Victor Hugo
Victor Hugo's sämmtliche poetische Werke. Zweiter Band
Victor Hugo

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I.

Feuer vom Himmel.

Da ließ der Herr Schwefel und Feuer regnen vom
Himmel herab auf Sodom und Gomorrha .

Und kehrete die Städte um, und die ganze Gegend,
und alle Einwohner der Städte, und was auf dem
Lande gewachsen war.

1 Mos. 19, 24. 25.

I.

Seht ihr die Wolke, schwarz gesäumt, vorüberziehn?
Bald grau und blaß, bald roth und glühend schwebt sie hin,
  Schwül, wie ein Sommer ohne Regen.
Ihr meint den Qualm zu sehn, den glühenden, ihr glaubt
Den Sturm zu hören, der wild in die Flammen schnaubt,
  Die eine Stadt in Asche legen.

Wo kommt sie her? – Vom Berg? vom Himmel? Aus der See?
Der zu dem nächsten Stern Dämonen in der Höh'
  Fortträgt, ist's wohl der Feuerwagen?
Und aus dem Chaos, aus dem schwarzen Wolkenschooß
Sprühn Funken, ringen sich Blitzstrahlen glühend los,
  Gleich Schlangen, die verborgen lagen.

II.

Meer, überall nur Meer, und Wogen ohne Strand,
Der Vogel fliegt sich müd und nirgends sieht er Land,
  Hier Wellenschaum, dort große Wogen,
Die Welle stößt zurück die Welle, kreisend rund,
Nur Wellen sieht das Aug', hinunter in den Schlund
  Des Strudels fort und fort gezogen.

Oft schwimmt ein großer Fisch dahin auf hoher Flut,
Der Floßen Silberglanz blinkt in der Sonnenglut,
  Das lichte Blau am breiten Schwanze,
Der Wollenheerde, die sich schüttelt, gleicht die See;
Wie ehern zieht ein Kreis sich rings, die blaue Höh'
  Eint sich dem blauen Wogenglanze.


– Die Feuerwolke fragt: Soll trocknen dieses Meer?
– Nein! – spricht der Hauch des Herrn und jagt sie vor sich her.

III.

Eine Bucht mit steilen Rainen,
Spiegelnd sich im Wellenglanz,
Heerden, streifend in den Hainen,
Auf der Au Gesang und Tanz;
Zelte, friedlich stille Sitze;
Und der Fischer und der Schütze
Lebt hier frei, sein Pfeil, dem Blitze,
Der dahinfährt, gleicht er ganz.

Diese Wanderstämme haben
Immer frisch die Luft und rein,
Junge Mädchen, Krieger, Knaben
Drehn sich lustig hier im Reihn.
Um die Flammen kreist der Reigen,
Die im Wind sich heben, neigen,
Geistern gleich, wie sie sich zeigen
Nächtlich oft im Mondenschein.

Mitternächtig schwarze Dirnen,
Reizend, ohne Tuch und Band,
Lachen spiegelnd ihre Stirnen
Im Metall und treiben Tand.
Andre, schön und ohne Fehle,
Singen laut aus frischer Kehle,
Die dort melkt aus dem Kameele
Weiße Milch mit schwarzer Hand.

Männer, Weiber, Brüder, Schwestern
Baden hier im Meer sich nackt. –
Wo hat wohl die Horde gestern
Aufgepackt und abgepackt? –
Pferdewiehern, Cymbalklänge,
Mächtig tost die bunte Menge,
Rauschend regt sich das Gedränge
Mit dem Meer im gleichen Takt.


Die Wolke machte Halt, ward dunkler noch und trüber:
– Ist's hier? – Und eine Stimm' antwortete: – Vorüber!

IV.

Aegypten!– Aehrengelb, reich dehnt sich aus das Land,
Ein Teppich, bunt gestickt und endlos ausgespannt,
  Und rundum Wüste nur und Leere!
Im Nord die kühle See, im Süd der heiße Sand
Umziehn Aegypten, und benagen seinen Rand; –
  Es lacht inmitten zweier Meere.

Drei Berge, die der Mensch erbaut, dreikantig, stehn
Zum Himmel ragend, doch ihr Fuß ist nicht zu sehn,
  Es decken ihn des Sandes Wellen.
Und zu der Spitze gehn, gehauen in den Stein,
Vom sand'gen Boden aus gewaltge Stufenreihn
  Für Riesenschritte von sechs Ellen.

