Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zehntes Kapitel.

O München, du vergnügte Stadt,
Wie sprießt so lustig Blatt an Blatt
In deinem goldnen Ehrenkranz,
Wie mehrt sich deines Ruhmes Glanz'.
Da liegst du lachend hingestreckt,
Viel Thürm' ins lichte Blau gereckt,
Und lassest dir gar wohl gefallen
Der jungen Isar kühl Umwallen,
Die, wie die Brückentafel singt,
Hoch am Karwendelberg entspringt.
Du liebst das grüne Alpenkind
Und bist ihm viel zu hold gesinnt,
Mit Arbeit seinen Trotz zu zähmen,
Die Wasserkraft in Frohn zu nehmen.
Arbeitet hie doch Jedermann
Nur wie er mag, nicht wie er kann.

Denn ehmals ist so Viel geschehn,
Nun kann's ein Weilchen stillestehn.
Wer zu viel schafft, der ist nicht klug;
Der Fremde hat zu schau'n genug:
Pinako-, Glypto-, Schackothek,
Standbilder auch auf Weg und Steg,
Bemalte Wände, lang und breit,
Voll Landesruhm und -Herrlichkeit,
Der Feldherrnhalle schöne Zier,
Für künft'gen Ruhm ein weit Quartier,
Paläste, Kirchen ungezählt,
An Friedhöfen es auch nicht fehlt,
So daß kein Ort der ganzen Welt
Für Lohnlakai'n so wohlbestellt.

Und nun, wie blüht in Saft und Kraft
Hier alle Kunst und Wissenschaft!
Wie muß zumal die Kunst gedeihn
Im hochwohlweisen Kunstverein,
Wo Sonntags sich die Menge drängt,
Goldrahm an Goldrahm lockend hängt
Und jedem armen Malerwicht
Die Gottesstimm' sein Urtheil spricht!
»Dies ist zu zahm und dies zu kühn,
Der Busch zu grau, der Baum zu grün;
Nein, sieh dies herz'ge Kind im Hemd,
Und jen's, das seinen Pudel kämmt;
Dies hier ist Marmor – dies ist Holz –
Dies ist ein Seitz und das ein Voltz« –

O Musen, sagt mir an, durchfährt
Euch nicht ein siebenfaches Schwert?
O Musenjünger, schlechtbezahlt,
Indeß der schnöde Pfuscher prahlt,
Sprich, ficht kein Jammerzorn dich an,
Wenn ernst du wandelst deine Bahn
Und Publicus mit grober Faust
Dir plump den jungen Lorbeer zaus't?

Sei still! Verschmerz der Wunde Brand,
Ein kühler Balsam ist zur Hand.
Du stiehlst dich stracks ins Freie fort
Zu einem trauten Ruheport,
Wo deiner Seele schwankes Boot
Fest ankert, fern von Sturm und Noth.
Hie wogt die tröstlich braune Flut,
Die lindert aller Schmerzen Glut,
In die, je mehr der Dulder trinkt,
Je tiefer all sein Leid versinkt.

Und bald ringsum in Mondenpracht
Die alte Zeit ist aufgewacht.
Gestalten siehst du, sanft und kühn,
Zu Bildern wundersam erblühn;
Vergessen ist, was heut dich kränkt,
Dein Geist in Vorzeitstraum versenkt.
Hei, schöne Augen rechts und links,
Hei, lustige Musicanten rings,
Freiheit, m Schenken, Gärten, Gassen
Dich unbeschrieen gehn zu lassen,
Und wenn ein Juyschrei dir entfährt,
Ist kein Gendarm, der dir's verwehrt.
Kehrst du dann heim mit deinem Schatz
Durch Petersthor und Frauenplatz,
Dir lächelt von der Säule mild
Das schöne goldne Frauenbild,
Als sagt' es: Gelt, du junges Blut,
Das Leben hier thut sanft und gut? –
Du aber schleichst ins Kämmerlein,
Ob einzeln, oder ob zu Zwei'n –
Kein Hahn, der danach krähen mag,
Denn hie ist Freiheit Nacht und Tag,
Und bist du fromm, mein lieber Sohn,
Der Sünden Ablaß findst du schon.

