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Elftes Kapitel.

Sie fragte nicht, wohin er sie führte, sie sprach überhaupt wenig mehr und gab kaum ein Zeichen, ob sie auf seine Worte hörte, oder ihren eigenen Gedanken nachhing. Er hatte ihr Anfangs in einer seltsam aufgeregten Munterkeit allerlei erzählt, wovon er glaubte, daß es ihr merkwürdig sein müsse: von den Frauen in den Ländern jenseit des Meeres, ihren Trachten, Liedern und Tänzen, ihren Ansichten von der Liebe und den Männern. Als sie nichts darauf erwiederte, wurde auch er zuletzt stumm. Einen Augenblick fühlte er einen stechenden Schmerz, wie er im Laternenschatten seine Gestalt und die des Mädchens am Boden hinhuschen sah. Wie kam er dazu, den Ritter dieses armen Geschöpfs zu machen, das sich so fest an seinen Arm anklammerte, daß er wohl merkte, es werde nicht leicht sein, sie wieder abzuschütteln? Vor sechs Wochen – in einer andern Stadt – es war auch eine Sommernacht – in wie anderer Stimmung war er da von einem Spaziergang nach Hause gekommen – in wie anderer Gesellschaft! Das war nun freilich für immer vorbei. Sollte er nun ein ganzes langes Leben im Büßerkleide wie in einer Wüste herumgehen und aller Lebensfreude den Rücken kehren? Wem kam das zu Gute, was er verschmäht hätte? – Und doch – warum ließ sich der eigensinnige Schmerz nicht zurückdrängen, die Erinnerung an vergangene Tage, die ihm das leichtherzige Leben in dieser »vergnügten Stadt« zu verleiden suchte?

Er wollte sich nicht von einem Spuk das Leben verderben laffen, wollte den Kopf hoch tragen und alle sentimentalen Anfechtungen hinwegspotten. Trotzig auflachend, um die leise ferne Stimme in seinem Ohr zu betäuben, machte er sich von dem Arm des Mädchens los, nur um den seinigen noch zärtlicher und fester um ihre Schulter zu legen.

Zenz, sagte er, du bist ein herziger Schatz. Es wäre eine Sünde, wenn du heute Nacht nicht wüßtest, wo du dein Haupt hinlegtest. Siehst du das Haus da drüben, vor dem die Laterne brennt? Das ist meine Wohnung, und Niemand hat einen Nachschlüssel zu allen Thüren. Wie wär's, wenn wir da eine Zeitlang Versteckens spielten mit der ganzen langweiligen Welt.

Er hob sie lustig vom Boden auf, als ob er sie über die Straße in sein Haus tragen wollte; sie aber machte sich plötzlich los und zeigte ängstlich auf zwei Reiter, die schon so nahe waren, daß man nur noch laufend an ihnen vorbeikommen konnte. Närrchen, lachte er, du fürchtest dich doch sonst nicht vor Leuten zu Pferde! Und diese friedlichen Sonntagsreiter

Das Wort stockte ihm auf den Lippen. Wie der Schein der Laterne jetzt auf die Gesichter der beiden Reiter fiel, erkannte er in dem Einen das hagere Profil und den schwarzen Knebelbart des Oberlieutenants von Schnetz, in dem Anderen, einem kleinen schnurrbärtigen Herrn mit einem Sommerhut und leichtem Reitfrack –

Nein! Es mußte ein Irrthum sein. Wie käme Der hierher? Eine Aehnlichkeit hatte ihn getäuscht. Es war nur, weil er vorhin so lebhaft an vergangene Zeiten gedacht hatte, daß dieser Schatten vor seinem Auge auftauchte. Was konnte den Oheim seiner Braut nach München führen, in die Gesellschaft des Oberlieutenants, ihn, der seine Nichte nie zu verlassen pflegte? Und doch – jetzt hörte er ihn ein paar Worte zu Schnetz sagen, und darauf ein munteres Lachen –

Die Beiden ritten arglos an dem Pärchen vorüber. Ihre Stimmen waren längst verhallt, als Felix noch immer, ohne sich zu regen, ihnen in die Dunkelheit nachblickte.

