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Zweites Kapitel.

Er hatte sich auf einen Sessel geworfen, der neben der Thür stand, und das Kinn tief auf die Brust gesenkt. So blieb er eine ganze Weile und schien zu vergessen, wo er war und wem er diese trübselige alte Geschichte erzählte.

Der Hund stand auf und schlich mit einem seltsam forschenden Ausdruck in den großen Augen zu seinem Herrn, der sich jetzt mit einiger Anstrengung aufrichtete und Miene machte, zu gehen.

Julie aber veränderte ihre Stellung nicht, sah ihn auch nicht an, sondern sagte nur mit ihrem weichsten Ton:

Was müssen Sie gelitten haben!

Dann wieder nach einer Pause:

Und Sie haben sie nicht wiedergesehen?

Nie! Ich wartete nur ab, bis das Kind so weit hergestellt war, um die Reise zu ertragen. Dann brach ich Alles ab, was mich dort fesseln konnte, und verpflanzte mein Leben hierher. Hier war ich ein neuer Mensch – wie ich mir einbilden konnte, wenn ich nicht zurückdachte. O, die Aerzte haben Recht: eine Luftveränderung thut Wunder. Glauben Sie, daß es mir im Geringsten sauer wurde, meine Heiligenfabrik anzulegen? That ich's doch nur, damit ich vor jedem Mahnbrief sicher wäre und alle Vierteljahr die bestimmte ansehnliche Summe an die Mittelsperson in Hamburg schicken konnte. Ich kaufte mich damit los, und daß es nicht auf die vornehmste Art zu sein braucht, wenn es gilt, seine Schmach zu bezahlen, das leuchtete mir ein. Ein glücklicher Mensch, ein aufrecht und stolz Lebender darf sich den edelsten Luxus gönnen, seinen Ueberzeugungen Opfer zu bringen. Wenn ich ein Weib gehabt hätte mit einer reinen und adligen Seele – es wäre schön gewesen, selbst Noth und Entbehrung über sich zu nehmen, um seinen Idealen treu zu bleiben, keinen Finger zu rühren außer im Dienste der wahren Kunst. So aber – ein gebrochener Mensch – ein besudeltes Leben – der Stumpfsinn, der mir mein Schicksal noch allein ertragen half, machte mich auch unempfindlich gegen alle Schnödigkeit des Geldverdienens. Es ging eben in Einem hin.

Und doch – ganz und gar war der alte Trotz, der Bauernstolz in mir nicht begraben. Eines Tages mitten unter der Arbeit überfiel mich der Gedanke, was sie jetzt wohl treiben möchte, wer bei ihr sein, ihr schön thun, ihre Taubenaugen küssen, in ihren Flechten wühlen möchte. Da fuhr ich in die Höhe, wie von einer Natter gestochen, und sofort setzte ich mich hin und schrieb ihr, ich fände es würdiger und besser für uns Beide, das letzte armselige Band zwischen uns zu zerreißen, damit sie ihre volle Freiheit hätte. Im Uebrigen wollte ich nach wie vor für sie sorgen, wenn sie nur in die gerichtliche Scheidung willige. Ich schämte mich nicht, mich bis zur Bitte zu erniedrigen. Mir war, als hinge alles Glück meines künftigen Lebens daran, dies durchzusetzen.

Länger als vierzehn Tage ließ sie mich warten. Dann schrieb sie, daß sie meinem Wunsche nur dann nachgeben wolle, wenn ich ihr das Kind überließe. Wer ihr diese Antwort dictirt haben mag, weiß ich nicht. Ihr Herz gewiß nicht.

