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Fünftes Kapitel.

Gleich am frühen Morgen nach jenem nächtlichen Begegnen hatte Felix den Oberlieutenant aufgesucht; es drängte ihn zu erfahren, ob es keine Täuschung seiner erregten Sinne gewesen, daß er Irenens Oheim neben ihm hatte reiten sehen. Schnetz wohnte im obersten Stock eines düsteren alten Hauses, über dessen gewundene Treppe aus einem staubblinden, mit Spinneweben verschleierten Oberlichtfenster nur ein dünner Lichtstrahl herabglitt. Ein blasses Frauenzimmer, zu fein, um für eine Magd zu gelten, und für eine Hausfrau doch wieder zu schüchtern im Betragen, öffnete dem fremden Besucher, sah ihn ängstlich und verwirrt an und beschied ihn mit einer sanften, verkümmerten Stimme: der Herr Oberlieutenant sei schon in aller Frühe ausgegangen; wann er wiederkommen werde, lasse sich nicht berechnen. Er bleibe oft ganze Tage weg; diesmal habe er überdies von einem Ritt ins Gebirge gesprochen. – So mußte Felix seine Ungeduld beschwichtigen. Aber wie sonst an die Arbeit zu gehen, fühlte er sich völlig unfähig. Er strich stundenlang durch die Straßen, Staub und Hitze nicht achtend. Jeden Reiter nahm er scharf aufs Korn, jeder Wagen, aus dem er einen Schleier wehen und einen Mädchenkopf mit der unstäten Reiseneugier sich hin und her wenden sah, machte ihm das Herz erzittern, bis er sich überzeugt hatte, es sei nicht das gefürchtete und doch heimlich ersehnte Gesicht, dem er so eifrig nachforschte, um ja nicht plötzlich und unversehens ihm gegenüberzutreten.

Auch am folgenden Tage setzte er seine erfolglose Wanderung fort, erst zu Fuß durch alle Gallerieen und Nachmittags in einer Droschke, in der er die Vorstadt Au, den Englischen Garten, endlich Nymphenburg und den Hirschpark rastlos durchjagte, bis das keuchende Thier ihn Abends am Vorstadttheater absetzte, da eine letzte Möglichkeit blieb, die Reisenden möchten Lust verspürt haben, den »Pfarrer von Kirchfeld« kennen zu lernen, der gerade das Tagesereigniß war.

Auch diese Hoffnung erwies sich als vergeblich. Zwischen tiefer Erschöpfung und nagendem Unmuth verließ er schon nach dem ersten Akt das Haus und wanderte durch die abgelegensten Straßen nach seiner Wohnung zurück. Er fand dort eine Zeile von Jansens Hand, dem sein Ausbleiben Sorge gemacht hatte. Es ist wahr! lachte er bitter vor sich hin, ein so alter Lehrling, wie ich, sollte seine Zeit besser zu Rache halten, nicht zwei ganze Tage lang die Schule schwänzen. Was kommt auch dabei heraus, als müde Beine und ein stumpfes Hirn? Und wenn ich sie wirklich gefunden hätte, was dann? Wir hätten uns wie Wildfremde angestarrt und uns beeilt, einander aus den Augen zu kommen.

Er hatte sich auf das Sopha geworfen und griff mechanisch nach einem Buch, das auf dem Tische lag. Ein feines rothes Haar kam ihm dabei in die Hand. Das brachte seine Gedanken auf die Nacht zurück, wo er der Zenz dieses Zimmer eingeräumt hatte. Ich war ein Narr damals! knirschte er zwischen den Zähnen. Wenn ich das gute Geschöpf nicht von mir gestoßen hätte, vielleicht wäre ich jetzt besserer Laune und hätte diese beiden Tage nicht so unsinnig verloren.

Nun bemühte er sich recht geflissentlich, die Gestalt des armen Kindes sich zurückzurufen. Aber sie übte jetzt eben so wenig eine Macht über ihn, wie in ihrer leibhaftigen Nähe. Endlich erbarmte sich seiner verstörten Seele der Schlaf.

