Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Kapitel.

Er kam natürlich, sich zu entschuldigen, Angelica mochte es ihm wohl dringend gemacht, ihm den Zorn der schwerbeleidigten Freundin lebhaft genug ausgemalt haben, da er schon nach zwei Stunden an ihre Thür klopfte. Ihr erster Gedanke war, für ihn unsichtbar zu sein. Aber wenn er nun die Sache allzu leicht nähme, mit einer scherzhaften oder gar galanten Entschuldigung sie zu versöhnen dächte? Er sollte doch erfahren, mit wem er es zu thun habe, und nicht so leichten Kaufs davonkommen. Wozu war sie »das Mädchen ohne Herz« und jetzt, ohne Freund und Beschützer, ganz auf ihre eigene Würde angewiesen, die hier so dreist verletzt worden war!

Der Herr möge nur die Güte haben – es würde mir sehr angenehm sein – sehr angenehm!

Sie stand mitten im Zimmer, als er hereintrat. Das schöne Gesicht hatte sich bemüht, seine kälteste Miene, seinen fremdesten Ausdruck anzunehmen. Aber bei dem ersten Blick, den sie auf den Eintretenden warf, schmolz der Eispanzer, den sie um ihre Brust gelegt hatte.

Denn in der That: ein ganz Anderer, als sie erwartet hatte stand ihr da gegenüber. Wo war das überlegene Lächeln, das die Kränkung als einen Scherz oder gar als eine Huldigung zu deuten suchte? Wo die Sicherheit, mit welcher der berühmte Meister auf Absolution rechnete für eine Sünde, die eine unbekannte Schönheit verewigen sollte?

Zwar erschien er auch nicht als ein reuiger Missethäter. Aufrecht und mit einer kaum merklichen Verbeugung begrüßte er sie, und seine Augen wichen den ihrigen nicht aus; ja, sie ruhten sogar mit einem so düstern Feuer auf ihren Zügen, daß sie selbst die Wimpern unwillkürlich senken und sich im Stillen fragen mußte, ob sie nicht vielmehr die Schuldige sei, da dieser Mann so traurig und verstört vor sie hintrat.

Mein gnädiges Fräulein, sagte er, ich habe Ihnen Grund gegeben, sehr ungehalten auf mich zu sein. Ich komme nur, um Ihnen mitzutheilen, daß der Anlaß Ihres Unwillens, Ihrer Entrüstung schon beseitigt ist; wenn Sie Lust hätten, mein Atelier noch einmal zu besuchen – woran ich leider zweifeln muß – würden Sie an der Stelle, wo Ihre eigenen Züge Ihnen heut entgegenblickten, eine formlose Masse finden.

Sie haben – Sie hätten wirklich –

Ich habe gleich gethan, was ich Ihnen schuldig war, um Sie nicht an mir irre werden zu lassen. Früher oder später hätte ich es jedenfalls thun müssen – auch wenn Niemand darauf gedrungen hätte. Ich wünschte sehr, daß Sie mir das glauben möchten – obwohl ich es kaum hoffen darf, da Sie mich nicht kennen – und vielleicht noch immer zu ungehalten auf mich sind, um – um mir nicht jede Rücksichtslosigkeit zuzutrauen.

Ich? – Ich gestehe – ich habe bisher weder im Guten noch im Bösen –

Sie vollendete nicht – sie fühlte, daß sie erröthete, da sie ihn ihrer vollständigen Gleichgültigkeit versichern wollte – drei Schritte von dem Schubfache, in welchem ihre Bekenntnisse lagen.

Ich weiß es, fuhr er fort, und sein düsterer Blick schweifte verloren durch das helldunkle Zimmer. Ich bin Ihnen so völlig fremd, daß es Ihnen am Ende leicht werden muß, Etwas zu verzeihen, was keine wärmere persönliche Empfindung in Ihnen aufgeregt hat. Ein ganz Unbekannter kann uns nicht beleidigen. Wenn er das wieder zurücknimmt, womit er uns verletzt hat, so ist es, als wäre nichts geschehen. Und so könnte ich denn mit nochmaliger Versicherung meines aufrichtigen Bedauerns, Sie, mein gnädiges Fräulein, unwissentlich gekränkt zu haben, mich empfehlen.

