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Zweites Kapitel.

Sie war eben im Begriff, ihr rundliches, weißes Händchen in seine Rechte zu legen, die vom Kneten des Thons rauh und erdfarben war, als ein Klopfen an der Thür sie Beide aufhorchen machte.

Der Hausmeister rief durch das Schlüsselloch herein, ein fremder Herr wünsche Herrn Jansen zu sprechen. Als er gehört, es sei gerade Modell bei ihm, habe er ihn geheißen, nur immer seine Visitenkarte hineinzutragen. Damit schob er die Karte durch einen schrägen Spalt in der Thür, der zu diesem Zweck darin angebracht war.

Brummend ging der Bildhauer der Schwelle zu. Er hob die Karte auf. »Felix Freiherr von Weiblingen.« – Er schüttelte nachsinnend den Kopf. Plötzlich entfuhr ihm ein Freudenruf. Unter dem gedruckten Namen stand in Bleistiftzügen das Wort: »Icarus«.

Ein guter Freund von Ihnen? fragte das Mädchen.

Er antwortete nicht, warf hastig das Modellirholz hin, säuberte oberflächlich die Hände an seinem Tuch und eilte dann wieder nach der Thür. Während er aufschloß, wandte er sich noch einmal um.

Bleiben Sie nur, Zenz, sagte er. Unterhalten Sie sich einstweilen; da liegt ein Bilderbuch, und wenn Sie hungern sollten – im Schrank ist wohl noch etwas zu finden. Ich werde die Thür hinter mir abschließen.

Draußen im Flur stand nur der alte Hausmeister mit seinem vorgebeugten, länglichen Kopf, der die größte Aehnlichkeit mit einem Pferdekopf hatte, zumal beim Sprechen, wo er den Unterkiefer bewegte, als wenn er einen Zaum zwischen den großen gelben Zähnen kaute.

Uebrigens war er ein sehr brauchbarer und im Dienst der Kunst ergrauter Mensch, mit einem feineren Urtheil, als mancher Professor, verstand sich vortrefflich darauf, eine Leinwand zu präpariren, und studirte in seinen Mußestunden Farbenchemie.

Wo sind die Herren, Fridolin? fragte der Bildhauer.

Es ist nur Einer. Er spaziert im Hof herum. Ein schöner junger Herr. Man sieht ihm den »Baron« am Gesicht an, der auf der Karte steht. Er sagte –

Der Bildhauer war an ihm vorbeigeeilt und die Stufen hinuntergeflogen, die in den Hof führten. Felix! rief er. Bist du's, oder ist's dein Geist?

Ich denke, wir sind's allebeide, und noch das Herz dazu! erwiederte der Angerufene, die Hände ergreifend, die der Bildhauer ihm entgegenstreckte. Komm, Alter! ich sehe nicht ein, warum wir uns schämen sollen, uns hier unter Gottes freiem Himmel um den Hals zu fallen. Sieben Jahre mich behelfen müssen ohne meinen besten, liebsten, einzigen alten Dädalus –

Er vollendete den Satz nicht. Der Bildhauer hatte ihn so heftig an seine Brust gedrückt, daß ihm der Athem verging.

Dann gab er ihn plötzlich frei, trat einen Schritt zurück und ließ einen prüfenden Blick über die schlanke Gestalt des jüngeren Freundes gleiten.

Noch ganz der Alte! sagte er, wie für sich. Nur die Simsonslocken müssen wir unter die Scheere nehmen. Du verstehst deinen Vortheil nicht, theurer Sohn, wenn du deinen Stutzkopf in ein solches Dickicht vergräbst. Auch der Vollbart muß weg. Nun, das werden wir schon kriegen. Jetzt erzähle vor Allem, was dich so plötzlich aus deinen wilden Urwäldern in unsere zahme Kunststadt hergezaubert hat.

Er faßte den Jüngling unter den Arm und führte ihn um das Haus herum in das Gärtchen. Sie waren beide stumm geworden und vermieden es, sich anzusehen, als ob sie sich nachträglich der übergroßen Zärtlichkeit schämten, mit der sie ihr Wiedersehen gefeiert hatten.

Ganz am Ende des Gartens stand eine Laube, von Nachtschatten umwuchert; am Eingang hielten zwei pausbäckige Liebesgötter im Zopfstil Wache, beide von Kopf bis Fuß himmelblau angestrichen.