Die rothgranitne Sphinx bewacht sie und ein Gott
Von grünem Marmor, und, dem Wüstenwind zum Spott,
  Senkt keines je die Augenlieder.
Gewaltge Schiffe ziehn zum weiten Hafen ein,
Und eine Riesenstadt wascht ihren Fuß von Stein
  Im Meer und schaut mit Stolz hernieder.

Mordschnaubend saust heran des Samums heißer Hauch,
Auf weißen Kieseln knirscht dahin ein Schuppenbauch,
  Und Krokodile hört man winseln.
Ein grauer Obelisk steigt hoch dem Himmel zu,
Bunt wie des Tigers Haut streckt Abends sich zur Ruh
  Der gelbe Nil, gesteckt mit Inseln.

Des Tages Königsstern versinkt, und langsam rollt
Er in die Flut, die strahlt zurück sein flüssig Gold, –
  Die Welt, der unsern Feuerseele.
Am ros'gen Himmel, in der Wogen goldnem Reich
Seht ihr zwei Sonnen sich begegnen, Königen gleich,
  Hinschreitend durch erhellte Säle.

– Ist's hier? – Die Frage scholl dumpf aus der Wolke Schlund.
– Geh! – sprach die Stimm' und tief erbebte Tabors Grund.

V.

Ein Sandmeer ohne Küste,
Des Schreckens weites Beet,
Die grenzenlose Wüste
Mit Knochen übersät; ...
Die sich dem Winde stellen,
Die Berge sind wie Wellen,
Sie wanken und zerschellen,
Vom Wirbelsturm verweht.

Oft an den Weltlärm mahnen
Im heiligen Revier
Die Wander-Caravanen
Von Mamre und Ophir .
Das Auge folgt dann lange
Des Zugs gewundnem Gange,
Und eine Riesenschlange
Scheint er, ein Wunderthier.

Ja, Gottes ist die Wüste,
Erhaben, ernst und hehr,
Er kennt nur ihre Küste,
Und ihren Schooß nur Er.
Staubwolken kommen, gehen,
Wenn heiß die Lüfte wehen,
Sie wogen, bäumen, blähen
Wie Schaum sich auf dem Meer.


Die Wolke sprach: »– Soll ich zum See die Wüste machen?« –
– Fort! – klang die Stimme, wie des fernen Donners Krachen.

VI.

Ein Riesenfels, um den der Schaum des Meeres fliegt,
Ein Trümmerhaufen, hoch aufragend, – wüste liegt
  Hier Babel, rundum öde Strecken.
Es zeugt sein Wunderbau nur für das ird'sche Nichts,
Mit seinem Schatten konnt' im Schein des Mondenlichts
  Vier Berge leicht es überdecken.

Reich an Gewölben ist die eingestürzte Stadt,
Wenn in den Tiefen sich der Sturm verfangen hat,
  Dann rauschen wundersame Töne.
Um seine Mauern schwärmt' ein ganzes Volk, es schien
Die ganze Menschheit sollt' in ihren Umkreis ziehn
  Einst Babel, sie, die Große, Schöne.

Sie hatte Stufenreihn, aufsteigend zum Zenith,
Und jede Stufe war ein Hügel von Granit,
  Wenn man sich auf dem Gipfel glaubte,
Fand auf dem hohen Berg man höhre Berge noch,
Und staunend sah der Blick von Felsenjoch zu Joch
  Hinauf zum Pyramiden-Haupte.

Die mächt'ge Boa dort, das grüne Krokodil,
Eidechsen gleichen sie, die im Gestein zum Spiel
  Sich über mächtge Blöcke jagen.
Grasbüschel scheinen nur, von unten auf gesehn,
Kolosse, die zu höchst auf Trümmerhügeln stehn,
  Palmbäume, die auf Thürmen ragen.

Die Elephanten ziehn durch ihrer Mauern Spalt,
Aus schwarzen Pfeilern wächst hervor ein ganzer Wald
  Und überschattet die Ruinen.
Um die Portale sieht man Riesengeier, Aar'
Und Eule fliegen, Tag und Nacht, in bunter Schaar,
  Wie um den Bienenstock die Bienen.


– Soll ich's vollenden? – sprach die Wolke. – Fahre hin!–
O Herr, erwiedert sie, wohin denn soll ich ziehn?

VII.

