Victor Hugo
Victor Hugo's sämmtliche poetische Werke. Zweiter Band
Victor Hugo

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Die Fee und die Peri.

Ihr flücht'ger Schatten wird durch grüne Blätter wehen,
Auf Wolken wirst Du sie herniederschweben sehen;
Sie flimmern in der Luft und aus des Meeres Schaum
Oft steigen sie empor, süß, wie ein schöner Traum;
Und ihre Stimme, zart, wie linder Duft der Rosen,
Wird, flüsternd Dir ins Ohr, mit leisem Trost Dich kosen.

André Chénier.

Dreizehnte Ballade.

I.

Ihr Kinder, wenn ihr sterbt, dann nehmt euch wohl in Acht,
Daß nicht ein Geist vom Weg zum Himmel eure Seelen
Ablenke! Hört das Wort, das mir ein Greis vermacht: –
Dämonen gibt's, die nicht zur Höllenschaar zu zählen,
Die minder schuldig als die Teufel sich gemacht,
Die Feuer, Erde, Luft und Meer zur Wohnung wählen,
Sie harren, bis der Herr einst kommt in seiner Pracht;
Gefallne Engel sind's, vom Himmel ausgewiesen,
Doch klingt's wie Engelslaut, wenn sie die Seelen grüßen.
Vor diesen hütet euch! Sonst kommt ihr aus der Nacht
Des Fegefeuers nicht heraus in tausend Jahren! –
Fragt nicht, woher ich die Geschichte hab' erfahren,
Ich rede nur, was uns der Väter Wort vermacht!

II.
Die Peri.

Wohin, o Seele, kaum geboren
Und schon verschieden, eilest Du?
Du hast den Weg schon halb verloren
Zum Himmel, geh nicht mit den Thoren,
Such' hier in meinem Schlosse Ruh.

Du kannst durch meine Gärten gehen
Mit goldnen Früchten ohne Harm,
Kannst hoch von den azurnen Höhen
Dort unten Deine Mutter sehen
An Deiner Wiege, die noch warm.

O komm' und theile meine Loose.
Die Peri'süberstrahl' ich weit
An Schönheit alle, wie im Moose
Die Blumen all besiegt die Rose,
Die pflückend man der Schönsten weiht.

Mit Perlen schmück' ich mich und Ringen,
Ein seidner Turban deckt mein Ohr.
Ich prang' in tausend Wunderdingen,
Entfalt' ich meine Purpurschwingen,
Drei Flammenaugen glühn hervor.

Bleich ist mein Körper nicht, mein freier,
Doch weiß, wie ferne Segel sind,
Und lüftet irgend sich der Schleier,
Erglänzt er hell, wie Sternenfeuer,
Und duftet wie die Blume lind.

Die Fee.

Komm, schönes Kind! Dort am Gestade
Thron' ich, wo Abends in die See
Die Sonne taucht zum Wellenbade
In rothem Glanz. Ich bin die Fee.
Mich beten an im Abendlande
Die Völker, golden strahlt am Rande
Der Nebel, streif' ich ihn im Gehn.
Ich baue, Königin der Träume,
Paläste hoch in luftge Räume,
Auf Wolken, die im Westen stehn.

Wenn meine Schwingen sich entfalten,
So lichthell schimmern sie, so blau,
Daß sie für Silberstrahlen halten
Die Sylphen, tanzend auf der Au.
Mein Finger leuchtet klar wie Rosen,
Mein Odem ist des Zephyr's Kosen,
Der Abends süßen Duft Dir bringt.
Lang wallt mein Haar und golden nieder,
Ein Lächeln spielt durch meine Lieder,
Wenn mein melodischer Mund Dir singt.

Ich will Dir Muschelgrotten zeigen,
Und Zelte, schattend weit umher,
Ich wiege mich auf grünen Zweigen,
Ich wiege mich auf blauem Meer.
Wenn Du mir folgst, dann sollst Du sehen,
Wohin des Himmels Wolken gehen,
Und wo des Wassers Quelle springt.
O komm zu mir, und Dir erzählen
Will ich, was uns der Vögel Kehlen
Verrathen, wenn ihr Lied erklingt.

