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Zwölftes Kapitel.

Am Fußende seines Bettes stand eine Kommode, in der er allerhand Reliquien bewahrte, Tagebücher, Briefe, Andenken an seine verlorene Liebe. Er griff blindlings hinein und zog eine Mappe heraus, in welcher alle Briefe Irenens beisammen lagen, von den ersten ganz unbedeutenden Billets, in welchen sie ihm, im Auftrage des Oheims, irgend eine Mittheilung zu machen hatte – der Oheim hatte eine Abneigung gegen Feder und Dinte und benutzte gern sein Nichtchen als Secretär – bis zu den Blättern, auf denen das Schicksal seines eigenen Lebens geschrieben stand.

Er hatte eine Lampe angezündet und diese Chronik seiner schönsten Jugendjahre vor sich ausgebreitet. So saß er mit dem Rücken gegen die Thür des Wohnzimmers, halb lesend, halb nur mechanisch ein Blatt um's andere in die Hand nehmend.

Was hatten sie ihm auch Neues zu sagen! Und doch – diese feinen, schlanken Buchstaben erinnerten ihn an die Hand, die sie hingeschrieben hatte. Er hatte nie wieder eine solche Hand gesehen, die so viel Charakter hatte, so viel Zartheit und Festigkeit, so viel Schmiegsamkeit und adelige Ruhe. Oft hatte er seine Liebste damit geneckt: er getraue sich, es ihr jedesmal an den Händen anzusehen, ob sie froh oder traurig sei, lache oder weine. Auch die Handschrift war so recht ein Ausdruck ihres erregbaren und doch vom eigenen Willen beherrschten Innern. Wie er jetzt hie und da ein einzelnes Blatt herausnahm und wieder überflog – all das Vergangene wurde so lebendig in ihm, daß es ihm in der dumpfen, einsamen, traurigen Gegenwart zum Ersticken eng und bange zu Muthe ward, als läge er in seinem Grabe und eine Stimme aus diesen Blättern erzählte ihm die Geschichte seines eigenen Lebens, das nun für immer zerrüttet und verschüttet sei.

»Deinen lieben langen mexicanischen Brief« – schrieb sie – »habe ich den Onkel lesen lassen. Er neckt mich immer damit, daß ich behaupte, zwei Liebesleute schrieben sich immer nur unter vier Augen. Eine Epistel von sechszehn engen Seiten, wie deine letzte, könne unmöglich ein bloßer Liebesbrief sein, das hielte kein Mensch aus, wir lebten Gottseidank nicht mehr in der schreibseligen Wertherzeit. Nun zeigte ich ihm den Mexicaner, und er gab ihn mir mit einem seiner curiosesten Gesichter zurück. So ein Bräutigam sei ihm noch nicht vorgekommen, sagte er; erzähle da lang und breit von Einem reizenden Mädchen, Einer schönen Frau nach der andern, als ob er nichts wisse, was seiner fernen Braut größeres Vergnügen machen könne. Das sei allerdings eher das Gegentheil eines Liebesbriefs, aber wenn ich damit zufrieden sei, die Bekanntschaft all dieser Paquitas, Chatitas, Mariquitas zu machen, wolle er mir das Pläsir gönnen und gratulire mir zu der geringen Anlage zur Eifersucht, die ich bei so einem Weltreisenden allerdings gut brauchen könne.

»Ich lachte, und er ging kopfschüttelnd in seinen Club.

»Dann aber wurde ich ganz ernsthaft und prüfte mein eigenes Herz und überlegte, wie es nur kommen mag, daß ich in der That nicht den leisesten Funken von Eifersucht in mir spüre. Vielleicht nur, weil außer meiner Liebe zu dir nichts Anderes in meinem Herzen Platz hat, weder Eitelkeit noch Furcht, weder Wünsche noch Zweifel. Ich habe nie darüber nachgedacht, warum wir Zwei uns eigentlich lieben müßten. Es war so, das fühlte ich deutlicher als mein eigenes Dasein. Darum ist mir's auch undenkbar, daß es anders werden könnte. Du hast mich ja nicht geliebt, weil ich etwa die Schönste, Klügste, Witzigste oder Liebenswürdigste wäre, die du jemals gesehen, sondern weil ich eben ich bin, gerade die Person, mit all dem was ich habe und was mir fehlt, die du nirgend zum zweiten Mal finden wirst. Nun magst du jenseits des Meers viel Reizendere, Bestechendere, Glänzendere finden, – mich findest du doch nicht wieder, und weil ich das weiß, kann ich mir so einen sechzehnseitenlangen überseeischen Brief voller Mariquitas und Paquitas Abends unter das Kopfkissen legen und sehr ruhig einschlafen, und von dir träumen, ohne mit Gift und Dolch dich einer olivenfarbigen Creolin abtrotzen zu müssen.

