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Zweites Buch.

Erstes Kapitel.

Es war ungewöhnlich still in Angelica's Atelier, so still, daß man durch die dünne Wand, die sie von ihrem Nachbarn trennte, deutlich das fröhliche Pfeifen seiner weißen Mäuse hören konnte. Dies war immer ein Zeichen, daß ihr Herr, wie er sich ausdrückte, »auf Teufelholen schanzte«, seinen Pinsel im dichtesten Kampfgewühl der Lützener Schlacht herumtrieb.

Auch Angelica war sehr fleißig. Aber während sie sonst unter dem Malen zu plaudern liebte, um die Leute, die ihr saßen, nicht einschlafen zu lassen, öffnete sie heute nur selten die Lippen. Es war die letzte Sitzung; die letzte Hand, die ja immer wieder eine erste ist, sollte an das Bild gelegt werden, jeder Pinselstrich entschied über Sein oder Nichtsein einer Nüance, über Wohl und Wehe eines Druckes.

Um recht sicher zu gehen, hatte sie eine Brille aufgesetzt, die sie nicht gerade verschönerte, und die Maljacke, an deren linkem Aermel sie ihre Pinsel auszuwischen pflegte, war im Eifer der Arbeit aufgegangen und gab zusammen mit dem lanzenartigen Malstock und dem Schilde der Palette dem guten, bescheidenen Gesicht einen streitbaren Anstrich: als handelte sich's um die Erlösung der verzauberten Prinzessin, die dort im Sessel ihr gegenübersaß und ebenfalls ungewöhnlich still war. Ob Julie besonders ernsten Gedanken nachhing, oder nur wie alle Menschen, die gemalt werden, einer gewissen gedankenlosen Schwermuth anheimfiel, war nicht zu ergründen.

Sie war heute besonders schön. Statt des rothseidenen Kleides trug sie ein luftigeres von durchsichtigem schwarzem Stoff, durch das der weiße Hals durchschimmerte. Angelica hatte das angeordnet, um alles Licht auf dem Gesicht zu sammeln, und auch die Haartracht, welche die Contour des Kopfes freiließ und von dem einfach geflochtenen Nackenhaar noch einige Locken für die Schultern sparte, war eigenste Erfindung der Künstlerin. Jetzt, in dem ruhigen Licht, glänzte das matte Weiß ihrer Haut und das weiche Blond der Haare so lieblich gedämpft und dennoch klar, und die Augen unter den braunen Wimpern leuchteten so feurig bei aller Sanftheit, daß man Angelica's Behauptung verstehen konnte: so etwas lasse sich nicht malen; Gold, Perlen und Sapphire seien das Material, um mit diesem Farbenschmelz zu wetteifern.

Zwar war die erste Jugendblüte vergangen. Hie und da konnte ein gutes Auge ein Fältchen, einen schärfer eingegrabenen Zug entdecken, und die gelassene Anmuth, mit der sich die edle Gestalt bewegte, ließ keinen Zweifel darüber, daß die Jahre hinter ihr lagen, wo ein Mädchen sich beständig wie ein Vogel auf dem Zweig hin und her wendet, gleichsam immer auf dem Sprung, in das unbekannte, verlockend schöne Leben hinauszuschwirren, oder sich neugierig umschauend, ob kein Jäger oder Vogelsteller in der Nähe sei. Ueberhaupt konnte man es sich kaum vorstellen, wie dieses so still in sich ruhende reizende Geschöpf jemals die üblichen Backfisch-Thorheiten begangen haben sollte. Wenn sie aber zu sprechen anfing, und besonders wenn sie lachte, erglänzte das ausdrucksvolle Gesicht von einer ganz jugendlichen Munterkeit, die Augen, die ein wenig kurzsichtig waren, drückten sich leise zusammen und nahmen einen muthwilligen Ausdruck an, und nur der charaktervolle Mund behielt seinen Zug von sinniger Festigkeit. Das übrige Gesicht hat Ihnen Gott gegeben, sagte Angelica gleich in der ersten Sitzung; Ihren Mund verdanken Sie sich selbst.

Sie hatte damit ein Gespräch über Schicksale und Lebenserfahrungen einleiten wollen; aber die ganze Antwort war ein vielsagendes und vielverschweigendes Lächeln eben dieses Mundes gewesen.

Angelica war ein feinfühliges Mädchen. Sie brannte natürlich darauf, von der Vergangenheit ihrer bewunderten Eroberung mehr zu erfahren. Aber nach dem Scheitern jenes ersten Versuches war sie viel zu stolz, ein Vertrauen zu erbetteln, das ihr nicht entgegenkam.

Für diese Entsagung sollte sie heute belohnt werden. Denn plötzlich öffnete Julie den Mund und sagte mit einem Seufzer: Sie sind einer der glücklichsten Menschen, die ich je kennen gelernt habe, Angelica.

