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Pünktlich um acht Uhr trat Rosenbusch in Felix' Zimmer. Er war in großer Gala, wie er nur bei außerordentlichen Gelegenheiten erschien. Zwar spielten in den Falten seines veilchenblauen Sammtrocks die malerischen Lichter, die auf ein höheres Alter des Stoffes deuten; wer aber wußte, daß dies Gewand aus der urkundlich beglaubigten Staatsrobe einer historischen Gräfin Tilly geschnitten war, betrachtete es mit Ehrfurcht, zumal es seinem jetzigen rothwangigen Besitzer vortrefflich zu Gesichte stand. Um den Hals hatte er ein untadlig weiß gewaschenes Battisttüchlein in einen zierlichen Knoten geschlungen; die weiße Weste war allerdings ein wenig vergilbt, das schwarze Beinkleid hie und da etwas blank geworden. Wie er aber jetzt, den hohen, alterthümlichen Cylinder unter dem Arm und ein Paar noch leidlich weiße Glacé-Handschuhe in der Hand schwenkend, mit leichtem Schritt bei dem Freunde eintrat, machte er im Ganzen doch eine so erfreuliche Figur, daß Felix sich veranlaßt fühlte, ihm etwas Schmeichelhaftes über seine Toilette zu sagen.
Man muß auf Standesehre halten und der Welt beweisen, daß der Schneider vom Künstler lernen sollte, nicht umgekehrt! versetzte der Maler mit feierlichem Ernst, indem er vor den Spiegel trat und sich bemühte, seinen gestutzten Haaren einen freieren Schwung zu geben. Sie freilich, fuhr er fort, Sie haben den Baron überhaupt noch nicht ganz ausgezogen. Glauben Sie mir, Kleider machen wahrhaftig Leute. Man ist in Hemdsärmeln oder in der Blouse ein ganz anderer Kerl, als in so einem verschnipfelten eleganten Affenjäckchen nach der neuesten Mode. Spielen wir nicht alle eine Rolle, so viel wir da sind? Nun fragen Sie Elfinger, ob der eigentliche Geist der Rolle nicht erst mit dem Costüm über den Mimen kommt. Ich zum Exempel – in einem Rock, den Hinz und Kunz tragen könnte, fühle ich mich so verhinzt und verkunzt, daß ich keinen Pinsel in die Hand nehmen möchte. Dagegen so – selbst in großer Toilette – sage ich mein anch' io so munter wie weit größere Leute. Aber Sie rühren sich ja nicht vom Fleck. Wollen wir durch Spätkommen imponiren?
Felix hatte Zeit gehabt, wieder in seine melancholische Stimmung zu versinken. Er äußerte, daß er unerfreuliche Nachrichten von Haus bekommen habe und nicht dazu aufgelegt sei, unter Menschen zu gehen. Rosenbusch möge ihn entschuldigen, – auch sei es ja der Gräfin nicht um einen namenlosen Anfänger zu thun – –
Wie? rief der Schlachtenmaler, Sie wollen mich allein in den Zaubergarten dieser Armida gehen lassen, während ich darauf rechnete, im Fall der Noth von Ihnen gerettet zu werden? Jansen kommt ohnedies spät, wenn er sich überhaupt dazu entschließt. Nein, Bester, Sie wissen, ich verbrauche auf der Leinwand so unerhört viel Courage, daß mir im Salon nicht mehr viel davon übrig bleibt. Darum – Rücken an Rücken, Schulter an Schulter mit einem Freunde und Waffenbruder, oder ich verkrieche mich dort in den ersten besten Cellokasten und mache dem Paradiese Schande.