Sieh dort zwei Städte, die sich fremd und seltsam zeigen,
Die Stuf' um Stuf' empor bis in die Wolken steigen,
Mit ihren Göttern ruhn sie still im Schooß der Nacht,
Mit ihrem Volk, mit Roß und Wagen, Lärm und Pracht.
Zwei Schwestern liegen sie im selben Thal gebettet,
Im fahlen Mondenschein, der ihre Thürme glättet,
Bald sieht das Auge, das im Dunkeln forschend zuckt,
Die Pfeiler, Treppenreihn, den hohen Aquadukt,

Ein Elephantenschwarm sodann erscheint den Blicken,
Je einen Riesenthurm auf dem granitnen Rücken.
Und um Kolosse, die zum Himmel steigen, reihn
Sich Ungethüme, platt am Boden, Stein auf Stein,
Dort hängen Gärten, reich an Blumen und Arkaden,
Und dunkle Bäum' am Rand von schäumenden Kaskaden,
Stierköpfge Götter, all in Jaspis, an der Zahl
Wohl hundert ruhen stolz auf hohem Piedestal,
In Sälen, überwölbt von Einem Felsblock, wohnen
Erz-Götter, sitzen starr und steif im Kreis auf Thronen,
Und schaun einander an, schlaflos und regungslos,
Gewaltge Riesen mit den Händen auf dem Schooß,
Paläste, Höfe, lang gestreckte düstre Gassen,
Gestalten überall von ungeheuern Massen,
Die Brücken, Bogen, die Rundthürme, der Kanal,
Gar seltsam anzuschaun sind sie, gespenstisch fahl,
Gebäude sieht man hoch, wie Vorgebirge, steigen,
Und Schatten werfen, die sich in die Ferne neigen,
Und Well' auf Welle wälzt sich drauf die Finsterniß,
Nur selten blickt ein Stern matt durch der Wollen Riß,
Durch tausend Bogen, wie durch einen schwarzen Schleier,
Schlingt kaum ein Strahl sich durch von seinem milden Feuer.

Zwei Höllenstädte, ha, voll sündiger Begier,
Wo, schnöder Lüste Knecht, der Mensch verdirbt zum Thier,
Und unter jedem Dach geheime Sünden stecken, –
Ein doppeltes Geschwür der Welt, die sie beflecken.

Im Schlafe lagen sie. In beiden Städten fuhr
Kaum an den Häusern hin noch eines Strahles Spur,
Der Orgien fahles Licht, aufflackernd, dann versunken,
Und in den Straßen noch der Fackeln letzte Funken.

Der Mauern Schatten, die der Mondschein weiß bemalt,
Fällt auf ein Wasser, das sie zitternd widerstrahlt,
Geflüster hört man fern, wie Knistern rother Kohlen,
Und Küsse, halb erstickt, und heißes Athemholen.

Die Schwesterstädte, müd der Glut des Tages, warm
Und lüstern, sinken sich leis murmelnd in den Arm.
Der Hauch der Nacht, der seufzt im Laub der Sykomoren,
Von Sodom duftend schwimmt er zu Gomorrha's Thoren,
Die schwarze Wolke fliegt dahin, da schallt ein Wort,
Wie Donner, und es rief herab vom Himmel: – Dort!

VIII.

Und die Wolke krachte,
Und aus ihrem Schachte
Fuhr der rothe Brand,
Glühend stand sie offen,
Schwefelströme troffen
Ab von ihrem Rand, ...
Blutig rothe Helle
Um Paläst' und Ställe,
Lehm- und Marmorwand.

Sodoms Prachtpaläste
Und Gomorrha's Veste
Frißt der Blitze Wuth;
Arge Völker trafen
Sie, um streng zu strafen
Frevlerübermuth.
Und mit rothen Zungen
Leckt nach Alt' und Jungen
Grimmig wild die Glut.

Und das Volk erwachte,
Das noch gestern dachte
Nicht an Reu' und Buß';
Schaurig sollt' es tagen;
Alles flieht zu Wagen,
Flieht zu Roß, zu Fuß.
Und es wächst die Masse,
Und in jeder Gasse
Strömt ein rother Fluß;

Nagt am stolzen Schlosse,
Nagt am Steinkolosse,
Schont kein Marmorbild;
Die im Schlaf sich strecken,
Sterben, eh' sie wecken
Mag der Sturm, der brüllt.
Ueber morsche Mauern
Rennen unter Schauern
So Ameisen wild.

