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Angelica warf den Pinsel weg.
Curios! sagte sie, ich mache heute lauter Dummheiten. Freilich, das Sprüchwort ist grundfalsch: aller Anfang ist leicht, und nur das Fertigmachen hat seine verwünschten Tücken. Und übrigens – wenn Keiner sonst im ganzen Hause arbeitet, kommt man sich ganz verrückt vor mit seinem Fleiß. Die Heiligenfabrik unter uns steht natürlich am Sonntag still. Aber auch die Andern – bei Rosenbusch pfeifen die Mäuse vor Hunger oder Langerweile, und Jansen's Thür hab' ich heut noch nicht gehen hören. Es ist natürlich, daß sie nach ihrer Nachtschwärmerei faul sind oder Kopfweh haben, und sicher werden sie auch die Sonntagsmesse in der Pinakothek versäumen. Gestern war Paradies.
Paradies?
So nennen sie ihre geschlossene Gesellschaft, die alle vier Wochen einmal zusammenkommt. Es muß da toll zugehen, wenigstens macht Rosenbusch, der sonst nicht leicht ein Geheimniß vor mir bewahren kann, ein Gesicht wie die heilige Vehme, wenn ich mal davon anfange. O die Männer, Julie, die Männer! Dieser Maximilian Rosenbusch – ich muß sagen, ich halte ihn eigentlich für tugendhaft, ja, unter uns, Liebste: er würde mir interessanter sein, wenn er weniger sittsam aussähe, nicht Flöte bliese und wirklich so ein kleiner Schwerenöther wäre, wie er manchmal zu sein vorgiebt. Aber da steckt Einer den Andern an, und schon der Name »Paradies« –! Man kann sich vorstellen, daß ein ziemlich vorsündflutlicher Ton dort herrschen mag, etwas stark aufgeknöpft und decolletirt.
Bleiben sie denn unter sich, oder sind auch »Damen« dabei?
Ich weiß nicht. In der Regel scheinen sie sich ganz sittlich miteinander zu amüsiren, aber dann und wann – besonders im Carneval, wo man überhaupt hier in München die Maskenfreiheit ziemlich weit treibt –
Auch Jansen ist in der Gesellschaft?
Der darf natürlich nicht fehlen. Aber er soll einer von den Stillsten sein, sagt Rosenbusch. Für mein Leben gern möcht' ich einmal durchs Schlüsselloch sehen! »O hätt' ich ein Wämmschen und Hosen und Hut« –
Du hast ja förmlich emancipirte Gelüste, Angelica!
Die Malerin that einen tiefen Seufzer.
Julie, sagte sie mit komischer Feierlichkeit, das ist ja eben das Unglück meines Lebens, daß zwei Seelen in dieser Brust wohnen, eine zaghafte, altjüngferliche, sitzengebliebene Mädchenseele neben einem ganz kecken, flotten, vagabundirenden Künstlergemüth. Sage, hast du nie in deinem Leben Lust gespürt, einmal über die Schnur zu hauen, etwas recht Ausgelassenes, Unschickliches, Unerlaubtes zu thun? Natürlich wo man ganz unter sich wäre, Niemand einem ein Gesicht ziehen könnte, weil Alle von demselben Dämon besessen wären. Da haben es die Männer gut. Wenn die sich ins verlorene Paradies zurückstehlen, heißen sie's genial. Ein armes Frauenzimmer, mag sie zehnmal Künstlerin sein und als solche beständig darauf angewiesen, kein Philister zu werden – im Leben soll sie niemals merken lassen, daß sie mehr kann als Strümpfe stricken.
Freilich, setzte sie nachdenklich hinzu, Unsereins in Masse, ein ganzer Schwarm genialer Weiber – mögen die Einzelnen auch noch so sehr das Zeug dazu haben – ich selbst würde für ein solches Paradies danken. Woran liegt das nun? Kommt es am Ende doch darauf hinaus, daß wir für uns allein nicht bestehen, nichts Rechtes vorstellen und zu Stande bringen können?
Vielleicht liegt es nur daran, daß die wahre Freundschaft, die recht eigentliche gute Kameradschaft unter unserem Geschlecht so selten ist, versetzte Julie sinnend. Wir gönnen es einander eben so wenig, vor uns allein zu glänzen, wie vor den Männern. Aber was mir eben einfällt: könnten wir die Gelegenheit nicht benutzen und, wie du schon neulich vorschlugst, in Jansen's Atelier einen Blick thun?