»Denn ich weiß es, liebster Schatz – so vermessen das auch klingen mag und so wenig eingebildet ich übrigens auf meine paar Talente und Vorzüge bin – ich ganz allein kann dich glücklich machen wie keine Andere, nicht so glücklich, daß dir nie ein Wunsch unerfüllt bliebe, daß ich selbst dir zu allen Zeiten die Krone und das Kleinod aller Weiber und du dir als der auserwählteste Liebling des Glücks vorkommen würdest; aber so glücklich wie ein Mensch überhaupt durch einen andern Menschen werden kann, so glücklich werde ich dich und wirst du mich machen, und weil wir dies nie begreifen, sondern jeden Tag uns von Neuem fragen werden, wie das nur zugehe, so wird das Glück eben kein Ende nehmen, und kein Weltwunder an Schönheit, Grazie und Esprit, das dir einmal über den Weg läuft, wird dieses Glück zu stören im Stande sein.

»Meine alte Christel würde hier sehr bedenklich die Augenbrauen runzeln und drei Mal ›Unberufen!‹ sagen. Ich aber kann mir nicht helfen: ich bin sonst scheu und zweifle an allem Guten, was mir erst verheißen ist. Denke ich an unsere Liebe, so sprudle ich über von unermeßlicher Kühnheit und Vertrauen. Was kann das Glück uns da schaden? Ist nicht unsere Liebe selbst das Glück? Welche Schicksalstücke sollen wir fürchten, da wir dies Schicksal, das entscheidendste und größte, in uns selbst tragen?

»Diesen Brief wirst du dich nicht versucht fühlen deinen spanischen Freundinnen zu übersetzen. Sie würden dich nur bemitleiden, daß du einen Schatz hast der so ernsthafte Dinge schreibt. Ach, und mir lacht doch das ganze Herz, wenn ich daran denke, wie ernst es uns mit einander ist!« – –

In einem späteren Briefe, der schon nach Paris gerichtet war, schrieb sie:

»Ich war gestern wieder einmal bei Hofe und danke heute Gott, daß es überstanden und das Kopfweh, das jede Langeweile mir verursacht, diesmal nur mäßig ist. Das macht, ich saß beim Souper neben dem ***schen Gesandten, der in Indien gewesen ist und eine Wittwen-Verbrennung, die er dort mit angesehen, mir nun schon zum dritten Mal ganz ausführlich beschrieb. (Den Herren soll er immer dieselbe Geschichte von einer Tigerjagd erzählen.) So könnt' ich viel an dich denken, wobei ich mich immer gut unterhalte. O Liebster, hast du denn inzwischen gelernt, gute Miene zum bösen Spiel zu machen? mit den Wölfen zu heulen? deinem durchlauchtigen »engeren Landesherrn« zu huldigen, ohne daß deine Selbstherrlichkeit allzu sehr »durchleuchtet«? Ich fürchte, da man hier auf Hofbällen nicht den Bolero tanzt und das ganze Tempo unseres Lebens ein andante maestoso ist, wirst du bald wieder außer dir gerathen und die besten, wohlwollendsten Leute vor den Kopf stoßen. Niemand kann deine Stimmung besser begreifen als ich; denke doch, daß deine arme Braut, die du immer mit ihrer Wohlerzogenheit, ihrem Respect vor hergebrachten Formen neckst, in der hiesigen Gesellschaft fast für eine Emancipirte, jedenfalls für eine tête forte verrufen ist. Das macht, weil ich bei langweiligem Gespräch und médisantem Geflüster immer ganz stumm bleibe; kommt aber zufällig einmal die Rede auf irgend etwas Tieferes, wird von menschlichen Dingen und nicht bloß von Hofereignissen gesprochen, so sage ich meine wirkliche Meinung, ohne mich darum zu kümmern, ob sie in den Hofton paßt oder nicht. Das findet man dann sehr schroff und für eine junge Dame gar nicht schicklich.

