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Das Spiel war unter großem Beifall zu Ende gegangen. Die barocke Composition, die Ungebundenheit der Sprache und die zu allen Zeiten wirksame Mischung von Uebermuth und Tiefsinn hatten die Zuhörer so lebhaft angeregt, daß das Klatschen nicht aufhören wollte und die kleine Puppe, die den Epilog gemacht, immer wieder hervorkommen mußte, um im Namen des Dichters zu danken.
Felix insbesondere hatte an der kleinen Komödie noch Anderes zu bewundern gehabt, was für die Uebrigen den Reiz der Neuheit verloren zu haben schien: die ungemeine Lebendigkeit der kaum zwei Spannen langen Figürchen, die aufs Sorgfältigste, jedes in seinem Charakter, geschnitzt, gemalt und bekleidet waren, die erstaunliche Gewandtheit, mit der sie sich auf der Bühne bewegten, endlich und vor Allem die meisterliche Kunst des Vortrags. So rasch und deutlich wechselten die Stimmen, so glücklich getroffen war die Grundfarbe einer jeden Rolle, und in der langen Erzählung des Teufels entfaltete der Sprecher eine so glänzende Virtuosität, daß wohl keiner der Zuhörer sich eines heimlichen Grauens erwehren konnte, wie wenn Gespenstergeschichten im Dunkeln erzählt werden.
Als die Reihen sich wieder lös'ten und Alles durcheinander stand, sprach, lachte und lärmte, äußerte Felix gegen Schnetz sein Befremden, daß ein so großes rhetorisches Talent ein für alle Mal sich seiner Kunst entschlagen und hinter einem Comptoirtisch angesiedelt habe.
Er will eben Alles oder Nichts! versetzte der Oberlieutenant. Seit er das eine Auge verloren hat und sich einbildet, mit einem Glasauge für die Bühne verdorben zu sein, ist er viel zu stolz, vom hohen Pferde des Tragöden auf den Esel des Vorlesers zu steigen. Jeder muß wissen, ob er auf seine Kosten kommt, wenn er den Malcontenten spielt. Uebrigens sollte man ihm wirklich zureden, sich als Puppentheater-Director zu etabliren. Auch wäre das eine gute Versorgung für Rosenbusch, der ihm seine Truppe herstellt und bei der Action an die Hand geht. Aber freilich, dem pflegt so 'was nur Vergnügen zu machen, so lang es eine brodlose Kunst ist. An dieser Komödie hat er gewiß drei Wochen zu basteln gehabt und alles Andere darüber liegen lassen. Wenn gegen Entrée gespielt würde, hält' er es bald satt.
Elfinger trat jetzt wieder herein, mußte sich nun in eigner Person beklatschen lassen und Denen, die ihm zutranken, Bescheid thun. Er lehnte aber den Beifall bescheidentlich ab, da der Dank des Publikums vor Allem dem Dichter gebühre, dieser aber sei nicht er, sondern ein ihnen Allen bekannter Poet, der den Wunsch hege, in das Paradies ausgenommen zu werden. Eigens zu diesem Zweck habe er das Puppenspiel gedichtet, um sich dadurch bei der Genossenschaft einzuführen und ihre gute Meinung zu gewinnen.
Seine Aufnahme wurde ohne die üblichen Förmlichkeiten durch allgemeinen Zuruf beschlossen. Kohle bat sich das Manuscript aus, da er eine Reihe von Zeichnungen dazu machen wolle, Rossel fing an, an einzelnen Stellen nach seiner Art herumzukritisiren, besonders tadelte er die Anklänge an Immermann's Merlin. Elfinger vertheidigte das Gedicht, und der Disput lief eben Gefahr, sich zu erhitzen, als die Thür aufgerissen wurde und Rosenbusch in großer Aufregung hereinstürzte.
Verrath! rief er. Schwarzer, tückischer Verrath! Die Hölle schickt ihre Spione aus, um die Geheimnisse des Paradieses auszukundschaften. Der Schleier der Nacht ist nicht mehr heilig, profane Neugier zerrt am Vorhang unserer Mysterien – und übrigens gebt mir zu trinken!
Alles drängte sich um den Athemlosen, der sich auf einen Stuhl geworfen hatte, aber trotz des Lärms von Fragen und Zureden um ihn her jede Erklärung verweigerte, bis er seine lechzende Zunge befeuchtet habe. Erst als dies in ausgiebigem Maße geschehen war, fing er an, sein Abenteuer zu berichten.