Und warum nicht lieber, wenn er selbst da ist? Er würde gewiß sehr glücklich sein –
Nein, nein, wehrte Julie lebhaft ab, ich thue es nun einmal nicht. Ich habe noch in allen Ateliers eine so einfältige Rolle gespielt, da ich mich zu einem trivialen Compliment nie entschließen kann, daß ich's verschworen habe, je wieder einen Künstler unter seinen Werken zu besuchen. Du weißt, es ist das meine Cordelien-Natur: gerade wo das Herz voll ist, will mir der Mund nicht überfließen.
Närrische Person! lachte die Malerin, indem sie rasch ihren Pinsel auswischte und sich zum Fortgehen rüstete. Ihr vom Publikum glaubt immer, wir wollten Recensionen hören. Wenn euch vor Bewunderung die Sprache vergeht und ihr recht einfältig verzückte Gesichter macht, seid ihr uns tausendmal lieber.
Angelica rief den Hausmeister, der im Hofe damit beschäftigt war, aus einem alten Gobelinstück, das Rosenbusch kürzlich gekauft, die Motten zu verjagen. Während er dann den Schlüssel zu dem Atelier holen ging, flüsterte sie der Freundin zu: Wir gehen nicht erst zu den Heiligen, sondern gleich ins Allerheiligste. Es ist mir immer ein Schmerz, zu sehen, wie auch solch ein Künstler, einer von den wenigen Großen, seine Kunst nach Brod schicken muß. Freilich, warum er's eigentlich muß, begreift kein Mensch. Für sich selbst braucht er fast nichts. Und da er allein steht – aber das ist allerdings noch nicht ganz ausgemacht. Seine Heiligen müssen ihm viel einbringen. Was er damit anfängt, ob er das Sündengeld vergräbt, vermauert oder an der Börse damit spielt – aber da kommt unser altes Factotum mit dem Schlüssel. Ich danke Ihnen, Fridolin. Hier haben Sie etwas für Ihre Mühe. Trinken Sie eine Maß auf das Wohlsein dieser schönen Dame. Gelt, sie gefällt Ihnen auch? Sie haben freilich Ihren Geschmack bilden können, so immer unter Künstlern!
Der Geschmeichelte schmunzelte, versuchte ein Compliment zu stammeln und schloß die Atelierthüre auf. Angelica lief sogleich auf die Tänzerin zu und begann sie aus den feuchten Tüchern herauszuschälen.
Nun stelle dich hierher! rief sie, als die Figur ganz frei war. Sie ist zwar von allen Seiten göttlich, aber so im verlornen Profil, wenn man das bischen Rücken noch mitnimmt, und die Silhouette so gegen den hellen Himmel – ist es nicht entzückend? Meint man nicht, sie springt jeden Augenblick vom Sockel und ras't durchs Zimmer und reißt einen mit fort in ihren Taumel hinein? Ich kann dies Werk nie ansehen, ohne daß mir auf meine alten Tage die Tanzlust durch alle Glieder zuckt. Wie du nur so still bleiben kannst! Schade, daß ich eine ungraziöse Person bin, sonst müßtest du jetzt dein Kleid aufschürzen und mit mir –
Sie machte in der That einige lebhafte Bewegungen, die nach ihrer Art ziemlich grotesk ausfielen.
Ich bitte dich, Angelica, sei vernünftig! Du bist hier freilich wie zu Hause. Mir aber versetzt es den Athem – mir ist so wunderlich –
Nicht wahr, so Etwas sieht man nicht alle Tage? Wie jede Form lebt und athmet, man meint ordentlich, das blühende junge Fleisch müsse nachgeben, wenn man es anfühlt, und dabei so streng und großartig und stilvoll, daß das Modell einem nicht von fern dabei einfällt –
Ist das nach dem Leben geformt?
Glaubst du, daß man sich dergleichen aus den Fingern saugen kann?
