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Drittes Buch.

Erstes Kapitel.

Es giebt Sommernächte, die nicht zum Schlafen taugen. Der Mond scheint viel heller als sonst, als ob einmal statt des Nachtlichts im Schlafzimmer die Lampe fortbrennte. Leute, die in Gedanken hingehen und unter ihren Sohlen die Steine noch warm fühlen, da sie den langen Sommertag hindurch die Sonnenglut eingeschluckt haben, ertappen sich darauf, daß sie aus dem Mondlicht in die Schattenseite hinüber streben, wie man es am heißen Mittag zu thun pflegt. Dann rührt sich's überall in der Stadt noch lange nach der Polizeistunde von aufgeregter Lebenslust; Diejenigen, die zu Zweien herumwandeln, können den Weg nach Hause nicht finden; junge Bursche marschiren, reihenweise sich unterfassend und die ganze Breite der Straße füllend, im Tactschritt wie zum Kampf gegen irgend einen unsichtbaren Feind, singen dabei so zart und schmelzend sie nur können, oder schreien und lärmen wie das wilde Heer. Hie und da, wo ein Fenster offen steht und etwa eine Beethoven'sche Sonate herausklingt, verstummen sie plötzlich und horchen, um, wenn das Spiel aufhört, in ein rasendes Beifallklatschen auszubrechen. Dann liegt einsame Jugend weit über Mitternacht hinaus und träumt mit offenen Augen, wie schön die Zukunft sein werde; und einsames Alter denkt so verloren zurück, wie schön die Vergangenheit war, und Beide schlummern endlich darüber ein, bis irgendwo ein junger Hahn, den es auch nicht schlafen läßt, gen Himmel späht und den untergehenden Mond als die aufglimmende Sonne ankräht, daß die eben Eingeschlafenen wieder auffahren, die Decke von den heißen Gliedern streifen und ans Fenster schleichen, um zu sehen, ob wirklich die Nacht schon herum sei. Um den Schlaf der Alten ist es dann geschehen. Die Jungen legen sich noch einmal nieder und holen das Versäumte nach.

So war die Nacht, die auf jenen Sonntag folgte. Von den Menschen, um deren Schicksale und Abenteuer wir uns bekümmert haben, ging keiner vor Mitternacht zu Bette, und freilich trieb noch ein anderer Spuk als der Zauber der schwülen Nacht sein Wesen in ihren Herzen und Sinnen. Selbst die gute Angelica, die unseres Wissens nicht verliebt war und sich übrigens, als ein braves Mädchen, das sie war, des sanftesten Ruhekissens erfreuen konnte, saß bei einem Sparlämpchen in ihrer kleinen jungfräulichen Zelle die halbe Nacht am offenen Fenster, wickelte sich unter schweren Seufzern die Locken und nickte darüber ein, bis sie mit dem Kopf an den Fensterrahmen stieß und nun ihre sorgenvollen Sommernachtsgedanken weiterspann. Sie war am Nachmittag an Juliens Thür gewesen, um sich zu erkundigen, wie der schlimme Handel ausgegangen sei. Da war Niemand zu Hause. Nun erwartete sie mit Ungeduld den anderen Tag.

Viel später noch, als sie, hatte Julie sich entschlossen, zu Bett zu gehen. Die Fenster in ihrem Schlafgemach standen offen, um durch die Ritzen der verschlossenen Jalousieen die Nachtlust hereinzulassen. Zugleich mit der aber drangen die magischen Mondstrahlen herein und bildeten ein silbernes Netz über ihrer grünseidenen Decke; darin verfingen sich ihre Gedanken, so daß sie die Augen nicht schließen konnte. Es war ihr zu Muth, als sei ihr nie so wohl und weh zugleich gewesen. Im Grunde zweifelte sie keinen Augenblick, daß sich Alles so verhalte, wie es in dem verhängnißvollen Briefe stand, daß sie Den, den sie liebte, nie besitzen würde. Sein eigenes räthselhaftes Betragen, sein plötzliches Aufschrecken und Fortstürmen bestätigte nur zu sehr die namenlose Anklage. Aber daß sie trotz alledem ihn liebte und von ihm wiedergeliebt wurde, stand noch viel fester und machte sie so im tiefsten Herzen froh, daß alles feindliche Schicksal das heimliche Jauchzen in ihrer Brust nicht dämpfen konnte. »Den Glauben an ihr eigenes Herz« sollte er ihr wiedergeben? Ein thörichtes Wort! Woran hatte sie jemals so fest geglaubt, wie an die Stärke und Wahrhaftigkeit und Unbezwinglichkeit dieses Gefühls! Daran, daß dieses Herz sich nicht verirrt hatte, als es sich diesem Mann ergab! Daran, daß es um diesen Mann der Mühe werth war eine ganze lange Jugend hindurch ohne Lieb' und Glück hingelebt zu haben, um nun alle aufgesparten Schätze der Leidenschaft ihm hinzugeben!

