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Indessen war die schöne Unbekannte langsam die Treppe der Pinakothek hinabgestiegen und hatte den Weg nach dem Obelisken eingeschlagen, offenbar ohne zu ahnen, daß zwanzig Schritte hinter ihr eine begeisterte Künstlerin in ihre Fußstapfen trat und kein Auge von ihr verwandte.
Und freilich war es eine seltene Augenweide, diese schöne Gestalt hinwandeln zu sehen. Wenn man von einer »stummen Musik des Leibes« sprechen darf, so war hier Alles legato, während die Künstlerin in einem beständigen staccato blieb. Die Fremde bewegte sich wie auf einem elastischen Boden und schien trotz der drückenden Mittagsglut den Gang nicht beschwerlich zu finden. Sie sah weder rechts noch links; in ihren Händen, die in schwarzen Filethandschuhen steckten, hielt sie einen großen grünen Fächer, den sie dann und wann öffnete, um ihr Gesicht damit gegen die Sonne zu schützen.
Ihre Verehrerin wurde mit jeder Minute enthusiastischer und äußerte ihre Gefühle in halblauten Monologen, die sie nach ihrer Art mit italienischen Interjectionen würzte.
Sie sah endlich den Gegenstand ihrer Bewunderung sich nach links wenden und in ein sauberes Haus der Briennerstraße eintreten. Hier wußte sie, wurden möblirte Zimmer vermiethet, also mußte die Fremde sich auf längeren Aufenthalt eingerichtet haben. Wie aber sollte sie zu ihr gelangen? Die zwei Stockwerke hinauf an allen Thüren anzuläuten und zu fragen: ob hier eine reizende Dame in gelber Seide wohne, schien nicht recht thunlich. Und mußte sie denn überhaupt hier wohnen? Konnte sie nicht etwa einen bloßen Besuch in diesem Hause machen?
Eben überlegte die Malerin, ob sie vor dem Hause wie eine Schildwache auf- und abgehen sollte, als in dem Eckzimmer der Parterrewohnung, vor welchem ein schmales Gärtchen mit hohen Gewächsen dürr und bestaubt in der Mittagssonne lag, sich ein Fenster öffnete und die Schöne sich hinausbog, um die Jalousie zu schließen. Sie hatte den Hut abgenommen, und ihr Haar war dabei in Verwirrung gerathen, was sie noch unglaublich verschönte. Ohne sich einen Augenblick zu besinnen, schritt Angelica durch den kleinen Gang am Gärtchen vorbei und betrat das Haus.
Auf ihr Klingeln öffnete ein sehr alter Diener mit einem militärischen weißen Schnurrbart, in einem Livréerock mit silbernen Knöpfen, der ihm bis über die Kniee reichte. Er musterte die Besucherin mit einem mißtrauischen Blick, nahm ihr die Karte ab, auf welcher nur der Name »Minna Engelken« stand, und kam dann gleich zurück, mit einem stummen Kopfnicken den Bescheid bringend, daß seine Herrin zu sprechen sei.
Als Angelica eintrat, stand die Fremde mitten im Zimmer, von der warmen grünen Dämmerung umflossen, die durch die geschlossenen Jalousieen rings verbreitet war. Sie hatte die Haare in der Eile kunstlos wieder aufgesteckt und begrüßte ihre Besucherin ziemlich befremdet mit einem kaum merklichen Neigen des reizenden Kopfes.