Sie machte eine kaum merkliche Bewegung nach dem Sopha hin, als ob sie ihn einladen wolle, Platz zu nehmen. Er war viel zu sehr mit seinen Gedanken beschäftigt, um darauf zu achten.

Es ist vielleicht eine Thorheit, fuhr er nach einer Pause fort – vielleicht mehr als das: ein Unrecht, wenn ich Sie noch länger belästige und Ihnen eine Aufklärung gebe, nach der Sie gar nicht begierig sind, und die Ihnen vielleicht unliebsam erscheinen wird – da sie für Sie selbst höchst gleichgültig ist, nicht viel interessanter, als wenn Sie hören, zehn Meilen von Ihnen sei ein Gewitter gewesen und der Blitz habe in einen Baum eingeschlagen. Dennoch – nachdem ich mein Unrecht eingestanden und nach Kräften wieder gut zu machen versucht habe – bin ich es auch mir schuldig, keinen böseren Schein auf mir ruhen zu lassen, als ich in der That verdiene. Wenn man vor Gericht auf Unzurechnungsfähigkeit plaidiren kann, ist das von allen mildernden Umständen der entscheidendste. Nun, in diesem Falle befinde ich mich Ihnen gegenüber. Den wahnsinnigen Gedanken, Ihre Züge meiner Eva zu geben, kann ich damit entschuldigen, daß ich, seit ich Sie zuerst gesehen, in der Thal wahnsinnig war, daß im Wachen und Träumen kein anderes Gesicht mir vorschwebte, als das Ihre, daß ich wie im Fieber herumgegangen und dieser hoffnungslosen Leidenschaft nicht anders Rath gewußt habe, als indem ich, einsam in meine Werkstatt eingeschlossen, versuchte, Ihr Gesicht vor mich hinzustellen, – was mir nun schlecht genug bekommen ist!

Er machte eine Bewegung, wie wenn er gehen wollte, blieb aber wieder stehen und schien mühsam nach Worten zu suchen.

Sie schweigen, mein Fräulein, fuhr er fort. Ich weiß, Sie finden es sehr sonderbar, daß ich eine große, kaum verzeihliche Dreistigkeit durch eine noch größere zu beschönigen versuche. Sie werden mir vielleicht nicht glauben, oder mich für einen überspannten Narren halten, da ich Ihnen, nach einer so kurzen Bekanntschaft, von einer Leidenschaft vorschwatze, die mich über alle Schranken der Sitte und Schicklichkeit hinausgerissen hat. Aber Sie würden anders urtheilen, wenn Sie wüßten, in wie furchtbarer Oede und Herzensleere ich die fünf Jahre, seit ich in München bin, hingelebt habe, daß mir nie eine Stunde Glück beschert war, nie ein weibliches Wesen sich mir genähert hat, das mir einen lebhafteren Eindruck gemacht hätte. Es war mir freilich nicht der Mühe werth, danach zu suchen. Ich bildete mir ein, ich entbehrte gar nichts, mein Herz und meine Sinne hungerten und dürsteten nicht – bis Sie mir plötzlich begegneten – und nun nach der langen Entbehrung mir diese plötzliche Offenbarung von Schönheit und Liebreiz einen Rausch verursachte, der mich ganz und gar von Sinnen brachte.

Ich zweifle, daß Ihnen diese Erklärung einleuchten wird. Ich weiß nicht Mehr von Ihnen, als Ihre begeisterte Freundin, die gute Angelica, uns erzählt hat. Vielleicht haben Sie an sich selbst nie eine Erfahrung gemacht, die Ihnen eine so plötzlich über vernünftige Menschen hereinbrechende Leidenschaft nicht als ein Märchen erscheinen ließe. Genug, ich glaubte es mir schuldig zu sein, Ihnen diese Thatsache – nur als einen seltsamen Fall, der Sie nicht weiter zu kümmern braucht – mitzutheilen. Und nun erlauben Sie mir, mich Ihnen zu empfehlen. Ich – ich hätte Ihnen in der That nichts mehr zu sagen, und Sie, – daß Sie auf diese sonderbaren Eröffnungen zu schweigen vorziehen – finde ich nur in der Ordnung.