O München, du vergnügte Stadt,
Wer würde dich zu rühmen satt!
Und wenn ich auch nur dann und wann
Ein kleines Bild verkaufen kann,
Mag man mich hier in Gottes Namen
Dereinst zu Grabe tragen. Amen.

Diese anspruchslosen Reime, in denen Rosenbusch vor Jahren einmal seinem lyrischen Innern Luft gemacht hatte, würden hier kaum eine Stelle finden, zumal sie von dem Talent ihres Verfassers eine geringere Meinung erwecken möchten, als manche andere seiner bisher ungedruckten Versuche: wenn sie nicht ziemlich unverfälscht die Stimmung ausdrückten, die jedes junge Menschenkind schon nach kurzem Verweilen in der alten Isarstadt zu überschleichen pflegt, und der auch Felix nicht widerstehen konnte. In den ersten Tagen seines Herumschlenderns durch die alterthümlichen Straßen – den neuen, menschenleeren Stadttheilen blieb er möglichst fern – empfand er den ganzen Reiz süddeutschen Volkslebens, die ungebundene derbe Genußkraft, die ewige Feiertagslaune, die das »Erlaubt ist, was gefällt« auf ihre Fahne schreibt. Daß dieser vergnügliche Zustand auch seine Schattenseiten habe, daß es nicht leicht ohne Einbuße gewisser höherer Güter möglich sei, ein Mittelmaß der Stimmung und Bildung herzustellen, in welchem alle Stände sich behaglich begegnen, daß das Fehlen eines eigentlichen Proletariats auch den Mangel einer reichen und kräftigen Geistes-Aristokratie bedingt, – all solche social-politische Bedenklichkeiten blieben unserm Freunde fern, so sehr ihm seine Weltfahrten den Blick für das Culturleben der verschiedenen Länder geschärft hatten. Mit einem stillen Trotz gefiel er sich darin, hier gerade das zu thun und thun zu dürfen, was in der heimathlichen Residenz, der er entflohen war, streng verpönt gewesen wäre. In die verräuchertsten Schenken, die bescheidensten Wirthsgärtchen trat er ein, aß vom ungedeckten Tische, trank aus dem Kruge, den er sich selbst am laufenden Brünnchen ausgeschwenkt hatte, und es schien ihm zu seinem vollkommenen Glück nur Eins zu fehlen: daß die hocharistokratische Gesellschaft, mit der er gebrochen hatte, nicht zufällig vorübergehen und mit stillem Entsetzen sich überzeugen konnte, wie der Flüchtling in seiner selbsterwählten Verbannung sich's wohl sein ließ.

Und doch, wie Alles, was man dem Trotz verdankt, ein heimliches Mißgefühl in der Seele zurückläßt, war ihm in seinem Innersten nicht ganz wohl bei diesem Leben. So lustig es aussah, nun wieder herrenlos und meisterlos herumzuschwirren, – es war doch anders als vor Jahren, wo er die ersten Flüge that. Um es kurz zu sagen, in Augenblicken der Besinnung, wo er sich nicht selbst weder betäuben noch betrügen wollte, mußte er sich mit einer Art Beschämung eingestehen, daß er doch nicht mehr jung genug sei, um das Leben in buntem Scenenwechsel wie ein Abenteuer zu treiben, und daß es in reiferen Jahren mehr auf das Stück und die Rolle ankomme, die man darin spielt, als auf die Coulissen und die Zuschauer, die vor den Lampen sitzen.

Er hatte sich zwar vom ersten Tage an mit Ernst und Eifer seinem neuen Lehrlingsstande ergeben. Aber sein Gewissen war zu feinhörig, um das Wort zu vergessen, das Jansen ihm über seinen Künstlerberuf gesagt. Hätte der Freund ihm zu seinem Entschluß Glück gewünscht, wer weiß, ob er nicht trotz Allem, was hier zu seinem Glücke fehlte, im Großen und Ganzen sich so wohl gefühlt hätte, wie es überhaupt in dieser unvollkommenen Welt zu hoffen ist. aber sagte ihm sein stolzes Herz, daß die trefflichen Leute, die sein nächster Umgang waren, ihn doch im Stillen nicht für voll nahmen, sondern ihn für einen seltsamen Menschen ansahen, der aus bloßer Laune statt einer anderen standesgemäßen noblen Passion sich auf die Kunst geworfen habe.