Sie mußte lächeln, als ihr einfiel, wie oft sie geglaubt hatte, längst mit dem Leben fertig zu sein, auf alles versäumte Jugendglück ohne Kummer verzichten zu können. Wohin waren diese zehn traurigen Jahre? Hatte sie sie erlebt oder nur geträumt? War sie nicht so jung und unerfahren, so glückdurstig und doch bange vor dem Glück, wie jemals in ihrer ersten, aufblühenden Mädchenzeit? Ja, auch den Muth der jüngsten Jugend, die noch an Wunder glaubt, fühlte sie in sich aufquellen wie aus einem unversieglichen Brunnen. Was werden sollte, was werden konnte, – das zu ergrübeln, mühte sie sich durchaus nicht ab. Aber daß diese Liebe, so hoffnungslos sie erschien, ihr dennoch ein unsägliches Glück sein würde, daß sie nie daran irre werden, diesen Mann immer im heimlichsten Herzen als den Ihren behalten würde, das sagte sie sich mit klaren Worten, die manchmal sogar, wie sie so im Mondenzwielicht mit offenen Augen da lag, in halblautem Selbstgespräch von ihren Lippen kamen.

Dann staunte sie, wie plötzlich das gekommen, und fand auch das wieder ganz in der Ordnung. Sie versuchte, sich vorzustellen, was er wohl für eine Frau haben möchte. Aber sie brachte es nicht zu Stande; es kam ihr doch unmöglich vor, daß er jemals eine Andere als sie geliebt haben sollte. Dann schloß sie die Augen und versuchte, sich sein Gesicht zurückzurufen. Seltsam, es wollte ihr nicht recht damit glücken. Nur seiner Augen konnte sie sich leibhaftig entsinnen, und seine Stimme klang ihr beständig wie aus nächster Nähe ins Ohr. Sie trat jetzt ans Fenster und öffnete ein wenig die Jalousie, um zu sehen, ob die Nacht noch nicht bald vergangen sei. Was sie eigentlich von dem Morgen erwartete, da er schwerlich viel Neues und Gutes bringen konnte, wußte sie nicht. Aber ihn würde er bringen, darauf rechnete sie bestimmt. Sie sog mit brennenden Lippen die gelinde Nachtluft ein und horchte auf ein Lied, das ein einsamer junger Mensch draußen im Vorbeigehn trällerte. Deutlich verstand sie jedes Wort.

Auf den Gassen verlassen
Im Mondschein zu schlendern,
Ich kann's ja nicht ändern,
So schlecht mir's gefällt.
In der Ferne die Sterne –
Was soll'n sie mir taugen?
Ach, ohne zwei Augen
Wie dunkel die Welt!

Die Gedanken die schwanken
Hinauf und hinunter.
Einst war ich so munter,
Nun ist mir's vergällt.
Wie sie's machen, zu lachen,
Wenn's Herze betrübt ist!
Ach, wer nicht verliebt ist,
Dem lacht wohl die Welt!

Die letzten Worte wiederholte sie leise und seufzte dabei, als sie den Laden wieder schloß. Dann legte sie sich nieder und schlief endlich ein.

Draußen war es längst wieder Tag geworden, als die grüne Dämmerung um sie her sie noch fortträumen ließ. So schlug es sieben – acht – neun Uhr von der Theatinerkirche. Da erst wachte sie völlig auf und fühlte sich neugestärkt, wie wenn sie aus einem Meerbad käme. Langsam besann sie sich auf Alles, was gestern geschehen war und heute noch kommen sollte, und nun überfiel sie doch eine geheime Angst und Unruhe. Sie beeilte sich, sich anzukleiden, um draußen nachzufragen, ob etwa ein Brief gekommen sei. Wie sie jetzt, das Morgenhäubchen auf dem lose aufgesteckten Haar, die reizende Gestalt in einen seidenen Schlafrock gehüllt, die Thür zu ihrem Wohnzimmer öffnete, stieß ihr Fuß an einen schwerfälligen Gegenstand, der die ganze Breite der Schwelle einnahm. Auch in diesem Zimmer waren die Jalousieen geschlossen, um die Sonne abzuwehren, so daß sie mit ihren kurzsichtigen Augen nicht gleich erkennen konnte, was ihr im Wege lag. Aber jetzt bewegte sich's von selbst und richtete sich vor ihr auf, und sie fühlte eine kühle Zunge an ihrer Hand und sah nun, daß dieser Eindringling kein Geringerer war, als der ehrwürdige Neufundländer Jansen's. Der Schrecken darüber verging in dem größeren, mit dem sie sich augenblicklich sagte: wo der Hund ist, kann sein Herr nicht weit sein. Und wirklich stand da hinten an den Ofen gelehnt eine dunkle Gestalt mit lichtem Haar, so unbeweglich an die Stelle gebannt, wie sie selbst in der Thür stehen geblieben war, ohne ein Glied rühren oder die Lippen bewegen zu können.

Da öffnete sich die andere Thür, und der alte Bediente trat herein, mit einer halb unwilligen, halb furchtsamen Geberde und einem Blick nach dem Mann am Ofen, der andeuten sollte, daß es umsonst gewesen sei, diesen unbequem frühen Gast abzuweisen, er habe sich hier mit Gewalt eingedrängt.

Es ist schon gut, Erich, sagte seine Herrin, die jetzt wieder ihre Fassung gewann. Ich werde klingeln, wenn ich das Frühstück will. Uebrigens bin ich sonst für Niemand zu Hause.

Der Alte zog sich achselzuckend und brummend zurück. Als er die Thür hinter sich geschlossen hatte, trat Julie rasch auf den Schweigenden am andern Ende des Zimmers zu und streckte ihm herzlich die Hand entgegen.

Ich danke Ihnen, daß Sie gekommen sind, sagte sie – und es war kaum der Stimme anzumerken, wie ihr das Herz dabei klopfte. Setzen Sie sich doch. Wir haben so viel mit einander zu reden.