Man sieht doch gleich, zu Wem man kommt, sagte Felix lachend. Der Zopf der hängt ihm hinten. Oder hast du ihn dir seitdem abschneiden lassen? – Dann, ohne die Antwort abzuwarten: Aber sage mir, alter Hans, wie hast du es übers Herz gebracht, deinen getreuen Icarus diese schauerlich langen Jahre ohne jedes Lebenszeichen zu lassen? Sind denn von den sechs bis acht Briefen, die ich an dich schrieb, den letzten vor einem Jahre aus Chicago –

Der Bildhauer hatte sich abgekehrt und sein Gesicht in einen blühenden Rosenzweig gedrückt. Jetzt wandte er sich wieder zu dem Freunde um und sagte mit einem düsteren Aufblitzen seiner Augen: Ein Lebenszeichen! Weißt du denn, ob ich überhaupt gelebt habe diese schauerlich langen Jahre hindurch? Aber lassen wir das. Komm und setz' dich hier in die Laube, und nun krame aus! Ein Weltumsegler, wie du, muß allerlei mitgebracht haben, was verstaubten Ofenhockern, wie unsereins, lustig und merkwürdig ist. Damals, als du von Kiel weggingst – damals dachten wir Beide nicht, daß es so kommen würde, daß die alte Erde sich so oft umdrehen würde, ehe wir uns wieder Auge in Auge begegneten.

Was soll ich dir erzählen? sagte der Jüngling, und seine feinen Brauen zogen sich ernster zusammen. Wenn meine Briefe in deine Hände gekommen sind, hast du den Faden ja nicht verloren. Was sich alles daran aufreihte – du hast mich in meinen Fuchssemestern Kieler Angedenkens hinlänglich kennen gelernt, alter Hans, um dir allenfalls vorzustellen, wie ich es hernach in Heidelberg und Leipzig getrieben habe, bis mir das Moos unter der Cereviskappe wuchs. Die albernen Corpsspäße freilich hab' ich bald satt gehabt und nur so schandenhalber, um nicht geradezu den Abtrünnigen zu spielen, die alten Verbindungen fortgesetzt. Darüber ist denn zu dem Triennium noch ein viertes Jahr hinzugekommen; ich war ganze Dreiundzwanzig alt, als ich mich in meiner theuren engeren Heimath zum Staatsdienst examiniren ließ. Wie ich's so lange ausgehalten habe, ohne dazwischen einmal wieder an deine Thür zu klopfen – das wissen die Unerforschlichen. Gleich im zweiten Jahr nach unserer Trennung war ich dir nahe genug. Ich hatte von einem Pistolenduell mit einem Russen ein kleines Andenken hier in der linken Schulter zurückbehalten und mußte zu meiner Stärkung ins Seebad. In Helgoland höre ich, du seiest nach Hamburg übergesiedelt. Ich brauche nicht zu betheuern, daß dir ein Ueberfall auf der Rückreise zugedacht war. Aber plötzlich ruft mich eine Trauerpost Hals über Kopf nach Hause. Mein guter Alter hatte einen Schlaganfall gehabt – ich fand ihn nicht mehr lebend. Hernach die traurigen Geschäfte und zu guter Letzt – aber wozu wollen wir mit alten Geschichten uns die schöne erste Stunde verderben? O mein theurer Hans, wenn du eine Ahnung hättest, wie wohl mir ist, hier an deiner Seite zu sitzen, diese Rosen zu riechen und mir einzubilden, nun finge das Leben ganz von vorn an, ein Leben in einer besseren Welt, frei von allen Banden – aber höre, du hast ja geheirathet, wie ich mir habe erzählen lassen? Eine Schauspielerin, nicht wahr? Und woher doch gleich? Ich hörte in Helgoland –

Der Bildhauer stand hastig auf. Du findest mich, wie du mich verlassen hast, sagte er plötzlich verdüstert; was hinter uns liegt, wollen wir ruhen lassen. Komm aus der Laube heraus; es ist zum Ersticken schwül unter den dichten Ranken.

Er ging nach dem Springbrünnchen, hielt die Hände unter den dünnen Strahl und benetzte sich das Gesicht. Dann erst wandte er sich wieder zu Felix um. Seine Züge waren wieder fest und klar geworden.

Und nun sage, was hat dich hieher geführt und wie lange wirst du mir bleiben?

So lange du mich haben willst – immer und ewig – mit Grazie in infinitum!

Du willst mich zum Besten haben. Thue das nicht, Liebster! Ich bin hier so mutterseelenallein, trotz mancher guten Gesellen, mit denen ich allerlei, nur eben nicht das Intimste, theilen kann, daß der Gedanke, unser altes Leben wieder zu beginnen, mich viel zu lachend ansieht, um damit nur zu spaßen.