Ich muß mich vor allen Dingen etwas ausführlicher vorstellen, als mein sehr unberühmter Name auf der Karte gethan hat, sagte die Künstlerin ohne jede Spur von Befangenheit. (Sie hatte gleich beim ersten Eintreten angefangen, den Kopf wie für eine Sitzung zu studiren.) Ich bin Malerin, das ist die einzige Entschuldigung, die ich für mein Eindringen bei Ihnen vorzubringen weiß. Ich bin Ihnen vorhin auf der Pinakothek begegnet. Daß Menschen stehen bleiben, wenn Sie vorbeigehen, oder auch Ihnen nachlaufen, wird Ihnen nichts Neues sein. Aber daß man Ihnen gleich ins Haus einbricht, scheint ein bischen stark. Mein verehrtestes Fräulein – oder muß ich Sie gnädige Frau nennen? – (die Fremde schüttelte leicht den Kopf) ich weiß nicht, ob auch Sie ein Vorurtheil gegen malende Damen haben. Dann würde ich schlecht bei Ihnen ankommen. Es ist ja auch leider wahr: vielen meiner Colleginnen steht das Hantieren mit Pinsel und Farben nicht gut zu Gesicht. Obwohl die neun Musen Frauenzimmer sind, bekommt unser Geschlecht im Umgang mit ihnen leicht einen unweiblichen Anstrich, der gerade nicht vortheilhaft ist. O bitte, wollten Sie nicht einen Augenblick in dieser Stellung bleiben – das Halbprofil ist gerade so effectvoll in dieser Beleuchtung! Ja gewiß, mein Fräulein, ich selbst kenne Malerinnen, die es für prosaisch halten, einen reinen Kragen umzubinden oder sich einen Strumpf zu stopfen. Und doch –
Wenn Sie nur die Güte haben wollten, mir den Anlaß Ihres Besuchs –
Ich wollte eben darauf kommen. Eigentlich ist es eine doppelte Veranlassung. Einmal, Sie um Entschuldigung zu bitten, wenn ich Sie durch mein auffallendes Anstarren aus der Gallerie vertrieben haben sollte. Sehen Sie, liebes Fräulein – o bitte, noch ein klein wenig den Kopf gesenkt – so! Wenn Sie sehen könnten, wie sich das jetzt gerade macht, so im Helldunkel! Was haben Sie für herrliches Haar! – aber ich merke, ich komme Ihnen ganz verrückt vor, daß ich Sie in den ersten zehn Minuten Modell stehen lasse. Um so besser, so wissen Sie gleich, wie Sie mit mir daran sind. Ich bin nämlich wirklich nicht ganz zurechnungsfähig, wenn ich Etwas sehe, was mir ausnehmend gefällt, und so unzulänglich mein Talent sein mag, aus freier Phantasie etwas Schönes hervorzubringen: im Entdecken, Genießen und Bewundern der lebendigen Schönheit habe ich es zur Meisterschaft gebracht. Wie ich Sie nur von fern erblickte – nein, Sie müssen sich nicht abwenden, theures Fräulein. Was können Sie denn dafür, und was für eine Sünde soll dabei sein, wenn ein ehrliches Künstlergemüth, noch dazu von Ihrem eigenen Geschlecht, Ihnen seine Freude und Bewunderung Ihrer Schönheit ausspricht? Ich finde das recht kleinlich von vielen Menschen, daß sie mit dieser Gottesgabe Versteckens spielen, oder sich doch so anstellen. Es giebt freilich eine Menge kleiner Zieraffengesichter, deren Hauptreiz darin besteht, daß sie sich beständig ihrer eigenen Niedlichkeit zu schämen scheinen. Aber Sie, bestes Fräulein, ein so classischer Kopf – bitte, wenden Sie sich jetzt einmal voll gegen das Licht – der reine Palma Vecchio, sag' ich Ihnen –
Das Fräulein konnte nicht umhin, zu lächeln und, obwohl sie erröthen mußte, diese ungestüme, formlose Bewunderung gewähren zu lassen. Ich gestehe, sagte sie, ich habe Jahre lang so sehr zurückgezogen gelebt, nur mit der Pflege einer Schwerkranken beschäftigt, daß ich ganz aus der Uebung gekommen bin, mir dergleichen schmeichelhafte Dinge sagen zu lassen und das hergebrachte Gesicht dazu zu machen. Auch bin ich, trotz sehr ernster Schicksale, wohl noch jung und thöricht genug, um Ihr Gefallen an meiner Person Ihnen durchaus nicht übel zu nehmen. Wenn Sie mir nun aber sagen wollten – Sie sprachen von einer doppelten Veranlassung –
Ich danke Ihnen tausendmal, liebes, bestes Fräulein, rief die Malerin lebhaft. Jedes Wort, das Sie sagen, bestätigt mir meine Ueberzeugung, die ich auf den ersten Blick faßte: daß Sie gerade so gut und liebenswürdig von Charakter sein müßten, wie von Gesicht und Gestalt. Und damit machen Sie mir Courage, auch gleich mit meinem anderen Anliegen herauszurücken: ich würde die glücklichste Person unter der Sonne sein, wenn ich Sie malen dürfte.
