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Neuntes Kapitel.

An diesem Nachmittag hatte Felix seinen längstgefaßten Vorsatz ausgeführt und die beiden Freunde, Elfinger und Rosenbusch, in ihrer Behausung aufgesucht.

Sie bewohnten zwei Zimmer im dritten Stock eines ziemlich baufälligen Hauses, das in einer der alterthümlichen Straßen der Stadt seine kleinen, mit Schnörkelwerk eingerahmten Fenster unter einem weit vorspringenden Dache verbarg, wie blödsichtige Augen unter schattigen Augenbrauen. Felix war öfters vorbeigegangen, ohne sich entschließen zu können, den unsäuberlichen Flur zu betreten und die finstere Treppe hinanzuklimmen. Heut, da ihn die durchschwärmte Nacht und der Sonntag zum Müßiggehen verdammten, entschloß er sich, die Pflicht der Höflichkeit endlich zu erfüllen. Auch hatte er seit gestern ein lebhaftes Interesse für Elfinger gefaßt und wünschte sehr, eine vertrauliche Stunde mit ihm zu verplaudern.

Er klopfte auch, obwohl bei der völligen Finsterniß oben im Flur die Namen an den Thüren nicht zu entziffern waren, zufällig gleich an der rechten Thür und sah beim Eintreten Elfinger von einem Stuhl am Fenster auffahren, wo er ohne jede Beschäftigung gesessen zu haben schien. Da die Straße, auch an Werkeltagen nicht sehr lebendig, heut in tiefster Sonntagsstille lag, wunderte sich Felix, was ihn dort gefesselt haben möchte, zumal der sonst so gewandt und sicher auftretende Schauspieler sichtbar verlegen seinem Besuch entgegeneilte und, um ihn vom Fenster abzuhalten, ihn sofort auf das Sopha nöthigte.

Bald aber fand er seine unbefangene Haltung wieder.

Sie sehen sich an meinen Wänden um, sagte er, und wundern sich, daß ich die Erinnerungen an meine Coulissen-Tage noch aufbewahre, die Bilder großer Mimen und hübscher Colleginnen, sogar den obligaten Lorbeerkranz mit Atlaßschleifen, der in keiner richtigen Komödiantenherberge fehlen darf. Wenn mein jetziger Principal sich je dazu herabließe, seine Commis zu besuchen, würde ich freilich bester thun, statt der Lithographie Seydelmann's als Mephisto den Courszettel aufzuhängen. Aber da ich hier oben vor der Haute Finance sicher bin, darf ich, ohne meinem Ruf als solider Rechenknecht zu schaden, all diese Reliquien, die mir heilig sind, um mich herum aufbauen, sogar das allzu feurige Schwert da drüben, das mich aus meinem bretternen Paradiese vertrieben hat.

Er deutete auf ein Rapier, das dem Sopha gegenüber, mit einem Paar Pistolen und Fechthandschuhen zur Trophäe geordnet, an der Wand hing, darunter ein Aquarellbild, welches Elfinger im Costüm des Hamlet darstellte.

Ja, fuhr er mit einem stillen Seufzer fort, wenn die Spitze dieses Stahls in der Hand eines ungeschickten Laertes nicht ausgeglitten und dem armen Hamlet ins Auge gefahren wäre, hätte ich jetzt schwerlich das Vergnügen, Sie bei mir zu sehen. Ich säße wahrscheinlich in meiner Garderobe und schminkte mir einen Alba oder Richard den Dritten an, für den heutigen Abend. Ob das Publikum viel dabei verloren hat, weiß ich nicht. Ich habe jedenfalls nur gewonnen.