Nein, sagte sie plötzlich, da er schon den Thürgriff in der Hand hatte; so ganz in der Ordnung wäre das doch nicht, daß der eine Theil Alles sagt, was er auf dem Herzen hat, und der andere das nur eben hinnimmt, ohne es mit der geringsten Gegengabe zu erwiedern. Zwar weiß ich wohl: – Manches von dem, was Sie mir vertraut haben, muß ich auf Rechnung der leicht erregbaren Künstlerphantasie setzen. Aber so eitel bin ich doch nicht, daß ich mir einbilden sollte, in fünf Jahren sei Ihnen kein Gesicht begegnet, schöner und blühender, als das meine, das ich nun schon volle einunddreißig Jahre auf meinen Schultern trage. Ich muß daher fast glauben, es gebe wirklich so Etwas wie eine geheime Schicksalsstimme, die zwei Menschen räthselhaft schnell einander nähert. Denn sehen Sie – fuhr sie mit einer reizenden Verwirrung fort, während sie das Schubfach ihres Schreibtisches aufzog und ihr Tagebuch hervorholte – auch ich, obwohl ich vielleicht noch weniger von Ihnen wußte, als Sie von mir, – auch ich habe mich viel mit Ihnen in Gedanken unterhalten – und wenn Sie nun mein heimlich entwendetes Bild wieder zerstört haben, müßte auch ich am Ende diese Blätter, auf denen von Ihnen die Rede ist –

Sie machte eine Geberde, als ob sie die Blätter herausreißen wollte. Im Nu war er hinzugestürzt und hielt ihr den Arm fest.

Julie! rief er wie außer sich, ist es wahr – ist es möglich? Ihre Gedanken waren bei mir? – auf diesen Blättern – ich beschwöre Sie, lassen Sie mich nur einen Blick – nur eine einzige Zeile, daß ich nicht denke, Sie hätten sich das nur ausgedacht, mir zum Trost, um mich aus meiner Beschämung –

Beschämung! flüsterte sie. Aber sehen Sie denn nicht, daß ich trotz meiner einunddreißig Jahre am ganzen Leibe zittere, wie ein ertapptes Kind? Soll ich Ihnen denn wirklich aus diesem thörichten Buch erst vorlesen, was Sie – was Sie aus meinem Schweigen längst errathen hätten, wenn – Sie nicht selbst so sehr gezittert hätten?

Die letzten Worte erstarben ihr auf den Lippen. Das Buch glitt ihr aus den Händen auf den Teppich hinab, wo es liegen blieb, ohne daß er sich bückte, es aufzuheben.

Es war wie eine Art Betäubung über ihn gekommen. Er hatte ihre beiden Hände ergriffen und drückte sie so heftig, daß es sie schmerzte, aber der Schmerz that ihr wohl. Sein Gesicht war dem ihren so nah, daß sie jede Muskel darin beben sehn konnte, seine Augen glänzten von einem fast unheimlichen Feuer, wie der Blick eines Nachtwandlers. Und doch graute ihr nicht. Sie hätte immer so stehen und ihre Hände in den seinen fühlen mögen und die Gewalt seines Blickes erdulden.

Nur da sie fühlte, daß ihr die Augen übergehen wollten, und fürchtete, er möchte es mißverstehen, sagte sie leise, indem sie lächelnd den Kopf schüttelte: Glauben Sie mir denn noch immer nicht?

Da ließ er ihre Hände los, schlang die Arme um die wehrlos Hingegebene und zog sie stürmisch an seine Brust. – –

Im Vorzimmer erklang ein Geräusch, der alte Bediente schien durch das Klappern mit Tellern und Bestecken den Besucher daran erinnern zu wollen, daß die Essenszeit respectirt werden müsse.