Diese mißliche Empfindung wurde noch dadurch gesteigert, daß sein Verhältniß zu dem einzigen alten Freunde hier, nach dessen Umgang er sich leidenschaftlich gesehnt hatte, trotz ihrer täglichen Nähe nicht in der alten Traulichkeit wieder aufleben wollte.

Als sie sich vor Jahren in Kiel kennen gelernt hatten, wo Felix seine juristischen Studien begann, waren sie einander bald unentbehrlich geworden. Der einsame Künstler bedurfte eines Freundes mit offnen Sinnen, der gerade in der ersten Zeit, wo sein Talent sich noch tastend durcharbeitete, ihm durch seinen lebendigen Antheil den Muth anfeuerte; und Felix übersah bald genug das geist- und geschmacklose Treiben seiner Corpsbrüder, um sich nach anderem Umgange zu sehnen. Die Stunden, die er der Kneipe und dem Fechtboden abstahl, um mit Jansen allerlei edlere Künste zu treiben, sich selbst an einem Stück Thon zu versuchen, oder auch nur des Abends auf der dürftigen Stube des Freundes, bei einem sehr frugalen Essen und bescheidenem Wein, trauliche Gespräche zu führen, standen in seiner Erinnerung als die glücklichsten seiner ganzen Jugendzeit. Schon damals erschien Jansen als ein sehr eigenartiger, verschlossener, fester und gewaltiger Mensch, der nichts bedurfte, als was er sich aus eigener Kraft zu geben vermochte. Man wußte, daß er aus einem Bauernhause stammte, nur nach zufälligen Anregungen, ohne alle Förderung durch Lehrer und Gönner, blos durch die eherne Kraft seines Willens sich zum Künstler gebildet hatte. Wie er es dabei auch auf anderen Gebieten zu einer Bildung hatte bringen können, der Niemand so leicht den Mangel einer regelmäßigen Schule anmerkte, war fast noch unbegreiflicher. Nach und nach fing sein Talent an, Aufsehen zu machen; einige Bestellungen fanden sich ein, die ihm nothdürftig zu leben gaben. Da er es aber verschmähte, sich in der Gesellschaft als ein Wunderthier begaffen, von den Damen verhätscheln, zu ästhetischen Thees sich heranziehen zu lassen, erkaltete bald genug die erste Theilnahme, und man überließ den Sonderling, der sich dem modernen Kunsttreiben so schroff gegenüberstellte, mit Achselzucken wieder sich selbst, seinen nackten Götterbildern und seiner unverhüllten Verachtung des gesellschaftlichen Herkommens.

So hatte ihn Felix damals gefunden, und nicht viel anders fand er ihn jetzt nach all den Jahren wieder: allem Menschenverkehr abhold, der nicht zu seiner Kunst in irgend einer Beziehung stand, und selbst den wenigen näheren Bekannten in seinem inneren Leben unzugänglich. Aber die Jahre waren dennoch nicht spurlos vorübergegangen. Sie hatten ihn selbst dem Einzigen, dem er sich damals ohne Rückhalt mitzutheilen liebte, so sehr entfremdet, daß nach dem ersten Aufwallen der alten Zärtlichkeit eine gleichmäßige mittlere Temperatur zwischen den Jugendfreunden eintrat, kaum um einen Grad wärmer, als zwischen Jansen und den übrigen Mitgliedern des kleinen Kreises. In den langen Stunden, die der Schüler neben seinem Meister bei der Arbeit verbrachte, war hundertfältige Gelegenheit, von alten Zeiten zu reden. Aber der Bildhauer schien jeder Erinnerung an die Vergangenheit auszuweichen. Sie hatten damals auch aus ihren Liebeshändeln einander kein Geheimniß gemacht, und mehrmals kam Felix jetzt auf seine jüngsten Bräutigamsschicksale zurück. Dann war es, als ob sich plötzlich ein finsteres Gespenst vor Jansen hinstellte. Mit bitterem Humor oder einem gewaltsamen Spaß suchte er dem Gespräch eine allgemeine Wendung zu geben und versank bald darauf in desto trübsinnigeres Schweigen.