Er verneigte sich kaum merklich, blieb aber auf seinem Platz und schien es nicht zu sehen, daß sie ihm die Hand geboten. Sein Auge war finster und starr auf den Boden geheftet.

Verzeihen Sie diesen frühen Besuch, sagte er. Ihre Zeilen haben mich gestern Abend nicht mehr getroffen. Heute früh, als ich ins Atelier kam –

Haben Sie eine Ahnung, wer den Brief geschrieben haben kann? unterbrach sie ihn, um ihm zu Hülfe zu kommen. Sie war auf einen Stuhl geglitten, der Hund lag neben ihr auf dem Teppich und knurrte bisweilen vor Wohlbehagen, da er ihre weiche Hand auf seinem Kopf fühlte.

Ich glaube es zu wissen, versetzte Jansen nach einer kurzen Pause. Ich weiß, daß Jemand in dieser Stadt all meinen Schritten nachspürt, vielleicht im Auftrage einer Andern. Was dieser Brief enthielt, ist nichts als die reine Wahrheit, und wie ich heute ins Atelier kam, trug ich selbst einen Brief in der Tasche, den ich in der Nacht geschrieben und in welchem ungefähr Dasselbe steht. Hier ist er – wenn Sie ihn zu lesen wünschen.

Sie schüttelte leise den Kopf.

Wozu, lieber Freund? Wenn er mir nichts Neues sagt –!

Doch vielleicht. Aber Sie haben Recht; das Wichtigste: daß ich diesen Brief wirklich schon in der Nacht an Sie geschrieben habe, ehe ich von dem andern wußte, das kann dies Stück Papier Ihnen nicht beweisen, das können Sie nur meiner mündlichen Versicherung glauben – und darum bin ich gekommen.

Darum? O mein Freund, wenn das einer Versicherung bedürfte – wenn nicht Ihr Forteilen gestern mir schon gesagt hätte, daß Sie sich nicht zu bleiben getrauten, weil Sie – weil Sie sich nur in einem selbstvergessenen Augenblick hieher verirrt – Und doch glauben Sie mir, es war ein gedankenloses Wort, das mir aus der Feder schlüpfte: daß Sie mir erst durch Ihre Aufklärungen den Glauben an mein Herz wiedergeben müßten. Den habe ich nie verloren. Heute wie gestern glaube ich, daß mein Herz sehr wohl wußte, was es that, als es sich für Sie entschied.

Sie sind gütig wie ein himmlischer Engel, sagte er mit ausbrechendem Schmerz. Sie wollen mir gegen mich selbst beistehen. Und doch, es bleibt ein Frevel, daß ich mich mit meinem hoffnungslosen Schicksal in Ihr ruhiges Leben eingedrängt habe. Das sagte ich mir gestern schon, sobald ich Ihre Schwelle wieder verlassen hatte. Das sollte Ihnen auch dieser Brief sagen, zugleich mit meinem Entschluß, Ihnen nie wieder vor die Augen zu kommen. Nun hat die fremde Hand, die an den Fäden meines verworrenen Daseins zerrt und mich am liebsten daran erwürgen möchte, diesen Vorsatz vereitelt. Ich bin Ihnen jetzt eine längere Beichte schuldig, als sich auf einem Briefblatt ablegen ließe. Denn nur, wenn Sie mich kennen lernen, können Sie begreifen, daß es vielleicht eine Sünde – aber immerhin menschlich war, mich hinreißen zu lassen, und daß Sie mir Ihre Achtung nicht zu entziehen brauchen – wenn auch Ihr Herz – und Ihre Hand.

Er schwieg wieder einen Augenblick; auch sie blieb still. Sie bebte am ganzen Leibe, aber sie bemühte sich, eine ruhige Miene zu zeigen, damit er nur fortfahren möchte. Sie hätte so gern in zwei Worten ihr ganzes Schicksal erfahren, ihr Sein oder Nichtsein. Was lag ihr an allem Uebrigen? Aber sie fühlte wohl, daß er ihr Mehr zu sagen hatte. So hütete sie sich, ihn zu unterbrechen.

Ich weiß nicht, fuhr er fort, wie viel Ihnen die Freundin Angelica von mir erzählt haben mag: – daß ich ein Bauernsohn bin, mich durch eine harte Kindheit habe durchschlagen müssen und noch lange den starren Bauernnacken nicht so weit biegen und schmiegen lernte, daß er unter dem Joch der städtischen Sitte sich nicht wund rieb. Wenige sind so wunderliche Wege gegangen, wie ich, immer zwischen Trotz und Demuth, Wildheit und Scheu, sowohl den Menschen gegenüber als der Kunst. Ich habe eine Mutter gehabt von echtem altem Bauernadel, der Eins ist mit echtem Menschenadel – wenigstens in unsrer Gegend. Sie brachte es zuletzt sogar dahin, aus meinem Vater, der eine Tyrannen-Ader hatte, einen starken und stillen Menschen zu machen. Hätte sie länger gelebt – wer weiß, ich wäre nie von ihr weggegangen. So aber setzt' ich es gleich nach ihrem Tode beim Vater durch und kam nach Kiel in die Zeichenschule. Ich that dort nicht gut. Es war viel wüstes Volk unter den Schülern – ich nicht der Zahmste. Immer – vielleicht, weil ich mich meiner Bauernmanieren schämte – verachtete ich, was man so die Philisterhaftigkeit der guten Bürger nennt. Daß ich als Künstler allerlei Freiheiten voraus hatte vor Beamten, Gelehrten und Zünftlern, ließ ich mir wohlgefallen und mißbraucht' es nach Kräften. Aber in der engen Umgebung und bei dem Mangel an schöner Menschheit wußte ich mit meiner innern und äußern Ungebundenheit nicht viel anzufangen. Es lief auf ein paar armselige Weibergeschichten und thörichte oder doch unersprießliche Streiche hinaus, deren ich mich nachher vor mir selbst schämte.