Flieht! ... Auf allen Wegen
Strömt der Feuerregen,
Gellt es: Weh und Ach,
Und an allen Thoren
Schreit's: »Wir sind verloren!«
Brücke stürzt und Dach.
Blitzzerschellt, in Flammen
Schwimmend rings, zusammen,
Erker und Gemach.

Mächtig schwillt das Feuer,
Wird zum Ungeheuer,
Schnaubend, riesig groß;
Jagt durch alle Räume
Jäh, wie ohne Zäume
Rennt ein tolles Roß.
Ehern starre Glieder
Krümmt ein Gott, den nieder
Wirft des Windes Stoß.

Neue Feuerwogen
Kommen angezogen, –
Nenn der Himmel will's, –
Marmor bricht zusammen
In den Schwefelflammen,
Wie ein morscher Pilz,
Thürme, Häusergruppen
Flimmern wie die Schuppen
Eines Krokodils.

Porphyr, Edelsteine
Glühn in rothem Scheine
Wie Wachskerzen weich.
Nebo, Marmorriese,
Beuge dich, zerfließe,
Stürz' ins Trümmerreich.
Säulen im Zerschellen
Flackern, sprühen hellen
Riesenfackeln gleich.

Götterbilder tragen
Magier mit Zagen
Weg vom heil'gen Ort.
Mag nach allen Seiten
Aus der König breiten
Seines Mantels Hort;
Mantel, Kron' und Waffen
Wird die Glut entraffen,
Alles reißt sie fort.

Eines Schlosses Zinnen
Reißt der Strom von hinnen,
Wo aus dichtem Kreis
Menschliches Gewinsel
Schallt; die Häuser-Insel
Lodert, sprühend heiß,
Muß im Glutstrom rollen,
Bis hinab gleich Schollen
Sie versinkt von Eis.

Oberpriester, drohe
Du der grimmen Lohe! –
Dort am Ufer, sieh,
Steht er: die Tiare
Brennt, und wie vom Haare
Er sie reißt mit Müh',
Klebt die Hand am Kopfe,
Und zusammt dem Schopfe
Steht in Flammen sie.

Männer, Frauen laufen,
Ein verworrner Haufen,
Vor des Feuer's Spur;
Vor den todten Städten
Lagern, die sich retten,
Auf verbrannter Flur.
Und das Volksgewimmel
Sieht entsetzt im Himmel
Eine Hölle nur.

IX.

Man sagt von Babel, – wie am Gitter sich gefangen
Ein alter Sträfling reckt, wenn einen Kopf man haut
Vom Rumpf, – so habe sie, die schwer sich selbst vergangen,
Von fern am Horizont dem Feuer zugeschaut.
Man hörte, während sich das Strafgericht vollbrachte,
Ein Brausen, daß entsetzt auffuhr die ganze Welt,
So gräßlich, daß es drang bis zu dem stillen Feld,
Wo taube Völker ruhn im tiefen Erdenschachte.

X.

Sie raste schonungslos, die Brunst, und auch nicht Ein
Verdammter kam davon, es flammte Bein und Stein.
  Die Hände rangen, unter Schauern
Umarmten sie sich noch, und sahn entsetzt sich an,
Und fragten: welcher Gott den speienden Vulkan
  Geschüttet über ihre Mauern?

Vor diesem Feuer, das vom Himmel sprühte, brach
Ob den Bewohnern ein das stärkste Marmordach.
  So straft der Herr, die ihn nicht ehren.
Zu ihren Göttern schrien sie auf, die bebten mit
Den Betern, taub und stumm, den Augen von Granit
  Entströmten heiße Lavazähren.

Schutt Alles, Qualm und Rauch, was kaum noch blühend war,
Die Flur mit Saat und Korn, das Volk, das Städtepaar!
  Der Brand, er war der Rache Scherge.
Aufrecht blieb Nichts rundum im Feld und in der Stadt,
Der Wind, der diese Nacht geweht, sein Odem hat
  Verwandelt die Gestalt der Berge.

XI.

Weht dieser Glutenwind, dann siecht im Wüstenstaub
Der Palmbaum, plötzlich dorrt der Stamm, es stirbt das Laub,
  Versiegt der letzte Tropfen Nässe. –
Die Städte sind nicht mehr; ein Spiegel alter Zeit,
Aus ihren Trümmern dehnt ein glatter See sich breit,
  Der raucht wie eine Feueresse.

Oktober, 1828.


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