»Aber siehst du, Liebster, dadurch mache ich mir diese ganze Formenwelt überhaupt erträglich, daß ich mir mein menschliches Theil ganz frei daneben reservire und alle die thörichten Vorurtheile und engen Conventionen ansehe wie etwas rein Aeußerliches und Zufälliges, so gleichgültig wie andere Sitten und Gebräuche in Toilette, Betragen, bei Leben und Sterben. Und wenn die Formen der Kreise, auf die wir zunächst angewiesen sind, vielfach lästiger und abgeschmackter sein mögen, als in anderen Ständen, – ganz formlos kann das Leben doch nirgend bleiben, höchstens mag es dem Durchreisenden so erscheinen, da er als unverantwortlicher Zuschauer gilt, der sich in keinerlei landüblichen Zwang zu fügen braucht. Hast du mir nicht selbst erzählt, daß auch bei den Studenten eine strenge Etiquette herrscht, nach der man singt und trinkt, sich schlägt und verträgt? Wenn junge Leute in den Jahren der schönsten bürgerlichen Freiheit nicht ohne selbstauferlegten Zwang von Sitte und Herkommen sich amüsiren können, warum bist du so aufgebracht gegen unsere arme Aristokratie, die sich mit solchen Armseligkeiten über die Leere ihres Daseins zu betrügen sucht?

»Nur unter vier Augen muß man sich nicht Zwang anthun müssen! Nur in seinem intimsten Kreise den Muth haben, Mensch zu sein! Dann, dächt' ich, kann man den kleinen Tribut des Zwangs, den man unter seinen Standesgenossen zu zahlen hat, leicht verschmerzen.

»Komm nur und betrage dich fein höflich, geliebter Wildfang, und füge immerhin alle acht Wochen einmal deine Siebenmeilenstiefel in den Menuett-Schritt unserer theuren Residenz. Sind wir dann wieder in unsern eigenen vier Pfählen, so will ich dir Alles zu Liebe thun, um dir den ausgestandenen ennui zu vergüten, und will mit Vergnügen, wenn du ihn mich lehren willst, den Bolero mit dir tanzen.«


Auf diesen Brief war das Wiedersehen gefolgt. Mit welchen Gefühlen nahm er all die kleinen Blättchen in die Hand, die damals nur noch ein paar Straßen weit zu wandern hatten, um Botschaft zu bringen über eine Spazierfahrt, einen Besuch, zu dem er sie abholen sollte, eine Störung, die eine Verabredung vereitelt hatte. Hin und wieder trugen diese Zettel auch Spuren tieferer Verstörung, die zwischen die Liebenden gekommen war, eine Bitte, heute recht sanft zu sein, ein Versprechen, auf einen gestrigen Disput mit keiner Silbe zurückzukommen. Alles lebte ihm wieder auf, was zwischen diesen Zeilen stand.

Und nun vollends ihr letzter Brief – der Scheidebrief!

 

»Ich bin jetzt ruhig, Felix, wenigstens so ruhig, wie man wird, wenn die Schmerzen alle Kraft erschöpft haben. Ich schreibe dir noch in dieser Nacht, da doch an Schlaf nicht zu denken ist. Ich habe immer von Neuem Alles überlegt und immer dasselbe gefunden: daß es eine Täuschung war, wenn ich all die Jahre geglaubt habe, ich sei zu deinem Glück unentbehrlich. Versuche das nicht zu erschüttern; ich bin sehr zerbrochen, Felix, sehr elend und verarmt durch diese Erkenntniß; aber sie steht mir so fest, wie daß ich trotz alledem noch lebe und athme.