Es ist aber mein ernstlichster Ernst, alter Hans. Ich bleibe hier, wenn du nichts dagegen hast, bei dir, in deiner allernächsten und täglichsten Gesellschaft, und wenn du einmal dein Zelt abbrichst und anderswohin auswanderst – auch dahin ziehe ich mit dir! Mit Einem Wort: ich habe meine ganze Carrière an den Nagel gehängt, mit all meinen alten Verhältnissen gebrochen, um, wie gesagt, das Leben ganz von vorn anzufangen, nichts zu sein, als was mir das Höchste ist: ein freier Mensch, und nichts zu werden, als was immer meine heimliche Sehnsucht war: ein Künstler, ein so guter oder schlechter, als Mutter Natur mir zu werden vergönnen will.

Er hatte diese Worte mit zu Boden gekehrtem Gesicht rasch hervorgesprudelt und dabei mit seinem Stöckchen einen zierlichen Kreis in das nächste Beet gestochen. Erst nach einer Weile, als der Freund kein Wort sagte, erhob er den Blick und begegnete mit einiger Verwirrung den ruhig auf ihn gerichteten Augen.

Du scheinst dich in diese Wendung meines Schicksals nicht gleich finden zu können, Hans? sagte er mit gezwungenem Lachen. Es ist auch noch anderen Leuten so gegangen, zum Exempel der betreffenden Hauptperson selbst. Daß ich ein eitler Narr geworden sei und mir einbildete, weil ich damals mit Leidenschaft allerlei Fratzen in Thon geknetet und Spottgesichter guter Freunde in Meerschaum geschnitten, stecke das Zeug zu einem Phidias in mir, das wirst du mir hoffentlich nicht zutrauen. Aber warum ich's überhaupt nicht weiter, nicht über den Dilettanten hinausbringen soll, wenn ich nur einmal Ernst mache, an nichts Anderes denke und nichts Anderes treibe, als meine ganz ernsthaften A-be-ce-Studien bei einem gelernten Meister – ich bitte dich, theurer Dädalus, mache nicht ein so abschreckendes Gesicht; blicke nicht so kummervoll auf den verirrten Jüngling, als der ich dir vorkommen mag, oder lächle wenigstens ironisch, um meine Galle und damit mein Selbstgefühl zu reizen. Bei den ewigen Göttern, was ist denn so Lebensgefährliches an diesem Entschlusse? Daß er mir erst mit siebenundzwanzig Jahren gekommen ist? Das ist freilich fatal, aber noch kein Beweis für seine Hoffnungslosigkeit. Denke an deinen halben Landsmann Asmus Carstens, oder an – nun, ich will hier kein Kapitel aus der Künstlergeschichte vortragen. Und überdies – da ich unabhängig bin und meine Schiffe hinter mir verbrannt habe –

Er verstummte wieder. Das Schweigen des Freundes schien ihm die Brust zu beklemmen. Eine ganze Weile war nichts um sie her zu vernehmen, als das Plätschern der kleinen Fontäne und aus dem Fenster oben das immer schmachtender hinsterbende Flötenspiel des Schlachtenmalers.

Der Bildhauer blieb plötzlich stehen.

Ist deine Braut mit diesem Vorsatz einverstanden? fragte er.

Meine Braut? Wie in aller Welt kommst du zu dieser Frage?

Weil ich deine Briefe, obwohl ich nie darauf geantwortet, doch sehr gut im Gedächtniß habe. Solltest du dich nicht auch darauf besinnen, was du mir vor drei Jahren – unter dem Siegel des tiefsten Geheimnisses –

Also doch! rief der junge Mann mit einem kurzen, trotzigen Auflachen, das seine Verlegenheit maskiren sollte. Also habe ich doch geschwatzt, damals! Ich gestehe dir, alter Hans, ich war selbst darüber in Zweifel, wie weit ich dich eingeweiht hätte, dich Einzigen von Allen, gegen den ich überhaupt einen Zipfel von diesem verschleierten Bilde lüftete. Mit der Zeit – da deine Gratulation ausblieb – redete ich mir ein, ich hätte auch gegen dich reinen Mund gehalten, was freilich das Klügere gewesen wäre. Ich käme jetzt um die Generalbeichte herum, die mir sauer genug wird – und eigentlich ganz überflüssig ist; denn wie soll ich dir, da ich kein Poet bin und auch in dem ganzen Handel Partei, – wie soll ich dir die Personen schildern, so daß du verstehst, wie Alles kam, wie die Schuld sich auf beiden Seiten vertheilt und wie eigentlich Beide ganz unschuldig sind?

