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Die stille blasse Frau öffnete ihnen, sah aber weder Schnetz noch seinem Begleiter ins Gesicht, sondern zog sich hastig in ein Hinterstübchen neben der Küche zurück, ohne auf ihres Herrn freundliches Nicken und die Frage, ob Niemand gekommen sei, anders als mit einem langsamen Kopfschütteln zu antworten. Mehr noch, als das erste Mal, fiel heute Felix der schwermüthig scheue Ausdruck ihrer Augen auf, die einen edlen Schnitt und sanften Glanz hatten, während die Züge des Gesichts selbst in jüngeren Tagen nie schön gewesen sein konnten.
Sie müssen mich schon entschuldigen, sagte Schnetz, als sie in sein Zimmer getreten waren, wo er seinem Besuch eine Cigarre anbot – er selbst rauchte seinen algierischen Caporal aus einer kurzen Thonpfeife – ich habe Sie Madame Thersites nicht weiter vorgestellt; Sie hätten nicht viel dabei gewonnen, denn die Gemüthsverfassung dieser guten Seele ist leider nicht die heiterste. Sie trägt sich nämlich mit der fixen Idee, sie sei das Unglück meines Lebens, da ich ihretwegen den Dienst quittirt habe, und seitdem habe ich meine liebe Noth, sie nur so weit zu beruhigen, daß sie nicht in einem finstern Augenblick das Leben quittirt. Ja, mein Bester, das ist auch so ein Pröbchen von der hohen Vernunft, Weisheit und Sittlichkeit unserer gesellschaftlichen Zustände. Dieses vortreffliche Wesen, das es nun schon ganze zehn Jahre mit mir ausgehalten hat, stammt aus einem ländlichen Schulmeisterhause. Da hab' ich sie, als ich bei der Gutsherrschaft zu Besuch war, kennen gelernt – der alte Papa war schon pensionirt, die Mutter todt, und diese älteste Tochter besorgte die ganze Wirthschaft, erzog ihre Geschwister und behielt daneben noch Zeit, etwas für sich zu thun und ihre Bildung zu vervollkommnen. Sie ist natürlich protestantisch. Genug, ich fing an sie sehr zu respectiren, und so kam Eins zum Andern, bis ich merkte, daß ich nicht mehr ohne sie leben konnte. Daß ich die Caution, die ein Lieutnant zum Heirathen braucht, nicht zu erschwingen im Stande war, machte mir vorläufig wenig Kummer. Meine Liebste war ganz so gesinnt wie ich, daß wir nur warten müßten, bis die zweite Schwester alt genug sei, ihre Stelle im Hause einzunehmen. Sobald das möglich wäre, wollte sie zu mir in die Stadt ziehen. Eine alte Tante, die ich beerben sollte, hatte, wie sie selbst sagte, ihre Koffer zur Abreise ins Jenseits schon lange gepackt, dann konnte ich die nöthige Summe leicht aufbringen, und daß ich eine Mesalliance machte, war mir noch eine ganz besondere Herzensfreude, meiner Familie gegenüber, mit der ich längst brouillirt war. Aber die Abreise der Tante verzögerte sich Jahr um Jahr, da wollten wir nicht die schönste Zeit versäumen und haus'ten auch ohne Pfaffensegen in einer ganz christlichen und gottwohlgefälligen Ehe mitsammen, so beiläufig vier oder fünf Jahre. Nur daß uns ein paar Kinder starben, war bitter. Endlich legte sich auch die Tante zu ihrer letzten Ruhe hin, und jetzt sollte, da wir wieder ein Kind erwarteten, auch die bürgerliche Legitimation unseres Bundes erfolgen, der dadurch freilich nicht fester werden konnte. Was denken Sie aber, daß