Nun aber siedelte ich nach Hamburg über. Da wurde das tolle Treiben in etwas größerem Stil fortgesetzt. Sie erlassen mir wohl das Nähere. Wenn ich jetzt an diese Zeit zurückdenke, muß ich mich besinnen, ob ich es wirklich war, der mit so schalen Gesellen und in so schnödem Taumel meine Tage und Nächte verdarb. Es waren eben meine Prinz Heinz-Tage. Der Most der absurden Jugend wollte ausgähren. Noch jetzt aber danke ich meinem Stern, daß er mich, wenn auch auf schmaler Schneide, an allerlei Vergehen und Verirrungen vorbeigeleitet hat, über die ich mich nicht so mit einem Dichterwort trösten könnte.

Nun, eines Abends, da ich mit dumpfem Kopf und dem fressenden Aerger über meine Thorheit ins Theater gegangen war, weil ich zu sonst nichts taugte, sehe ich eine Schauspielerin auftreten, die eben ein Gastspiel eröffnete, in einem platten Familienrührstück, wo sie das edle, hochherzige junge Weib zu spielen hatte, das ihrem liederlichen Mann wie ein Engel zur Seite steht. Es war eine Sittenpredigt recht wie auf mich persönlich gemünzt, und da der Sünder bei seinem tiefen moralischen Fall gegen mich immer noch beneidenswerth war, weil er in die Arme seines Engels fiel, konnte ich nicht umhin, mich an seine Stelle zu wünschen und mir diesen Engel genauer anzusehen.

Der war allerdings sehenswerth. Eine reizende junge Person, von einem Wuchs, einer Haltung, einer etwas indolenten Weichheit aller Bewegungen, wie sie mir noch nicht vorgekommen waren. Dazu ein Kinderkopf mit Taubenaugen und einem so unschuldig wehmüthigen Mündchen, daß man dem verführerischen armen Kinde das Blaue vom Himmel hätte herunterholen mögen, nur um das Mündchen lächeln zu sehen. Wie das zum Schluß denn wirklich zu Stande kam, da der junge Ehemann sich bekehrte, war es ganz um mich geschehen. Und da ich merkte, daß sie das halbe Publikum, das ganze männliche, toll gemacht hatte, schien mir meine rasche Vernarrtheit nur ganz in der Ordnung; zumal ich überhaupt nicht langsam in meinen Gefühlen der Liebe wie des Hasses zu sein pflege. Haben Sie es doch auch erlebt.

Er hielt inne und sah sie flüchtig an. Sie aber regte sich nicht, so athemlos gespannt hörte sie ihm zu, die Augen auf den Kopf des Hundes geheftet, der ruhig neben ihr eingeschlafen war.

Ich will Sie mit dem Verlauf meiner Liebesgeschichte verschonen, fing er wieder an. Genug, es vergingen nicht acht Tage, so hatte ich es erreicht, erstürmt, erschmeichelt: Lucie war meine Braut.

Die wunderliche Art, wie sie selbst sich dabei betrug, hätte mich warnen sollen. Meiner ersten leidenschaftlichen Bewerbung hatte sie eine Sprödigkeit und mädchenhafte Zurückhaltung entgegengesetzt, wie ich sie um so weniger bei der Schauspielerin erwartete, als sie mich zugleich merken ließ, daß meine Person ihr durchaus nicht gleichgültig und die Huldigung eines Künstlers, dessen Ruf eben im Aufgang war, ausnehmend schmeichelhaft sei. Sobald ich nun aber, von dieser herben Jungfräulichkeit eingeschüchtert, mit einem ernstlichen Antrag herauskam, der auf nichts Geringeres als Heirath und ihr Zurücktreten von der Bühne abzielte, verwandelte sich ihr Ton; sie fing an, die Sache leichter zu nehmen, Gemeinplätze gegen eine Künstlerehe und für das Glück der Freiheit aufzutischen, mich mit Launen zu quälen und wieder mit allerlei Naschwerk von Liebkosungen hinzuhalten, so daß der stürmische Eigensinn in mir immer mehr geschürt wurde und ich es ihr endlich halb wider ihren Willen abrang, daß wir den Hochzeitstag festsetzten.