Am andern Morgen machte er sich, mit verbissener Ergebenheit in sein Schicksal, auf den Weg nach Jansens Werkstatt. Er hoffte, es würde ihm wieder besser zu Muth werden, wenn er ein Stück Thon zwischen den Fingern knetete.

Er erschrak daher förmlich, als er, einen der großen öden Plätze kreuzend, gerade Den, den er gestern noch so eifrig gesucht, aus dem Thor eines Hôtel garni treten und auf ihn zukommen sah. Der Oberlieutnant trug seinen gewöhnlichen Anzug, einen verschossenen grünen Reitfrack, hohe Kniestiefel, ein graues Hütchen mit kleiner Spielhahnfeder leicht auf das linke Ohr geschoben. Das gelbe, dürre Gesicht mit dem schwarzen Knebelbart sah herausfordernd und verdrossen in die Welt hinein, erhellte sich aber durch ein höfliches Grinsen, als er des jungen Freundes vom Paradiese her ansichtig wurde.

Ich habe Ihren Besuch vorgestern versäumt, rief er ihm entgegen, und konnte ihn noch nicht entwiedern, weil ich – Dienst hatte. Ein alter Bekannter ist mir plötzlich über den Hals gekommen, ein Baron N*** – er nannte den Namen von Irenens Onkel. Mit diesem flotten Cumpan bin ich vor Zeiten in Algier bekannt geworden, als ich die Dummheit beging, um nur einmal Pulver zu riechen, gegen die Herren Araber mit zu Felde zu liegen, obwohl sie mir in der Gotteswelt nichts zu Leide gethan hatten. Der Baron wollte sich damals zum Löwenjäger ausbilden, hat es dann aber vorgezogen, den Wüstenkönigen nur in ehrerbietiger Entfernung seine Huldigung darzubringen und mit einem im Bazar gekauften Fell und etlichen echten Burnussen und Shawls nach seiner friedlichen Heimath zurückzureisen. Er war noch der Gescheidtere von uns Beiden. Ich für mein Theil habe noch lange die häßliche Erinnerung nicht loswerden können, daß ich mein Gewehr in allem Ernst abgeschossen und einigen dieser armen Teufel die Lust verdorben habe, ihre heimathliche Erde gegen die französischen Eindringlinge zu vertheidigen. Nun taucht mein alter Zeltkamerad wie ein Gespenst, übrigens ein recht wohlbeleibtes und behagliches, wieder vor mir auf, schleppt mich Tag für Tag herum, und eben erst komme ich wieder von ihm her.

Felix warf unwillkührlich einen Blick nach den Fenstern des Hôtels zurück. Es kostete ihn eine gewaltsame Anstrengung, seine innere Bewegung zu verbergen.

Hier wohnt Ihr Gastfreund? fragte er. Sie haben ihn so früh schon wieder besucht?

Wir wollten spazieren reiten. Ich fand aber nur ein Billet von ihm vor, worin er mir anzeigt, daß ich einen dienstfreien Tag haben würde. Die Herrschaften sind von gräflichen Verwandten zu einer mehrtägigen Landpartie abgeholt worden, bei der ich Gott sei Dank überflüssig war.

Die Herrschaften? Ist denn der Baron –

Verheirathet? Nein. Aber fast noch schlimmer als das. Er hat eine junge Nichte bei sich, die auch eigentlich der Anlaß war, daß sie hierhergekommen sind. Eine fatale Geschichte – zurückgegangene Verlobung – das Geträtsch und Geklätsch darüber in der kleinen Residenz – kurz, die Gesundheit des Fräuleins erforderte eine Luftveränderung, und sie bestand darauf, zunächst auf ein Jahr nach Italien zu gehen. Mein alter Zeltkamerad, der Junggeselle geblieben ist, weil er die Klaue eines Löwen minder fürchtet, als den Pantoffel einer hübschen Frau, – nun ist er aus dem Regen in die Traufe gekommen. Dieses junge Nichtchen regiert ihn mit ihrem kleinen Finger. Also mußten sogleich die Koffer für Italien gepackt werden. Hier aber ist ihnen von ihrer gräflichen Vetternschaft dermaßen Angst gemacht worden vor dem italienischen Hochsommer und der Cholera, die gerade dort umgehen soll, daß sie beschlossen haben, die schlimmste Zeit theils in der Stadt, theils im Gebirge abzuwarten. Sie begreifen, mein Lieber, daß dies angenehme Aussichten für mich sind.