Felix fühlte, wie schwer diese kühle Zurückhaltung auf seine ohnehin nicht leichtgemuthe Stimmung drückte. Er hatte sich nach dem Schiffbruch seines Liebesglücks auf diese Freundschaft zurückziehen wollen, und nun fand er hier nicht mehr das grüne Eiland seiner jungen Zeit, sondern wohl festen Boden, aber nackt und unwirthlich und den ehemals weichen Grund zum spröden Felsen erstarrt.

Eines Abends, als er einsam und nicht in der heitersten Laune die Briennerstraße herunterging, begegnete er der schönen Fremden, die jetzt täglich zu Angelica kam, von dieser jedoch eifersüchtig vor allen andern Blicken verborgen gehalten wurde. Sie schien von einem Spaziergang heimzukehren, wenige Schritte hinter ihr ging der alte Bediente, der ihr ein Mäntelchen nachtrug. Felix grüßte sie, sie dankte mit einem befremdeten Blick; offenbar hatte sie ihn nicht wiedererkannt. Dann sah er sie in ihr Haus eintreten und bald darauf das Eckzimmer im Erdgeschoß von Lampenlicht sich erhellen. Es wäre ihm leicht gewesen, durch das niedrige Fenster ihr Thun und Treiben zu beobachten. Es lag ihm aber nichts daran, obwohl er ihre Schönheit bewunderte. Denn keine liebliche Gestalt, kein reizendes Gesicht konnte ihm begegnen, ohne seine Gedanken sofort zu der verlorenen Liebsten zurückzuführen und ihn in melancholische Träumerei zu versenken.

So geschah es ihm auch heut. Und plötzlich kam es ihm so absurd und wahnwitzig vor, wie einsam er hier herumging, in der wildfremden Stadt, unter Menschen, die sich nicht um ihn kümmerten, von Der getrennt, die ihm die einzig Geliebte war, daß er laut auflachen mußte, um freilich gleich darauf um so schmerzlicher zu seufzen.

Er fühlte die Unmöglichkeit, in dieser Stimmung die Freunde aufzusuchen, die auf einem Sommerkeller seiner warteten. Auch Jansen pflegte dabei zu sein. Aber selbst wenn Alles zwischen ihnen beim Alten geblieben wäre, würde er ihm heute ausgewichen sein.

In solcher Gemüthsverfassung, wenn er die Menschen nicht ertragen konnte, pflegte ihm nur wohl zu werden auf dem Rücken eines Pferdes.

In der Nähe wohnte ein Stallmeister, zu dem ging er, und sprengte bald darauf auf einem stattlichen Thier über den Obeliskenplatz. Er ritt die schöne breite Straße hinab durch das marmorne Thor der Propyläen, und draußen in der schattigen Allee, die nach dem Nymphenburger Schlößchen führt, ließ er sein Pferd nach Herzenslust ausgreifen. Es war aber selbst hier draußen, wo eine freiere Luft über die stillen Felder wehte, noch so schwül, daß das Pferd sich bald von selbst wieder zu einem ruhigeren Tempo bequemte.

Die Straße war nicht sehr belebt. Nur einzelne Arbeiter wanderten aus der Stadt nach Hause, ein paar Soldaten kamen Arm in Arm singend aus einer Schenke. Sie gingen hinter einem Mädchen her, das sich beeilte, vor der völligen Dunkelheit in die Stadt zurückzukommen. Sie war sauber gekleidet, von sehr hübschem Wuchs, und hatte ihr Haar, wie es damals eben Mode wurde, frei über die Schultern herabhangen. Das schien die Burschen zu reizen, mit ihr anzubinden, und die kurze, schnippische Art, mit der das Mädchen sie abfertigte, fachte ihren Muthwillen erst recht an. Der Eine griff ihr in die flatternden Haare, der Andere wollte sich scherzend ihres Armes bemächtigen, und da zufällig der Fußweg hinter den Bäumen ganz menschenleer war, hätte sie umsonst sich der Zudringlichen zu erwehren gesucht, wenn nicht Felix gerade in diesem Augenblick herangesprengt wäre. Mit lauter Stimme rief er den Burschen zu, sie sollten auf der Stelle das Mädchen loslassen und sich zum Teufel scheren. Mochten sie ihn nun für einen Offizier in Civil halten oder nur von seinem gebieterischen Wesen eingeschüchtert werden, genug, sie gehorchten sofort und entfernten sich querfeldein nach der Caserne, deren mächtiger Bau fern über die dunkle Wiese herüberragte.