Aber wenn du darauf bestehst, so sei es drum, in möglichster Kürze.

Also ich kam damals, um meinem guten Papa die letzte Ehre zu erweisen, in meine Vaterstadt zurück. Du weißt, welch unheimliche Heimath ich immer an ihr gehabt habe. Eine Residenzstadt in einem Duodezstaat dritten Ranges – danke deinem Stern, daß du keine Vorstellung hast, was damit gesagt ist. Mein Vater schon hatte unter dem absurden Zwange dieser Hof-Rücksichten, dieses unabsehlich verzweigten, verknoteten, verfilzten Urwaldes dürrer Stammbäume, unter den lächerlichen Traditionen eines wurmstichigen Bureaukratismus gelitten. Er war von ganz anderem Schlage, ein rüstiger, stattlicher Landedelmann der vornehmsten, unabhängigsten Gesinnung, und lebte nun auch seit dem Tode meiner Mutter, die sich ihren Familienverbindungen nicht so resolut entziehen konnte, ganz von der »Gesellschaft« abgeschieden auf unserem Gute. Dann starb er, und ich nun, schon als ein grüner Junge berüchtigt für meine Aehnlichkeit mit dem Papa und ziemlich aufgegeben in Betreff einer Hof- und Staats-Carrière nach dem üblichen Muster – ich glaube, kein Hahn hätte danach gekräht, wenn ich ein für alle Mal die Erbschaft meines theuren Alten auch nach dieser Seite angetreten und dem Orte, wo meine Wiege stand, für ewig den Rücken gekehrt hätte. Aber so gute Lust ich dazu hatte, es sollte anders kommen.

Er griff in die Tasche und zog ein kleines Notizbuch hervor. Du bekommst den Roman in einer illustrirten Ausgabe, zwang er sich zu scherzen. Siehst du, hier diese kleine Person war Schuld daran, daß ich eine ganze Weile glaubte, ich hätte wirklich den Beruf, ein nützlicher Staatsbürger zu werden, Kammerherr Sr. Hoheit, mit der Zeit Oberjägermeister, Hofmarschall – der Himmel weiß, was sonst noch Alles. Ist das nicht ein Gesicht, das einem allerlei einreden und einen Kopf, der ohnehin noch nicht sehr fest saß, so ziemlich verdrehen kann? Und das ist nur eine recht ordinäre Photographie und nun schon drei Jahre alt, und in diesen drei Jahren hat das böse Kind noch allerlei zugelernt an Hexenkünsten, und die Augen, die auf dem Kärtchen so still gespannt, halb neugierig, halb scheu, wie auf einen Komödien-Vorhang blicken, der immer noch nicht aufgehen will, – ich kann dir sagen, Liebster, sie sehen jetzt mit einer so königlichen Sicherheit und Unantastbarkeit in die Welt, daß es geradezu – aber das gehört freilich nicht hieher. Und damals, wie das Unglück geschah und ich meine arme Seele, zuerst noch halb unbewußt, an das junge Kind verlor, war das Persönchen fast noch ein Backfisch, eben sechzehn Jahre, und spröde, stumm, unwirsch wie ein junger Vogel. Wir kannten uns von früh an, sie ist so über siebzehn Häuser weg mein Mühmchen, wie denn alle guten Familien bei uns miteinander versippt sind. Ich dachte aber nicht von fern daran, sie etwa zu besuchen, bis ihr Oheim, bei dem sie lebt, – ihre Eltern sind früh gestorben – bis dieser joviale Herr mir einen Condolenzbesuch machte. Den mußt' ich natürlich erwiedern, und bei der Gelegenheit sah ich das schlanke, blasse, großäugige Ding mit dem reizend zugedrückten dunkelrothen Mäulchen und den allerliebsten winzigen Ohren zum ersten Male.

Ich bin dann bald wieder fortgereis't, und erst nach Jahresfrist, nach dem unseligen Examen, das ich aber doch trotz meiner Freiheit mir nicht schenken wollte, um den Schein zu meiden, als fürchtete ich mich davor, – erst als sie nun siebzehn geworden war, sah ich sie wieder. Es war mir in der Ferne immer von Zeit zu Zeit eine Erinnerung aufgetaucht; plötzlich, mitten unter ganz anderem Treiben, hatte ich etwas vor mir herwandeln sehen, das nichts Anderem gleichsah als ihrer schmiegsamen, noch etwas schmächtigen Figur, an der es mir besonders reizend erschien, daß die Taille ein wenig zu kurz gerathen schien und die ganze kleine Person doch so stolz und aufrecht und im zierlichsten Ebenmaß auf dem schlanken Gestellchen hinschwebte. Auch ihre Augen begegneten mir manchmal ordentlich spukhaft unter guten Kameraden oder einsam im freien Felde. Und doch hatte ich keine zehn Worte mit ihr gewechselt.