Ist das junge Fräulein so wenig liebenswürdig, daß Ihnen Ihr »Dienst« als eine harte Frohne erscheint? bemühte sich Felix zu scherzen. Er sah dabei von dem Oberlieutnant weg in die leere Luft, als ob er das ganze Thema nur aus Höflichkeit fortsetzte.

Hören Sie, versetzte Schnetz mit seinem eigenthümlich trocknen Auflachen, wenn Sie wünschen, will ich Sie der jungen Dame vorstellen und Ihnen all meine Rechte abtreten. Sie werden dann Gelegenheit haben, die Süßigkeit dieses Frauendienstes kennen zu lernen, vielleicht auch besser dabei fahren, als ich, der ich es freilich nicht verstanden habe, mich in Gnaden zu bringen. Diese stolze kleine Person – übrigens mit einem Paar Augen begabt, die sehr zum Herrschen, zum Begnadigen wie zum Verdammen geschaffen sind – leider hat sie nie eine feste Hand über sich gespürt. Der Oheim Löwenjäger war der Letzte, ihr zu imponiren. So hat sie sich daran gewöhnt, immer ihren eignen Kopf aufzusetzen, unter Anderm auch bei der verunglückten Liebschaft. Sie scheint dem guten Jungen, der es mit ihr wagen wollte, die Hölle so heiß gemacht zu haben, daß er's endlich nicht länger aushalten konnte. Das mag ihr denn doch wieder leid gethan haben, und so befindet sie sich jetzt in einer ziemlich gereizten, unfriedsamen und bitterbösen Stimmung, wo es nicht gerathen ist, sie anders als mit Handschuhen anzufassen. Und das hab' ich nun freilich versäumt, und so stehen wir auf einem allerliebsten Kriegsfuß miteinander.

Er schlug sich mit seinem kurzen Reitstöckchen heftig gegen den Stiefelschaft, schob den linken Arm unter den seines jungen Begleiters und brummte, indem er mit den langen Beinen gewaltig ausschritt: Wild könnte man werden, wenn man sieht, wie Gottes Ebenbilder verhunzt werden, von Heiligen oder Teufeln – das kommt am Ende auf Eins heraus. Entweder im moralischen Schnürleib oder gar im Nonnenhabit eingezwängt bis an den Hals, oder decolletirt bis auf den Magen. Glauben Sie mir, mein Lieber, was die vornehme Weibererziehung betrifft, darin sind wir heutzutage noch immer nicht viel weiter als im stichdunkeln Mittelalter, wo dicht neben der Kirche das Frauenhaus stand. Wenigstens wir hier in unserm benedeiten Süden; aber freilich, dieses norddeutsche blaue Blut –

Eine Norddeutsche?

Hm! Mittel- oder Norddeutsch – in dem Punkt ist's Ein Teufel. Gleich in der ersten Stunde fragte sie mich, wie die hiesige Gesellschaft beschaffen sei – versteht sich: die noble, die sich vorzugsweise so nennt, da ein bloßer Menschenhaufe ohne Formen doch nimmermehr für eine menschliche Gesellschaft gelten kann. Ich erwiederte ruhig: die sogenannte gute Gesellschaft hier sei die schlechteste, die man sich nur wünschen könne, und nur in der sogenannten schlechten Gesellschaft hätt' ich hie und da ein paar gute Gesellen gefunden, mit denen sich menschlich leben ließe. Das Prinzeßchen sah mich dabei an, als ob sie mir nach meinem nicht gerade salonmäßigen Aufzuge nichts Anderes zugetraut hätte, als eine wehr oder minder unfreiwillige Ausschließung aus den exclusiven Kreisen. Ich aber, immer als merkt' ich nichts, fuhr fort, ihr auseinander zu setzen, was mir die hiesige Crême verleidet hat: der seltsame Geruch in ihren Salons, aus Patchouli, Weihrauch und Stalldünsten gemischt, ihr sehr zweifelhaftes Französisch und ihr unzweifelhaft noch schlechteres Deutsch, die fast erhabene Unwissenheit in Allem, was man zur Bildung zu rechnen pflegt, und die naivste sittliche Unerzogenheit, wie sie nur in klösterlichen Instituten gepflegt, von einer geistlosen Gesellschaft genährt und von schlauen Beichtvätern sanctionirt werden kann. Eure Junker im Norden, so weit ich sie kennen gelernt, – nun, ich brauche Euch nicht zu sagen, aus welchem Teig sie geknetet sind. Aber sie mögen in Staats- und Kirchensachen noch so hartmäulige Steckenpferde reiten: an dem Einen halten sie doch fest, an dem noblesse oblige; auch finden sich wohl in den pommer'schen und uckermärkischen Schlössern neben Bibel und Gesangbuch gelegentlich Ranke's Päpste und Macaulay's Geschichte von England. Bei uns dagegen – freilich, Paul de Kock und die Seherin von Prevorst sind auch Classiker und stehen jedenfalls nicht auf dem Index.