Er trieb den halb lachenden, halb widerstrebenden Felix an, gleichfalls Toilette zu machen, und zog ihn dann mit fort, hielt ihn aber auch auf der Straße so fest am Arm, als ob er immer noch fürchte, er möchte ihm entspringen. Es war Felix im Grunde lieb, daß ihm Gewalt angethan wurde. Er schämte sich heimlich seiner Furcht, das Haus zu betreten, das seine alte Geliebte beherbergte, selbst an einem Tage, wo sie abwesend war. Nun fiel die Beklemmung, die ihn seit der Entdeckung ihres Hierseins befangen hatte, in der Gesellschaft des munteren Gefährten von ihm ab, und die Erzählung von dessen jüngsten Abenteuern als abgewiesener Freier und glücklich Liebender versetzte ihn vollends in die heiterste Stimmung. Er neckte den Maler damit, daß sein flatterhaftes Herz, statt wie ein gebranntes Kind das Feuer zu scheuen, nun wieder an dieser neuen Flamme sich versengen wolle, was Rosenbusch mit einem stillen Seufzer hinnahm.
Im Grunde, sagte er, ist so eine Gräfin nicht die Gefährlichste. Daß man ihr gegenüber gewisse Grenzen respectirt, wenn man ein armer Tropf von Kunstmaler ist und selbst von einem Handschuhmachermeister sich Sottisen gefallen lassen muß, das steht fest. Wenn dagegen so ein Teufelsweib wirklich die Marotte kriegen sollte, Unsereinen etwa zu entführen, nach Italien oder Sibirien – nun, so wird sie wissen, was sie thut, und wir können's einstweilen gehen lassen, wie's Gott gefällt.
Unter solchen Reden hatten sie das Hôtel erreicht, in dessen erstem Stock eine Reihe erleuchteter Fenster ihnen schon von fern ankündigte, wo die Selbstherrscherin aller Künste ihren Hof hielt. Felix drückte den Hut tiefer in die Stirn und sprang so hastig die Treppen hinauf, daß Rosenbusch athemlos hinter ihm zurückblieb. Sie sind ein wunderbarer Mensch! rief er lachend, als er ihn oben einholte. Erst kostet es Künste, Sie loszueisen, und dann können Sie nicht früh genug ankommen.
Felix blieb ihm die Antwort schuldig, denn eben öffnete ein Bedienter die Flügelthür, und sie traten in einen geräumigen Salon, wo die letzten Töne eines Chopin'schen Nocturne verklangen, mit welchem die Wirthin selbst die Soirée eröffnet hatte.
Eine ziemlich bunte und zahlreiche Gesellschaft umdrängte den Flügel, meist jüngere Leute mit langen Haaren und blassen Zukunftsgesichtern, dazwischen einige Diplomaten, Offiziere, Journalisten und Leute ohne anderes Métier, als das eine, alle Welt zu kennen und überall eingeführt zu sein. Der Professor der Aesthetik ging mit einer Art von Hausherren-Freundlichkeit auf die neu Eintretenden zu und schüttelte ihnen die Hand. Er trug einen altmodischen blauen Frack mit goldenen Knöpfen, eine gelbe Piquéweste und weiße Sommerbeinkleider, dazu eine steife schwarze Cravatte, die ihn nöthigte, das Kinn beständig hoch zu halten. Stephanopulos tauchte aus dem Gewühl des enthusiastischen Hofstaates auf, um die Freunde, gleichfalls wie wenn er intim zum Hause gehörte, zu bewillkommnen. Nun aber theilte sich der dichte Kreis, und die Gräfin selbst schwebte den beiden neuen Gästen entgegen.
Sie hatte eine Toilette gemacht, die ihr vortrefflich stand, ein leichtes dunkles Tüllkleid, das ihre immer noch jugendlichen Schultern frei ließ, einen venetianischen Spitzenschleier scheinbar nachlässig über das Haupt geworfen und an der einen Seite mit einer frischen dunkelrothen Rose aufgesteckt. Auch schien das matte Blaß ihrer Wangen in dem warmen Kerzenlicht blühender, und die scharfen klugen Augen und weißen Zähne blitzten um die Wette.
