Victor Hugo
Victor Hugo's sämmtliche poetische Werke. Zweiter Band
Victor Hugo

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Der Tod des Herzogs von Berry.

Mit gewaltsamer Hand
Löset der Mord auch das heiligste Band,
In sein stygisches Boot
Rafft der Tod
Auch der Jugend blühendes Leben.

Schiller.

Siebente Ode.

I.

O mäßigt Eure Lust, das trunkene Entzücken!
Schnell wandelt sich in Schmerz die Freude, kaum verglüht!
Die schwere, kalte Hand pflegt gern der Tod zu drücken
  Auf Stirnen, die ein Kranz umblüht.
Schon morgen senken wir das Haupt, bedeckt mit Asche,
  Und, fast wie Sünde, macht der rasche
  Festrausch, wenn er verflog, uns bang.
Kein Spiel, kein Scherz, der nicht sich mischt mit leisem Harme:
Die frohen Hymnen selbst beim Fest sind für uns Arme
  Vorspiele nur zum Grabgesang.

II.

In Trauer hülle dich, Paris, den Festgesängen
Gebiete Stille, sieh, was dort dem Blick erscheint,
Nach jenen Hallen schau, wo mit der Leier Klängen
  Der Künste Zauber sich vereint.
Ihr Chöre, schweigt! Hört auf, zu tanzen und zu scherzen,
  Verwandeln muß in Leichenkerzen
  Sich dieser Flammen heitres Licht. –
An einem blut'gen Bett dort unter der Rotunde
Hör' ich den Priester, der mit bebend leisem Munde
  Die frommen Sterbgebete spricht.

In diesen Räumen, die erzittern von dem Tosen
Der Lust, umsteht ein Bett, auf welchem röchelnd leis
Ein Opfer liegt, den Blick gesenkt, den hoffnungslosen,
  Von Traurenden ein hoher Kreis.
Ein Vater kniet und weint, ein Bruder schwimmt in Zähren,
  Die Schwester,Schwägerin, die Herzogin von Angoulême ach, sie muß entbehren
  Im Schmerz der Thränen linden Trost.
Vertrocknet ist ihr Aug' in langen Leidensjahren,
Das männlich heiß geflammt, wenn Schrecken und Gefahren
  Die junge Dulderin umtost.

Sie sah auf dem Schaffot stolz, königlich, erhaben
Die Mutter fallen, wie den Vater; sterben sah
Den kleinen Bruder sie, ach, den gefangnen Knaben,
  Für sie nur war kein Henker da.
Und als der Fürstenbund gebrochen ihre Bande,
  Da lebte sie im fremden Lande
  Fern unsrer öden Heimathflur.
Sie kam ins Vaterland zurück, nach langem Trauern,
Doch lernen sollte sie in ihrer Väter Mauern:
  Zum Schmerz geboren sei sie nur.

Sieh dort, die Gattin ... Ha, wer malt die Seelenschmerzen,
Die zarte, starke Kraft, die Liebe, treu bemüht?
Welch herbe Klage ringt sich los aus ihrem Herzen,
  Wie keine Hoffnung mehr ihr blüht!
Sicilische Jungfrau, wir jauchzten Dir entgegen,
  Als seine Hand in Deine legen
  Wir jüngst den edlen Berry sahn.
Weh, mußte schon so rasch nach dieser hohen Feier
Anstatt des bräutlichen der schwarze Witwenschleier,
  O theure Fürstin, Dich umfahn?

Als, Berry, Deinen Sieg im Frieden wir besangen,
Da war's, wo ihren Kopf die Anarchie erhob,
Der Drache brüllte laut, es zischten tausend Schlangen,
  Die Hölle selber knirscht' und schnob.
Ihr Feuer flammt' empor. Laut auf aus finstrem Schlunde
  Schrie Clement mit verruchtem Munde,
  Und Ravaillac schwang seinen Stahl.
Das Ungeheuer stieg, von Königsmörderschatten
Begrüßt, die ihre Lust am neuen Frevel hatten,
  Geflügelt auf vom Ort der Qual.

Der böse Geist, der oft den Flug zu uns gewendet,
Ausrotten wollt' er nun die Lilien, oft geknickt,
Den Stamm vertilgen, der so edle Sprossen sendet,
  Das Fürstenhaus, das uns beglückt.
Lang schlich der Scherge, den zum Werkzeug er erkoren,
  Dem Opfer sinnend, wie verloren
  In fürchterlichen Träumen, nach.
Zuletzt – Gott ließ es zu – vollbracht' es der Rebelle!
Daß unser Festtumult ihm dient' als Mordgeselle,
  Beweinen laßt uns diese Schmach!

Es blitzt ein Dolch .. ein Schrei .. Soldaten, helft! – Geflogen
Kommt schnell die Herzogin, nimmt Berry's Arm und stützt
Ihn sanft, sie überschwemmt ihn fast mit Thränenwogen,
  Sie steht von seinem Blut bespritzt.
Macht ihm ein Bett zurecht! – Glimmt noch ein Hoffnungsfunken? –
  Sie schweigen, stehn in Schmerz versunken,
  Sie ahnt, nun stirbt er, ihr Gemahl.
O Gattin, bleib' ihm nah in dieser Schreckensstunde!
Die Kunst der Aerzte kühlt ihm nicht die heiße Wunde,
  Versüße Du ihm seine Qual.