»Ich weiß, daß du mich noch liebst, vielleicht ganz so sehr, wie du mich immer geliebt hast. Aber was ich früher nicht wußte und jetzt mit Schmerzen erfahren habe: Etwas liebst du noch mehr als mich – die Freiheit. Du würdest sie opfern, theils aus Ritterlichkeit, um mir dein Wort zu halten, theils aus Güte, weil du wohl fühlst, wie mein Leben an dir gehangen hat und wie langsam diese Wunde sich schließen wird. Und doch muß es sein; was dich nicht ganz glücklich machte, wie könnte das für mich je ein Glück sein?

»Du sollst wieder frei werden, und darfst es ohne Sorge um mich. Ich habe mehr Kraft, als es scheint. Nur das kann ich nicht ertragen: mir Opfer bringen zu sehen. Auch wenn du jetzt mir jenes Geheimniß enthüllen wolltest, es würde an meinem Entschluß nichts ändern. Du solltest nicht glauben, ich hätte dir etwas abringen wollen, was du nicht freiwillig mir zu geben geneigt warst. Aber daß du überhaupt einen Unterschied machst zwischen dem, was du mit mir theilst, und dem, was nur dir angehört – – ich weiß nicht, ob es kleinlich oder schwach oder anmaßend erscheinen mag – ich kann mir aber nicht helfen, ich komme nicht darüber hinweg.

»Ich werde nie anders für dich fühlen, als jetzt, Felix, – nie für einen Andern fühlen, wie für dich. Ich habe dir für das Beste und Theuerste zu danken, was ich je in mir besessen und erlebt habe. Daran ändert keine Zeit etwas – so wenig wie an meinem Entschluß. Denke auch du mit guten Gedanken an mich – ohne Groll. Und lebe wohl – lebe ewig wohl!

Irene

 

Wort für Wort wußte er den Brief auswendig, und doch las er ihn jetzt wieder Wort für Wort, und wie er zu Ende war, brannte aller Schmerz, Trotz und Zorn gegen sich und sie wieder in ihm auf, wie in der Stunde, wo er ihn zuerst gelesen hatte. Ihre Ruhe, ihre sanfte Stärke, die er erkünstelt schalt, obwohl er wußte, wie frei sie war von allen Weiberkünsten; ihre klare Erkenntniß und der Muth, sie auszusprechen – all das demüthigte ihn von Neuem. Damals freilich hatte er sich noch damit getröstet, ein Wort von ihm, ein Blick, nur ihr Name von seinen Lippen würde die Scheidewand, die sie zwischen ihnen aufgerichtet, über den Haufen stürzen, wie man ein Kartenhaus umbläs't. Er hatte sich sehr getäuscht. Weder mit Bitten noch mit List war es ihm gelungen, noch einmal zu ihr zu dringen; er mußte mit neuer Beschämung erkennen, daß sie die Stärkere war. Da erst hatte auch er, wie er glaubte, sieben eiserne Reifen um seine Brust geschmiedet und sich von ihr abgewandt. Noch einmal hatte er ihr geschrieben, einen kurzen, stolzen, aber nicht unfreundlichen Brief, gleichsam ein Ultimatum von Macht zu Macht. Gerade darum hoffte er etwas von diesem Brief. Als derselbe unbeantwortet blieb, war freilich Alles aus.

Das Gesicht war ihm auf die kleine Mappe herabgesunken, die Augen hatte er eingedrückt und gab sich mit einer Art Wollust all diesen bittersüßen Erinnerungen hin. Daß nebenan Jemand sich aufhielt, war ihm völlig aus den Gedanken entschwunden, und mehr und mehr fingen seine Träume an in jene Dämmerung unterzutauchen, die dem Erlöschen des Bewußtseins voranzugehen pflegt. Da schreckte er plötzlich in die Höhe. Eine leise Hand hatte ihn an der Schulter berührt. Wie er hastig umblickte, sah er die Zenz hinter sich stehen; sie war rasch wieder zurückgetreten bis auf die Schwelle der Thür, die sie geräuschlos geöffnet hatte, und stand nun im Rahmen der Thür, genau in der Stellung von Jansen's Tänzerin, statt des Tambourins in den zurückgeworfenen Armen den kleinen Teller haltend, auf welchem Felix ihr den Wein gebracht. Das Kerzenlicht, das aus dem Wohnzimmer hereindrang, und die kleine Lampe neben Felix' Bett beleuchteten die weiße, jugendlich schlanke Gestalt zwiefach, und den geheimnißvollen Reiz erhöhten die hin und her wankenden Schlagschatten. So blickte sie, das Profil nach oben gewendet, regungslos wie eine Bildsäule vor sich hin. Nur nach einer Weile, als sie zu ermüden anfing, fragte sie, ohne den Kopf zu drehen, ob er nicht anfangen wolle zu zeichnen?

