Wort verhallt bei ihrem eitlen Lachen;
Zum Narrenstabe wagt ihr Uebermuth zu machen
  Den Königsstab in seiner Hand.

Warum den König schleppt man fort aus seinen Reichen?
Soll hinterm Riesen ein Gefolg von Zwergen schleichen? –
   Weltkinder, laßt ihn ruhig ziehn!
Ihm, dem Unsterblichen, seid ihr verlorne Söhne,
Ihr habt, – was sollen doch euch seine Saitentöne? –
  Geräusch genug auch ohne ihn!

III.

Laßt ihn im Dunkeln! Muß er drum des Lichts entbehren?
Nein, eine Muse kommt, ihn himmlisch zu verklären,
  Daß er von seinem Gram erwacht.
Des Himmels Boten selbst erquicken den Poeten,
Die Taube Christi kommt, der Adler der Propheten
  Besucht ihn oft in stiller Nacht.

In heil'gen Stunden sieht er licht die dunkle Ferne,
Sieht Sonnen im Entstehn, und sieht erloschne Sterne,
  Und schaut den Raum mit Licht erfüllt,
Erzengel sieht er ziehn im feurigen Gewande,
Und forscht den Formen nach, in die am Weltenrande
  Das höchste Wesen sich verhüllt.

Seht ihr im Aug' ihm glühn den Strahl des ew'gen Lebens?
Und wißt ihr, daß sein Geist den Schleier nie vergebens
  Zurück, den staubgewobnen, schlägt?
Und daß sein Flügel ihn, umstrahlt von goldner Helle,
Umflammt von rother Glut, ihn an des Himmels Schwelle
  Und dann hinab zur Hölle trägt?

Ihr Sterblichen, so gönnt ihm denn in seinen Reichen,
Euch fern, zu weilen, dem sein wunderbares Zeichen
  Gott aufgedrückt, um ihn zu weihn,
Ihm, dessen Augen mehr enthüllte Räthsel schauen,
Als je ein Todter sah im mitternächt'gen Grauen
  Des Grabes unter'm Leichenstein!

IV.

Es kommt ein Tag, da glüht sein Geist in lichten Funken,
Der Dichter wird Prophet, der Welt, von Mordlust trunken,
  Erscheint er, leuchtend wie ein Stern.
Er reißt die Tobenden zurück vom Wahnsinnspfade,
Und schauen läßt er sie das sanfte Licht der Gnade,
  Und horchen dem Gebet des Herrn.

In seinem Geiste wohnt ein Geist aus höhern Welten,
Er spricht, wie Donner schallt des Sehers ernstes Schelten,
  Sein Wort zerschmettert das Schaffot.
Zu Boden sinkt das Volk, und schaut zum hohen Sitze,
Zum Sinai hinauf, sein Haupt umspielen Blitze,
  Auf seiner Stirne thront ein Gott.

August, 1828.


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