Erschrecken Sie nur nicht, setzte sie eifrig hinzu; der Schmerz ist kurz, ich bin keine Menschenquälerin; wenn Sie nicht länger Zeit haben, male ich Sie alla prima, höchstens drei, vier Sitzungen – Sie sollen sich nicht über mich zu beklagen haben. Natürlich kann ich nicht verlangen, daß Sie mir das Bild hernach überlassen. Eine kleine Skizze aber zum Studium und Andenken werden Sie mir doch zu behalten erlauben. Das große Bild –
Ein großes Portrait?
Nur ein Kniestück, aber natürlich in Lebensgröße. Es wäre Sünde und Schande, einen solchen Kopf und solche Figur im Theebrett-Format zu malen. Nicht wahr, bestes Fräulein, Sie haben die himmlische Güte und besuchen mich in meinem Atelier – Straße und Hausnummer stehen auf meiner Karte – und besehen sich meine Sachen, und sitzen mir nur – nur wenn Sie selbst ein bischen Vergnügen daran finden – denn ich möchte um keinen Preis, daß Sie glaubten, einer bloßen Pfuscherin ein Opfer bringen zu müssen.
Mein liebes Fräulein, ich weiß in der That nicht –
Oder hätten Sie gerade jetzt keine Zeit? Wären Sie am Ende selbst Künstlerin? Die aufmerksame Art, wie Sie in der Pinakothek die Bilder studirt haben –
Leider habe ich nicht das kleinste Talent von der Natur mitbekommen, erwiederte das Fräulein lächelnd, nur ein wenig Sinn für Manches und große Sehnsucht nach allem Schönen und Künstlerischen; dies ist auch der Grund, weßhalb ich, da ich ganz allein im Leben stehe, nach München gekommen bin. Es ist noch ungewiß, wie lange ich hier bleibe. Aber wenn Ihnen wirklich ein Gefallen damit geschehen kann – ich rechne natürlich darauf, daß es ganz unter uns bleibt, wenn ich Ihnen sitze. Sie sollen mich dafür in Ihre Kunstgeheimnisse einweihen, die einem Laien, wenn er auch noch so guten Willen hat, ohne die rechte Anleitung doch immer verschlossen bleiben.
Brava, bravissima! rief die überglückliche Malerin. Ich sage Ihnen tausendmal Vergelt's Gott für ihre große Liebenswürdigkeit und werde mich gewiß zusammennehmen, daß Sie sie nicht zu bereuen haben. Mein liebes, theures Fräulein, wenn Sie mich ein bischen näher kennen, werden Sie sehen, daß Sie es mit einer rechtschaffenen Person zu thun haben, die ein dankbares Herz besitzt, und über die keiner ihrer Freunde sich je zu beklagen gehabt hat.
Sie verabschiedete sich in stürmischer Freude von dem holden Gesicht, das sich indessen gegen all diese Huldigungen ziemlich kühl verhielt, und hastig, als fürchte sie, das Versprechen möchte am Ende wieder zurückgenommen werden, verließ sie das Zimmer.
Auf der Straße blieb sie athemlos stehen, band sich den lose gewordenen Hut fester und rieb sich mit leuchtenden Blicken die Hände. Die werden Augen machen! sagte sie vor sich hin. Die werden mich beneiden! Aber warum sind sie so einfältige, zaghafte Philister? Freilich, um eine solche Eroberung im Fluge zu machen, muß man kein Mannsbild sein, sondern ein so äußerst ungefährliches altes Mädchen, wie meine Wenigkeit!