Er stand auf und wollte sich ihr nähern, blieb aber wieder stehen. Liebes Kind, sagte er, sich mühsam bezwingend, dazu ist es jetzt zu spät. Die Nacht ist kühl geworden, du wirst dich erkälten. Komm; ich danke dir. Du bist eine schöne Hexe, und ich – bin nicht von Stein. Wickle dich jetzt nur wieder ein und lege dich schlafen. Morgen – morgen wollen wir zeichnen.

Sie fuhr zusammen, und er sah mit Bestürzung, daß sie am ganzen Leibe heftig zu zittern begann. Nur ein einziger scheuer Blick von ihr streifte sein Gesicht. Plötzlich stürzten ihr die Thränen aus den Augen, sie warf den Teller hin, daß er klirrend zerbrach, stürzte von der Schwelle weg in das Wohnzimmer zurück und warf die Thür mit Gewalt hinter sich zu.

Im nächsten Augenblick hörte er den Riegel vorschieben.

Um Gotteswillen, Kind! rief er, was hast du plötzlich? Was hab' ich dir denn zu Leide gethan? Mach' auf und laß uns noch ein vernünftiges Wort zusammen reden. Hab' ich dir denn nicht gesagt, daß ich Kopfschmerzen habe? Und wer kommt bei nachtschlafender Zeit auf den Gedanken, zu zeichnen? Zenz! – hörst du nicht? Willst du nicht wieder gut sein?

Alles umsonst. Nachdem er noch eine gute Weile seine Bitten und endlich seinen Zorn an der festverschlossenen Thür verschwendet hatte, mußte er wohl ablassen. Sein Blut wallte ungestüm; er begriff jetzt nicht, wie er das arme Geschöpf so kaltsinnig hatte abweisen können. Vielleicht wird ihr Aerger verrauchen, wenn ich sie eine Weile sich selbst überlasse, dachte er. – Ich mache einen kurzen Spaziergang, rief er durch das Schlüsselloch hinein, ich muß noch ein wenig Luft schöpfen. Wenn ich dann wiederkomme, wird mir das Kopfweh vielleicht vergangen sein und dir deine heftige Laune. Laß dir einstweilen die Zeit nicht lang werden.

Wirklich ging er noch in die Nacht hinaus; aber er kehrte schon nach einer Viertelstunde zurück; es zog ihn mit einer Gewalt, über die er sich selbst keine Rechenschaft geben mochte. Als er in sein Schlafzimmer trat, wo die Lampe ruhig fortbrannte – nur die Briefe hatte er vor dem Fortgehen wieder eingeschlossen –, glaubte er fast, er würde einen Kopf mit rothen Haaren auf seinem Kissen finden, mit geschlossenen Augen in verstelltem Schlaf. Das Bett aber war leer. Hastig trat er durch die jetzt aufgeriegelte Thür ins Wohnzimmer. Auch hier keine Spur von seinem Gast, so viel er hinter den Vorhängen und in den dunklen Ecken suchen mochte. Das Licht war nicht ausgelöscht, eine Fledermaus hatte sich hereinverirrt, und die Mühe, sie wieder zu verjagen, brachte ihn in Schweiß. Als es endlich geglückt war und er erschöpft von so mannichfachen Aufregungen auf das Sopha sank, fand er all die Sächelchen, die er vorhin vor ihr ausgekramt, in derselben Ordnung noch auf dem Tisch. Nur den kleinen Dolch seiner creolischen Freundin vermißte er und konnte ihn mit allem Suchen nicht wiederfinden.


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