Natürlich zu großem Erstaunen meiner bisherigen Gesellen, die ihren Ohren nicht trauen wollten. Denen, die mir etwas näher standen, setzte ich die Sache als ein höchst zweckmäßiges Unternehmen, als eine wahre Vernunftheirath auseinander. Ich würde nie wieder ein Wesen finden, das in ähnlicher Weise gleich weit vom Philisterthum wie von der Zügellosigkeit entfernt sei. Endlich einmal müsse man doch ausgetobt haben, früher oder später, und diese Zeit, wo ich eben durch einige Bestellungen etwas in Flor gekommen, sei die passendste, es mit dem Solidewerden zu versuchen. – So sagte ich den Intimsten. Den Andern sagte ich nichts. Einer, unser Falstaff, der um meinen Verlust am meisten bekümmert war, nahm mich eines Tages bei Seite und fragte: ob diese dumme Geschichte denn wirklich ernst gemeint sei? Als ich ziemlich beleidigt erwiederte: sie sei ernst genug, um mir eine schnöde Kritik meiner Handlungsweise selbst von einem guten Freunde ernstlich zu verbitten, zuckte er die Achseln und entschuldigte sich: er habe mich durchaus nicht kränken wollen, nur möchte er mich darauf aufmerksam machen, daß ich mir diese Laune doch wohl zu viel kosten ließe. Dann, da ich weiter in ihn drang, bemerkte er, seines Wissens gebe es auch gemachte Veilchen, und das Echteste an dem ganzen Geschöpf sei ihr Komödiespiel, das sie nur leider auch im Leben fortsetze. Und nun ein kurzer Abriß ihres abenteuerreichen Lebenslaufs, den der Wohlmeinende sich nicht ohne Mühe aus allerlei Nachforschungen an den Bühnen, wo sie früher aufgetreten, zusammengestoppelt hatte.

Ich gab ihm natürlich Teufelsdank, brach ein für alle Mal mit ihm und rannte zu meiner Braut, der ich die ganze Chronik ihres übelverleumdeten Wandels warm vortrug. Ich dachte nicht anders, als daß sie mit flammender Entrüstung antworten würde, und überlegte schon, was für gute Worte ich brauchen sollte, sie zu versöhnen. Aber sie hörte mich ohne alle Erschütterung an, ja selbst ohne Erröthen, so daß ich einen Augenblick der Narr war zu glauben: am Ende ist sie so unschuldig, daß sie nicht einmal versteht, was du hiermit und damit meinst. Wie ich aber schwieg, sah sie mich mit ihrem Engelsblick ganz kaltblütig an und sagte: Dies ist Alles erlogen, bis auf Eins. Ich bin einem teuflischen Verführer in allerfrühester Jugend zum Opfer gefallen, und darum habe ich mich geweigert, dein Weib zu werden. Thue nun, was du willst; du weißt, was du an mir haben wirst.

Dies Bekenntniß, das sie mit ihrer unwiderstehlichsten Melodramen-Stimme ablegte, verblendete mich vollends, und ich war um so fester überzeugt, daß alles andere Gerede über ihre Tücke, Gefallsucht und das herzlose Spiel mit thörichten jungen Anbetern erlogen sei. Nein, rief ich, indem ich sie in meine Arme schloß, du sollst dich nicht in mir getäuscht haben, nicht einen engherzigen Moralisten finden, wo du dich einer freien Künstlerseele hinzugeben glaubtest. Was hinter dir liegt, soll keinen Schatten über unsre Zukunft werfen. Wenn es wahr ist, daß du mich liebst, nun denn – und hier citirte ich ihr mit passender Veränderung den Vers, den ich damals erst kürzlich gelesen hatte und sehr tiefsinnig fand: Et mon amour t'a fait une virginité. Bin ich denn ein Heiliger gewesen, ehe ich deine Hand faßte? Und ich war Herr meines Schicksals und wußte, was ich that. Nein: »vor uns Tag, hinter uns Nacht, daß uns Niemand sehen mag!« Versprich mir nur, daß in Zukunft alle deine Gedanken mir gehören sollen.

Sie schluchzte heftig in meinen Armen und gab mir die besten Worte. Ich glaube fast, sie meinte es in jenem Augenblick in der That, wie sie es sagte, denn es war ein Kern in ihr, der noch nicht angefressen war vom Wurm, ein Heimweh nach dem Reinen und Rechtschaffenen. Sonst – wie hätte ich über die Flitterwochen hinaus in meiner Blindheit hintaumeln können? Aber sie selbst schien in jener ersten Zeit glücklich, so einsam wir lebten, ohne Verkehr mit meinen alten Cumpanen, nach neuen geselligen Verbindungen nicht eben lüstern, die ich doch nur unter dem mir verhaßten Philisterstande hätte suchen können. Sie wurde damals auch täglich reizender, da sie in die Hoffnung kam und sich ihres Zustandes schämte, so daß sie erröthete, so oft man sie ansah. Nur manchmal betraf ich sie über ihren alten Rollenheften und sagte es ihr auf den Kopf zu, da ich ihre verweinten Augen sah, sie sehne sich hinter die Lampen zurück, der Beifall fehle ihr, und daß sie nicht mehr einem ganzen Parterre den Kopf verdrehen könnte. – Wo denkst du hin! lachte sie dann. In meinem Zustande! Ich würde mich in die tiefste Versenkung hinunterschämen. – So brachte sie mich über meinen Verdacht hinüber, und als sie nun das Kind geboren hatte, glaubte ich sie in der That von häuslichen Freuden und Sorgen so ausgefüllt, daß ihr nichts mehr fehle.

Freilich – eine so närrische Mutter war sie nicht, daß sie das Kind für einen Engel an Schönheit gehalten hätte. Es war ein ziemlich dürftiges, unansehnliches Ding – »der ganze Vater!« sagten die weisen Frauen mit Recht. Aber sie spielte ihre Mutterrolle dennoch recht talentvoll, und nur als sie nach Jahr und Tag, ihrer angegriffenen Gesundheit wegen, in ein Seebad geschickt wurde, fiel es mir einigermaßen auf, daß sie sich von dem lächelnden und lallenden Würmchen, das sich so fest an sie anklammerte, ohne sonderlichen Kummer losmachen konnte.