III.
Die Peri.

Ich wohn' im Orient, wo, wie unter'm Purpurzelte
Ein Fürst, die Sonne strahlt im blauen Himmelsfelde,
Auf ewig klarer Bahn kommt flammend sie daher;
So schwimmt und trägt dahin den Emir sammt den Schönen
  Leis unter Flötentönen
Ein glänzend goldnes Boot auf azurblauem Meer.

Das Morgenland ist reich an Gaben und an Schätzen.
In andern Ländern, wo Dich süße Früchte letzen,
Wächst, – grausames Gesetz! – auch reich die bittre Frucht,
Auf Asien mag wohl Gott mit holdern Blicken schauen,
  Mehr Blumen glühn auf seinen Auen,
Mehr Stern' am Himmel und mehr Perlen in der Bucht.

Die Katakomben sind in meines Reiches Gränzen,
Die Gräber sind, und doch weit hin wie Berge glänzen;
Die große Mauer, die zu Fall ein Volk nicht bringt,
Die um ein ganzes Reich, das nirgends Lücken findet,
  Sich wie ein mächt'ger Gürtel windet,
Und eine fremde Welt in dieser Welt umschlingt.

Gewalt'ge Städte nenn' ich mein mit goldnem Thore,
Golconda und Kaschmir, das blühende Lahore,
Damaskus, stark im Krieg, das stolze Ispahan,
Bagdad, das Mauern wie ein Panzerhemd umgürten,
   Aleppo, das dem fernen Hirten
Laut in die Ohren rauscht gleich einem Ocean.

Stolz sitzt Mysore wie die Fürstin auf dem Throne,
Medinah, rings umthürmt, mit hoher Mauerkrone,
Mit goldnen Spitzen, mit Kiosken hoch im Blau'n,
Gleicht einem Heer, das auf dem Feld die Führer stellten,
  Das mitten unter Zelten
Läßt schimmernd einen Wald von Lanzenspitzen schaun.

Wer Theben's Trümmer sieht, die Häuser und die Gassen,
Der meint, das Volk hab' erst heut früh die Stadt verlassen.
Madras, zwei Städte schließt in Einen Ring es ein,
Delhi, die reiche Stadt, die hohe Mauern schirmen,
  Durch deren Thor sammt ihren Thürmen
Zwölf Elephanten ziehn zumal in breiten Reihn.

Komm, schönes Kind, wir ziehn durch wundervolle Gauen,
Wo Dächer Gärten sind voll Blumen, anzuschauen
Wie Körbe, komm, wir gehn zum Araber ins Zelt!
Die Bajaderen sehn wir schwingen sich im Reigen,
  Wenn Abends alle Stimmen schweigen,
Und müd das Dromedar am Born der Wüste hält.

Dort unter'm Feigenbaum, im Laub der Sykomoren
Glänzt silberblank das Zinn vom Minaret des Mohren,
Und die Pagode, die Perlmutter gleich erglänzt,
Der Thurm von Porcellan, von Glöckchen rings umflimmert
Und in den blauen Jonken schimmert
Der Purpur-Palankin, mit Fransen weiß umkränzt.


Ich beuge Dir zurück die Zweige der Platane,
Und zeige Dir im Bad die träumende Sultane;
Die Jungfrau dort, die nach dem Falschen harrend sieht,
Die schüchtern in der Nacht leis öffnet ihre Pforte,
  Und lauscht, ob ihr der Wind die Worte
Zuträgt, die süßer ihr als des Bengali Lied.

Das Paradies der Welt lag einst im Morgenlande.
Ein ew'ger Frühling füllt's mit Rosen bis zum Rande,
Ein schöner Garten ist der ganze Welttheil nur.
Wir schwimmen Tag für Tag in einem Wonnebade ...
  Du seufzst? – O wandle unsre Pfade!
Was soll der Himmel Dir? – Komm, hier ist Edens Flur.

Die Fee.

In dämmernd schönen Gau'n wohn' ich, im Abendlande,
Wo, ewig wechselnd die Gestalt, mit goldnem Rande
Die weiße Wolke schwimmt, ... zu der die Blicke hebt
Der Meusch in Einsamkeit, im Wald, auf grünen Matten,
  Der weint um einen theuern Schatten,
  Den licht ein heitrer Traum umschwebt.

