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Drittes Kapitel.

Der Bildhauer hatte dieser langen Beichte schweigend zugehört. Auch jetzt, da Felix zu Ende war und einen Resedazweig so sorgfältig zerpflückte, als ob er die Staubfäden in den kleinen Blütenkelchen zählen wollte, gab er weder mit Wort noch Miene seine Meinung über das Gehörte zu erkennen.

Ich finde, daß du in deiner alten Kunst, durch Schweigen dich mitzutheilen, noch große Fortschritte gemacht hast! sagte der Jüngling endlich mit erzwungener Munterkeit. Entsinnst du dich noch, wie ich aus dem Grade und so zu sagen der Tonart deines Verstummens immer ganz genau heraushörte, was du von einer meiner Pfuschereien dachtest? So weiß ich auch jetzt: du hältst meinen Entschluß, Künstler zu werden, für eine bloße Marotte. Hast du mir doch schon damals gesagt: ich taugte weder zur Wissenschaft noch zur Kunst, ich sei ein homme d'action. Aber da hilft nun Alles nichts: wenn es ein falscher Weg sein sollte – ich bin einmal mitten drin und will ihn zu Ende gehen. Und darum erkläre dich nur offen, ob ich mir einen anderen Meister suchen soll, oder ob der Löwe das Hündchen in seinem Käfich dulden will, wie vor Zeiten, als er selbst noch kein ausgewachsener Wüstenkönig war.

Was soll ich dir sagen, Lieber? versetzte der Bildhauer mit seiner ruhigen, etwas schwerflüssigen Art. Es versteht sich hier ja Alles von selbst. Daß ich nicht die stolzesten Hoffnungen auf einen Kunstjünger setzen kann, der sich an seine Aufgabe macht, wie ein Anderer etwa eine Frau nimmt, in die er bisher nicht gerade übermäßig verliebt war, die aber jetzt, wo ihm seine eigentliche Liebste den Laufpaß gegeben hat, gut genug sein muß; daß mir eine Künstlerzukunft so aus Dépit eine bedenkliche Sache scheint, – nun, das bedarf keiner Versicherung, wie du mich kennst. Aber ich kenne auch dich hinlänglich, um zu wissen, alle Phidiasse und Michel Angelos der Welt würden dich nicht von deinem Vorsatze zurückbringen, und wenn ich dir hartnäckig meine Thür verschließen wollte, wärst du im Stande, bei dem ersten besten meiner Collegen dich als Lehrjungen zu verdingen. Und dann, ehrlich gesagt: dich nur überhaupt wieder zu haben, ist mir eine solche Wohlthat, daß ich schon aus reiner Selbstsucht nichts dagegen sagen mag, wenn deine Thatkraft, statt ein Stück wirkliches Leben in die Hände zu nehmen, sich an einem unschuldigen Stück Thon vergreift. Von allem Uebrigen reden wir ein andermal, – oder auch gar nicht, was dir das Liebere ist. In solchen Verhältnissen nehmen wir doch nur Rath an von unserer eigenen Seele, und wenn nicht immer zu unserem Heil, so sind wir doch eben souverän, uns zu retten oder zu Grunde zu richten, wie es unserer Natur gemäß ist. Also hier meine Hand: du kannst gleich morgen deine Lehrzeit als Thonkneter und Steinklopfer antreten, wobei deine freiherrlichen Ahnen sich nach Belieben in ihrer Familiengruft umdrehen mögen.

Spotte nur, alter Hans! rief der junge Mann fröhlich aus. Jetzt erst recht will ich meinen Kopf darauf setzen, dir zum Possen ein berühmter Künstler zu werden. Mit einer wahren Schadenfreude werde ich mich vom Morgen bis in die Nacht schinden und plagen, bis die Dilettantenhaut abgestreift ist und ein feineres Fell darunter zum Vorschein kommt. Du sollst auch sehen, daß ich diese sieben Jahre nicht ganz gefeiert habe. Wenn du meine Skizzenbücher von dies- und jenseit des Oceans durchblättern wirst – aber, apropos, was hast du denn inzwischen vor dich gebracht? Ist es nicht eine Schande, daß ich nicht einmal durch eine armselige Photographie au courant deiner Unsterblichkeit geblieben bin? Und schwatze dir hier von meinen Abenteuern eine Stunde lang vor, während da drüben die herrlichsten Weltwunder auf mich warten!