Ich staune, wie Sie von dem, was jeder Andere als ein Lebensunglück betrachten würde, so kaltblütig sprechen können. Nach der hohen Meinung, die ich gestern von Ihrem Talent bekommen habe –

Lassen Sie sich von dem bischen Galgenhumor nicht täuschen, verehrter Freund! Mit jedem andern Heimweh mag der Mensch endlich einmal fertig werden; das Bühnenheimweh wird Einer nie los, der überhaupt einmal hinter den Lampen heimisch war. Ich muß Ihnen gestehn, daß ich mit ordentlichem Neide meine kleine Truppe von gestern aus dem Kasten geholt und für die Komödie zurechtgestutzt habe. Grenzt das nun nicht in der That an Verrücktheit? Aber alle Vernunft kann nicht dagegen an. Ich weiß, daß ich mit meinem Dutzendtalent das Höchste doch nie erreicht hätte, daß ich also Freund Laertes nur zu danken habe, wenn er mich beizeiten in die Dunkelheit zurückstieß, wo man ja auf der goldenen Mittelstraße so behaglich hinschlendern kann. Und doch bring' ich's nicht dazu, kaltblütig zu bleiben, so oft vom Theater die Rede ist.

Aber warum auch, da Sie sich selbst mit Recht als geborner Schauspieler fühlen, warum auch sollte Ihnen das Höchste versagt geblieben sein? Warum sollte Ihr Schicksal nicht in der That Ihnen tragisch dünken?

Weil ich bei all meinen guten Anlagen, zumal für die Declamation, nicht bloß ein geborener Schauspieler, sondern auch ein geborener Deutscher bin, was allerdings ein handgreiflicher Widerspruch zu sein scheint. Denn sehen Sie unsere Nation nur einmal darauf an. Mit seltenen Ausnahmen, die wie ein Wunder erscheinen und nur die Regel bestätigen, fehlt ihr nicht weniger als Alles, um es in dieser Kunst zu etwas zu bringen! Soll nicht der Schauspieler aus seiner Haut fahren, um in eine andere zu schlüpfen? Und wann könnte ein echter Deutscher jemals aus sich heraus! Wann würde er sich untreu, wann verleugnete er seine persönlichen Tugenden und Fehler! Sehen Sie, gerade, was uns als Volk so respectabel macht, steht unserm Komödiespielen im Wege. Wir sind keine Leute des Scheins, der pose, der Repräsentation. Wir sind sublim im Ernst und albern im Spiel. Wir bleiben am liebsten in unserm Privatwinkel hinterm Ofen, und werden roth und unbeholfen, wenn wir durch ein Zimmer gehen sollen, wo zehn unbekannte Menschen oder gar eben so viel schöne Damen uns ansehen. Nur allenfalls die höchsten Aufgaben der tragischen Poesie setzen uns Flügel an, um uns über diese Klippen hinwegzuheben. Wo wir auf Versfüßen gehn, die bekanntlich geflügelte Sohlen sind, benehmen wir uns leidlich. Auf unsern eignen platten Alltagsfüßen stolpern wir so jammervoll, daß der erste beste Franzose oder Italiener, der weder lesen noch schreiben kann, wie ein Prinz von Geblüt neben uns aufzutreten pflegt.

Ich wollte, ich könnte Ihnen widersprechen, bemerkte Felix. Wir haben leider keine Gesellschaft, und wo wir die Anfänge dazu besitzen, sind die Schauspieler fast immer noch davon ausgeschlossen. Aber wenn darunter auch der Theil Ihrer Kunst leidet, der auf Menschendarstellung, auf charakteristische Nachahmung des Lebens abzielt: die höheren Gattungen bleiben darum doch unsere Domäne, und wenn Sie die Tragödie bei den Franzosen oder Italienern mit unserer Shakespeare- und Göthe-Darstellung vergleichen –

Ja wohl, unterbrach ihn der Schauspieler, das rein Poetische, das Geistige und Innerliche, damit können wir uns immer noch sehen lassen unseren Nachbarn gegenüber. Aber warten Sie nur noch zehn Jahre, so geht auch bei uns kein Mensch mehr in ein Trauerspiel, und unser classisches Theater ist dann genau dieselbe Mumienbude, wie das théatre français. Kann es uns wundern? Alle Tragik ist aristokratisch. Warum geht der Held so hochsinnig und erhaben aus« der Welt, als weil diese Welt zu miserabel ist, um es ihm darin behaglich zu machen? Wer aber die Welt miserabel findet, der beleidigt alle Die, denen sie ganz allerliebst vorkommt, weil sie bei ihren niedrigeren Ansprüchen sich's darin können wohl sein lassen. Und da das Wohl der Massen mehr und mehr das Losungswort der Zeit wird, so muß Derjenige, der über die Masse hinausragt, es nicht übel nehmen, wenn man ihn weder im Leben noch hinter den Lampen brauchen kann. Tragische Helden sind nur möglich, wo noch sociale Unterschiede bestehen, wo der »gemeine Mann« mit einem gewissen Respect sich daran werdet, einen Coriolan siegen und fallen zu sehen, ohne im Stillen zu denken: »Ihm ist Recht geschehen. Warum hat er uns Pöbel geschimpft?« Aber mit unserem trefflich humanen, demokratischen Bewußtsein –

