Victor Hugo
Victor Hugo's sämmtliche poetische Werke. Zweiter Band
Victor Hugo

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Das Leichenbegängniß Ludwig's XVIII.

Aber doch sprach ich: Ich muß das leiden, die rechte
Hand des Höchsten kann Alles ändern.

Ps. 77, 11.

Dritte Ode.

I.

Zur Tempelschwelle drängt das Volk sich, Kinder neben
Den Müttern, Greise, Reich und Arm, in Thränen all,
Die Thürme, schlank und hoch, von Saint-Denis, sie beben
  Erschüttert von der Glocken Schall.
Die Gruft wird aufgestört aus ihrer düstern Ruhe,
  Die Lücken füllt der Tod, und Truhe
  An Truhe rückt er enggereiht.
Schweigt! Ehrt den heil'gen Raum, den Frevler einst verletzten!
Zum letzten Mal gefolgt von seinem Hof, den letzten
  Palast betritt der König heut!

II.

    Ein Andrer sprach: »Der Ruhe Hafen
    Sei meinem Stamm dies Grabgemach.
    Den Königen, vor mir entschlafen,
    Folg' ich bis an ihr Lager nach.
    Hier soll man meinen Staub begraben!
    Um Raum für ihn zu schaffen, haben
    Sie diese Gruft einst ausgeleert.
    Des neuen Herrn bedarf die Erde!
    Und diesem neuen Grabe werde
    Denn auch ein neu Gebein bescheert.

Hier soll mein Staub einst ruhn, wo diese Säulen ragen,
Der Tempel hat ein Recht auf diesen Ehrenzoll.
Von Königsleichen fett muß sein der Wurm, der nagen
  An meinen Ueberresten soll.
Wenn meine Enkel einst vom Kreml zum Escuriale
  Beherrschen, sonnend sich im Strahle
  Des Glücks, Europa's fernstes Land,
Dann werden nach und nach sie alle hier erscheinen,
Damit ich schlafen mag, umgeben von den Meinen,
  Im kaiserlichen Grabgewand!« –

    Der diese Worte sprach, von Siegen
    Erglänzte stolz des Helden Blick,
    Geschrieben sah in großen Zügen
    Er in den Sternen sein Geschick.
    Mit seinen blitzbewehrtm Krallen
    Roms Adler hätt' er überfallen,
    Gewürgt und jämmerlich zerzaust.
    Siegreich den Feind ins Herz zu stoßen
    Pflegt' er; zu leicht war Karls des Großen
    Reichsapfel seiner starken Faust.

Und doch, dem Bändiger der Könige, dem Riesen,
Ward jene Ruhestatt, die er für sich begehrt, –
Den heißen Wunsch erfüllt zu sehn, vielleicht nur diesen,
  Ward ihm vom Himmel nicht gewährt.
Umsonst, daß alle Welt den blut'gen Sieger grüßte,
  Umsonst, daß seines Ruhmes wüste
  Brandfackel strahlt' in rothem Licht,
Er, der sich einen Wust von Fascen, Sceptern, Kronen
Zusammenstahl, und reich war an geraubten Thronen,
  Ein Grab zu stehlen glückt' ihm nicht.

    Ihn hat ereilt des Rächers Flamme,
    Er fiel und mit ihm fiel sein Reich.
    Der erste Fürst von seinem Stamme,
    Der letzte war er auch zugleich.
    Ein wüstes Eiland ward dem Riesen,
    Dem Kronenräuber, angewiesen,
    Das des Tyrannen Kerker war.
    Mocht' auch der alte Held sich grämen,
    Von fremdem Mitleid mußt' er nehmen
    Den Obolus des Belisar .

Dort liegt er, fern der Gruft, die er sich vorbehalten,
Ohn' allen Königsprunk, nicht am geweihten Ort,
Einsam im Schlafgemach, gehüllt in seinen alten
  Soldatenmantel schläft er dort.
Sein Reich ist nun ein Fels, an dem sich Wogen waiden,
  Mit sturmgepeitschten, alten Weiden,
  Dort ist's, wo seine Asche ruht. –
Der König, lang verbannt, schläft nun an heil'ger Stätte,
Wo seine Väter ruhn, da liegt auch er im Bette,
  In des lebend'gen Gottes Hut.

III.

Auf Wegen führt, uns unbekannten,
Der Herr die Großen oft ans Ziel:
Zur Heimath schickt' er den Verbannten,
Und den Erobrer ins Exil.
In Frankreich ließ ihn Gott verscheiden,
Den König, groß durch seine Leiden,
Der Dornen nur am Wege fand.
Er gönnt' ihm, von der düstern Schwelle
Des Mausoleums nach der Stelle
Zu schaun, wo seine Wiege stand.

IV.

Er, der sein eignes Leid in unsrer Noth, der schweren,
Vergaß, er ruhe sanft nun in des Grabes Nacht!
Dem besten Bruder, der, selbst weinend, gern die Zähren
  Uns trocknet, hat er uns vermacht.
Ihm glückt' es, der Partei'n Trugbilder zu zerstreuen,
  Die alten Zeiten und die neuen
  Verband er durch ein weises Recht;
Ein Recht, das sicher stellt Eintracht und Ruh' im Reiche
Durch einen Herrn, der schirmt die Bürger all als Gleiche,
  Und ihrer Freiheit dient als Knecht.

    Du, ritterlicher König, hüte
    Dein Volk, und heitre Himmelsluft
    Umwehe stets Dich! – Niemals wüthe
    Tumult und Lärm um diese Gruft.
    Der Dämon, dürstend nach dem Blute
    Der Könige, hat oft das Gute,
    Was sie gethan, gelohnt mit Mord;
    Genug der Opfer sind getödtet,
    Und durch Verbrechen ward verödet
    Und neu bevölkert dieser Ort.

Nein, eine Krone kann nicht sinken und nicht weichen!
Von ihrer Höhe reißt der Mörder Hand sie nie.
Und wenn der Kön'ge Haupt fällt unter ihren Streichen, –
  Die zweite Salbung ist's für sie.
Ludwig, der Kettendruck und Schmach von Frevlern leidet,
  Von allem Königsprunk entkleidet,
  Vergißt auch ohne Hof der Königswürde nicht,
Wehrlos auf dem Schaffot noch übt er seine Rechte,
Verzeiht dem Henker und begnadigt seine Knechte
  Dem Todesbeil im Angesicht.

V.

    Schicksalsgedanken in mir reifen
    Ließ, was ich hörte, was ich sah.
    Und meines Geistes Blicke schweifen
    Von Saint-Denis nach Helena .
    O Tod, du Wesen zum Entsetzen,
    Der Purpurmäntel reißt in Fetzen,
    Und Thürme niederwirft in Wuth,
    Sprich, Dämon, der uns führt zur Bahre:
    Wo ist die Hand, die unsichtbare,
    In der des Grabes Schlüssel ruht?

September, 1824.


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