Wie aus einem Traum aufschreckend entwand Jansen sich plötzlich den Armen des geliebten Mädchens. Ich Unseliger! rief er dumpf, sich vor die Stirn schlagend. O mein Gott, wohin habe ich mich fortreißen lassen! –

Wohin unsre Herzen uns vorangegangen waren! sagte sie mit ihrem süßesten Lächeln, während ihre feuchten Augen die seinigen suchten. Was ist Ihnen, liebster, theuerster Freund? fuhr sie dringend fort, da er nach seinem Hut griff. Sie wollen gehen – jetzt –? Aber was treibt Sie von mir? Wer – wer kann uns trennen? Was hab' ich denn gethan, um Sie nun wieder von mir abzuwenden? Mein bester, theuerster Freund, ich beschwöre Sie –

Er mühte sich ab, eine Antwort herauszubringen; sein bleiches Gesicht überflog plötzlich wieder eine dunkle Röthe. Fragen Sie mich jetzt nicht – stammelte er; diese selige Stunde – dieses unbegreifliche Glück – nein – es soll – es kann nicht sein! Vergeben – vergessen Sie –

In diesem Augenblick öffnete der Alte die Thür; er warf einen Blick auf den Fremden, der nicht gerade zum Bleiben einlud. Hastig trat Jansen zu dem bestürzten und sprachlosen Mädchen: Sie hören von mir, bald, Alles. Verzeihung – und seien Sie ewig gesegnet für diese Stunde!

Er haschte nach ihrer Hand, die er heftig an seine Lippen drückte. Dann stürzte er aus dem Zimmer, von dem Diener kopfschüttelnd hinausbegleitet, während Julie in der wunderlichsten Verfassung ihm nachblickte.

Zwar, sobald sie nur wieder allein war, behielt die Seligkeit der erwiederten Liebe das letzte Wort gegen alle Zweifel, die in ihr laut werden wollten. Sein räthselhaftes Betragen – seine plötzliche Flucht, sein Aufschrecken aus der lieblichsten Erfüllung hoffnungsloser Träume – sollte sie das an ihm irre machen, da es nur bestätigte, was er selbst sich nachgesagt: daß dieser Rausch ihn um alle Besinnung gebracht habe? War es nicht auch im Grunde das Beste, das Wunder, das an ihnen Beiden geschehen, nicht sogleich in die Stimmung des alltäglichen Lebens herabzuziehen, sondern sich zu trennen und den vollen Schatz im Busen davonzutragen? Morgen – morgen wird er wiederkommen, und Alles wird wieder neu und unbegreiflich sein, wie heute; und ist der Tag denn verloren, wo man sein Glück beständig bedenken, und die Nacht, wo man davon träumen kann?

Sie warf den Kopf zurück, als ob sie damit die letzten Bedenken von sich abschütteln wollte. Dann trat sie vor den Spiegel und fing an ihr Haar wieder aufzustecken, das der stürmische Freund ihr ganz zerrüttet hatte. Was hätte ihr alter Diener gedacht, wenn er sie so gefunden? Dabei lachte sie heimlich ihr eigenes Bildniß an, wie ein vertrautes Wesen, das allein um eine große Freude weiß, die uns eben zu Theil geworden. So wenig sie sonst sich zu betrachten liebte, heute konnte sie nicht vom Spiegel wegkommen. – So also muß man aussehen, um ihm zu gefallen! sagte sie vor sich hin. Ob er auch das Fältchen hier gesehen hat und diesen scharfen Zug und Alles, was die häßlichen kummervollen Jahre in dies Gesicht hineingekritzelt haben? Aber nun hilft es nichts mehr; ich wenigstens habe ihn nicht betrogen, und er hat doch auch Augen im Kopf – und was für Augen!