Und es finden sich wirklich Mädchen, die sich dazu hergeben –
Mehr als zu viel, du allerliebste Unschuld. Freilich – von einer Sorte, die unsereins nicht einmal mit Handschuhen anfassen möchte. Aber Rosenbusch sagt, sie seien bei alledem besser als ihr Ruf. Er habe ganz brave Geschöpfe darunter gefunden, sogar Eine, die einen richtigen Mann und ein paar Kinder gehabt habe und so bieder in die Ateliers gegangen sei, wie Andere zum Schneidern oder Putzmachen. Ja, ja, Liebste, wir guten Kinder aus guter Familie haben davon keinen Begriff. Sieh, fuhr sie fort, zu Felix' Modellirstuhl sich wendend, da arbeitet der junge Baron. Diesen Fuß des Muskelmanns hat er copirt, jetzt darf er zur Belohnung an dem Fuß eines Aegineten sich erholen. Nicht übel, gar nicht ohne Talent. Auch ein ungemein hübscher und angenehmer Mensch, den ich wohl leiden mag. Aber denk an mich, er bleibt doch immer ein Cavalier und wird all sein Lebtag kein rechter Künstler!
Sie betonte das Wort »Cavalier« so geringschätzig, wie etwa ein Matrose das Wort »Landratte« hinwirft. Dann trat sie zu der großen Mittelgruppe des ersten Menschen und begann vorsichtig die Umhüllung zu lösen.
Was ist denn das? sagte sie. Da hat er die Tücher wahrhaftig, seit ich die Gruppe vor vierzehn Tagen zuletzt gesehen, mit Sicherheitsnadeln festgesteckt. Na, ich darf mir schon was herausnehmen, und am Ende merkt er's nicht einmal. Hier wirst du nun erst Augen machen, Giulietta! È una magia, sagen die Italiener; noch viel größer, gewaltiger, niedagewesener, als dort das tanzende Fräulein. So! nur diesen Zipfel recht behutsam abgewickelt – der Kopf der Eva ist freilich erst angelegt –
Das feuchte Linnen, das die Gestalt des knieenden Weibes eingehüllt, glitt jetzt herab; in demselben Augenblick hörte Angelica, die hinter der Gruppe stand und die letzten Falten sorgsam von der Thonmasse entfernte, einen halb unterdrückten Aufschrei von den Lippen der Freundin.
Siehst du wohl, daß ich Recht hatte? rief sie ihr zu. Es ist zum Losschreien schön. Ohne einige unarticulirte Naturlaute kann ein ordentlicher Mensch so etwas – Aber um Gotteswillen, unterbrach sie sich, auf Julie zustürzend, die sie plötzlich erbleichen und einen Schritt zurücktreten sah, – was hast du, einziges Herz? Du bist ja ganz – rede! sage nur eine Silbe – was ist denn geschehen – was hat dich denn so – Heiliger Gott, das! Das hatte ich freilich selbst nicht geahnt! Nein, eine solche Ueberraschung! Eine so unerhörte Hinterlist und Heimtücke! Und dabei so wundervoll herausgekommen! Nein, dieser Jansen! Also darum die Sicherheitsnadeln, darum vierzehn Tage lang die Gruppe Niemand zeigen wollen –?
Julie war bis ans Fenster zurückgewichen und stand dort wie unschlüssig, den Kopf auf die lebhaft athmende Brust gesenkt. Die Malerin aber, von ihrer Begeisterung aller Sorge um die erschütterte Freundin entrückt, stand wie in Andacht hingerissen mit gefalteten Händen vor dem Werke, das ihr so wohlbekannt war und doch so überraschend neu entgegenblickte. Denn seit sie es zuletzt gesehen, hatte das Haupt der Eva, das damals nur in den ersten Umrissen aus dem Gröbsten entworfen war, feste, sorgsam durchgebildete Form gewonnen, und das lieblich vorgeneigte Gesicht, mit dem sie den eben Erwachenden betrachtete, glich Zug für Zug dem schönen Mädchen, das jetzt auf den Stuhl hingesunken, in einem unbeschreiblichen Zustande von Bestürzung, Scham und Zorn zu ihrem Abbilde aufblickte.