Das Kind in ihren Händen! Lieber hält' ich's wie ein Kätzchen genommen und ins Wasser geworfen. Ich hatte hier eine Familie gefunden, der ich es in die Pflege geben konnte, gute, treffliche Menschen, mit deren Kindern es aufwächs't. Ich habe selbst meine Wohnung unter dem nämlichen Dache. Wenn ich Abends nach Hause komme, brauche ich bloß die Thür aufzumachen, um das kleine mutterlose Ding in seinem Bette schlafen zu sehen. Des Sonntags aber gehe ich Nachmittags nicht aus, oder ich fahre mit ihm spazieren an irgend einen Fleck, wo ich sicher bin, keine Neugierigen zu treffen, die mich fragen könnten, wem das Kind gehöre. Ich gelte hier in der Stadt für einen ledigen Menschen. Daß ich einen Feind habe, der mir's nicht gönnt, so in der Tarnkappe herumzugehen, das habe ich freilich schon aus manchen Zeichen ahnen können; die Mutter Luciens ist seit Jahr und Tag hier aufgetaucht, ein Weib, das, wenn ich es vor meiner Verheirathung gekannt hätte, mich vielleicht gewarnt haben würde, gewissen Veilchenaugen nicht zu trauen. Sie hat geheime Absichten bei ihrem Hiersein, sie späht meine Schritte und Tritte aus; ich weiß, daß sie mir übel will; jener Brief an Sie hat es bestätigt. Aber es war vielleicht gut so. Der Brief, den ich diese Nacht an Sie geschrieben – wer weiß, ob ich heute schon den Muth gefunden hätte, ihn abzuschicken. Und doch – jede Stunde, die ich Sie länger im Dunkel gelassen hätte, wäre mir ein Vorwurf gewesen. Und nun –

Ich hätte eine rechte Bitte an Sie, unterbrach sie ihn plötzlich.

Julie – was könnten Sie bitten, das ich nicht mit tausend Freuden –

Ich möchte gar zu gern das Kind sehen. Wollen Sie es mir bringen? Oder mich hinbegleiten?

Er that einen Schritt auf sie zu; jetzt erst wagte er, den Blick auf sie zu richten. Sie war aufgestanden und ebenfalls ihm entgegengetreten.

Lieber Freund, sagte sie, ich muß dieses Kind kennen lernen. Sie mögen es gut versorgt wissen, da wo es ist, aber mutterlos ist und bleibt es dennoch. Eine Mutter kann es nur wieder finden in Der, die seinen Vater über Alles liebt und die Alles in ihr Herz schließt, was seinem Vater gehört. Sehen Sie nun wohl, daß Sie mir das Kind bringen müssen?

Julie! rief er – ein Ton, der aus dem Innersten seines Wesens hervorbrach, wie wenn ein Träumender einen erstickenden Alpdruck mit einem Aufschrei von sich wälzt. Er schwankte auf sie zu, er haschte nach ihrer Hand – aber sie trat mit einem leisen Kopfschütteln einen kleinen Schritt zurück und senkte leicht erröthend die Augen.

Hören Sie mich geduldig an, sagte sie; es wird mir sonst schwer, mich zu fassen und die rechten Worte zu finden. Die traurige Geschichte, die Sie mir da erzählt haben, hat mir so viel zu denken gegeben – damit komme ich nicht gleich ins Reine. Aber Eins ist mir jetzt schon ganz klar: daß nichts hinter Ihnen liegt, was mich von Ihnen entfernen könnte. Im Gegentheil: ich habe mein Gefühl während Ihrer Beichte beständig geprüft – und gefunden, daß ich Sie jetzt noch herzlicher liebe, als gestern, noch bester weiß, warum ich Sie liebe, wenn das nicht eine thörichte Rede ist; denn mein Herz ist alt genug, um klug zu sein und zu wissen, warum es Jemand liebt, wenn auch mein Kopf nicht gleich klug daraus wird. Und darum, mein liebster Freund, erkläre ich Ihnen hiermit ganz ernsthaft: ich werde durchaus nicht aufhören, Sie zu lieben, weil Sie vor so und so viel Jahren einen unglückseligen Irrthum begangen und ein Wesen für bester gehalten haben, als es war. Ja, noch mehr: auch Sie sollen nicht aufhören, mich zu lieben, – falls Sie nicht gestern einen zweiten Irrthum begangen haben, der mir allerdings schmerzlicher wäre, als jener erste.

Sie hatte die letzten Worte nicht aussprechen können – der Ueberselige war ihr an den Hals gestürzt und hatte mit seinen bebenden Lippen ihr den Mund geschlossen. So hielt er sie lange, lange mit stürmischer Gewalt in seinen Armen, bis sie Athem gewinnen konnte, ihn um Gnade zu bitten.