Für wunde Herzen ist's ein Trost, des Nebels Wogen
Zu schau'n, der aus dem See zum Walde kommt gezogen,
Die Berge, deren Schnee kaum weicht im Jahr einmal,
Den Stern, der einsam, wie die letzte Hoffnung, leuchtet,
  Der mit dem Thau, der Nachts befeuchtet
  Die Erde, mischt den ersten Strahl.

Der Himmel, sanft umhüllt, paßt ganz zu Deinen Schmerzen,
O Kind, das Gott entriß dem warmen Mutterherzen!
O komm, das Waldgeräusch, der Bach, der rollend tost,
Des Windes Stimmen, die zurück das Echo bringen,
  Sie werden wie das Lied Dir klingen,
  Das in der Wiege Dich gekost.

Langweilig wird zuletzt der Himmel, ewig blauend,
Der Dunst, das Nebelmeer, die Wolke blitzend, thauend,
Sie kühlen uns die Luft, gleich einem grauen Zelt,
Wir schaun, wie hoch und fern sie sich zusammenrotten
  Und segeln, wunderbare Flotten
  Aus einer unbekannten Welt.

Mir dienen Wetter, Sturm und Winde, wenn sie heulen,
Ich balle Meer und Luft zu wirbelnd hohen Säulen,
Ich bändge den Orkan durch meines Liedes Schall,
Der Regenbogen, den mit leichtem Fuß ich drücke,
  Ist eine goldbespülte Brücke
  Auf einem Gießbach von Krystall.

Mein ist Alhambra, leicht, aus Aether fast gesponnen,
Die Zaubergrotte mein mit den Basalt-Colonnen,
Staffa, in dessen Dom sich bricht der Wellen Stoß,
Dem Fischer, stolz, als Fürst das Meer zu überschauen,
  Helf' ich die graue Hütte bauen,
  Wo einst gestanden Fingals Schloß.

Oft schreck' ich auf die Nacht mit täuschenden Auroren,
Gebiet' ich, glüht die Luft von rothen Meteoren,
Von Feuergarben, die sich drehen kreuz und quer,Die aurora borealis, das Nordlicht.
Der Jäger auf dem Fels, wenn Luft und Meer sich röthen.
  Glaubt einen glühenden Kometen
  Zu schaun, der zischend taucht ins Meer.

Komm, junge Seele, mit zum Spiel auf grünen Bergen,
Es fülle die Abtei mit Riesen sich und Zwergen,
Kobolde dienen Dir, und Gnomen hoch betagt,
Komm, stoß ins Horn und laß die unsichtbare Meute
  Ausziehn ins Hochgebirg auf Beute,
  Die Nachts in unsern Wäldern jagt.

Burggrafen wirst Du sehn in milder Hoheit strahlen,
Die armen Pilgern gern auflösen die Sandalen,
Und Schlösser, Fenster mit geheimnißvollem Bild,
Die Dame, betend still für einen Edelknaben,
  Und Zinnen, und, in Stein gegraben,
  Am Thor des Ritters Wappenschild.

Wir sind es, deren Hauch durchsäuselt die Portale,
Das klingend hohe Schiff der gothischen Kathedrale,
Wenn leis im Mondenschein die Zitterespe bebt,
Dann hört der Hirte Klang wie von entfernten Geigen,
  Und sieht, wie singend unser Reigen
  Des Dorfes Kirchenthurm umschwebt.

Im Abendland wie schön ist See und Thal und Hügel! –
Fern ist der Himmel noch, und kraftlos ist Dein Flügel,
O komm in unser Reich, o Kind, gib mir die Hand,
Die wildste Gegend ist voll Reiz und süßem Grauen,
  Die Fremden finden unsre Gauen
  Viel schöner als ihr Heimathland.

IV.

Des Kindes Seele schwankt' und lauschte gein den Kunden
Der Geister, ihrem Ruf kaum mocht' es wiederstehn,
Nie hatt' es diese Welt so schön wie heut gefunden, –
Doch sieh', mit einemmal entflogen war's, verschwunden, ...
  Es sah den Himmel offen stehn.

Juli, 1824.

Ende der Balladen.


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