Nachdem seine Mitwirkung hinter den Coulissen überflüssig geworden war, habe er sich durch eines der Fenster des Mittelsaals in den kühlen Garten hinausgeschwungen, um sich draußen in der stillen Nacht, ein wenig zu ergehen. So sei er vorn unter den Bäumen, die noch vom Gewitterregen tropften, behaglich auf und ab gewandelt, habe Wolkenstudien gemacht und dazwischen ein paar Griffe auf der Flöte gethan, bis sich endlich ein gewaltiger Durst bei ihm gemeldet habe. Wie er sich nun langsam ums Haus herumgezogen, um durch die Hinterthür zur Gesellschaft zurückzukehren, habe er plötzlich zwei verdächtige Gestalten erblickt, Frauenzimmer, in langen dunklen Regenmänteln, Kapuzen oder Schleier überm Kopf, die beide an einem der Fenster gestanden und durch einen Spalt im Laden angelegentlich hineingelugt hätten. Er habe sie überraschen und in flagranti attrapiren wollen. Aber so sacht er herangeschlichen sei, das Knirschen des Kiesgrundes habe ihn dennoch verrathen. Sofort seien die Beiden vom Fenster weggestürzt und nach dem Ausgang des Gartens hingeflohen, er ihnen mit Blitzeseile nach, um so hitziger, da er draußen auf der Fahrstraße einen Wagen halten gesehen. Richtig sei es ihm auch geglückt, die Eine, die Dickere, die etwas unter dem Mantel getragen und dadurch im Laufen behindert gewesen sei, gerade am Gitterthor beim Schlafittchen zu fassen. Mit ängstlicher, aber offenbar verstellter Stimme habe die Gefangene ihn beschworen, sie loszulassen, – sie hätten nichts Böses verübt, – ein reiner Zufall, und dergleichen Reden mehr. Er dagegen, von Zorn und Aerger und auch ein wenig von Neugier erhitzt, habe nicht losgelassen, sondern darauf bestanden, ihren Namen zu erfahren; schon habe der Mantel, den er fest gehalten, verrätherisch gekracht, als ob er zerreißen und ihm als einem umgekehrten Joseph allein in den Händen bleiben wolle, da habe sich die Andere, die indeß schon den Wagen erreicht, ruhig noch einmal umgedreht und mit einer tiefen Stimme gesagt: Seien Sie ohne Furcht, meine Liebe, der Herr ist viel zu ritterlich, um sich an zwei wehrlosen Damen zu vergreifen. Venez, ma chère!
Diese Worte, fuhr er aufspringend fort, machten – zu meiner Schande muß ich es gestehen – einen so starken Eindruck auf mich, daß ich der Esel war, Mantel und Frauenzimmer, die ich in Händen hatte, loszulassen, meinen Hut zu ziehen und der zweiten Spitzbübin eine ganz höfliche Verbeugung zu machen. Sie waren aber doch Beide zu sehr erschrocken, um über diese meine teufelsmäßige Dummheit zu lachen, sprachen auch kein Wort mehr, sondern huschten von mir weg, in den Wagen hinein und fort auf Teufelholen.
Da stand ich nun und schlug mich vor den Kopf, da mir im Nu einfiel, was für eine treffliche Figur ich bei der Affaire gemacht haben mußte. Aber das Schönste kommt noch. Was hatte das Frauenzimmer unter dem Mantel gehabt? Im Ringen mit ihr hatte ich mich mehrfach daran gestoßen und gemerkt, daß es etwas Viereckiges sein muffe, so was wie ein Bilderrahmen. Und plötzlich, als ich sehr ingrimmig wieder auf das Haus zu schleiche, fällt mir ein: wenn es gar die Braut von Korinth gewesen wäre! Laß doch sehen, wo die ein Ende genommen hat. Ich wußte ganz genau, zu welchem Fenster Stephanopulos sie hinausspedirt hatte. Nun such' ich und such' ich – aber so viel ich herumstöbern mochte, keine Spur davon war zu entdecken, und da der Boden ringsum noch voll kleiner Regenlachen ist, die Flamme also jedenfalls gleich erloschen sein muß, ist Zehn gegen Eins zu wetten, daß diese spionirenden Nachtschwärmerinnen es noch haben brennen sehen, vielleicht gar dadurch erst auf den Gedanken gekommen sind, sich in den Garten zu schleichen, und nun ihre Beute in Sicherheit gebracht haben.