meine Herren Kameraden, das gesammte Offiziercorps – Leute, die das Verhältniß in seiner ganzen Rechtschaffenheit kannten und mich dazu, – für erhabene Gesinnungen an den Tag legten? Die Ehre des Corps leide darunter, hieß es, wenn ich eine »Person« heirathe, von der ich vor der Ehe Kinder gehabt. Daß ich das alte Verhältniß fortführte, hätten sie durchaus nicht anstößig gefunden. – Diese Logik des point d'honneur wollte nicht in meinen harten Kopf, auch nicht in den meiner guten Frau. Aber während der meinige sich erst recht fest in den Nacken setzte, so daß ich lieber meinen Abschied nahm, als mich fügte, wurde der ihrige darüber aus den Fugen gebracht. Wir hatten eine recht trübselige Hochzeit, das Kind, das sie dann zur Welt brachte, starb nach wenigen Monaten, und seit jener Zeit ist das arme Geschöpf mit dem melancholischen Wahn behaftet, sie habe mein verfehltes Leben auf dem Gewissen. Hundertmal habe ich ihr klar zu machen versucht, daß ich nichts Besseres wünschen könne, als von aller dienstlichen Plackerei befreit meinen Studien zu leben; – es giebt gewisse Punkte in der Kriegsgeschichte, auch einige technische Probleme und Controversfragen, über die ich hie und da einmal in militärischen Zeitschriften ein Wort mitrede. Und wie nun gar die klägliche Campagne von Sechsundsechzig kam, wo wir nur so um Gotteswillen unsere Waffenehre retteten und übrigens uns von Oesterreich aufs Herrlichste dupiren ließen, dankte ich meinem Schöpfer, daß ich nicht mit mußte, sondern das ganze Handwerk, das einen Mann so gegen seine Ueberzeugung zu handeln zwingen kann, an den Nagel gehängt hatte. Seitdem leben wir unbeschrieen weiter, und ich wende meine Mußestunden dazu an, meine etwas kahle Existenz, wie Sie sehen, nach Möglichkeit zu illustriren.
Er ließ seine Augen in dem Zimmerchen herumgehen, das allerdings nicht eben freundlich erschien und selbst an diesem sonnigen Tage eine unheimlich fröstelnde Luft hatte. Zum Theil mochte dieser Eindruck von der wundersamen Decoration der Wände herrühren, die nur mit wenigen geringen Möbeln, einem schwarzen Ledersopha und einem wurmstichigen geschnitzten Schrank ausgestattet waren. Statt eingerahmter Bilder oder Kupferstiche aber sah man rings umher, wo nur ein leerer Fleck war, ja bis hinter den Ofen und in der Umrahmung des einzigen Fensters die abenteuerlichsten Silhouetten aus derbem schwarzem Papier ausgeschnitten und auf die nackte, ehemals weißgetünchte Wand geklebt. Es war eine wilde Jagd von Figuren aus den verschiedensten Ständen, meist in lächerlichen Geberden ihrem Gattungscharakter gemäß sich spreizend, pedantische Gelehrte, renommirende Studenten, Künstler, Frauenzimmer, Geistliche und Soldaten – alle gleichsam in flagranti bei ihren Lieblingsschwächen und Schooßsünden ertappt und im verrätherischen Schattenriß auf die Mauer festgebannt. Dabei mußte ein Künstler an den groben und doch geistreichen Zügen, mit denen jede Gestalt umrissen war, seine Freude haben, und nur das Uebermaß des tollen Gewimmels, das an den Wänden hinauf sogar schon die verräucherte Zimmerdecke zu überspinnen anfing, war geeignet, in einem ruhigen Gehirn auf die Länge Fieberträume zu erzeugen.
