Victor Hugo
Victor Hugo's sämmtliche poetische Werke. Zweiter Band
Victor Hugo

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II.

Kanaris.

Faire sans dire.

Alte Devise.

Wenn ein besiegtes Schiff sich wiegt auf hohem Meer,
  Und von den Segelstangen
Die breiten Segel hoch am Mast, durchnäßt und schwer,
  Zerfetzt von Kugeln hangen;

Wenn Todte man nur sieht, gefallen im Gefecht,
  Und Trümmer niederfahren,
Wenn vom gebrochnen Mast des Takelwerks Geflecht
  Hinfliegt gleich wilden Haaren;

Und wenn das Schiff voll Rauch und Lärm im Kreis sich dreht
  Gleich einem Mühlenflügel,
Und wenn das Schiffsvolk rennt und hin und wieder geht
  Und flieht vom Stern zum Spiegel;

Wenn kein Soldat mehr, was die Führer rufen, thut,
  Die Meerflut eindringt ohne Schonen,
Und wenn im Zwischendeck sich stoßen in der Flut
  Gelöscht die Schiffskanonen;

Wenn der Koloß dem Meer sich länger nicht verschließt,
  Weit öffnet seine Schwäre,
Wenn durch der Rüstung Erz ihr Lebensblut vergießt
  Die riesige Galeere;

Wenn sie, ein Leichnam, der noch zuckt, mit leckem Kiel
  Sich dreht bei jedem Hauche,
Ein großer todter Fisch, der glänzt, der Wellen Spiel,
  Mit silberweißem Bauche; –

Dann Heil dem Sieger, Heil! – Sein schwarzer Anker legt
  Auf's Schiff sich, das gefallen,
Wie nach dem heißen Kampf ein stolzer Adler schlägt
  In seinen Raub die Krallen.

Dann läßt vom großen Mast er seine Flagge wehn,
  Wie hoch von Thurmeszinnen,
Und ihren goldnen Schein sieht man im Wasser stehn,
  Sich breiten und zerrinnen.

Die schönsten Farben stellt das Schiffsvolk dann zur Schau,
  Stolz nach errungnen Siegen,
In Falten silberweiß, purpurn und azurblau
  Die Wimpel läßt es fliegen,

Unsinn'ger Stolz, der so mit eitlem Prunk sich bläht
  Und Tand von allen Arten; –
Als ob die Wellen, durch die Wellen rasch verweht,
  Davon die Spur bewahrten!

Sein Kreuz pflanzt Malta auf, Venedig's Löwe streckt
  Stolz aus den Hintertheilen
Sich seiner Schiffe, der lebendge Leu'n erschreckt,
  Daß brüllend sie enteilen.

Neapels Flagge glänzt entfaltet weit umher,
  Strahlt sie in schönster Breite,
So meint man, daß ein Strom von goldner Seid' ins Meer
  Geschlängelt niedergleite.

Auf Spaniens Flagge wehn und spielen mit dem Sturm,
  Umschwärmt von grauen Möven,
Navarra's Ketten und Kastiliens Silberthurm
  Und Leons goldne Löwen.

Ihr kennt die Schlüssel Roms, das Kind Mailands, das schreit
  Im Schlund der Schlange bebend,
Auf Frankreichs Schiffen seht ihr über'm Kupferkleid
  Die goldnen Lilien schwebend.

Das stolze Stambul faßt den Halbmond ein mit drei
  Schneeweißen Pferdeschwänzen,
An goldnem Himmel läßt die blauen Sterne frei
   Amerika erglänzen.

Den Adler Oestreichs, der empor die Flügel stellt,
  Seht ihr auf Seide blinken,
Und drehn den schwarzen Kopf, bedräuend rings die Welt,
  Zur Rechten und zur Linken.

Der Czaren Doppelaar, der jenen stets gehaßt,
  Schaut kühn hinaus ins Blaue,
Wie jener, späht er nach zwei Welten, und umfaßt
  Die Eine mit der Klaue.

Die Oriflamme nennt das stolze England sein,
  Und läßt sie siegreich strahlen,
So reich, so glänzend, daß in ihrem Widerschein
  Die Wellen roth sich malen.

So lassen Könige vom Mast in lichter Höh'
  Ihr stolzes Banner rauschen,
Und zwingen jedes Schiff, das sie besiegt zur See,
  Die Heimath zu vertauschen.

So unterjochen sie die Segel, die einmal
  Des Schicksals Schläge trafen,
Und triumphiren, wenn daheim, vermehrt an Zahl,
  Sie fahren in den Hafen.

Der Sieger Fahne muß auf jedem Schiffe wehn
  Nach eitlem Widerstande,
Geschrieben auf die Stirn muß dem Besiegten stehn
   Ihr Ruhm und seine Schande. –

Glutfurchen aber zieht das Boot aus seiner Bahn,
  Das Kanaris bestiegen,
Und auf den Schiffen, die er nimmt, den rothen Hahn
  Als Wimpel läßt er fliegen.

November, 1826.


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