Schön! daß Sie Wort halten! rief sie den jungen Männern zu, Jedem eine ihrer weichen kleinen Hände entgegenstreckend. Ich hoffe, auch Ihr genialer Freund und Meister wird endlich noch den Weg hieher finden, und es soll Ihr Schade nicht sein. Ich habe Sie zwar darauf vorbereitet, daß Sie mit Dem vorlieb nehmen müßten, was sich durch das Ohr genießen läßt. Indessen, ganz leer sollen Ihre Augen nicht ausgehen. Kommen Sie! Ich will Ihnen etwas Schönes zeigen.
Sie nahm Felix' Arm und lenkte ihn, lebhaft fortplaudernd, nach dem anderen Ende des Salons. In der Ecke auf einem halbrunden Sopha saßen einige Mütter und Ehrendamen, auf den Fauteuils daneben etwa ein halb Dutzend jüngerer weiblicher Wesen, sämmtlich der Bühne oder der Musikschule angehörig, in eifrigem Gespräch mit jungen Musikern über die neueste Oper und das letzte Concert. Ein wenig abseits von diesen sah man eine Gruppe älterer Herren, um eine schlanke junge Gestalt geschaart, die neben einem Blumentischchen saß und ziemlich abwesenden Geistes den Auseinandersetzungen eines weißhaarigen kleinen Mannes über die Matthäus-Passion zu lauschen schien. Sie hatte den Rücken nach jener Seite gewendet, von der die Gräfin mit Felix sich näherte. Als sie jetzt die Stimme der Hausfrau vernahm, drehte sie sich mit ruhiger Haltung um.
Erlauben Sie mir, ma toute belle, Ihnen Baron Felix von Weiblingen und Herrn Rosenbusch vorzustellen, sagte die Gräfin. Die Herren, liebe Irene, sind Künstler, Herr Rosenbusch Maler und Musiker. Sie haben doch Ihre Flöte mitgebracht?
Der Maler erschöpfte sich in Versicherungen seiner Unfähigkeit, vor anderen als seinen eigenen Ohren seine Naturlaute, wie er sie nannte, zum Besten zu geben; die Gräfin aber hatte sich schon wieder zu Felix gewandt.
Habe ich zu viel gesagt? flüsterte sie, laut genug, daß das Fräulein es hören konnte. Ist sie nicht reizend? Aber Ihr Verstummen sagt genug. Glückliche Jugend! Es giebt für Frauenohren keine süßere Musik, als dies Verstummen, wenn man selbst die Ursache davon ist. Ich überlaste Sie diesem Zauber; bonne chance!
Sie berührte seinen Arm leise mit ihrem schwarzen Fächer, nickte dem schönen Mädchen schalkhaft zu und verschwand wieder unter dem Schwarm am Flügel.
Der alte Herr, ein Musikliebhaber der strengen Observanz, den die Gräfin für die neue Richtung zu bekehren hoffte, hatte sich bei der Annäherung der jungen Männer zurückgezogen. Rosenbusch benutzte den Augenblick, um so zierlich als möglich seine Verbeugung zu machen und mit der Frage, wie es dem gnädigen Fräulein in München gefalle, die Unterhaltung zu eröffnen. Als er sich dann umsah, um auch Felix das Wort zu lasten, war dieser zu seinem höchsten Erstaunen in eine Fensternische zurückgetreten, aus der er nach wenigen Augenblicken völlig verschwand. Was Teufel ist in unsern Junker gefahren! dachte Rosenbusch. Es schien ihm gegen alle Lebensart, einer so reizenden jungen Dame ohne Weiteres den Rücken zu kehren. Indessen nahm er sich vor, die günstige Gelegenheit zu benutzen und sich selbst in desto besserem Lichte zu zeigen, da ihm das Fräulein ausnehmend gefiel.
