Victor Hugo
Victor Hugo's sämmtliche poetische Werke. Zweiter Band
Victor Hugo

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An Alph. von L.

Die Leier und die Harfe.

Alternis dicetis, amant alterna Camoenae.
Virgil .

... Und fingen an zu predigen mit andern Zungen
nach dem der Geist ihnen gab auszusprechen.
Apostelgeschichte.

Zweite Ode.

Die Leier.

O Sohn Apollo's,schlaf' in feinem Lorbeerkranze,
Als König ehren dich die Musen, und ihr Chor
Läßt Träume dir um's Haupt sich drehn in lust'gem Tanze,
  Es singt die Leier dir ins Ohr.

Die Harfe.

Erwach', o Jüngling, Sohn des Elends! Träume spinnen
Am lichten, hellen Tag um's Haupt dir einen Flor.
Ein armer Bruder sitzt, indeß du schlummerst drinnen,
  Und harrt umsonst an deinem Thor.

Die Leier.

O Kind, dich tränkt' aus vollen Schaalen
Die Muse mit dem Göttersaft,
Läßt ew'gen Ruhm um's Haupt dir strahlen,
Und löst den Geist aus seiner Haft.
Der den Olymp gezeugt, den hohen,
Ist der Parnaß! Saturn mag drohen: –
Der Dichter ist's, der Götter schafft.

Die Harfe.

Die Mutter wacht' einst bei dem Kinde,
Die dich, o Mensch, zur Welt gebracht.
Dein Leben, wie ein Licht im Winde,
Glänzt, flackert, zittert in der Nacht,
Gott wies dir deinen Pfad auf Erden
Voll Dornen an und voll Beschwerden,
Und deinen Platz im Erdenschacht.

Die Leier.

Sing! – Jupiter regiert, und nicht der Gott der Thorah!
Venus umarmt den Mars und lacht. Die Lüste glühn,
Wo Iris strahlt, es glänzt die Flur vom Hauch der Flora .
O sing! – Vom Westen ziehn zum Osten, zur Aurora,
  Die Götter leichtbeschwingt dahin!

Die Harfe.

O bet'! – Ein Gott nur ist! Ihm falte fromm die Hände!
Er ist's, der ewig sich verjüngt im Fluß der Zeit.
In ihm ist der Beginn von Allem und das Ende,
Er ist das Herz der Welt, das schlägt an ihre Wände,
  Er lebt in der Unendlichkeit.

Die Leier.

Leb' einsam! – ruft die Muse leise,
Ja, suche Ruhe für dein Herz.
Entfliehe dieser Welt, – sei weise! –
Und dem Jahrhundert, kalt, wie Erz!
Bei deines Herdes stillem Glimmen
Hörst du der Zwietracht freche Stimmen
Durchbrüllen ferne Städte nur.
Was kümmert dich in deiner Ecke
Der Sturm, wie er das Land auch schrecke, –
Kaum bebt ein Strauch auf deiner Flur.

Die Harfe.

Gott straft die That des bösen Mannes,
Dem Frommen leiht er seinen Arm.
Wie aus der Wildniß einst Johannes,
Tritt muthig vor den Frevlerschwarm!
Geh hin und predige dem Volke:
Hört grollen ihr die Wetterwolke?
Des Ew'gen Langmuth, sie ist matt! –
Erschrecke die verlornen Söhne;
Und deine Stimme übertöne
Das Brausen einer großen Stadt.

Die Leier.

Der Vogel Gottes ist der Aar, und seine Wonne,
Das Feuer ist's, das nährt und zehrt, vom hohen Sitz
Des Caukasus erhebt er jauchzend sich zur Sonne,
Vom Athos fliegt er auf und wiegt sich auf dem Blitz.

Die Harfe.

Des heil'gen Geistes Strahl im Auge, schwebt die Taube
Vom Himmel nieder, die den Zweig des Friedens hält,
Sie, die der heilge Greis, der Jungfrau frommer Glaube
Verehrt, die einen Gott verkündigt dieser Welt!

Die Leier.

O liebe! – Vom Olymp herrscht Eros bis zum Hades,
Sein Licht brennt auf dem Thurm des Bosporus -Gestades.
Er hat einst Troja's Brand durch Paris angefacht.
Du lieb' als Schmetterling, und wechsle stets die Schönen:
  Wer liebt, kann weinen nur und stöhnen,
  Doch wer verliebt, der scherzt und lacht.

Die Harfe.

Satanisch ist der Haß. Doch göttlich ist die Liebe,
Drum suche dir ein Herz voll reiner, keuscher Triebe,
Und lieb' es! – Gottes Lieb', o nimm sie dir zum Ziel.
Zwei Liebende, verknüpft durch heil'gen Seelenfrieden,
  Sind zwei Verklärte schon hienieden,
  Zwei Himmelsbürger im Exil.

Die Leier.

Genieße! Denn zum Schattenflusse
Hinunter strömt des Lebens Fluß,
Der Weise labt sich am Genusse
Und gibt den Winden den Verdruß.
Und kommt der Tod dann blaß und hager,
Streckt lächelnd er die Hand vom Lager
Ihm hin; was muß, das mag geschehn!
Und in der Nacht, der morgenlosen,
Entschläft er sanft, wie unter Rosen,
Und träumt ein süßes Auferstehn.

Die Harfe.

Den Bruder stütze, wenn der Schwache
Irrgeht und wankt, in Leid und Lust!
Wer weint, den tröste, bet' und wache,
Und denke, daß du sterben mußst.
Der Sünder wähnt im Grabesschlunde
Das Nichts zu finden, wie im Grunde
Des Kelchs der Freuden dieser Zeit.
»Weh!« ruft er, wenn die Höll' ihn fodert,
Daß in ihm eine Seele lodert,
Und schaudert vor der Ewigkeit.

Der Dichter horchte still in seiner Jugend trüber
Frühdämmerung dem Lied der Beiden zu fern,
Und später stimmt' er oft dem Pindus gegenüber
Das Lied vom Carmel an, gestärkt vom Geist des Herrn.

April 1822.


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