Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Die Freunde hatten ihre Schritte nach einem Wirthsgarten am Dultplatz gelenkt, wo es um diese Tageszeit – zwischen zwei und drei Uhr – trotz des Sonntags ziemlich still herging. Die Mittagsgäste waren längst abgespeis't und das Nachmittags-Concert noch nicht begonnen. Statt dessen spielten auf der Estrade in der Mitte drei schlaftrunkene Bierfiedler, eine betagte Harfenistin und eine joviale Clarinette, welche letztere allein noch der Siesta-Stimmung trotzte und mit verwegenen und muthwilligen Läufen das einnickende Quartett zu ermuntern suchte. Auf den Bänken im Schatten hochstämmiger Eschen saß in still beschaulicher und verdaulicher Stimmung eine sehr gemischte Gesellschaft, wie denn in München überhaupt der Unterschied der Stände sich weniger als in jeder andern deutschen Großstadt geltend macht, darunter an den kleinsten Tischen etliche Liebespaare, die, von reichlichem Essen und Trinken in träumerisches Wohlbehagen eingewiegt, Schultern und Köpfe aneinander lehnten, die Hände verschränkten und sich ungescheut ihren Gefühlen überließen. Es nahm ihnen das auch Niemand übel, vielmehr schien es eben dazu zu gehören, wie die Mücken, die in der Luft spielten.
Die drei Verspäteten ließen sich in der einsamsten Ecke nieder und nahmen mit den Gerichten vorlieb, welche die Kellnerin, die Jansen mit sichtbarem Respect behandelte, für sie aufgehoben hatte. Es war nichts weniger als ein schwelgerisches Mahl, aber der Sinn für Tafelfreuden schien bei dem Bildhauer überhaupt so wenig ausgebildet, daß es ihm nicht einmal einfiel, das Wiedersehen mit dem Freunde durch eine Flasche Wein zu feiern. Felix wußte das und ließ ihn gewähren. Doch hatte er ihn belebter und mittheilsamer nach der langen Trennung zu finden gehofft und mußte nun sehen, wie er einsilbig und zerstreut neben ihm saß, nur damit beschäftigt, Homo zu füttern, der mit ehrbarem Anstand seine großen Bissen verschlang.
Indessen hatte ein Vierter sich zu ihnen gesellt, nach welchem der Schlachtenmaler immer schon von Zeit zu Zeit ausgeschaut hatte. Es war ein schlanker, noch jugendlicher Mann, schwarzlockig und blaß, dessen Habitus sofort den Schauspieler ankündigte. Ueber dem einen Auge trug er eine schwarzseidene Binde, die seine bleiche Farbe noch mehr hervorhob, und ein scharfer Zug um den ausdrucksvollen Mund ließ auf ein mühsam unterdrücktes Leiden schließen. Rosenbusch stellte ihn als seinen Zimmernachbarn, Herrn Elfinger vor, ehemaliges Mitglied des –'schen Hoftheaters, jetzt Commis in einem hiesigen Bankhause. Die Art, wie auch Jansen ihn begrüßte, zeigte, daß er zu den Intimen dieses Kreises gehörte. Er betrug sich so heiter ungezwungen und belebte das Gespräch auf eine so liebenswürdige Weise, daß Felix sich sehr von ihm angezogen fühlte und selbst Jansen aufgeräumter wurde und an dem lebhaften Geplauder Theil nahm.
Plötzlich aber stand der Bildhauer auf, sah nach der Uhr, warf einen Blick über das Staket, das den Wirthsgarten gegen den sonnigen Platz abgrenzt, und sagte, während eine leichte Röthe sein Gesicht überflog: Ich muß dich nun verlassen, Liebster. Die Freunde werden mir bezeugen, daß an Sonntag-Nachmittagen nichts mit mir anzufangen ist. Ich habe da meine eigenen Wege zu gehen und gewisse Pflichten zu erfüllen, von denen ich mich gerade heute nur schwer losmachen könnte. Ich hoffe, du entschuldigst mich.
Er muß, wie Melusine, Einen Tag von sieben wieder zu einem Seeungethüm werden, scherzte Rosenbusch. Wir sind das schon gewohnt.