Ich blieb zurück und ließ sie mit einer älteren Freundin – auch einer ehemaligen Schauspielerin, aber von ganz unbescholtenem Ruf – allein nach Helgoland hinüberreisen. Ich hatte eben ein paar eilige Aufträge, Marmorbüsten eines reichen Rheders und seiner Frau, die ich nicht aus der Hand lassen durfte, da trotz unsres kleinen Hausstandes viel draufging. Es war die erste Trennung, und sie kam mir hart genug an. Da ich aber zu arbeiten und nebenbei Mutterstelle bei dem Kinde zu vertreten hatte, ging es die ersten vierzehn Tage leidlich genug.

Dann aber fing die Kleine an mir Sorge zu machen. Das Zahnfieber stellte sich ein, es gab böse Tage und bösere Nächte, und die Briefe, die ich von der Frau bekam, worin sie schrieb, es gehe ihr herrlich, sie sei wieder ganz jung geworden, – konnten mich auch nicht sonderlich erquicken; denn es schien ihr eben nichts zu fehlen, nicht einmal Mann und Kind.

Zur Eifersucht hatte ich bisher weder Anlage noch Anlaß gehabt. Plötzlich sollte ich erfahren, welch ein Abgrund sich in einem Menschengemüthe öffnen kann, in den Alles versinkt, was bisher festgestanden.

Ich war spät aufgeblieben, das Kind fieberte stärker, wir hatten noch gegen Mitternacht den Arzt holen müssen. Zum ersten Mal dachte ich mit bitteren Gedanken an meine Frau, die in der Ferne ihrer Gesundheit pflegen konnte, während hier das kleine Leben, das ihr angehörte, auf dem Spiele stand. Wie sich's dann ein wenig beruhigte und ich nun an Schlaf denken konnte, wollte er lange nicht gehorchen, obwohl ich sonst auf meinen Bauernschlaf unter allen Umständen rechnen konnte. Endlich kam er, aber Träume mit ihm – Träume, wie ich sie keinem Verdammten in der Hölle wünschen möchte. Immer nur von ihr, in immer neuen Costümen, immer die alte Posse von beschworener und gebrochener Treue. Aus der letzten Scene, wo sie mit ruhigster Miene, vom Schooß ihres Liebhabers weg, mir das Recht der Freizügigkeit von Arm zu Arm demonstrirte, bis ich mit einem Wuthschrei dazwischenfuhr und sie bei den Haaren packte – aus dieser jammervollen Spiegelfechterei der Hölle erweckte mich das Wimmern meines Kindes, so daß ich mir nicht Zeit nahm, den Angstschweiß von der Stirn zu wischen, sondern in die Kinderstube stürzte, ganz darauf gefaßt, den Tod schon am Kopfende des kleinen Bettes zu finden. Es ging noch einmal vorüber, am Morgen konnten wir Beide ein paar Stunden ruhig schlafen. Dann aber setzte ich mich hin und schrieb an meine Frau, wie es stand.

Ich hatte ihr schon einige Tage vorher nicht die besten Nachrichten gegeben. Jede Andere wäre sofort heimgekehrt, ohne sich mit der Badecur auszureden, die nicht unterbrochen werden dürfe. Sie aber – genug! Ich muß an mich halten, wenn ich von ihr rede. Das arme Geschöpf ist ja nicht schuld daran, daß es kein Herz hatte und daß meine Liebe und Leidenschaft ihr keins in die Brust zaubern konnte.

Damals aber schrieb ich in der Herbheit und Bitterkeit meiner Stimmung und drang auf ihre augenblickliche Rückkehr. Die Träume der Nacht hatt' ich fast vergessen. Aber bei einem Ausgang in die Stadt sollten sie mir wieder begegnen.

Ich traf einen weitläufigen Bekannten, der ebenfalls auf der Insel einige Wochen zugebracht hatte. Der Himmel weiß, wie es kam, daß ich ihn festhielt und nach meiner Frau befragte. Er war höchst erstaunt, zu hören, daß sie dort gewesen, ja noch immer dort sei. Da auf dem kleinen Gebiet Jeder einem Jeden begegnen muß, konnte er sich nicht erklären, wie ihm die schöne Frau entgangen sein sollte. – Sie hat freilich sehr eingezogen gelebt! stotterte ich, und er fand es natürlich und löblich von einer reizenden jungen Strohwittwe und wünschte guten Erfolg der Cur und verließ mich dann, – der ich wie ein Narr eine Viertelstunde auf denselben Pflasterstein guckte und wie ein Prellpfahl den Leuten den Weg verlegte. Dortgewesen mußte sie doch wohl sein; die Briefe waren richtig hin- und hergegangen – und was in aller Welt hätte sie darunter haben sollen, Versteckens zu spielen? Und doch wieder – Sie begreifen, daß dieser an sich so geringfügige Umstand sehr dazu gemacht war, das Othello-Fieber in mir zu schüren.

Erst am folgenden Tage konnte ich sie zurückerwarten. Wie ich diese Stunden überstand, ist mir heute noch ein Räthsel. Ich war zu jeder Beschäftigung, jedem zusammenhängenden Thun und Treiben unfähig. Nur neben dem fiebernden Würmchen zu sitzen, Eisumschläge zu machen und die Härchen auf seiner Stirn zu zählen, dazu reichte meine Kraft und Vernunft gerade noch aus.