Ein großer Tumult folgte auf diese Mittheilung. Einige der Jüngsten, vom Wein erhitzt, wollten hinausstürmen, der Spur der Entflohenen nach, um ihnen den Raub wieder abzujagen. Die abenteuerlichsten Vorschläge wurden laut, wie man den Frevel rächen und einer ähnlichen Entweihung ihrer Mysterien für die Zukunft vorbeugen solle. All diese Lärmer wurden still, als Jansen das Wort nahm und zur Vernunft ermahnte. Was man hier treibe, brauche das Licht nicht zu scheuen. Der Einzige, den die Sache persönlich angehe, sei Stephanopulos. Da dieser nichts daraus zu machen scheine, könnten die Andern sich beruhigen.
Das geschah denn auch, und die Feststimmung blühte bald in vollem Glanze wieder auf. Der Wein löste selbst die unbeholfensten Zungen, Jeder gesellte sich zu einem Nachbarn, der ihm der Liebste war, und selbst der junge Grieche thaute so gründlich aus seiner Verstimmung auf, daß er sich herbeiließ, Volkslieder aus seiner Heimath zu singen, was ihm stürmischen Beifall eintrug. Indessen ging Philipp Emanuel Kohle wie einer der seligen Genien mit erhobener Stirn und glänzendem Blick durch den Saal, den Römer in der Hand, mit Jedem anstoßend – auf die Kunst – das Ideal – die Resignation und die Götter Griechenlands, dazwischen Hölderlin'sche Verse declamirend:
Kennst du die Alten nicht,
Die Lieblinge des Himmels man nennt?
Sie nährten die Brust
An Kräften der Welt,
Und den Hellaufblickenden war
Unsterbliches nahe.
Drum beugten die Stolzen
Das Haupt auch nicht,
Und vor den Gewaltigen konnt'
Ein Anderes nicht bestehn;
Es ward verwandelt vor ihnen. –
Auch Schnetz schien sehr guter Dinge. Er hatte sich rittlings auf das kleine Faß in der Ecke gesetzt, ein paar lose Reben von wildem Wein um den kurzgeschorenen Kopf gewunden und hielt eine Rede, die Niemand hörte.
Als es drei Uhr schlug, tanzte Elfinger mit dem Architekten, der kürzlich aus Spanien zurückgekommen war, einen Fandango. Rosenbusch blies die Flöte dazu, der »Dicke« hatte drei leere Gläser vor sich stehen, an denen er mit einem Bleistift den Tact schlug. Felix, der in Mexico den Tanz ebenfalls gelernt hatte, löste nach einiger Zeit Elfinger ab, und nach und nach ergriff der Taumel auch die Uebrigen. Nur Jansen blieb still, aber seine Augen blickten heiter. Er hatte mitten auf dem Tisch für den alten Schöpf eine Art Thronsitz errichtet und einige grüne Gewächse herumgestellt. Nun saß der weißhaarige Alte über all dem Getümmel, bis auch ihn der Wein anfeuerte und er sich erhob, um allerlei krause Reden und Sinnsprüche mit behaglicher Würde von sich zu geben.
Um vier Uhr war der Wein im Fasse versiegt. Schnetz kündigte diese betrübsame Entdeckung mit Leichenbittermiene und wehmüthigem Ernst den Tanzenden, Singenden und in Zungen Redenden an und forderte sie auf, dem Dahingeschiedenen die letzte Ehre zu erweisen. Ein feierlicher Zug ordnete sich, Jeder trug eine Kerze, einen brennenden Span oder was sonst für eine Fackel gelten konnte, und man sang im Halbkreise um das Faß ein Requiem, worauf plötzlich alle Lichter auslöschten.
Durch die Fenster drang jetzt ein falber Morgenschimmer, Jansen mahnte an den Aufbruch, der nach unwandelbarem Herkommen gemeinsam geschah. Keinen hatte der reichliche Wein um seine Sinne gebracht, obwohl Einige nicht mehr ganz fest auf ihren Füßen standen. Als sie hinaustraten, erwachte eben ein frischer Morgenwind auf den stillen Wiesen des englischen Gartens. Die Bäume erschauerten im fallenden Thau. Arm in Arm schlenderten die Freunde durch die graue Morgenluft, die ihre heißen Stirnen erfrischte, verlorene Worte, Nachklänge des Fandango vor sich hinsummend, die Letzten von Allen Jansen und Felix, Arm in Arm, zuweilen sich dichter aneinander drückend, Beide in Gedanken, die keine Worte fanden.