Sie merken jetzt, weshalb ich Sie mit heraufgeschleppt habe, sagte Schnetz, seinen Reitfrack abwerfend und die dürren Arme, um welche ein paar grobe Hemdärmel schlotterten, über den Rücken kreuzend. Ich habe im Umgang mit Künstlern so viel Eitelkeit wegbekommen, daß ich arglose Menschen unbarmherzig in meine Höhle locke, obwohl die schwarze Kunst, die ich betreibe, den Wenigsten der Mühe werth scheinen wird, vier Treppen darum hinaufzukeuchen. Das Leben von der Nachtseite – Hirngespinnste eines Schwarzsehers – ein Thersites-Album oder eigentlich -Nigrum – nicht wahr, es wird Ihnen fast noch übler in dieser Schattenwelt, als in einer der gewöhnlichen Kunstvereins-Ausstellungen. Aber wenn Sie die Sache näher betrachten, hat sie auch ihr Gutes. Was ist es denn, was aller modernen Kunst so gänzlich abhanden gekommen und dessen Mangel die Quelle all ihrer anderen Gebrechen ist? Einzig und allein, daß sie keinen Respect mehr vor der Silhouette hat! Landschaft und Genre, Historie und Portrait, ja, selbst Ihre Bildhauerei – überall finden Sie eine Menge kleiner, witziger Ausführungskünste, Färbchen, Tönchen, Druckerchen, eine verflucht geschickte, nervöse, appetitliche Mache, aber im Ganzen keinen großen Zug, keine starken Ausladungen, keinen festen Aufbau, der bloß seinen Schatten zu werfen braucht, um schon was vorzustellen. Geben Sie mir eine Scheere und ein Buch schwarzes Papier, und ich schneide Ihnen die ganze ältere Kunstgeschichte aus, bis an das neunzehnte Jahrhundert, die Sixtinische Madonna und Claude le Lorrain so gut wie Teniers und Ruysdael, Phidias und Michelangelo so gut wie Bernini, so daß Alle eine ganz famose Figur machen, den Zopf mit eingerechnet, der immer noch gesundere Ausladungen hatte, als unsere liebe Jetztzeit. Bei der dagegen – wenn Sie die getiftelten, raffinirten Palettenkünste wegnehmen, was bleibt? Eine unerhörte Armseligkeit der Form, ein paar Witze oder hochtrabende »Ideen« und die nackte Leinwand. Das Gleiche, dünkt mich, würde auf die Literatur paffen, und darüber hinaus auf alle Erscheinungen unserer hochgepriesenen Cultur. Ich aber habe von je her zunächst auf das Wesentliche, die Grundform, die entscheidenden Umrisse geachtet, und da diese leider Gottes nur noch in unseren Sünden und Narrheiten sich kräftig auswachsen, bin ich zum Schattenreißer geworden – eine Kunst, die nicht nur brodlos ist, sondern einem auch noch das Stück Brod vorm Munde wegnimmt, das einem sonst vielleicht gegönnt wäre. Denn die Menschen können es natürlich nicht verzeihen, wenn man ihnen an ihrem Schatten nachweis't, was für Auswüchse, Schiefheiten und Höcker sie mit sich herumtragen, während Jeder gedacht hat, er sei es ganz besonders werth, daß ihn die Sonne bescheine. –
Es war ein Glück für Felix in seiner Geistesabwesenheit, daß Schnetz zu den Menschen gehörte, die, wenn sie auf das Grundthema ihrer Natur, auf ihre Mission oder fixe Idee gerathen sind, kein Arg daran finden, daß man sie allein reden läßt, sondern in unerschöpflichen Variationen fortphantasiren. Als er nach einer halben Stunde aufbrach mit der scherzenden Wendung, sein Lehrer werde schelten, wenn er zu spät komme, hatte er selbst nicht zehn Worte gesprochen, und der Oberlieutnant nahm dennoch Abschied von ihm mit der Erklärung, er freue sich, ihn heute als einen Geistesverwandten kennen gelernt zu haben, und hoffe, die vier Stiegen würden ihm nicht zu hoch sein, um die Bekanntschaft bei einem Glase Bier und einer mittelmäßigen Cigarre fortzusetzen.