Ich merke, daß Sie sich im Stillen darüber wundern, wie viel ungemüthlicher, malcontenter, rauhborstiger ich heute bin, als in jener Nacht im Paradiese. Sehen Sie, mein Lieber, damals haben Sie mich in der Feiertagslaune kennen gelernt, die mich nur alle Monat Einmal überschleicht, und heute erblicken Sie meinen alten Adam mit der Werkeltagsphysiognomie. Wenn es Ihnen noch kein Anderer, um Sie vor mir zu warnen, gesagt hat, muß ich es Ihnen selbst gestehn: ich habe eigentlich, seit ich aus dem Dienst getreten, keine andere regelmäßige Beschäftigung, als zu schimpfen. Freilich leben wir in Zuständen, in denen ein ehrlicher Kerl alle Hände voll zu thun hat, wenn er nur jede Gelegenheit, zu schimpfen, gewissenhaft wahrnehmen will. Aber Sie begreifen; mit unsrer berühmten süddeutschen Gemüthlichkeit stimmt das schlecht, um so schlechter, je mehr der Schimpfende Recht hat. Ich bin darüber ein alter Oberlieutnant geworden, da ich auch über unsre militärischen Nothstände mein Maul laufen ließ, und habe mir zuletzt so gründlich alle Thüren zum Vorwärtskommen verrammelt, daß ich es vorzog, den Holzweg der Carrière überhaupt zu verlassen. Hätte nicht auch der selige Thersites den Abschied nehmen müssen, wenn er als Oberlieutenant unter den Generalen Achilles oder Diomedes gedient hätte? Und damals waren doch noch naivere Zeiten! Nun schimpf' ich ohne Charge weiter, merke aber nicht, daß irgend Jemand davon Notiz nimmt. Der Weizen der Philister ist zu dicht gesä't und gedeiht zu herrlich, als daß so ein paar Brennnesseln dazwischen schaden könnten. Nun, mir selbst nutzt es wenigstens, erstens indem es mir die Galle purgirt, ehe sie mir ins Blut tritt und die edleren Theile anfrißt, und dann, indem es mich bei der guten Gesellschaft immer mehr verhaßt und von Meinesgleichen gemieden macht. Sie glauben nicht, was für eine Robinsons-Existenz ich führe: mitten in der Stadt so einsam wie der heilige Antonius in seiner Höhle, ja noch einsamer, da mir sogar die Versuchungen nicht auf den Leib rücken. Wollen Sie einen Blick in meine Eremitage werfen? Hier sind wir gerade an der Schwelle.

Sie waren an dem alten Hause angelangt, das Felix schon kannte. Es war ihm nicht sonderlich darum zu thun, die Treppe noch einmal hinaufzuklimmen. Während all der schnurrigen, grilligen und bissigen Reden seines Begleiters hatte er im Grunde nur Eins gedacht: Sie ist hier! Du brauchst nur zu wollen, und morgen schon kannst du sie sehen. – Dennoch vermochte er Schnetz' höfliche Einladung nicht wohl abzulehnen und folgte ihm in sein viertes Stockwerk hinauf.


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