Auch die Nacht kam ich nicht von diesem Posten weg. Ich fürchtete mich vor meinen Träumen. Wie es dann wieder Morgen wurde und Mittag und Nachmittag, und immer noch keine Nachricht – aber jetzt fuhr eine Droschke vor, jetzt ging die Hausthür – die Treppe klang unter einem leichten Tritt, ich fuhr in die Höhe, ihr entgegenzugehen, – da trat sie schon in die Thür, – und mein erster Blick in ihr Gesicht bestärkte all meine furchtbaren Ahnungen.

Nein doch; es war nicht ihr Gesicht. Ich darf der Schauspielerin nicht Unrecht thun; ihr Gesicht hatte sie in der Gewalt wie nur je, – die unschuldigen Veilchenaugen, das Madonnen-Mündchen, diese frühlingsklare Stirn. Aber dennoch war es ihr Gesicht, was mich bis ins tiefste Herz hinein erschauern machte. War das die Miene einer Mutter, die zu ihrem todtkranken Kinde kam, einer Frau, die nach solchen Angstwochen ihrem Manne, den sie doch aus Liebe genommen zu haben vorgab –

Genug! Diese erste Stunde entschied bereits über unser Leben. Aber ich war auch klug und spielte meine Rolle sehr wacker. Daß wir uns jeder Zärtlichkeit des Wiedersehens enthielten, Angesichts der Gefahr, war so natürlich, – sie selbst konnte kein Arg darin finden. Am anderen Morgen erst, als die Nacht eine glückliche Wendung gebracht hatte und wir nun wieder hätten aufathmen können, – ich sehe sie noch vor mir, wie sie zu mir sagte, indem sie auf den Knieen vor ihrem offenen Reisekoffer lag und eben den ganzen bunten Inhalt durchwühlte, um ein bequemes Kleidungsstück zu finden, da sie über Nacht sich nicht umgekleidet hatte: Weißt du, Hans, sagte sie und sah mit ihrem Taubenblick halb schmollend, halb bittend zu mir auf, weißt du, daß es gar nicht hübsch von dir ist, daß du mir noch kein Wort über mein gutes Aussehen gesagt hast? Ich habe einen galanten Ehemann verlassen und finde einen kaltherzigen Bären. Komm, küsse mir zur Strafe hier den kleinen Pantoffel, den ich der ganzen männlichen Badegesellschaft hätte auf den Nacken setzen können, wenn ich gewollt hätte.

Lucie, sagte ich, ich habe dich erst noch um etwas zu bitten.

Und was? fragte sie arglos.

Daß du mir bei dem Leben unseres Kindes schwörst, es sei eine teuflische Verleumdung meiner eifersüchtigen Träume, wenn ich mir vorstelle, du kämst nicht so wieder zu mir zurück, wie du mich verlassen hast.

Ich hatte mir diese Frage Wort für Wort zurechtgelegt – wie man ein Gewehr sorgfältig ladet, mit dem man einen Kernschuß thun will. Auch verfehlte ich mein Ziel nicht. Sie wurde plötzlich dunkelroth, bückte sich in den Koffer hinein und machte sich mit allerlei Schärpen und Bändern zu schaffen.

Aber rasch faßte sie sich wieder.

Du hast schlechte Träume gehabt? fragte sie noch so unbefangen wie möglich. Was hat dir denn geträumt? – Und ich darauf:

Daß du mir die Treue gebrochen! Es ist Unsinn; ich weiß, daß du mir mit einem einzigen Wort meine Ruhe wiedergeben kannst. Aber ohne dies Wort – hast du mich verstanden, Lucie? Bei dem Leben deines Kindes, unseres Kindes, das da drinnen kaum dem Tod entrissen liegt – nur das eine Wort will ich hören: ich habe mir Nichts vorzuwerfen gegen meine Pflicht. Du hörst mich doch, Lucie? Warum kannst du mir nicht antworten? Kannst du meinen Blick nicht mehr ertragen?

Sie brachte es wirklich übers Herz, mich anzusehen, aber das war nicht der Strahl des unschuldigen Stolzes, der gekränkten Frauenehre – es war ein unsicher flackernder Trotz und das Aufleuchten eines feindseligen Gefühls, das aus diesen Augen mir entgegenschlug.

Auf solch eine Frage habe ich keine Antwort, sagte sie, mit einer Geberde, die ich von den Brettern her kannte. Du beleidigst mich, Hans. Sprechen wir nicht mehr davon. Ich verzeihe dir um des Kindes willen und der Angst, die du ausgestanden. –