Komm schnell, denn ein Bourbon liegt auf der Todtenbahre,
O greiser König, komm, trüb wird sein Auge schon,
Drück' ihm das Auge zu, denn Deiner grauen Haare
  Licht, Trost und Hoffnung war Dein Sohn.
Auf seiner Tochter Stirn hat seine Hand gelegen,
  Er gab ihr seinen Vatersegen,
  Und schüttelt' ab des Lebens Joch.
Wie lebend er sein Leid verziehn dem Vaterlande,
So gütig, engelgleich war er am Grabesrande:
  »Verzeihung!« – seufzt' er sterbend noch.

Erhabner Tod! – O Volk, fühlst du die tiefe Wunde?
Schütt' aus dein Herz, das Gram und Trauer nur erfüllt!
Du hast ihn wenig nur gekannt: die letzte Stunde
  Hat dir den Heros erst enthüllt.
Der Wittwe bringt ihr Kind, erheitert ihre Mienen,
  Legt's in die Arme Carolinen,
  Daß sie ans Leben wieder glaubt.
Doch wenn den letzten Zweig vom Königsstamm sie schneiden,
Wer tröstet Frankreich denn in seinem tiefen Leiden,
  Die Fürstenwittwe, ganz beraubt?

Der Sühneruf durchdringt die Reihen unsrer Krieger,
Die unsres Volkes Ruhm gegraben einst in Erz.
Europa, bebend noch vom Jubelschrei der Sieger,
  Hallt wieder jetzt von ihrem Schmerz.
Und was sagst du, Bendée, du treue, tapfre, gute?
  Du schwammst so lang in edlem Blute,
  Dein Erbtheil ist ein Thränenmeer.
Der Mutter gleichst du wohl, der Gram das Herz zerrissen,
Sie sitzt aus ihrem Bett und weint und weint ins Kissen:
  Ihr Kind, Ihr Alles, ist nicht mehr.Et noluit consolari, quia non sunt.«
(Und [Rahel] wollte sich nicht trösten lassen, denn es war aus mit ihnen.)

Bald ziehn nach Saint-Denis wir Alle, unterm Klagen
Wehmüthiger Musik, Volk, Heer und Geistlichkeit.
Wir folgen ernsten Schritts dem schwarzen Leichenwagen,
An den der Pomp des Kriegs sich reiht.
Ha, Saint-Denis, du sahst von blutbefleckten Händen
Die Gräber seiner Väter schänden,
Sie rissen sie aus ihren Truh'n!
Mag denn vor roher Hand geschützt, bei leeren Särgen,
In der entweihten Gruft, sich seine Asche bergen,
Und ungestört, in Frieden ruhn!

III.

Enghien wird staunen, sieht im Himmel er sich nahen
So früh den Freund, dem jung sein Herz er dargebracht,
Ihn, dem Condé, der Greis, als wir ihn scheiden sahen,
  Des Wohlthuns süße Pflicht vermacht.Man erinnert sich, daß der Prinz Condé auf seinem Todtenbette dem Herzog von Berry die ehrenvolle Armuth seiner alten Waffengefährten empfahl.
Die Schatten unsrer Herrn, der Könige, sie schauen
  Auf diesen letzten Ast von ihrem Stamm mit Grauen,
  Der mit Gewalt gebrochen liegt.
Zwei Helden werden laut um ihn zusammen klagen,
Der Eine, der den Feind bei Ivry hat geschlagen,
  Und der, der bei Rocroy gesiegt.

Rasch bist Du, o Bourbon, bei dieser Schreckenskunde
Zu Artois hingeeilt, Du kennst ja, tiefbewegt,
Den Schmerz des Vaters, ahnst die unheilbare Wunde,
  Die solch ein Tod dem Herzen schlägt.
Doch weh, unsicher wird Dein Schritt, die Glieder beben,
  Du siehst vor Deinem Auge schweben
   Vincennes, und jenen Schreckenstag.
Blaß wirst Du, und Artois, von gleichem Schmerz durchschauert,
Vergißt das neue Leid mit Dir, fürwahr, und trauert
  Mit um den alten, herben Schlag.

Du aber, Wittwe, steh' im Sturm nur um so fester,
Hoff' auf ein bessres Loos, es wird noch Alles gut.
Zum Vorbild nimm Dir stets die vielgeprüfte Schwester,
  Groß wie Dein Unglück sei Dein Muth.
Ach, eine Urne hast Du nun, wie sie, zu tragen,
  Im heil'gen Raume wirst Du klagen
  An einem Sarg, vereint mit ihr.
Der Dämon, Bürgerkrieg, dem Höllenpfuhl entflogen,
Der Deiner Schwester Stirn mit Wolken oft umzogen,
  Er füllt den Thränenkelch auch Dir!

IV.

Doch, wenn Gott seine Macht will kundthun an den Schwachen,
An Dir, die kaum noch stützt den alten Königsstamm,
Dann rettest Frankreich Du, und jenem Höllendrachen
  Soll höher schwellen nicht der Kamm.
So, als die Schlange, die uns einst verführt zur Sünde,
  Den Menschen in der Hölle Schlünde
  Zu stürzen suchte durch Verrath: –
Den frechen Uebermuth, Gott duldet' ihn nicht lange:
Ein schwaches Weib erschien, und sie war's, die der Schlange
  Den gottverfluchten Kopf zertrat.

Februar 1820.


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