Als ich sie nun wiederfand, um ein Jahr älter und plötzlich ganz zum Jungfräulein aufgeblüht, – nein, Hans, du brauchst nicht zu fürchten, daß ich dir unsere ganze Liebesgeschichte hier in der hellen Vormittagssonne schamlos zum Besten geben werde. Genug, es war ihr mit meiner werthen Person ungefähr ebenso ergangen, wie mir mit der ihren. Wir merkten, daß wir für einander bestimmt seien, – wie man so sagt, ohne zu bedenken, was man damit sagt!

Nun wäre Alles gut gewesen; die Partie schien so bien assortie, wie man es selbst in jener Hauptstadt des Anstandes und Welttons nur irgend wünschen konnte. Hätten wir uns damals gleich frischweg geheirathet, so wären wir, sie mit ihren Siebzehn und ich mit meinen Drei- bis Vierundzwanzig, die Leute danach gewesen, uns ineinander zu finden und die sehr beträchtlichen und bedenklichen Ecken und Kanten in unseren beiderseitigen Temperamenten mit der Zeit so weit abzuschleifen, daß es eine recht friedfertige Ehe gegeben hätte. Aber zum Unglück hatte Irenens Mutter mit siebzehn Jahren geheirathet und ihre lebenslange Kränklichkeit, da sie nur ein zartes Geschöpf war und blieb, auf diese zu frühe Verbindung geschoben. Als sie noch in großer Jugend starb, band sie es ihrem Mann auf die Seele, er sollte die einzige Tochter nicht vor dem zwanzigsten Jahre einem Mann ausliefern, und der Oheim, der hernach Vaterstelle bei meiner Liebsten vertrat, hielt sich an dieses Vermächtniß unwiderruflich gebunden. Ich sollte mich also noch drei ganze Jahre gedulden. Da er aber Junggeselle war und die junge Nichte außer einer ehemaligen Wärterin keine Ehrendame an ihrer Seite hatte, so wurde mir die Verpflichtung auferlegt, während dieser langen Probezeit überhaupt jeden Verkehr mit meiner Braut zu meiden, nur in Briefen die Liebschaft fortzuspinnen, um jeder Versuchung, die Frist abzukürzen, dadurch ein für alle Mal einen Riegel vorzuschieben.

Du kannst denken, wie mir ward, als der alte Herr mir das eröffnete. Bloß weil es ihm Unbequemlichkeiten machte, weil er die Verantwortung scheute und, als ein alter Prakticus, auf diese Art am Besten die Liebesleute vor sich selbst zu hüten glaubte – bloß darum eine dreijährige Verbannung! Aber so joviale Manieren er hatte: er war ein unbeugsamer Egoist, wo es seine Ruhe und sein Behagen galt. Und ich zu trotzig und zu stolz, mich aufs Bitten zu legen, auch meiner selbst und meines Schatzes viel zu gewiß, um die Länge der Zeit zu fürchten, die mir auch auf den ersten Blick nicht so unüberwindlich schien, wie ich sie nachher manchmal mit Seufzen und Stöhnen empfunden habe.

Auch mein Mädchen warf den kleinen Kopf in den Nacken und sagte: Wir wollen warten! Hernach, wie es zum letzten Abschied kam, fiel sie mir freilich wie leblos aus den Armen, und ich dachte, sie würde die Augen nie wieder aufschlagen. Ich weiß noch heute nicht, wie ich es trotzdem fertig brachte, mich loszureißen.

Und nun dieses Triennium der Trennung selbst! Wenn ich vernünftig gewesen wäre, das heißt, ein Anderer als ich selbst, hätte ich mich irgendwo in Deutschland festgesetzt und mir eine Aufgabe gewählt, an der ich mich so recht hätte müde arbeiten können, – um die unersprießlichen Liebesgrillen niederzuschlagen. Warum konnte ich nicht die drei Jahre dazu anwenden, ein perfecter Landwirth zu werden oder ein Jurist, der sich sehen lassen könnte, oder ein Politiker, oder sonst Etwas, das Hand und Fuß hat! Sich irgendwo in einem Lebens- oder Wissensgebiet so einnisten, daß man von jedem Quadratschuh Bescheid weiß, – es ist zwar ein ziemlich einfältiger und billiger Trost, aber doch besser, als eine ins Ziellose gerichtete Thatkraft, eine auf Wartegeld und Gefangenkost gesetzte Verliebtheit und ein Freiheitsdrang, der zuletzt die bloße ungehemmte Ortsveränderung für was Rechtes hält.