Nun wäre es für jeden Dritten ergötzlich gewesen, mitanzuhören, wie die Malerin, nachdem sie den ersten Schreck verwunden, bald in die Seele der Freundin hinein über diesen Raub an ihrer Schönheit zu zürnen, bald ihr klar zu machen suchte, daß an der ganzen Sache nichts Unrechtes oder Ungehöriges sei. Wenn sie dann eine Weile sich in entzückten Aeußerungen über das herrliche Werk, die Hoheit und den Reiz dieser Formen, die lebenathmende Frische der Behandlung ergangen hatte, wurde sie plötzlich wieder Frauenzimmer genug, um die unverkennbare Aehnlichkeit der Züge an diesem in paradiesischer Unbefangenheit sich enthüllenden schönen Weibe doch bedenklich zu finden. Sie versuchte dann freilich den Künstler in Schutz zu nehmen; Niemand könne für seine Inspirationen, und der überlebensgroße Maßstab rücke ja auch das Werk aus aller realistischen Betrachtung heraus. Sie fühlte aber an ihren heißer werdenden Wangen am besten, daß sie zum Advocaten des Teufels nicht recht gemacht sei, und nachdem sie, immer der Schweigenden den Rücken zugekehrt, ihre letzten Trümpfe ausgespielt und feierlich behauptet hatte, so verewigt zu werden, dürfe Keine sich zu gut halten, das sei noch ganz etwas Anderes, als die Schwester Napoleons, die Canova in Marmor porträtirt, und die sogenannte Tizianische Venus, deren Liebhaber neben dem Bett die Laute schlage, – auf Einmal wandte sie sich zu Julien um, fiel ihr um den Hals und beschwor sie mit den zerknirschtesten Bitten und Liebkosungen, ihr doch nicht zu zürnen, sie sei ja so unschuldig an diesem Attentat, wie Röschen's weiße Mäuse, und wenn sie nur eine Ahnung gehabt hätte, daß dieser böse Jansen sich dergleichen herausnehmen könne, hätte sie ihn gewiß nicht bei der letzten Sitzung in ihr Atelier eingeladen. Und deß zum Zeichen werde sie ihn jetzt sofort aufsuchen und – so schade es um die wundervolle Arbeit sei – fest darauf bestehen, daß jede noch so entfernte Aehnlichkeit dieser leichtbekleideten Eva mit ihrer schwergekränkten Urenkelin beseitigt werde.
Thue das; ich verlasse mich darauf! sagte Julie plötzlich sehr ernst und erhob sich in ihrer ganzen Würde und weiblichen Hoheit. Daß ich mit ihm natürlich nie wieder zusammenkommen, dies Haus nie wieder betreten kann, wirst du begreiflich finden. – Dabei warf sie, indem sie sich nach der Thür wandte, einen letzten zürnenden Blick nach ihrem Conterfey.
Sie begreife es allerdings, erwiederte die Malerin kleinlaut. Sie würde es nicht anders machen; es sei zu rücksichtslos von Jansen gehandelt, auch gegen sie, die ja als alte Hausgenossin gewissermaßen mit verantwortlich sei für die gute Aufführung aller Uebrigen. Aber das möge Julie nur glauben, irgend eine schnöde Absicht, eine von den gewöhnlichen Künstlerfrechheiten sei es gewiß nicht bei Jansen, nur eine Gedankenlosigkeit, eine Unüberlegtheit, und er werde sich's gewiß sehr zu Herzen nehmen – und wenn sie jetzt wirklich darauf bestände, ihn nie wiederzusehen – eine Strafe, die er freilich verdient habe –
Unter diesen Reden, zu denen die schöne Gekränkte ein Gesicht machte, aus dem nicht recht klug zu werden war, halten die Freundinnen – denn auch Julie half mit zitternden Händen – die Gruppe sorgfältig wieder eingehüllt und die Nadeln noch aus ihrem eigenen Vorrath vermehrt. Als sie dann in den Hof hinaustraten, schärften sie dem Hausmeister dringend ein, das Atelier Niemand mehr aufzuschließen, bevor Herr Jansen selbst es wieder betreten würde. Dann verließen sie, nicht wie gestern vertraulich Arm in Arm, sondern schweigsam und verstimmt, das Haus, um sich schon an der nächsten Straßenecke zu trennen.
Angelica wollte einen Versuch machen, ob sie trotz des gestrigen Festes den Missethäter auf der Pinakothek treffen möchte; Julie, die ihren Schleier heruntergelassen hatte, als dürfe sie nach dieser Erfahrung Niemand mehr frei ins Gesicht sehen, eilte auf dem geradesten Wege ihrer Wohnung zu, um ihr aufgeregtes Gemüth in vollster Einsamkeit wieder zu sammeln und zu beschwichtigen.