Victor Hugo
Victor Hugo's sämmtliche poetische Werke. Zweiter Band
Victor Hugo

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XXXIII.

Phantome.

Luenga es su noche, y cerrados
Estan sus ojos pesados.
Idos, idos en paz, vientos alados.

Ach, die Nacht ist lang, verdrossen
Sind die Augen, bald geschlossen,
Ihr Winde, fliegt dahin auf Flügelrossen.

I.

Ach, wie viel Mädchen sah ich schon, die blühend starben!
Sein Opfer will der Tod, das ist des Schicksals Schluß.
Die scharfe Sichel fällt die Gräser und die Garben.
Die schönsten Rosen, hell erglüht in Frühlingsfarben,
  Zertritt beim Tanz des Todes Fuß.

Der Bach versiegt, auf dem der Sonne Strahlen glühten,
Es flammt der Blitz, doch ist die Flamm' erloschen jäh,
Es welkt, wenn im April noch Reif' und Fröste wüthen,
Der schöne Apfelbaum, zu stolz auf seine Blüthen,
  Auf seinen duft'gen Frühlingsschnee.

So ist das Leben. Nach dem Tag der Nächte Länge,
Und das Erwachen – in der Höll'? – im Himmelssaal? –
Rund um die Tafel drängt begierig sich die Menge,
Doch schleicht auch mancher Gast sich weg aus dem Gedränge,
  Bevor zu Ende geht das Mahl.

II.

Wie Viele sterben sah ich schon! – Milchweiß die Eine
Und roth, ein Engel die, der nach dem Himmel reist,
Die Andre, auf die Hand die Stirn gestützt, die reine; –
Ein Vogel, der entfliegt, zerknickt den Zweig im Haine,
  So ihren Körper brach ihr Geist.

Die Maid war blaß, verstört, und unter leisem Stöhnen
Sprach einen Namen sie, den Niemand mehr verstand,
Die Andre schwand dahin, gleich sanften Harfentönen,
Ein Lächeln spielte noch um's Antlitz jener Schönen,
  Als grüßte sie ihr Heimathland.

Ach, lauter Blumen, todt, nachdem sie kaum geboren,
Halcyonen, die verschlingt sammt ihrem Nest die See,
Des Himmels Tauben, die zur Erde sich verloren,
Die ihre Jahre nur, zu Lieb' und Lust erkoren,
  Nach Lenzen zählten ohne Schnee.

So viele Herzen, die, ach, viel zu früh verglühten,
Die süßen Wesen all jetzt stumm und blind und taub!
Geknickt, entwurzelt, o wie viel der zarten Blüthen! ...
Laßt mich im stillen Wald ob meinem Kummer brüten
  Und wühlen im verdorrten Laub.

Phantome, lieb und hold, sie nahn mir, wenn ich träume,
Sie reden sanft zu mir und horchen zu im Grün,
Und in der Dämmrung, die erfüllt die düstern Räume,
Gehn sie und kommen, und durch's dichte Laub der Bäume
  Hell seh' ich ihre Augen glühn.

Die Schwesterseelen sucht gern meiner Seele Sehnen,
Und Tod und Leben sind geschieden nicht für mich;
Oft ihre Flügel nehm' ich mir zum Flug, sie lehnen
Sich oft auf meinen Arm, ein Schatten schein' ich jenen,
  Und sie, sie leben ganz wie ich.

Sie sind's, die meinem Geist Gestalt und Formen leihen,
Ich schau', ich schaue sie. Komm, rufen sie mir, komm!
Sie drehen um ein Grab sich in verschlungnen Reihen,
Und schweben sacht davon. – O laßt mich ihnen weihen
  Den Zoll der Thränen ernst und fromm.

III.

Vor Allem Ihr! – Sie war ein Engel, gottgegeben,
Ein spanisch Mädchen, schwarz, kreolisch, feurig, licht
Ihr Auge, weiß die Hand, die Brust in süßem Beben
Aufseufzend, rings umhaucht von reinem Frühlingsleben,
  Ein fünfzehnjähr'ges Angesicht.

Vor Liebe starb sie nicht! – Kein süßer Kummer plagte
Sie je; noch war ihr Herz, wie ein verschlossnes Thor,
Ihr Herz, das nie vor Lieb' aufjauchzte noch verzagte.
Wenn Jeder, der sie sah, auch rief: Wie schön! – doch sagte
  Nie Einer leis es ihr ins Ohr.

Den Tanz nur liebte sie, ach, allzusehr! Das Leben
Nahm ihr ein Ball! – Ein Ball! Welch süßer Rausch und Glanz!
Ja, ihren Schatten noch durchfährt ein Wonnebeben,
Sieht er in heitrer Nacht ein Silberwölkchen schweben
  Und um den Mond sich drehn im Tanz.

Ihr Liebstes war ein Ball! – Zu einem Fest geladen
Drei Tage träumte sie, drei Nächte nur vom Ball,
Sie wähnt' in einem Meer von Seligkeit zu baden,
Es rauscht' um ihren Pfühl der Sturm der Galoppaden
  Und Lachen, Scherz und Geigenschall.