Damals schon dacht' ich an meinen alten Dädalus. Ich war drauf und dran, dich in deinem Atelier zu überfallen und in Ermangelung einer glatten Mädchenwange, die ich hätte liebkosen können, meine Hand an einem weichen Stück Thon zu beschäftigen. Da kam mir eine Reisegelegenheit nach England in die Quere, dort blieb ich so lange, bis ich für Amerika reif war, und wer einmal den Fuß in die neue Welt gesetzt und nicht gerade dringende Geschäfte in der alten zurückgelassen hat, der kann ein paar Jahre aus seinem Leben loswerden, ohne zu wissen, wie. Genug, ich war über San Francisco und Mexico richtig schon bis Rio gekommen, als ich mir eines Tages sagte, wenn ich das Exil nicht freiwillig verlängern und dadurch bei meinem Schatz in ein schlimmes Licht kommen wolle, müsse ich den nächsten Postdampfer, der nach Havre fuhr, benutzen, um endlich nach allem Hin- und Herschweifen in der weiten Welt im Hafen meines ehelichen Glückes zu landen.

Ich hatte alle Monat pünktlich an meine Liebste geschrieben, schöne, tagebuchartige Packete von Liebesbriefen, und auch pünktlich von ihr Nachrichten erhalten – die mich, ehrlich gesagt, hie und da verdrossen hatten, so daß es schon schwarz auf weiß allerlei Mißverständnisse, Schmollen, Streiten, Wiederversöhnen gab – ich meinte, das gehöre eben zu einem richtigen dreijahrelangen Brautstand, und nahm es nicht allzu schwer, wenn mein wohlerzogenes, kleinstaatliches, in Residenzluft ausgewachsenes Schätzchen gelegentlich ihren weltdurchschlendernden Bräutigam ein bischen moralisirte. Vielleicht that ich Unrecht, jedenfalls unklug, meine bunten Abenteuer immer ganz offenherzig zu berichten. Es waren nicht gerade verfängliche Sachen dabei, und die seltenen Fälle wirklicher menschlicher Schwachheiten und Sünden behielt ich für mich in einem aufrichtig bußfertigen Herzen. Aber sie nahm schon an dem Ton meiner Schilderungen aus beiden Hemisphären Anstoß. Lieber Himmel, es ist so begreiflich, daß das arme Kind unter diesen verrückten Verhältnissen keinen Sinn für ein freies Weltleben gewinnen konnte! Ganz auf sich selbst gestellt, in einer engbrüstigen, steifleinenen, höfischen Gesellschaft von hundert Augen überwacht – ich schrieb ihr einmal, sie werde nur darum so über ihre Jahre ernsthaft, weil sie bei sich Mutterstelle vertreten, ihre eigene Gouvernante und Ehrendame sein müsse. – Und nun obenein das abschreckende Beispiel des Onkels, über dessen Gewohnheit, sich für die öffentliche Anständigkeit durch private Orgien in Junggesellen-Clubs und bei intimen Soupers zu entschädigen, ihr bald genug die Augen aufgehen mußten!

Nur die drei Jahre herum, dann wollen wir schon das Unkraut, das sich zwischen unsere Rosen eingeschlichen, wieder ausjäten! dacht' ich. Aber ich kannte die Zähigkeit des Bodens noch nicht, auf dem all das schlimme Wesen gewachsen war. Ich wußte auch nicht, was gerade die Jahre zwischen siebzehn und zwanzig in so einem Mädchenleben zu bedeuten haben.