Eine niederschlagende Perspective! So wäre, wenn unsere Nation fortfährt, sich von Vorurtheilen zu befreien und menschenwürdig einzurichten, immer weniger zu hoffen, daß wir auch bei Lampenlicht eine gute Figur machen könnten?

Im Gegentheil: ich denke, wir fangen dann erst recht an. Selbstgefühl ist auch zum Komödiespielen die wichtigste Gabe. Wenn wir erst unter den Völkern Europas auftreten lernen, wenn die Zahmheit und Ungelenkheit im Weltverkehr von uns abfällt, wir nicht mehr so arme Schlucker sind, daß wir um das liebe Brod keuchen und darüber nicht dazu kommen, als Gentlemen uns zu benehmen, – Sie sollen einmal sehen, wie rasch uns dann auch die Kunst, zu spielen, ins Blut dringen wird, nachdem wir Jahrhunderte lang ernsthafte Bestien gewesen sind. Was freilich die Tragik betrifft, ob wir gerade in besseren Tagen jemals wieder so viel Ernst und Andacht erschwingen, um uns zu erinnern, daß, wie der alte Göthe sagt, das Schaudern der Menschheit bestes Theil ist –

Er schien im Zuge, sich noch lange über seine Sorgen und Hoffnungen auszusprechen, und Felix, dem Mancherlei von diesen Dingen neu war und dem der Sprecher mit seiner entsagungsvollen Wärme immer anziehender wurde, hätte ihm gern bis in die Nacht hinein zugehört. Aber die Thür wurde mit Geräusch aufgerissen, und in einem Aufzuge, dessen Komik all diese ernsten Betrachtungen unwiderstehlich über den Haufen warf, erschien Rosenbusch auf der Schwelle seines Freundes.

Er hatte sich den rothen Vollbart bis auf ein winziges Schnurr- und Backenbärtchen scheeren lassen, sein flatterndes Haupthaar zierlich gestutzt, einen altmodischen schwarzen Rock angezogen und einen hohen, blankgeputzten Cylinderhut aufgesetzt.

Ihr habt gut lachen, rief er mit tragisch aufgezogenen Augenbrauen den Freunden zu. Wenn ihr wüßtet, wie hundsübel einem Menschen zu Muth ist, der gestern im Paradiese war und heute diese Hinrichtungs-Toilette hat machen müssen! Der Henkersknecht, der mir die Haare geschoren, hat mich eben verlassen. Wer eine Locke des berühmten Schlachtenmalers Maximilian Rosenbusch zu haben wünscht – drüben liegen sie wie schnöde Wolle auf dem Boden herum. O Delila, um die ich dieses leide! O Nanny, der mein Haar ich schneide, für die ich so philisterhaft mich kleide –

Er erzählte nun Felix, daß er im Begriff stehe, den sauersten Gang seines Lebens zu thun. In dem Hause gegenüber wohne das Ziel seiner Sehnsucht, die Muse seiner Gesänge, die schöne Tochter eines bürgerlichen Handschuhmachers, die er seit einem halben Jahre bis zum Tollwerden liebe, so daß es endlich nicht mehr auszuhalten sei. Er habe hinlängliche Zeichen von Gegenliebe erhalten, ja sogar die briefliche Versicherung auf rosa Papier mit etlichen orthographischen Freiheiten, daß, wenn die Eltern nicht Nein sagten, das Töchterlein unbedenklich Ja sagen würde. Um dies zur Entscheidung zu bringen, habe er sich, obwohl der Carneval noch fern sei, zu dieser Maskerade entschließen müssen. Denn auf die »Kunstmaler« des gewöhnlichen Schlages sei Papa Handschuhmacher nicht gut zu sprechen. Darum, meine Freunde, weihet eine Thräne den entschwundenen Zierden meines Hauptes und betet für meine arme Seele, daß sie aus diesem Fegefeuer baldigst erlös't und zu den Freuden des Himmels eingelassen werde. Uebrigens, wie wär's, Elfinger? Willst du nicht auch deinen Bratenrock anziehen und mich begleiten? Es ginge jetzt gerade in Einem hin.