Sie war sehr einfach gekleidet, was sie freilich unter den Anderen in ihren seidenen Fähnchen und dürftigem Schmuck nur noch vortheilhafter auszeichnete. Der Ausflug, der mehrere Tage dauern sollte, hatte abgekürzt werden müssen, da die alte Gräfin eine heftige Migräne anwandelte, und kaum nach Hause zurückgekehrt, war Irene von ihrer Hausgenossin in Beschlag genommen worden für diese, wie sie sagte, völlig improvisirte Soiree, für die man keine besondere Toilette zu machen brauche. Der Oheim hatte sich in einen Herrenclub geflüchtet. Es war unmöglich, sich der Einladung zu entziehen.
Auch war es ihr im Grunde gleichgültig, unter welchen Menschen sie sich bewegte. Was gingen sie alle fremden Gesichter an, seit ihr der Nächste ein Fremder geworden war? Und daß sie Dem hier wieder begegnen sollte, nicht die leiseste Ahnung hatte sie darauf vorbereitet.
Nun stand er ihr plötzlich gegenüber, und der einzige Blick, der zwischen ihnen getauscht wurde, ließ sie erkennen, daß er nicht minder ahnungslos vor sie hin getreten war.
Ein Violin-Concert, das Rosenbusch zu seinem Aerger in einer eben begonnenen begeisterten Schilderung der Sommerfrische im bayrischen Gebirge unterbrach, gab ihr Zeit, ihre Gedanken zu sammeln, wenigstens ihre Fassung so weit wiederzugewinnen, daß sich die gewaltsame Erregung ihres Innern nicht nach außen verrieth. Aber was nun werden, was sie beginnen sollte, war ihr, als die letzten Geigenklänge verrauschten, noch nicht klarer geworden, als in der ersten Minute.
Mein Freund, der Baron, ist plötzlich verschwunden, fing Rosenbusch jetzt wieder an. Sie müssen eine curiose Vorstellung von ihm bekommen haben, mein gnädigstes Fräulein, denn er hat wahrhaftig vor Ihnen gestanden, wie ein gemalter Türke, wie man hier in München sagt. Ich will mir den Kopf abbeißen, wenn ich verstehe, warum er auf einmal ein solcher Stock geworden ist. Er ist sonst ein teufelsmäßig flotter Kamerad und gegen Damen durchaus nicht blöde.
Er ist – Ihr Freund? fragte sie tonlos.
Wir kennen uns erst seit ein paar Wochen, und Sie wissen, eh man nicht einen Scheffel Salz mit einem Menschen gegessen hat – Einstweilen glaube ich ihn mehr zu schätzen, als er meine Wenigkeit.
Ihr Freund – ist auch Künstler?
Allerdings, gnädigstes Fräulein. Er fröhnt der Bildhauerkunst bei seinem alten Duzbruder, dem berühmten Jansen. Wie er plötzlich dazu gekommen ist, weiß Niemand. Finden Sie nicht auch, daß er mehr wie ein Cavalier aussieht? Jedenfalls hat er so was Romantisches, Interessantes, Lord-Byronmäßiges, daß es mich nicht wundern würde, wenn er ungeheures Glück bei den Weibern hätte – ich bitte um Verzeihung, wenn ich mich vielleicht unpassend ausdrücke –
Er wurde roth und zupfte an seinen Manchetten. Sie schien an seinem nachdrücklichen Stil keinen Anstoß zu nehmen, sondern fragte nur wieder im gleichgültigsten Ton:
Sie glauben, daß er kein Talent hat?