Er schritt rasch über den Hof, dem sie sich inzwischen wieder genähert hatten, und trat in das Haus. Du wirst deine Eile noch bereuen, hitziger Knabe! rief Jansen ihm nach, während ein seltsames Lächeln seine Lippen umspielte. Wundern wirst du dich freilich über Manches, aber die geträumten Weltwunder – die hausen einstweilen noch in dieser engen Kammer (er deutete auf seine Stirn), wo sie noch dazu nicht immer die günstigste Beleuchtung haben.

Mit diesen Worten schloß er die eine der beiden unteren Thüren auf und ließ Felix eintreten.

Es war ein zweites Atelier, neben jenem, in welchem er am Morgen gearbeitet hatte; genau der gleiche Raum, die Wände mit derselben Steinfarbe getüncht, das große viereckige Fenster in gleicher Weise halb verhangen. Und doch hätte Niemand geglaubt, daß derselbe Geist hier regiere, der nebenan die tanzende Bacchantin geschaffen hatte.

Auf schlanken Postamenten standen hier eine Menge Figuren, meist in halber Lebensgröße, wie sie zur Ausschmückung katholischer Kirchen, Kapellen und Friedhöfe verwendet zu werden pflegen. Es waren theils eben erst begonnene, theils fast fertige Arbeiten, an denen die Hände der ausführenden Schüler deutlich zu erkennen waren, hier geschickter, dort unbeholfener bemüht, die spannenlangen Originalmodelle nachzubilden, die auf kleinen Consolen neben den Copieen standen. Während die letzteren säuberlich theils in Sandstein, theils in einem geringen Marmor gefertigt wurden, einige auch in Holz geschnitzt und mit allerlei Bemalung und Vergoldung versehen, waren diese kleinen Vorbilder in Gyps geformt und durch vielfachen Gebrauch fleckig und voller Schäden. Aber diese puppenhaften Madönnchen, Heiligenfigürchen und Apostel, die betenden und musicirenden Engel in ihren schwerfälligen Gewändern zeigten doch eine eigenthümliche, hie und da freilich parodistische Lebendigkeit, so daß selbst in den trockenen Nachbildungen der Gehülfen nicht aller Reiz verloren ging. Es war ein ähnlicher Humor darin, wie ihn Ariost über seine Gestalten ausgießt, die darum nicht weniger Lebenskraft entfalten, weil ihr Bildner selbst den naiven Glauben an sie verloren hatte.

Erlaube mir die Frage, sagte Felix, nachdem er sich eine Weile stumm in diesen vier Wänden umgesehen, bei wem hast du mich hier eigentlich eingeführt? Und ist der gute Freund von dir, der diese frommen Künste betreibt, etwa in einer Nebenkammer verborgen, so daß man mit seinen kritischen Bemerkungen vorsichtig sein muß?

Du brauchst dich durchaus nicht zu geniren, Theuerster. Der Herr und Meister dieser andächtigen Gesellschaft steht vor dir.

Du selbst? Dädalus mit dem Heiligenschein? Der Prediger in der Wüste der modernen Kunst nun richtig zu Kreuz gekrochen? Eh' ich das glaube, muß ich selbst die Kutte nehmen und die nackte Schönheit für eine Erfindung des Teufels erklären.

Der Bildhauer sah ernst vor sich hin. Ja, Liebster, sagte er, so weit haben wir's in unsrer Kunstwüste gebracht. Du bittest mich um Schönheit, und ich gebe dir Kleiderstöcke mit Puppenköpfen. Ich habe freilich schon in Kiel erfahren müssen, daß die Welt von heute nichts von der echten Kunst wissen will. Du weißt, wie sauer es mir wurde, meine Steine in Brod zu verwandeln. Das wurde noch schlimmer, als ich dann nach Hamburg übersiedelte und dort (er stockte und wandte sich ab) – nun, das Leben ist dort theurer, ich fing an älter und ungenügsamer zu werden, und wie ich mich dort nicht mehr halten konnte – die Krämerstadt, dacht' ich, sei schuld daran –, packte ich das Beste von meinen Modellen und Skizzen ein und ging hierher – in das gelobte Land der Künste, in das Isar-Athen, von dem so viel gesungen und gesagt wird.