Dann seufzte sie wieder und preßte die Hand aufs Herz. Wer hätte das gedacht! sagte sie, wieder auf und ab gehend; gestern noch, wie ruhig war ich hier – gelangweilt und lebensmüde – und heute –! Und kein Mensch außer uns Zweien weiß davon! Freilich, Angelica – ob sie nichts ahnt? – Das gute Herz! Ich sollte am Ende zu ihr gehen und ihr beichten – Aber sähe es nicht aus, als ob ich mit meinem Glück vor ihr großthun wollte? Und ich wette darauf, heimlich liebt sie ihn auch – wer kann mit ihm unter Einem Dache wohnen und ihm widerstehen! – – »Julie Jansen« – es klingt, wie wenn es von Ewigkeit her nicht anders hätte sein können. –

Es wurde ihr plötzlich so schwül und eng im Zimmer, daß sie den Alten nach einer Droschke schickte, um ein wenig spazieren zu fahren. Er durfte sich auf den Bock setzen, und so machten sie in langsamem Trabe eine Runde durch den englischen Garten. Das liebliche Wetter und der Sonntag hatten dort alle Wege und Stege bevölkert, alle Wirthsgärten waren voll Musik und Gewimmel. Es war ihr sonst nie wohl gewesen unter vielen lustigen Menschen, da sie durch ihr einsames Leben bei der unglücklichen Mutter allem lärmenden Treiben entwöhnt worden war. Heute hätte sie sich am liebsten mitten unter das Gewühl gemischt, als gehöre sie nun dazu, da auch sie einen Freund gesunden, wie all diese sonntäglich geputzten Mädchen. Sie ließ vor dem chinesischen Thurm halten und horchte lange ordentlich gerührt auf die sentimentale Blechmusik, die ihr an jedem andern Tage ein Lächeln abgenöthigt hätte. Die Leute, die vorbeikamen, wunderten sich über das schöne, einsame Fräulein, das so unverwandt in die Baumwipfel hinaufsah. Sie wußten nicht, daß die Farbe der Luft, oben zwischen den hohen Silberpappeln, an gewisse Augen erinnerte, die der Dame im Wagen beständig vorschwebten.

Es dämmerte schon, als sie von ihrer Fahrt nach Hause kam. Auf dem Tische lag ein Billet, das in ihrer Abwesenheit gebracht worden war. Sie erschrak, da sie es in die Hand nahm. Wenn es von ihm war – wenn er geschrieben hatte, statt zu kommen – Und doch, obwohl sie seine Handschrift nie gesehn, das konnten seine Züge nicht sein; es war eine Frauenhand. Mit ruhigerem Herzen trat sie ans Fenster und las folgende Zeilen:

 

»Eine Unbekannte, deren Namen nichts zur Sache thut, glaubt es Ihnen schuldig zu sein, geehrtes Fräulein, Sie vor einem Manne zu warnen, dessen Bewerbungen um Sie kein Geheimniß mehr sind, da er regelmäßig des Abends vor Ihren Fenstern zu finden ist und Ihnen heute sogar einen Besuch gemacht hat. Erfahren Sie, daß dieser Mann eine Frau besitzt und ein Kind von sechs Jahren, was er allerdings vor all seinen Bekannten verheimlicht. Die Beurtheilung dieses Benehmens Ihnen selbst überlassend, zeichnet achtungsvoll

N. N.«

 

Eine halbe Stunde darauf erscholl die Klingel aus Juliens Zimmer. Der alte Diener fand seine Herrin an ihrem Schreibtisch sitzend, mit ruhigem Gesicht, aber noch Spuren von Thränen auf den Wangen, die sie vergessen hatte wegzuwischen. Sie hatte eben einen Brief geschlossen und reichte ihn dem Alten.

Besorgen Sie den noch heute, Erich, und zwar in das Atelier – die Wohnung des Herrn Jansen weiß ich nicht. Der Hausmeister soll ihn morgen früh gleich abgeben. Und nun bringen Sie mir etwas zu essen – wir sind um den Mittag gekommen – Ich – ich sterbe sonst vor Erschöpfung.

In dem Brief an Jansen war das namenlose Billet eingeschlossen, Julie hatte Nichts hinzugefügt als die Worte:

 

»Ich bin morgen den ganzen Tag zu Hause; kommen Sie und geben Sie mir den Glauben an die Menschheit zurück und an mein eigenes Herz.

Ihre Julie.«


 << zurück weiter >>