Felix sah betroffen auf.
Laß dich nicht stören, Alter, sagte er. Ich habe mir ohnehin noch eine Wohnung zu suchen. Wo hast du denn dein Quartier? Vielleicht finde ich in deiner Nachbarschaft –
Ich gehe jetzt nicht nach Hause, und die Gegend, wo ich wohne, würde ich dir nicht gerade empfehlen, unterbrach ihn der Bildhauer mit einem so finsteren Blick, daß er jede weitere Frage einschüchtern mußte. Morgen findest du mich wieder im Atelier. Für heute lebe wohl und viel Vergnügen! Komm, Homo!
Er nickte den Freunden zu, ohne ihnen die Hand zu geben, drückte den Hut in die Stirn und verließ mit dem getreuen Hunde den Garten.
Sie sahen ihn mit raschen Schritten über den Platz hinwandern und sich einem zweispännigen Fiaker nähern, der drüben, unweit des Thors, im Schatten der Allee auf ihn gewartet zu haben schien. Als er nun einstieg, konnte man deutlich erkennen, daß schon Jemand darin saß; helle Frauenkleider kamen zum Vorschein, und ein Kinderhändchen streckte einen kleinen Sonnenschirm hinaus. Uebrigens waren die Glasscheiben rings geschlossen, trotz der großen Sonnenglut, und wie das geheimnißvolle Gefährt sich nun rasch in Bewegung setzte, sahen sich die nachschauenden Freunde mit großen Augen an.
Er scheint Familie zu haben, sagte Felix. Warum will er es nur gegen Niemand Wort haben? Selbst mir, seinem ältesten Freunde, hat er nicht darüber Rede gestanden, was aus einer projectirten oder wirklich vollzogenen Heirath geworden ist, von der vor etwa sechs Jahren ein Gerücht erging. Ich dachte, die Sache habe sich zerschlagen oder sei unglücklich ausgefallen. Nun aber scheint er ja doch nicht allein zu stehen. Wissen Sie Näheres von seinen Verhältnissen?
Nicht das Geringste, erwiederte der Maler. Keiner von uns hat je einen Fuß über seine Schwelle gesetzt, und sobald man ihn nach seiner Wohnung fragt, wird er so bärbeißig, wie Sie ihn eben jetzt gesehen haben. Von Weibern will er nichts wissen, das sieht man aus Allem. Ob er aber dennoch einen heimlichen Hausstand hat, ist nicht herauszubringen. Mit einem vorwitzigen Menschen, der ihm einmal des Abends nachschlich, um zu sehen, wo er denn bliebe, hat er unversöhnlich gebrochen.
Ich denke, sagte Elfinger, was man die sechs Wochentage an ihm hat, ist so viel, daß man ihn am siebenten Tage wohl sich selbst überlassen kann. Aber nun wollen wir dem Herrn Baron Quartier suchen helfen und überlegen, wie wir ihm heut' Abend München von der besten Seite zeigen können. –
Als Felix um Mitternacht von dem Sommerkeller, wo sie sich lange Stunden der Nachtkühle erfreut hatten, in seine neue Wohnung zurückkehrte, – ein paar freundliche Stübchen, die über blühende Gärten hinweg in stille Straßen sahen, – überfiel ihn plötzlich eine seltsame Verstimmung. Er hatte es nun erreicht, was ihm über Alles galt: freier, als er, konnte Niemand auf seinen eigenen Füßen stehen, Niemand aller gesellschaftlichen Bande lediger das Leben von vorn beginnen. Auch die heitere, leichtlebige Stadt, das bunte Volkstreiben, das sie erfüllte, die ungebundene Künstlergenossenschaft, in die er eingetreten war – das alles hatte ihn ganz nach seiner Neigung und Erwartung empfangen und versprach ihm Ersatz für manche gescheiterte Hoffnung. Es war das Element, das ihm das einzig gemäße schien, die einzige Umgebung, in der er etwas von der unumschränkten Freiheit, die jenseit des Oceans ihm so wohlgethan, auch in der alten Welt wiederfinden konnte. Wenn er trotzdem mit einem schweren Seufzer zu Bette ging und den Schlaf lange vergebens erwartete – woran lag es?