Victor Hugo
Victor Hugo's sämmtliche poetische Werke. Zweiter Band
Victor Hugo

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An Chateaubriand.

Der Genius.

Die Umstände sind es nicht, die den Menschen bilden, sie zeigen sie nur in ihrer wahren Gestalt, sie offenbaren, so zu sagen, das Königthum des Genius, die letzte Rettung absterbender Völker. Diese Könige, die nicht so heißen, aber als Könige herrschen durch die Stärke ihres Charakters und die Größe ihrer Ideen, sind erwählt durch die Ereignisse, die sie beherrschen sollen. Ohne Ahnen und ohne Nachkommen, die Einzigen ihres Geschlechts, verschwinden sie, sobald ihre Sendung erfüllt ist, und hinterlassen der Zukunft ihren letzten Willen, den diese treulich vollziehen wird.

F. Lamennais.

Sechste Ode.

I.

Weh Jedem, der dem breiten Pfade
Nicht folgt und hohe Träume hegt,
Der einen Strahl vom Geist der Gnade
In seiner stillen Seele trägt!
Weh ihm! Der Neid wird ihn verwunden,
Ein Geier, der zu allen Stunden
Ihm Pein bereitet, Harm und Qual,
Weil ein Prometheus er, ein neuer,
Mit kühnem Muth das heilge Feuer
Vom hohen Himmelsherde stahl.

Sein Auge sah des ewig jungen,
Des Ruhmes schimmernde Gestalt.
Und huldreich lächelnd hat bezwungen
Er ihn mit gleißender Gewalt.
So weiß mit zauberischen Blicken
Die falsche Schlange zu umstricken
Den Vogel, der im Laube zagt,
Er schwirrt, er flattert ihr entgegen,
Bis er ein Opfer ist erlegen
Des Blicks, der ihm so süß getagt.

Und sieht er auch belohnt sein Streben
Und seinen Namen ruhmbeglänzt.
Schmückt ihn der Lorbeer schon im Leben,
Der sonst nur todte Stirnen kränzt, –
Der Thoren Wahn wird ihn verklagen,
Und Haß und Mißgunst wird ihn plagen
Und grau ihm färben bald das Haar.
Erfüllt ist nun sein kühnstes Hoffen,
O Ruhm, dein Tempel steht ihm offen, –
Du führst dein Opfer zum Altar!

II.

Und doch, – wer trüge Schmerz und Plagen
Nicht gern und jede Ungebühr,
Küßt ihn in seinen Erdentagen
Des Himmels Genius dafür.
Und stammen nun die ew'gen Kerzen
In seinem Geist, in seinem Herzen,
Wem würde göttlich nicht zu Muth?
Wer würde vor dem Siege beben,
Wer möcht' im Glücke ruhmlos leben,
Winkt ihm des Ruhmes düstre Glut?

Du, der Du nicht zu Deinem Glücke
Bei uns geboren, dem geschenkt
Die Göttergab', um welche Tücke
Und Neid, Unsterblicher, Dich kränkt,
Du, bei der Nachwelt hochgepriesen, –
Was liegt daran, wenn Dich, den Riesen,
Der Hohn des Zwergenvolkes trifft?
Dem Genius huld'gen müssen Alle:
Sie haben Nichts als ihre Galle,
Nichts hat die Natter als ihr Gift.

Chateaubriand, o laß sie wüthen!
Der Schiffer lacht der stürm'schen Flut,
Wenn stolz sein Schiff, geschmückt mit Blüten,
Im Hafen wohlgeborgen ruht.
Lang unbekannt und unbeachtet,
Hast Du dem Sturm, der Dich umnachtet,
Getrotzt, bis Du erreicht den Strand.
So irrt' einst unbekannt der alte
Homer durch's Land, und mächtig schallte
Sein Ruhm dann über Meer und Land.

III.

Du flohst, als eine Frevlerbande
Zum Sklaven unser Volk gemacht,
Fern ist, im transatlant'schen Lande,
Des Jünglings Feuergeist erwacht.
Im Angesicht gewalt'ger Räume,
Prairien, Ströme, Urwaldbäume,
Gabst Du der Welt den Scheidegruß.
Dort auf den unbewohnten Fluren
Und Steppen hatte Gottes Spuren
Noch nicht verwischt des Menschen Fuß.

Der Sturm verflog. Wir sahn Dich wallen
Ins Land der Künste, wo noch schön
Virgils Lorbeer erblüht, – zerfallen
Die Mauern der Cäsaren stehn.
Du sahst in Griechenland nur Knechte,
Dem einst so herrlichen Geschlechte
Sang kein Tyrtäus mehr zum Sturm.
Die Häupter beugten sich und fielen,
Und auf dem Fels der Thermopylen
Stand der Tyrannen Schloß und Thurm.

Diese Ode wurde, wie sich denken läßt, vor dem heroischen Erwachen Griechenlands zum erstenmal veröffentlicht.

Die weltberühmten Städte weinen:
Denn ihre Kinder kamen um.
Nur in zerstreuten Trümmersteinen
Lebt fort ihr alter Heldenruhm.
Die Götter sind entflohn! Zum Feste
Nicht kommen mehr geschmückte Gäste,
Kein Kampfspiel mehr! Nur Weh und Ach
Tönt statt der Festmusik, der hellen,
Der Donner nur der Dardanellen
Hallt in zerstörten Tempeln nach.

Aus Hellas zogst Du, dem entweihten,
Und sahst ein gottgeweihtes Land,
Wo aus den alten, hehren Zeiten
Manch ew'ges Monument noch stand,
Sahst eine Gruft, des Lebens Quelle,
Jerusalem und Zion's Wälle,
Wo jetzt ein Pascha Wache hält,
Die braunen Söhne der Numiden,
Carthago und die Pyramiden,
Des Todes starres Lagerzelt.

Und endlich warst Du heim nach Jahren
Mit einem reichen Schatz gekehrt,
Es war das Leid, das Du erfahren,
Und was die Fremde Dich gelehrt.
Dein Wort erscholl, das weise, scharfe,
Dann im Senat: – denn Deine Harfe
Hing an den Wassern Babylons;
Dir übertrug die ewig wache,
Die Freiheit ihre heilge Sache,
Dir, dem Vertheidiger des Throns!

Sei stolz, Du brachest manche Lanze,
Und setztest nie zurück den Fuß,
Ein Märtyrer im Doppelkranze
Der Tugend und des Genius.
Kühn schreit' auf Deinem Wege weiter,
Erleuchte Frankreich, wie als Streiter
Gedient Du Deinem König hast.
Die Anarchie, die freche Dirne,
Erblaßt vor Deiner ernsten Stirne,
Die vor Tyrannen nie erblaßt.

Mag Gruben Dir die Bosheit graben,
Mag Neid und Falschheit Dich bedrohn,
Du, Sohn des Genius, schwebst erhaben
Und ruhig über ihrem Hohn.
So überschaut die Wetterwolke,
Die hinzieht über'm Erdenvolke,
Am Cap der Vogel, einsam fliegt
Er hoch dahin, die Stürme kriegen
Tief unter ihm, er schläft im Fliegen,
Von Himmelslüften eingewiegt.Der Albatros schläft im Fliegen.

Juli, 1820


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