Ich war wirklich noch so unter ihrem Zauber, daß ich einen Augenblick schwankte, ob ich der Stimme in meinem Innern mißtrauen sollte, oder diesem Schlangenblick. Sie hatte sich aufgerichtet und stand am Fenster, das Gesicht mir abgewendet, die Hand vor die Augen gedrückt, ein Bild gekränkter Hoheit und Unschuld, daß ich schon begann, meine Hitze zu verwünschen und mich der schnödesten Ungerechtigkeit und Unbill gegen eine Hülflose anzuklagen. Eben wollte ich zu ihr gehen und die Macht guter Worte versuchen, da höre ich von meinem Hunde, welcher der ganzen Scene theilnahmlos zugesehen, ein wunderliches Knurren und Heulen, gereizt und ingrimmig, wozu ich doch keinen Grund entdecken konnte. Er liebte die Frau nicht, sie hatte es nie verstanden oder nur der Mühe werth gefunden, sich seine Gunst zu erwerben. Aber sie schien ihm bisher gleichgültig zu sein, und ich konnte nicht verstehen, wie jetzt ihre zürnende Miene und Haltung ihn aufbringen sollte. Auch achtete er ihrer in der Thai gar nicht, aber Etwas, das er unter dem Putz und Kram ihres Koffers entdeckt hatte und hastig hervorwühlte, schien ihn in Aufruhr zu bringen. Ich rief ihm zu, daß er kuschen solle; sofort wurde er still; aber er kam, den Schweif heftig bewegend, auf mich zugerannt und hatte etwas im Maul, das er auf mein Knie legte. Es war der Handschuh eines Mannes.

Werden Sie glauben, daß mein erstes Gefühl beim Anblick dieses Zeugnisses eine wilde Freude und Genugthuung war? Ich war plötzlich wieder einig mit mir selbst, das Mißgefühl der Beschämung, daß ich ihr mit meiner argwöhnischen Hitze doch wohl zu viel gethan hätte, wich einer ganz eiskalten Ruhe. Wenn du dich einmal umdrehen wolltest, sagte ich, so würdest du vielleicht aus einem anderen Tone sprechen. Du hast mir da, ohne es zu wissen und zu wollen, ein Geschenk aus der Fremde mitgebracht, für das ich dir danken muß.

Als sie sich umdrehte, war sie doch nicht Komödiantin genug, eine Geberde des Erschreckens zu unterdrücken. Ich schwöre dir – stammelte sie todtenblaß –

Recht so, sagt' ich. Darum bat ich dich ja gerade. Aber hörst du, überlege wohl, was du schwörst und wobei du schwörst. Bei dem Leben des unschuldigen Geschöpfs da drinnen, bei dem alten Gott, der die Sünden der Eltern heimsucht an den Kindern bis ins siebente Glied –

Ich weiß nicht, was du willst und meinst, – ich – ich habe nichts verbrochen und nichts abzuschwören. Dieser Handschuh – der Himmel mag wissen –

Der Himmel weiß es! schrie ich in furchtbarem Ausbrechen meines Jammerzorns. Ich streckte die Hand nach ihr aus, vor den Augen kreis'te mir Alles wie im Schwindel, ich weiß nicht mehr genau, was ich in jener Stunde sagte und that, nur daß ich nahe daran war, wie in meinem Traum sie bei ihren langen Flechten zu packen und durch die Breite des Zimmers hinauszuschleppen, bis ich die Thür meines Hauses hinter mir zuschlagen konnte. Ich glaube aber, ich habe sie nicht angerührt, nur meine Blicke und Worte müssen so unerbittlich, so unentrinnbar gewesen sein, daß sie selbst es gerathen fand, zu gehen. Eine halbe Stunde nachher war ich wieder allein mit dem Kinde.

Denselben Tag noch kam ein Brief von ihr, voll gewundener Worte und schlauer Anklagen. Ich las ihn ohne jede Erregung. Es war Alles in mir wie ein zugeschütteter Brunnen, dessen Wasser nichts mehr aufwühlen kann. Den Brief beantwortete ich sofort nur mit einem einzigen Wort: »Schwöre!« – Es kam kein zweiter Brief; ein Rest menschlichen Gefühls, im Aberglauben tief eingebettet, machte es ihr unmöglich, eine Lüge zu sagen, die an dem Kinde gerächt werden konnte.

Drei Tage wartete ich. Dann schrieb ich ihr einen Brief, der nicht ein Wort des Vorwurfs enthielt, nur die Unmöglichkeit aussprach, mein Leben fernerhin mit ihr zu theilen. Ich sagte ihr, daß ich für sie sorgen wolle nach wie vor, unter der einen Bedingung, daß sie wieder ihren Mädchennamen trüge und nie Ansprüche mache auf das Kind. Als ich das hinschrieb – ich gestehe Ihnen meine Thorheit – da rief Etwas in mir: das wird sie nicht übers Herz bringen. Sie wird kommen, dir zu Füßen hinsinken und mit dem Bekenntniß ihrer Schuld dich beschwören, sie lieber vom Leben zu trennen, als von ihrem Kinde. Dann – was ich dann gethan hätte – ich schaudere, daran zu denken; ich glaube fast, ich hätte ihr verziehen – und wäre elend dadurch geworden, mit einer wunden Ehre und einem in der Wurzel angefressenen Vertrauen. Aber ich hatte sie zu herzlich lieb gehabt, um so rasch meiner Schwäche Meister zu werden.

Sie ersparte mir die Versuchung.

Nach einigen Tagen kam ihre Antwort: sie verzichte darauf, mir Aufklärungen zu geben, die bei meinem zum Argwohn geneigten Temperament – heiliger Gott! ich, den eine Lüge wieder besänftigt hätte! – Aufklärungen, die mir doch nie genügen würden. Sie nehme das an, was ich ihr vorgeschlagen, wolle wieder zur Bühne gehen, für die sie doch eigentlich geboren sei, danke mir für alles Gute, was ich ihr erwiesen, hoffe, es werde mir wohlergehen – und so weiter, ein recht wohlgesetzter, freundschaftlicher, eiskalter Brief.

Von dem Kinde keine Silbe.


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