Victor Hugo
Victor Hugo's sämmtliche poetische Werke. Zweiter Band
Victor Hugo

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Fünfundzwanzigste Ode.

I.

Sucht, Freunde, fern dem Schlosse,
Des Hofes eitlem Spiel,
Dem Lärm der Stadt, der Rosse
Und Wagen, all dem Trosse
Fern sucht mir ein Asyl,

Vergönnt mir, daß ich lande,
Wo stille Buchten sind,
An einem schattigen Strande,
Wo, fern dem lauten Tande,
Sanft ruhen Flut und Wind.

Schafft mir, – seid meine Retter! –
Den stillen Hafen bald,
Ein Dach bei schlimmem Wetter,
Ein Nest im Grün der Blätter,
Ein altes Schloß im Wald,

Und Schatten rings und Schweigen,
Daß Nichts vom Traum mich weckt,
Wenn sich die Wimpern neigen;
Mein Schlößchen lieg' in Zweigen
Und Büschen tief versteckt.

Geh hin, mein Lied, und kose,
Was lieblich ist und schön,
Das Blümchen jetzt im Moose
Umflattre, dann die Rose,
Und dann des Berges Höhn!

O träume kühn von Siegen,
Und durch der Lüfte Reich
Magst du entfesselt fliegen
Und hoch im Blau dich wiegen,
Dem freien Vogel gleich.

II.

O Traum, du sollst mich heben
Hoch in des Himmels Raum:
O endlos sel'ges Leben!
Nachts soll mich noch umschweben
Des Tages süßer Traum!

Weiß wie ein Segel sei er,
Das fern ein Windhauch schwellt,
Wie blasses Sternenfeuer,
Und zwischen mir als Schleier
Schweb' er und dieser Welt.

Die Muse, die verschönen
Mein Leben will, sie mag
Vergolden ihn und dehnen!
Die Nacht nur ist mein Sehnen,
O käme nie der Tag!

O blühten auf all meine
Gedanken in dem Traum,
Und säßen im Vereine
Sie rings beim Feuerscheine
Im lichten, stillen Raum!

Zu meinem Traume fliegen
Sie all in bunten Reihn,
Umgaukeln ihn verschwiegen,
Wie ältre Schwestern wiegen
Ihr jüngstes Brüderlein.

III.

Schön ist's am Dünensande,
Im Schatten, der uns kühlt,
Am waldbewachsnen Strande,
Wo man sich baar der Bande,
Dem Himmel näher fühlt.

Es rauscht, wie Traumesschwingen,
Die Welt erklingt im Chor,
Sie spricht, die Wellen singen,
Und aus den Zweigen dringen
Die Worte leis ins Ohr.

Du hörst den wundervollen
Gesang der Sphären an,
Hörst Weltendonner grollen,
Das Universum rollen
Im Himmelsocean;

Jehovah 's Stimme klingen
Hörst du in jedem Ton,
Die Geister hörst du singen
Der Welt, wohin sich schwingen,
Die dieser Welt entflohn;

Wo sich aus heisern Kehlen
Nie Klagelaut ergießt,
Wo liebend alle Seelen,
Wie Flammen, sich vermählen,
Wie Flut die Flut umschließt.

IV.

Kein Ton geht dem verloren,
Der einsam träumt und lauscht.
Paris, du Stadt der Thoren,
Wie schaal doch in die Ohren
Dein wüster Lärm uns rauscht!

Heil dem Bretonenlande,
Dem Hort der alten Zeit,
Der Klipp' im Meeressande,
Dem Thurm am Keltenstrande,
Wo Baum an Baum sich reiht!

Im Thurme rasten, sinnen
Werd' einsam ich, um den
Sich Epheuranken spinnen,
Und von granitnen Zinnen
Wie Federbüsche wehn;

Wo das Kamin, das hohe,
Geschmückt mit Wappen ist,
Und flammt in heller Lohe, –
Ein Rachen, dessen rohe
Begier Eichklötze frißt;

Wo kühl mich schirmt die Linde,
Wenn Glut der Sommer sprüht,
Wo ich im Winter finde
Die Mutter sammt dem Kinde
Vom Feuer angeglüht;

Wo Nachts beim Windeswehen
Im Wald man Riesen glaubt,
Gespenstische, zu sehen,
Die sich im Kampfe drehen
Und stoßen mit dem Haupt;

Wo himmlische Gestalten,
Wie Bienen mich im Kreis
Umschwärmend lieblich walten,
Und ihres Kleides Falten
Mir glänzen silberweiß;

Wo durch den Saal, den weiten,
Es schallt, wie Seufzerklang,
Wo finstre Ritter gleiten
Am Fenster hin und schreiten
Die graue Wand entlang.

V.

Wenn meine Muse Reste
Von Burgen gern bewohnt,
Und gerne sitzt im Neste
In einer alten Veste,
Wo einst ein Held gethront,

So ist's, weil mich die Falte
Des Alters stets erfreut,
Ein Sang, der längst verhallte,
Die Welt, die schöne, alte,
Mehr als die neue Zeit.

Die Schwalbe, die im grauen
Schloßthurm sich niederläßt,
Wählt, um dem Nord, dem rauhen,
Den Eingang zu verbauen,
Sich oft ein Geiernest.

Und ihre Brut, die lose,
Mit lustigem Geschrei,
Pickt auf den Schatz im Moose
Mit derbem Schnabelstoße,
Das Riesenvogelei.

So spielen hin und wieder
Mit Waffen, alt, bestaubt,
Wie Zwerge, meine Lieder,
Ziehn lachend auf und nieder,
Mit Helmen auf dem Haupt.

VI.

So werden meine Tage
Im Grünen wieder grün,
Mein Leben, frei von Plage,
Den Rosen gleicht's am Hage,
Die aus Ruinen blühn.

Burg oder Hütt' indessen –
Die Muse lächelt mir,
Mein Glück ist unermessen,
Still leb' ich, fromm, vergessen,
Vergessend, selig hier.

Juni, 1828.

Ende der Oden.


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