Der Retter sah sich jetzt die Gerettete näher an. Es war kein Zweifel, dieses Stumpfnäschen, diese weißen Zähne und rochen Haare hatte er schon einmal gesehen, an jenem ersten Morgen in Jansen's Atelier. Nun fiel ihm auch der Name wieder ein.

Guten Abend, Fräulein Zenz! sagte er. Was machen Sie für gefährliche einsame Promenaden?

Gefährlich? gab sie lachend zurück, da sie auch ihn sogleich erkannt hatte. Was ist Gefährliches dabei? Gefressen hätten Die mich nicht. Ich kann mich schon wehren.

Wenn ich aber nicht zum Glück dazu gekommen wäre –

Meinen Sie, ich wäre den Beiden nicht doch ausgekommen, auch ohne Ihre Hülfe? Ich laufe wie der Wind. Mich holten Sie nicht einmal zu Pferde ein.

Das wollen wir doch sehn, kleine Hexe! Wenn Sie jetzt nicht gutwillig –

Er beugte sich zu ihr hinab und haschte nun gleichfalls nach ihrem Haar. Sofort aber wirbelte sich die schlanke kleine Gestalt um ihre eigene Achse, daß ihm die langen Strähnen wieder aus der Hand glitten, sprang dann wie der Blitz über den schmalen Chausseegraben und rannte, ehe er zur Besinnung kommen konnte, in das weite Feld hinaus, wo sie ihm wie durch ein Wunder plötzlich aus den Augen war.

Das Pferd hatte bei der heftigen Bewegung des Mädchens gescheut und einen Augenblick seinem Reiter zu schaffen gemacht. Als er es jetzt wieder beruhigt hatte und nun halb lachend, halb ärgerlich der Entflohenen auf das Marsfeld nachsprengte, war in der That weit und breit keine Spur von ihr zu entdecken. Er rief ihren Namen, er gab ihr die besten Worte und versprach, sie nicht mehr anzurühren, wenn sie nur wieder zum Vorschein käme. Erst als er die Hoffnung schon aufgegeben hatte und das Pferd verdrießlich herumriß, um in die Allee zurückzureiten, hörte er dicht neben sich hinter einem kleinen Steinhaufen, den er im Eifer übersehen hatte, ein helles Kichern, und plötzlich richtete sich das Mädchen vom Boden auf und schritt unbefangen auf ihn zu.

Sehen Sie wohl, daß Sie mich nicht hätten fangen können, wenn ich nicht gewollt hätte? rief sie. Nun reiten Sie nur ruhig nach Hause, ich finde schon meinen Weg.

Eine wahre Hexe bist du! rief er lachend. Ich sehe, daß man sich eher vor dir fürchten muß, als daß dir bange zu sein brauchte. Aber höre, Zenz, da wir nun doch einmal so zusammengetroffen sind, sage mir nun auch, weßhalb du nicht wieder zu Herrn Jansen kommen willst?

Die Frage schien ihr unbequem. Sie drehte sich auf dem Absatz herum und sagte trotzig, indem sie anfing ihre verwirrten Haare in Ordnung zu bringen: Was geht es Sie an? Was wissen Sie überhaupt von mir? Ich kann thun und lassen, was ich will.

Freilich, Zenz. Aber es wäre hübsch von dir, wenn du Vernunft annähmst und dich einmal wieder sehen ließest. Ich bin auch Künstler und würde gern eine Zeichnung von dir machen. Oder, wenn du nicht mehr in das große Atelier kommen willst, – ich habe eine ganz stille Wohnung, kein Mensch würde es erfahren, wenn du zu mir kämst – es geschähe dir gewiß nichts zu Leide, und ich würde dir etwas Schönes schenken, du könntest fordern, was du wolltest.

Sie hatte, während er sprach, beständig den Kopf geschüttelt. Was sie für ein Gesicht dazu machte, konnte er nicht sehen, da sie das Kinn tief auf die Brust gesenkt hatte. Jetzt sah sie plötzlich zu ihm auf und sagte, die losen Haare in einen dicken Knoten schlingend, mit einem kleinen Lachen, das ihr sehr gut stand: Ich möchte einmal zu Pferde sitzen und recht wild im Kreise herumreiten.