Wie viel Talent er hat, ist bis jetzt nur Gott bekannt, erwiederte der Freund treuherzig. Aber das steht fest, daß überhaupt ein riesiger Muth und eine teufelsmäßige Ausdauer dazu gehört, wenn einer heutzutage es gerade mit der Bildhauerei riskiren will. Sie glauben nicht, gnädiges Fräulein, wie schwer gerade hier die Mittel zu erlangen sind, durch die man zu den Quellen steigt, – bei unsrer bis an den Hals zugeknöpften Civilisation und unsern schneidermäßigen Vorurtheilen. Die Zeiten, wo drei Göttinnen es nicht unschicklich fanden, sich von einem Ziegen hütenden Königssohn ein Attest über ihre Schönheit zu holen – ich bitte tausendmal um Entschuldigung – ich werde aber immer warm, wenn ich an unsere schnöden Kunstzustände denke, und schwatze dann heraus, was mir gerade auf die Zunge kommt. So viel ist gewiß: wenn mein Freund sich bloß durch die Liebe zur Schönheit hat verleiten lassen, Künstler zu werden, statt auf seinen Gütern zu leben, so findet er auch in München schwerlich seine Rechnung. Es giebt zwar ganz reizende Mädel hier; – so auf der Straße, wenn man sie in ihrem koketten Auszug mit Chignon und Hütchen vorbeischwänzeln sieht, möchte man zuweilen des Teufels werden vor Vergnügen. Aber wenn man's hernach bei Lichte besieht –
Das Fräulein schien plötzlich drüben, wo die Musikschülerinnen saßen, etwas Dringendes zu thun zu haben. Sie erhob sich rasch, neigte sich kühl gegen den verdutzten Künstler und ging auf eine der jungen Damen zu, mit der Frage, ob sie es auch so heiß fände.
Rosenbusch sah ihr mit offenem Munde nach. Es dämmerte in seinem arglosen Kopf eine Ahnung, daß seine Unterhaltung der jungen Dame doch vielleicht zu frei und ungebunden vorgekommen sein möchte. Er begriff das nicht und schob es auf die norddeutsche Erziehung. Aehnliches hatte er auf Bällen mit seinen Landsmänninnen ganz gemüthlich verhandelt, ohne sonderlichen Anstoß zu erregen. Nun schlich er nachdenklich von dem Blumentisch weg, während eben ein angehender Virtuos ein Bach'sches Präludium auf dem Flügel vorzutragen begann. Sacht an den Wänden hingleitend, gelangte er unangefochten in das Nebenzimmer, das dämmrig beleuchtet und etwas kühler war. Eine Kammerjungfer der Gräfin hatte hier den Thee gemacht. Der nationale Samovar summte noch auf dem Tischchen und begleitete heimlich das Spiel. An dem Thürpfosten aber, den Blick durch alles Gewühl fest hindurchbohrend auf einen einzigen Punkt, stand Felix.
Er fuhr zusammen, als die Hand des Schlachtenmalers ihm jetzt sacht die Schulter berührte, und runzelte abwehrend die Stirn. Rosenbusch dachte, er wolle im Zuhören nicht gestört sein, und verhielt sich mäuschenstill, so lange das Präludium dauerte. Er selbst liebte Bach nicht. Er sei ihm zu massiv, pflegte er zu sagen, zu cyklopisch. Er zog das Schmachtende oder Lustige vor. Also benutzte er die Zeit, sich in dem Zimmer umzusehen, und erstaunte sehr, als er auf einer Staffelei neben dem Fenster, noch immer hinlänglich beleuchtet, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, jenen Carton der Braut von Korinth entdeckte, mit welchem Stephanopulos im Paradiese so wenig Ehre eingelegt hatte. Die verbrannte Ecke war noch nicht wieder ausgebessert, und so machte das wunderliche Werk mitten in dieser eleganten Umgebung einen noch wüsteren Eindruck.
Wie kam es hieher? Wer konnte es der Gräfin gebracht haben? Sollte der junge Sünder selbst die Hand dazu geboten haben? Sein Name stand in der anderen Ecke, die das Feuer verschont hatte. Möglich, daß jene ehrliche Finderin, die Rosenbusch Nachts im Paradiesgarten in flagranti ertappt, dem Künstler es zurückgebracht, daß die Gräfin es in seinem Atelier gesehen und es pikant gefunden hatte, eine Zeichnung bei sich auszustellen, die von den männlichen Kritikern wegen ihrer Schleierlosigkeit verdammt worden war. O diese Gräfinnen –! diese Russinnen –!