Vor'm Auge tanzten ihr Goldketten, Spangen, Bänder,
Und Gürtel, schillernd, bunt, Demanten ohne Zahl,
Wie Bienenflügel leicht hinflatternde Gewänder,
Guirlanden und Bouquets, Prachtblumen ferner Länder,
  Und Perlen, leuchtend rings im Saal.

Der Ball begann, am Arm der Schwestern hin und wieder
Ging sie, den Fächer rasch zerknitternd in der Hand,
Dann ließ sie sich im Kreis der seidnen Roben nieder,
Es jauchzte laut beim Klang der tausendstimmigen Lieder
  Ihr Herz, das hell in Flammen stand.

Wer wiegt' im Tanze je sich reizender und freier?
Wenn die Vasquina fliegt, da flimmert's funkenlicht,
Ihr Auge, groß und schwarz, brennt unter'm schwarzen Schleier,
So an der Stirn der Nacht erglänzt der Sterne Feuer,
  Das durch die dunkeln Wolken bricht.

Nur Tanzlust ist sie, ach, und ausgelass'ne Freude,
Das Kind! – Wir sehn ihr zu mit Kummer in der Brust.
Auf einem Ball befreit das Herz sich nicht vom Leide,
Wie Asche fliegt es um die Tuniken von Seide,
  Und Sorgen schwirren um die Lust.


Doch sie, entzückt, je mehr des Festes Wogen schwellen,
In athemloser Hast, fliegt hin und fliegt zurück,
Berauscht vom Blumenduft, vom Glanz der lichterhellen
Kronleuchter, vom Geräusch der Stimmen und den Wellen
  Der lustig schmetternden Musik.

Welch Glück, sich ganz der Lust des Tanzes hinzugeben,
Zu steigern jeden Sinn, der doppelt fühlen muß,
Indeß die Glieder sich der Erd' entfliehend heben,
Ob sie auf Wolken nun, ob über'm Abgrund schweben,
  Den Wasserwirbel unter'm Fuß.

Doch ach, der Morgen graut, und Zeit ist's fortzugehen,
Des seidnen Mantels harrt die junge Tänzerin,
Wenn von der Schwelle noch zurück die Augen sehen,
Geschieht's, daß Morgenlüft' ihr um die Schultern wehen,
  Und leise schauernd geht sie hin.

Der heitern Ballnacht folgt der trübe Tag, und lauer
Wird nun die Kinderlust, und Kopf und Herz ist schwer.
Den Freudenklängen folgt der Husten und die Trauer,
Dem frischen Rosenroth des Fiebers frost'ger Schauer,
  Der Augen Feuer brennt nicht mehr.

IV.

Todt! Sie ist todt! – So schön, so froh, und fünfzehn Jahre!
Todt, – heimgekehrt vom Ball, – o namenloses Leid!
Todt, noch im Festgewand, mit Blumen in dem Haare,
Der Tod mit kalter Hand nahm sie, und auf die Bahre
  Legt' er zum Schlaf die junge Maid.

Es war Ihr letzter Ball! Ihr letzter! ... Ja, verschwunden
Ist Ihrer Wangen Roth, verhaucht der Blüthe Duft.
Und diese Rosen, die nur Eine Nacht umwunden
Ihr Haupt, die sie geschmückt für kurze, frohe Stunden,
  Sie welken nun in kalter Gruft.

V.

Die arme Mutter, ach, sie ahnte nicht, die blinde,
Ihr Loos, als sie gepflegt die Knospe, zart und schwach,
Oft an der Wiege saß sie bei dem kranken Kinde,
Und wenn es weinte, strich sie ihm die Stirn gelinde,
  Und ganze Nächte blieb sie wach.

Und nun? – In ihrem Sarg von Blei, der Würmer Speise,
Schläft sie, so bleich, so starr, und wenn im tiefen Schacht
Zu einem Todtenfest sie eine Stimme leise
Aufweckt, die todte Maid, ach, frostig gleich dem Eise,
  In einer hellen Winternacht;


Dann – nicht die Mutter ist's – wird über sie sich bücken
Ein grinsendes Gespenst, und flüstern: »Es ist Zeit!«
Wird einen Kuß ihr auf die blauen Lippen drücken,
Und mit den Fingern, dürr und hart, die Flechten schmücken,
  Die Haare, lang dahingestreut;

Zum Geisterreigen wird sie schauernd fortgezogen,
Hinaus zum luft'gen Tanz; es klappert das Gebein,
Der Vollmond schwimmt dahin auf silbergrauen Wogen,
Den Rand der Wölkchen faßt der sanfte Regenbogen
  Der Nacht mit leisem Schimmer ein.

VI.

O denkt der Spanierin, der Maid mit Feuerblicken,
Die nun erloschen, ach, ihr Mädchen, wenn der Tanz
Euch lockt! Sie eilte hin, wie trunken vor Entzücken,
Des Lebens Rosen sich mit rascher Hand zu pflücken, –
  O Jugend, Schönheit, Lust und Glanz!

Das arme Kind! Es pflückt', im Taumel auferzogen
Der Feste, Blumen sich und band zum Strauß sie. – Ach,
Wie schnell vorüber ist sie doch an uns geflogen,
Gleich wie Ophelia, hin gerissen von den Wogen,
  Starb sie, indem sie Blumen brach.

April, 1828.


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