Wenn es weiter nichts ist! lachte er. Komm! Setz den Fuß nur dreist in den Bügel!

Er bog sich wieder zu ihr hinab, faßte sie unter die Arme, die sie ihm entgegenstreckte, und schwang das leichte Persönchen wie eine Feder in die Höhe; dann ließ er sie vor sich auf den Sattel nieder und ergriff die Zügel. Sofort schlang sie ihre Arme fest um seinen Leib und schmiegte sich so dicht an ihn, daß ihm einen Augenblick der Athem verging. Sitzest du fest? rief er ihr zu. Sie nickte und kicherte leise vor sich hin. Nun setzte er das Pferd in Bewegung und fing an im Kreise herum zu reiten, erst mäßig, dann immer rascher und wilder, und sie saß ohne sich zu rühren vorn auf dem Sattel und hatte ihr Gesicht fest an seine Brust gedrückt Macht es dir Spaß, rief er, oder soll ich aufhören? – Sie gab keine Antwort. – Wie wär's, sagte er, wenn ich jetzt so mit dir in die Stadt zurücktrabte und hielte erst an meinem Hause still, da müßtest du gern oder ungern mit mir kommen und thun, was ich wollte. Bist du nun nicht doch in meiner Gewalt?

Er hielt einen Augenblick den Zügel an, als ob er ihr Zeit lassen wollte, zu dem längeren Ritt sich recht fest zu setzen. Aber plötzlich fühlte er, wie ihre Arme seine Brust freiließen, und im nächsten Augenblick war sie vom Sattel des Thiers heruntergeglitten und stand hoch aufathmend und ihren leichten Anzug zurechtstreichend auf dem nächtlich dämmernden Felde vor ihm.

Ich danke Ihnen schön, sagte sie, es war sehr lustig, aber nun ist's genug. Und all das Andere ist dummes Zeug, und damit Gut' Nacht! Wenn Sie mich wieder fangen können, mögen Sie mich behalten!

Im Nu war sie davon gesprungen und hinter den nächsten Häusern verschwunden. Auch wenn es ihm ernstlich darum zu thun gewesen wäre, ihr nachzusetzen, hätte er zwischen den Gärten und Hecken, die das Feld einsäumen, ihre Spur nicht wieder aufzufinden vermocht.

Einige Vorübergehende hatten dem abenteuerlichen Auftritt von der Allee aus zugesehen. Er hörte allerlei Scherzreden, die er nicht verstand. Gott sei Dank! rief er vor sich hin. Wenn ich mir dergleichen in meiner theuren Heimath erlaubt hätte, spräche morgen die ganze Stadt von nichts Anderem, mit den unsinnigsten Uebertreibungen. Und hier – »hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein!« Es lebe die goldene Freiheit!

Er ritt heiter aufgeregt nach der Stadt zurück. Immer noch glaubte er die Arme des Mädchens um seine Brust zu fühlen und ihren warmen Athem in seinem Gesicht. Sein Blut war nicht, wie er gehofft hatte, durch den Ritt gekühlt worden, und der scharfe Trab, zu dem er sein Thier spornte, wollte nicht mehr viel helfen. Er lieferte das schweißtriefende Pferd in der Reitbahn wieder ab und bog dann in die Briennerstraße ein, um im Hofgarten noch eine Weile zu sitzen, Eis zu essen und seinen Träumen nachzuhangen.

Als er wieder an das Haus kam, wo Julie wohnte, stutzte er. Wer stand dort unbeweglich an den Gartenzaun gelehnt, die Augen auf das helle Parterrefenster geheftet? Jansen?

In weitem Bogen umging ihn Felix und blieb auf der andern Seite der Straße im Schatten der Häuser stehn. Wohl eine halbe Stunde sah er den Freund drüben auf seinem Posten ausharren. Dann wurde das Fenster durch eine dichte Gardine verschlossen, gleich darauf riß der Späher am Gitter sich los und entfernte sich langsamen Schrittes.

Felix ging ihm nicht nach. Er verschmähte es, die geheimen Wege des Freundes auszuspüren. Was ihm der Zufall hier offenbart hatte, gab ihm für heute genug zu denken, ohne daß er den Zusammenhang enträthseln konnte.


 << zurück weiter >>