Er war es – der Onkel Irene's. Aber wie kam er hierher? Er hatte freilich entfernte Verwandte in München, mit denen er aber seit Jahren aus allem Verkehr gekommen war. Oder wußte er, daß Felix in derselben Stadt sich aufhielt? War er etwa deßhalb gekommen und – hatte sein Mündel mitgebracht? Oder wenn Alles ein Zufall war, auch die Bekanntschaft mit Schnetz, mußte es durch diesen nicht an den Tag kommen, daß der Flüchtling sich hier in einen Bildhauerkittel vermummt hatte?

Was haben Sie denn? fragte das Mädchen, das endlich ungeduldig wurde. Kennen Sie diese Herren?

Ja so! sagte er. Er besann sich wieder, wo er war und neben Wem er hier auf der Straße stand. Mit einem schweren Seufzer fand er sich darein, die Rolle des Beschützers bei dem armen Kinde weiterzuspielen. Er stotterte eine nichtssagende Bemerkung über Pferdezucht und Reitkunst und bot der Zenz wieder den Arm, den er ihr in der Bestürzung entzogen hatte. So führte er sie über die Straße und in sein Haus.

Als sie oben in sein Zimmer traten, wo die Fenster nach den Gärten hinaus offen standen, beeilte er sich, Licht anzuzünden. Er gewann es dann über sich, da er sich jetzt als den Hausherrn fühlte, dem etwas kleinlaut gewordenen Mädchen die Einrichtung seiner Wohnung zu zeigen, sein Schlafzimmer nebenan, allerlei Merkwürdigkeiten, die er von seinen Reisen mitgebracht hatte. Auf dem Tische lag ein kleiner damascirter Dolch, nach dem sie neugierig griff. Er erzählte ihr, daß er ihn von einer jungen Spanierin zum Geschenk erhalten – drüben in Mexico. Dabei fiel ihm eine Flasche Xeres ein, die er im Schrank stehen hatte, die holte er hervor und entkorkte sie. Dies ist Alles, womit ich dich hier bewirthen kann, sagte er, noch immer abwesenden Geistes, indem er ihr das Gläschen vollgeschenkt hinstellte. Sie schüttelte den Kopf und war nicht zu bewegen, den Wein auch nur zu kosten. Ueberhaupt betrug sie sich scheu und gedrückt, wie eine junge Schwalbe, die sich in ein bewohntes Zimmer verflogen hat und nun in einem Winkel klebt, daß man das bange Herzchen unter der gefiederten Brust klopfen sieht.

Willst du nicht versuchen, ob dir das Sopha zum Lager für die Nacht weich genug ist?

Sie antwortete nicht, blieb aber auf dem Stuhl am Fenster sitzen, den Hut noch auf dem Kopf, das Tuch fest umschlungen.

Eine schöne Nacht! sagte sie endlich leise. Man sieht von hier so weit über die Stadt. Sie sind glücklich, daß Sie so schön wohnen können.

Du kannst ja das Glück nun einmal probiren. Thue nur, als ob du hier zu Hause wär'st. Bist du müde?

O nein! Aber geniren Sie sich nicht meinetwegen. Wenn Sie schlafen wollen, ich bleibe hier sitzen und rühre mich nicht.

Er war neben sie an das offene Fenster getreten.

Zenz, sagte er, du mußt mir's nicht übel nehmen, wenn ich dich jetzt schon allein lasse. Aber siehst du, – die Hitze über Tag – die dumme Blechmusik – und sonst noch allerlei – kurz, ich habe wahnsinniges Kopfweh, und es wird das Klügste sein, ich lege mich schlafen. Gute Nacht, Kind! Wenn du dich noch unterhalten willst, da sind allerlei Sachen, Photographieen und Bilderbücher. Warte, ich will dir noch eine Kerze anzünden. Nun mache dir's bequem. Die Thüren kannst du von innen zuriegeln, und meine Hausfrau pflegt früh aus den Markt zu gehen, du bist ganz sicher vor ihr. Nun also – gute Nacht!

Er streichelte ihr sacht die Wange. Ganz stumm und ergeben hob sie das Gesicht zu ihm auf und sah ihn halb fragend, halb furchtsam an. Ihr Mund mit den blanken Zähnen war geöffnet, ohne zu lachen, ihre Hände lagen geduldig gefaltet in ihrem Schooß. Er aber, wie er sich zu ihr hinabbog, berührte nur leicht das Haar an ihrer Stirn mit seinen Lippen. Gute Nacht! sagte er noch einmal. Dann ging er in das Schlafzimmer nebenan und zog die Thür hinter sich zu.


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