Nein, hauchte sie, ihn sanft von sich wegdrängend, nicht so, Liebster, oder ich nehme Alles zurück; denn dir und mir kann es nicht erspart werden, daß wir noch eine Probezeit durchzumachen haben. Setze dich hier ganz still und vernünftig mir gegenüber, und laß meine Hände los, und versuche zu verstehen, was ich dir noch sagen muß. Siehst du, dein Schatz ist ein altes Mädchen, viel zu lebenserfahren und weltweise, um nicht auch jetzt, so schwer es ihr wird, den Kopf oben zu behalten und Vernunft zu haben für Zwei. Was ich dir vorhin gestanden, daß ich nicht auf das Glück, dir anzugehören, verzichten will, weil du noch nicht frei bist, davon widerrufe ich kein Wort. Ich liebe dich um Vieles, was ich an dir kenne und sehe, auch um das Zartgefühl, daß du Die schonen willst, die dich so schwer gekränkt hat, daß du nicht um jeden Preis, selbst um den einer öffentlichen Anklage, das Band zwischen euch zerreißen willst, daß das Kind dir so ans Herz gewachsen ist und du ihm selbst deine Freiheit opfern willst. Ob das Opfer nothwendig ist, wollen wir noch besser überlegen. Ich aber – es mag nun werden, wie es will, und die menschliche Gerechtigkeit uns zu Hülfe kommen oder nicht, ich weiß, daß ich mein Leben dir von jetzt an widmen werde, daß ich, auch wenn ich es versuchen wollte, nie mehr mir selbst angehören könnte. Und so ist alles Andere eine kleine armselige Rücksicht, und es wird irgend einen Ort in der Welt geben, wo wir unangefochten unser Glück in einander finden werden. Eins aber muß zuvor geschehen: du mußt mich in der That erst kennen lernen. Lächle nicht und sage keine thörichten Dinge, die ich alle voraus weiß. Du kennst mich dennoch bis jetzt nicht wirklich, so wie ich bin, so wie ich dich kenne, weil ich deine Kunst gesehen und dein Leben weiß und weil ich überhaupt als ein Frauenzimmer, das einunddreißig Jahre lang sich die Welt betrachtet hat, viel besser um Menschen Bescheid weiß, als so ein Mann, der noch dazu Künstler ist und durch ein bischen Larve sich verblenden läßt. Liebster, denkst du nicht daran, daß ich in zehn Jahren eine alte Frau sein werde, die dir für deine Eva nicht mehr Modell sein könnte, und was du dann an mir hättest, wenn dir nicht mein ganzes inneres Wesen zum Leben nothwendig und deiner Lieb' und Treue werth wäre? Und darum mußt du dir's gefallen lassen, daß noch eine Schranke zwischen uns bleibt, ein ganzes langes Jahr. Glaube mir, es kostet mich Viel, mir das selbst aufzuerlegen. So viel schöne junge Zeit haben wir schon versäumt! Es klingt grausam, daß wir noch einen langen Brautstand haben sollen. Aber je herzlicher ich dich liebe und je elender ich werden würde, wenn du diese Probe nicht beständest, je tapferer muß und werde ich daran festhalten. Muß ich mir nicht auch das Herz deines Kindes erobern, damit es sich nicht von Der als einer Fremden zurückzieht, die es Mutter nennen soll?

Sie sah ihn mit einem Blick der innigsten Klarheit und Zärtlichkeit an und reichte ihm über den Tisch, an dem sie saßen, die Hand, die er so heftig drückte, daß sie sie lächelnd loszumachen suchte. Du hast vielleicht Recht, sagte er ernsthaft. Wenigstens glaube ich, daß du Alles besser und richtiger erwägst, als ich; – denn ich, in der That, ich bin von dem Gedanken dieses Glücks noch so betäubt, daß du Alles von mir erlangen könntest, was du nur wolltest. Heiliger Gott, mit welchem Herzen ich in deine Thüre trat, ein Verurtheilter, ein verlorener Mensch – und jetzt – und alle künftigen Tage –

Er war eben im Begriff, wieder aufzustehen – der Platz zu ihren Füßen, den der Hund eingenommen, schien ihn zu locken, – da hörten sie im Vorzimmer die Stimme des alten Erich, der in seinem verdrießlichsten Ton betheuerte, das Fräulein sei für Niemand zu sprechen.