Denn nun kam ich endlich nach Hause und fand – aber nein! unterbrach er sich plötzlich und führte mit seinem Stöckchen einen heftigen Lufthieb – wozu soll ich dich mit der ausführlichen Erzählung dieser kläglichen Familienkomödie ennuyiren, die nur eine sehr unvortheilhafte Aehnlichkeit mit »Ende gut, Alles gut« hat und statt mit der Versöhnung zwischen Benedict und Beatrice mit einer lächerlichen Trennung auf ewige Zeiten endigte. Denn ist es nicht fast so lächerlich, wie es kläglich ist, daß zwei verliebte Menschen drei Jahre lang zu Wasser und zu Lande sich über alle Maßen gern haben, die Tage zählen, bis sie sich wieder um den Hals fallen dürfen, und es dann nicht sechs Wochen miteinander aushalten können? Und das einzig und allein darum, weil, wie der alte Göthe sagt, der Mann nach Freiheit strebt, das Weib nach Sitte – und dem Mann besagte Sitte als eine erbärmliche Sclaverei erscheint, während das arme junge Weib die sehr bescheidene Freiheit unsittlich findet? O, mein alter Hans, was ich in diesen sechs Wochen ausgestanden habe! Vor Allem auch, weil ich mit mir selbst höchst unzufrieden war. Immer nach unsern ganz unersprießlichen und desto hartnäckigeren principiellen Erörterungen, wo ich meinen bittersten Hohn über ihre Residenz-Etiquette, ihre geschniegelten Vorurtheile in Glacé, ihre Gouvernanten-Moral ausgoß und sie mir mit einem vestalischen Stolz und Trotz, der zum Küssen war, meine bodenlosen Grundsätze schlecht machte, – immer sagte ich mir auf meiner stillen Stube, daß ich ein wahnsinniger Narr sei, die Sache so zu verschütten. Mit einem bischen Diplomatie, zärtlicher List und geduldiger Heuchelei hätte ich ganz trefflich zum Ziele kommen können, die lederne Gesellschaftsfrohne bis zur Hochzeit erdulden und dann unter unsern vier jungen Augen meine kleine Frau nach und nach aus ihrem Puppenstand herauswickeln und mich an ihrem freien Flügelschlag erfreuen.

Aber seltsam: so oft ich mit den besten Vorsätzen von der Welt vor sie hintrat – gleich gab es wieder Krieg. Du mußt nicht glauben, daß sie ihn etwa vom Zaune brach, mich herausforderte und die alten Streitpunkte aufs Tapet brachte. Aber gerade ihre stille Zurückhaltung, ihr sichtbarer guter Wille, mit dem verwahrlos'ten Wilden Nachsicht zu üben und seine Besserung der Zeit zu überlassen – das Alles stieß meine schönsten diplomatischen Vorsätze über den Haufen. Ich fing an zu scherzen, dann zu spotten, endlich die blutigsten Beleidigungen gegen Menschen und Sitten zu schleudern, die ihr heilig waren, – und so trieben wir's Tag für Tag, bis Ein Tag dem Faß den Boden ausstieß – ein böser, böser Tag! –

Er schwieg eine Weile und stierte finster zu Boden. Es hilft nichts! sagte er endlich. Es muß heraus. Ich habe ein einziges Mal in meinem Leben Etwas begangen, was mich vor mir selbst demüthigt – eine Sünde gegen mein eignes ritterliches Gefühl – einen schnöden Streich, den ich mir nie habe vergeben können, obwohl ein Ehrengericht in Sachen der Galanterie, Notabene aus meinen Standesgenossen zusammengesetzt, mich wahrscheinlich mit geringer Buße, wo nicht ganz frei ausgehen ließe. Du weißt, wie ich über alles, was Sündigen heißt, denke: es giebt keine absolute Moral; was den Einen unauslöschlich brandmarkt, ist für den Andern kaum ein leichter Makel, je nach der Feinheit und Empfindlichkeit der Haut. Auch das Gewissen ist ein Culturproduct und der kategorische Imperativ eine pure Fiction. Was ein brutaler Troßknecht beim Plündern einer eroberten Stadt mit aller Gewissensruhe sich erlaubt, würde seinen Offizier auf ewig entehren. Nun, ich will hier nicht theoretisiren! Genug, die innere Harmonie mit dem eignen Gefühl, auf die Alles ankommt, wurde mir damals heillos zerstört. Wie mir die Sache nachging, kannst du daraus erkennen, daß ich Irenens Onkel in einer schwachen Stunde die Geschichte beichtete, so wenig mir an einer Absolution durch diesen wunderlichen Heiligen liegen konnte. Ich merkte das, als er gar nicht begriff, wie ich die Sache so schwer nehmen konnte, um so mehr, da sich Alles eine gute Weile vor meiner Verlobung zugetragen hatte. Ich fühlte gleich die lebhafteste Reue, ihn eingeweiht zu haben, und sein Versprechen, niemals mit einer Silbe darauf zurückzukommen, beruhigte mich wenig.