Felix sah, daß der Schauspieler erröthete und dem plauderhaften Freunde einen unwilligen Blick zuwarf.

Ja so! erwiederte dieser, vor den Spiegel tretend und im Vorübergehen Felix zublinzelnd, du hast deinen Katzenjammer von gestern noch nicht ausgeschlafen. Hm! also ein andermal. Teufelsmäßig solid seh' ich aus, scheint mir, und eine verdammt anständige Partie macht das lederne Handschuhmacherstöchterlein an meiner ehrbaren Person. Schau, sie sitzt wahrhaftig drüben auf ihrem Posten, die schlaue Hexe, und am anderen Fenster, ganz in ihre Arbeit versunken, ihr frommes Schwesterlein. Sua cuique – ich sage ja nichts weiter, Elschen. Aber nun will ich den Gang zum Hochgericht antreten. Begleiten Sie mich, Freund Baron? Sie müssen mir mit geistlichem Zuspruch unter die Arme greifen, falls mir unterwegs einigermaßen schwach um die siebente Rippe werden sollte. Zwar habe ich mir kurz vorher in drei schönen Strophen Muth eingesprochen; aber diese stark mit Wasser verdünnte Lyrik hält nicht lange vor, und eine spirituellere Herzstärkung ist nicht gleich aufzutreiben. Der Himmel nehme mich in seinen heiligen und würdigen Schutz, Amen! Uebrigens, Elschen, hörst du sogleich, wie es abgelaufen ist!

Damit drückte er den Hut fest in die Stirn, nickte dem Freunde mit einer drolligen Armsünder-Miene zu und zog Felix zur Thür hinaus.

Auf der Treppe stand er plötzlich still und sagte mit geheimnißvoll gedämpfter Stimme: Den da oben hat's noch viel schlimmer gepackt, als mich. Er ist in die Andere verschossen, die aber eine kleine Heilige ist, gerade so nonnenmäßig, Dank ihrer Erziehung bei den englischen Fräuleins, wie mein kleiner Teufel aus demselben Grunde ein Weltkind. Nun stellen Sie sich vor, je übermüthiger mein blonder Kobold es treibt – sie zu einer vernünftigen Hausfrau zu machen, wird noch Künste kosten – je eifriger beichtet, büßt und betet die gute Fanny, und es sieht so aus, als ob sie in allem Ernst auf den Heiligenschein lossteuerte. Die Mädel kommen freilich nie unter vernünftige Menschen, und darum, obwohl es eine wahre Verrücktheit von mir ist, ans Heirathen zu denken, muß sich endlich Einer von uns opfern, damit nur erst einmal das Eis gebrochen wird. So ein altes Münchener Bürgerhaus, lieber Freund – Sie glauben gar nicht, was da für Motten drin herumfliegen. Na, ein paar frische Kerle wie wir – ich denke, wir bringen schon einen frischen Zug hinein – wenn wir nur erst drin sind!

Er seufzte und schien trotz seiner tapferen Rede nicht gerade des besten Muthes zu sein. Felix begleitete ihn über die Straße und sah ihn mit einer verwegenen Haltung, wie wenn er zum Tanz ginge, in die schmale, rundbogige Thur eintreten, neben welcher der Handschuhladen, des Sonntags wegen, fest verschlossen war. Dann ging er selbst ziellos die Straße hinunter. Wohin sollte er seine Schritte lenken? In der ganzen Stadt war Niemand, der ihn heute erwartet hätte, und der Eine, zu dem es ihn hinzog, war an den Sonntag-Nachmittagen ihm noch räthselhafter ferngerückt, als sonst.

Er überlegte eben, ob er nicht wieder ein Pferd miethen und über Feld reiten sollte, als sich ihm unerwartet eine Gesellschaft bot, wie sie einem Menschen in seiner Stimmung gerade erwünscht sein mußte.


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