Auch für mich nicht? antwortete Jemand. Das muß sie mir erst selber sagen, ehe ich es glaube!

Angelica! rief Julie. Die treue Seele können wir doch nicht von unserm Glück ausschließen.

Sie sprang auf und eilte hinaus, ehe ihr Freund, dem jeder Dritte in diesem Augenblick verhaßt war, Einspruch erheben konnte.

Fürchte dich nur nicht vor ihm! rief sie, die Betroffene im Triumph ins Zimmer führend. Er ist freilich ein Berserker, und es ist nicht rathsam, es mit ihm zu verderben. Aber eben deßhalb sollst du mir gegen ihn beistehen. Zwei Jungfrauen unseres gesetzten Alters werden doch wohl so Einen ungestümen Mann bezwingen können? Und bist du mir's nicht auch schuldig, mir jetzt aus der Noth zu helfen, in die nur du allein mich gebracht hast? Lieber Jansen, machen Sie nicht ein so böses Gesicht. Sagen Sie dieser lieben, guten, ganz verblüfften Freundin, daß es wirklich unser Beider Ernst ist, uns nicht wieder zu verlieren, nachdem wir uns auf so wundersame Weise gefunden haben, durch Vermittlung der Kunst und dieser vortrefflichen Künstlerin, – der wir auch ihren Kuppelpelz nicht schuldig bleiben wollen!

Jansen mußte wohl oder übel sich bequemen, ein paar freundliche Worte zu sprechen. Aber sein Inneres war noch in solchem Aufruhr, daß er bald wieder in sich versank. Er hörte nur mit halbem Ohr, was seine kluge Liebste plauderte, nicht zum Besten unterstützt durch Angelica, der ebenfalls all ihre guten Einfälle abhanden gekommen waren. Daß die beiden Freundinnen nun zusammenziehen sollten, daß der Besuch des heimlich Verlobten nur an gewissen Tagen erfolgen dürfe und immer nur unter sechs Augen, daß sie fürs Erste auch nicht einmal die nächsten Freunde des Paradieses in das große Ereigniß einweihen wollten, – dies und Anderes wurde verhandelt, wobei Julie fast allein die Kosten der Unterhaltung zu tragen hatte. Eine Munterkeit war über sie gekommen, die der Freundin völlig fremd an ihr war. Sie drang darauf, daß Jansen und Angelica bei ihr frühstückten, und machte auf die anmuthigste Art die Hausfrau. Jansen verfolgte wie von einem Magneten gefesselt jede ihrer Bewegungen, wurde aber öfters darüber ertappt, ganz verkehrte Antworten zu geben. Als er endlich aufbrechen mußte – es war inzwischen Mittag geworden, und Keins hatte auf die Zeit geachtet – erhob sich auch Angelica hastig. Ich gehe voraus, sagte sie; Brautleute werden nicht so geschwind mit dem Abschied fertig, wie so ein einzelner Mensch.

Aber Julie hielt sie zurück. Sie gab Jansen nur die Hand zu küssen und schloß dann die Thür hinter ihm. Dann fiel sie der Freundin um den Hals und küßte sie mit überströmenden Augen. Verzeihe mir mein Glück! flüsterte sie. Es ist so groß, daß ich fast davor erschrecke, als hätte ich eine Krone gestohlen!

Kind, das du bist! versetzte die Malerin, die sich erröthend über sie beugte. Ich habe es dir schon einmal gesagt: ich bin freilich nicht so tollkühn wie du! Diesen Menschen lieben, wie den ersten besten Sterblichen, ihn so mir nichts dir nichts ans Herz drücken – ich muß dir sagen, daß ich deine Courage bewundere. Freilich, du bist von Kopf bis Fuß ein complet reizendes Menschenbild, du kannst dir schon was herausnehmen. Aber so ein nothdürftiges Institut, wie unsereins, das Ebenbild Gottes in Gouache oder Wasserfarben – nein, wir müssen wenigstens vernünftig sein, um nicht noch zum Schaden den Spott zu haben. Addio, cara! Iddio ti benedica! – Damit eilte sie aus der Thür.


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