Nun, du wirst das Wesen hier kennen lernen. Ich will dir nicht gleich, da du über die Schwelle trittst, allen Unrath im Hause aus den Winkeln entgegenfegen. Nur das will ich sagen, daß der Münchener Kunstphilister nicht um ein Haar besser ist, als der am Jungfernstieg oder in unserm alten Holstein. Wie ich ein Jahr lang hier mich kümmerlich durchgeschlagen und kaum das nackte Leben mit meinem Götzendienst der nackten Schönheit verdient hatte, fand ich, eine solche Misère sei zum Katholischwerden, und – wie figura zeigt – bin ich's denn auch halb und halb geworden. Es ging damit nicht so glatt, wie dir's hier zu meiner Schande vorkommen mag. Außer einem Rest von Gewissen, der mir immer noch zuraunte:

Der Mensch hat doch ein höh'res Ziel auf Erden,
Als siebenmal die Woche satt zu werden –

außer der Scham vor mir selbst und einigen wenigen guten Gesellen stand mir auch ein wirkliches Ungeschick im Wege. Es gehört was dazu, sich zu entmannen, um sich in alle elenden Schnörkel, alle verzwickte Lahmheit und Zahmheit unsrer modernen Cultur zu schmiegen. Indessen – es kommt nur darauf an, auch diesen Dingen ihren Humor abzugewinnen. Der Gedanke, daß ich schnöder Heide eine Fabrik von Heiligenbildern etabliren sollte, war mir so unermeßlich lächerlich, daß ich eines schönen Tages in der That daran ging, einen Sanct Sebastian zu kneten, bei dem meine hübschen Kenntnisse der Anatomie mir noch so ziemlich zu Statten kamen.

Bald aber hatt' ich's weg, daß doch eigentlich auch hier erst »Kleider Leute machen«. Wie ich mich aufs Faltenwerfen, Schleppensäumen und Aermelbauschen legte, bekam die ganze Geschichte erst den rechten Devotionsanstrich, wie ihn das andächtige Publikum wünscht und gewohnt ist. Und seitdem bin ich so rasch in Flor gekommen, daß ich acht bis zehn Gesellen beschäftige und, wenn es so fortgeht, dereinst im Geruch der Heiligkeit und so reich wie N. N. (er nannte einen vielbeschäftigten Collegen) das Zeitliche segnen werde.

Ja, mein theurer Icarus, fuhr er heiterer fort, da Felix zu diesen Eröffnungen noch immer schwieg, das hättest du dir nicht träumen lassen, als wir noch im ersten Jugendfeuer unsere stolzen Steckenpferde ritten und Jeden für einen Lumpen erklärten, der in Kunst und Leben nur um eines Strohhalms Breite seinen Idealen abtrünnig würde. Aber die Mühle dieses alltäglichen Lebens zerreibt einem Manches, was man als eisenfest und aus Einem Stück an sich selbst geschätzt hat. Da hast du nun ein recht nachdenkliches Exempel der gerühmten Freiheit, die du hier zu finden dachtest. Wenn ich mir die Freiheit nehmen will, zu thun, was ich nicht lassen kann, muß ich mich nebenbei bequemen, Possen zu treiben, von denen meine Seele nichts weiß; um Künstler sein zu dürfen, wie ich einer sein möchte, bin ich genöthigt, Nürnberger Spielzeug zu fabriciren und damit die Märkte zu beziehen. Aber hinter meinem eigenen Rücken fahre ich ganz im Stillen fort, mein eigener Herr zu sein. Ermuntre dein betrübtes Freundesherz, theurer Sohn; ganz so schlimm, wie diese meine Dutzendwaare mich darstellt, ist dein alter Dädalus denn doch nicht geworden. Ich denke, du giebst mir deine Achtung zurück, wenn ich dich jetzt aus meinem heiligen in mein profanes Atelier führe, aus meiner Schneiderwerkstatt in mein Paradies.


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