Richtig vergaß er es selbst, und an jenem unglückseligen Tage fing er – sogar in Gegenwart seiner Nichte – wir hatten von allerlei weit unschuldigeren Abenteuern gesprochen, die sie mir schon nicht passiren lassen wollte, – von jener schlimmen Geschichte an. Es muß was über mein Gesicht geflogen sein, das meiner Liebsten augenblicklich eine Ahnung davon gab: hier handle sich's um etwas Ungewöhnliches. Auch der Onkel wurde stutzig und machte einen ungeschickten Versuch, einzulenken. Das verschlimmerte die Sache. Irene schwieg und verließ bald darauf das Zimmer. Der Onkel, gutmüthig wie er ist, verwünschte einmal über das andere seine Schwatzhaftigkeit; damit war freilich jetzt nichts mehr geholfen. Als ich mein Mädchen allein sah, fragte sie mich, auf was sich jene Anspielung beziehe. Ich war zu stolz zu lügen; ich gestand ihr, daß ich eine Erinnerung mit mir herumtrüge, die ich vor mir selbst zu verleugnen wünschte, geschweige denn vor ihr. Da verstummte sie wieder. Aber am Abend dieses Tages, als ich wieder mit ihr allein war, erklärte sie mir, sie müsse Alles wissen. Ich könne nichts gethan haben, was sie mir nicht zu vergeben fähig wäre; aber sie fühle, daß sie nicht neben mir hingehen könne, wenn ein solches Geheimniß zwischen uns stehe.

Ein Klügerer hätte vielleicht ein Märchen gedichtet und damit größeres Unheil verhütet. Es giebt ja so was wie Nothlügen. Ich aber steifte mich darauf, daß Jeder für seine Thaten allein verantwortlich sei, daß ich zu jener ersten Sünde eine zweite hinzufügen würde, wenn ich die reine Seele meiner Liebsten mit einer solchen Mitwissenschaft belastete, und so blieb ich unerschütterlich, obwohl ich sie zu gut kannte, um nicht zu wissen, was auf dem Spiele stand.

Am andern Morgen erhielt ich ihren Scheidebrief – einen Brief, der mir erst recht Alles zeigte, was ich verlor.

Aber ich war zu weit gegangen, um wieder umlenken zu können. Ich antwortete, daß ich warten würde, bis sie ihren Sinn änderte; inzwischen sähe ich mich immer noch für gebunden an; sie natürlich sei völlig frei.

Das war vor acht Tagen. Ich überlegte, daß es das Nöthigste sein würde, mich aus ihrem Gesichtskreise zu entfernen. Wie ich mein Haus bestellte, auf unbestimmte Zeit, fiel mir in einem Schrank meiner Mutter ein Päckchen Visitenkarten in die Hand mit dem Namen ihres Bruders, meines Taufpathen, Felix von Weiblingen. Es schien mir wohlgethan, unter diesem Namen eine Zeitlang incognito Eine Luft mit meinem ältesten Freunde zu athmen. Damit erreichte ich zugleich das Ziel meiner lebhaftesten Wünsche: ein neues Leben anzufangen. Ein Berufsmensch des gewöhnlichen, numerirten und classificirten Schlages in einem Miniaturstaat steckt nun einmal nicht in mir, und auch im Besitz der vortrefflichsten Frau hätte ich mich auf meinen Gütern mit Rinderzucht, Spiritusbrennerei und Fuchsjagden nicht zu beruhigen vermocht. Besser also, ich benutzte diese unfreiwillige »Zur-Disposition-Stellung« zu dem Versuch, ob ich mir nicht eine Existenz von meinen eigenen Gnaden schaffen könnte. Wenn sie sich mit der Zeit zu mir zurückbesänne, fände sie dann eine fertige Thatsache vor, mit der sie gleichfalls vorlieb nehmen müßte.

Daß ich nicht gleich so viel Gemüthsruhe fand, um mich mit dem Schnellzug in die bildende Kunst zu stürzen, wird mir in deinen Augen keine Schande machen. Ich bin langsam in sehr kurzen Etappen bis vor die Thür deines Ateliers gereis't, aber dieses Zaudern hat mir gut gethan. Du siehst einen ganz vernünftigen Menschen vor dir, der entschlossen ist, sich ohne Murren in sein Schicksal zu fügen. Wenn du mich nun erst in die Mache genommen hast, wird es nicht lange dauern, so wachsen deinem getreuen Icarus die Flügel wieder, die ihn über die ganze armselige Philisterwelt und alle dummen Liebesgeschichten hinausheben.


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