Stand nicht auch die Thür zu einem dritten Zimmer offen, welches doch kein geringeres Heiligthum war, als das Schlafzimmer der Dame des Hauses? Eine Hängelampe brannte darin, deren Licht sich durch ein röthliches Glas ergoß und alle Geräthschaften, vor Allem das mit gesticktem Musselin verhangene Bett, traumhaft beleuchtete. Neben dem Bett in einem Lehnsessel ruhte eine weibliche Gestalt, unbeweglich, so daß man sie von draußen kaum gewahr wurde. Rosenbusch aber, der heute überhaupt seinen kecken Tag hatte, war schon einige Schritte weit in das Allerheiligste eingedrungen, als er plötzlich zwei durchdringende Augen auf sich gerichtet sah. Es war ihm nicht anders, als wenn er im Dunkeln dem glimmenden Blick einer Katze begegnet wäre. Verwirrt eine Entschuldigung stammelnd, verneigte er sich gegen die stumme und regungslose Unbekannte und trat eilig den Rückzug in das Vorzimmer an.
Das Spiel war inzwischen zu Ende gekommen, im Salon summte und schwirrte es wieder in allen Zungen und Tonarten durcheinander, aber immer noch stand Felix, wie wenn rings um ihn her Keiner seine Sprache zu sprechen wüßte, einsam und unzugänglich an den Thürpfosten gelehnt.
Sie sind nicht sehr galant aufgelegt, hörte er jetzt die muntere Stimme des Schlachtenmalers. Oder war es bloß, um mich nicht auszustechen, daß Sie sich mit dem famosen Fräulein nicht weiter eingelassen haben? Wenn Sie sie näher angesehen hätten, wären Sie kaum dieser für meine Wenigkeit einigermaßen beleidigenden Großmuth fähig gewesen. Ein ganz herrliches Kind, sag' ich Ihnen, höchst apart, geistreich, liebenswürdig, und ohne mir zu schmeicheln, glaub' ich ihr von der Münchener Künstlerschaft keine schlechte Meinung beigebracht zu haben. Wenn ich nicht bereits so fest engagirt wäre – Aber haben Sie denn schon gesehen, was da auf der Staffelei steht? Dieser Stephanopulos! Und wie er da drüben, halb auf den Flügel hingeräkelt, immer nur der Gräfin mit den Augen folgt und ein Gesicht dazu macht, wie ein Ecce Homo vom Berge Athos! Verteufelter Geselle!
Hat sie nach mir gefragt? brach Felix plötzlich aus seiner Versunkenheit heraus.
Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn, auf der ein kalter Schweiß stand, und athmete tief auf. Eben war Irene's schlanke Gestalt, nach einem lebhaften Versuch der Gräfin, sie zurückzuhalten, aus dem Salon entschlüpft.
Nach Ihnen gefragt? wiederholte der Maler. Versteht sich. So ein stummer Cavalier, der dann in die Versenkung verschwindet, muß ein Mädel wohl neugierig machen.
Und was – was haben Sie von mir gesagt?
Ich habe Sie so gut wie möglich entschuldigt; Sie wären sonst mit Frauenzimmern viel galanter.
Ich danke Ihnen. Sie sind sehr gütig, Rosenbusch, in der That! Und sie – was hat sie darauf –
Nun, was man so sagt. Beleidigt schien sie durchaus nicht zu sein. Sie mochte wohl denken, daß ihre Schönheit Sie ein bischen verblüfft hätte; das nimmt Keine übel. Lehren Sie mich die Weiber kennen! Und dann habe ich ihr von der bildenden Kunst – aber da kommt wahrhaftig Jansen. Dem will ich doch guten Abend sagen.