Hm! machte die Malerin. Und warum kommt Ihnen das so vor?

Weil Sie nicht nur frei sind, sondern mit Ihrer Freiheit auch etwas anzufangen wissen.

Wenn es nur auch was Rechtes wäre! Aber glauben Sie im Ernst, liebe Julie, daß meine Blumen-, Frucht- und Dornenstücke und die Versuche, Gottes Ebenbilder nachzustümpern, mir die Meinung beibringen, ich sei ein besonders interessantes Exemplar meiner Gattung? Beste Freundin, was Sie mein Glück nennen, ist eigentlich nur das bekannte »deutsche Glück«: ein Glück, daß es nicht ein noch größeres Unglück ist; ein Noth- und Surrogat-Glück; ich habe genug daran, um nicht zu verhungern, und lange nicht genug, um recht satt zu werden. Bitte, nur einen Gedanken mehr nach rechts. Ich will doch sehen, ob ich den Haar-Ansatz an der Schläfe –

Sie vermalte den Rest ihres Satzes schon wieder aufs Emsigste.

Ich begreife sehr wohl, fuhr Julie fort, daß nie ein Augenblick kommt, wo man sich genügt, wo man gleichsam auf der Spitze des Berges angekommen ist und nun um sich blickt und sagt: etwas Höheres giebt es nicht mehr, wenn es nicht gleich in die Wolken gehen soll. Aber Sie lieben doch Ihre Kunst, und ich meine, daß Sie sich den ganzen Tag, das ganze Leben hindurch mit etwas beschäftigen können, was Sie lieben –

Wenn ich nur auch wüßte, ob es mich wieder liebt! Sehen Sie, da sitzt der Haken, ein ganz teufelsmäßiger Haken, würde Herr Röschen sagen. Ist man auch wirklich zur Kunst berufen, ich meine, zu einer Künstlerschaft von Gottes Gnaden, wenn es an einem Haar gehangen hat, daß man nie einen Pinsel angerührt hätte?

Sie nie einen Pinsel angerührt?

Gewiß, sondern statt dessen einen gemeinen Kochlöffel und ähnliche verachtete Hausgeräthe. Was sehen Sie mich so ungläubig an? Glauben Sie, ich wäre Zeitlebens ein reizloses ältliches Mädchen gewesen? Ich war auch einmal siebzehn Jahr und gar nicht übel, natürlich ohne jeden Vergleich mit so Etwas, wie da eben vor mir sitzt: in meinem ganzen niedlichen Gesicht keine vernünftige Fläche, keine Form, kein Stil, bloß die wohlfeile beauté du diable. Aber wenn man gewissen Zeugnissen trauen darf – mein Archiv von Sonetten, Ballbouquets und sonstigen zarten Huldigungen habe ich freilich verbrannt – so war ich ein so sauberes und appetitliches junges Ding, wie tausend andere. Mutterwitz hatte ich genug, ein gutes Herz sah mir aus den Augen, und bettelarm war ich auch nicht – warum hätte mir's an Bewerbern fehlen sollen? Nein, meine Liebe, ich hatte sogar die Auswahl, und wenn ich auch jetzt nicht recht begreife, warum ich gerade diesen Sterblichen allen Anderen vorzog, damals muß ich es doch wohl gewußt haben. Es ist mir noch dunkel erinnerlich, wie unerhört glücklich, verliebt und lustig ich war. Wäre Alles den gewöhnlichen Gang gegangen, wahrscheinlich wäre ich noch immer verliebt und glücklich – Treue ist mein Hauptfehler, – wenn auch vielleicht nicht mehr so lustig. Aber dazu sollte es nicht kommen. Mein Bräutigam ertrank beim Baden – ich bitte Sie, ein so dummes Unglück! – ich fiel vor Schreck und Gram in ein Nervenfieber; wie ich davon aufstand, war das bischen beauté du diable zum Teufel, die ersten Jahre verbrachte ich in Brautwittwenthränen, und wie die allmählich zu fließen aufhörten – war ich eine unhübsche, rasch verblühte Person, mit einem Herzen freilich, das noch kaum recht in Flor gekommen war, nach welchem aber kein Mensch sich besonders erkundigte. – Damals verloren wir auch unser kleines Vermögen, nun mußte ich irgend was ergreifen, und da war es denn freilich »ein Glück«, daß ich schon als Schulkind viel Zeit mit Zeichnen und Malen verdorben hatte. Glauben Sie, beste Freundin, daß eine Tugend, die man so aus der Noth macht – sie mag so verdienstlich sein, wie sie will – daß die ein Menschenkind so recht von Herzen glücklich machen kann?

Warum nicht, wenn sich noch allerlei Glück hinzufindet, wie es Ihnen ja geschehen ist? Sie haben Italien gesehen mit jener munteren, alten Dame, von der Sie mir neulich so hübsche Geschichten erzählt haben; Sie können jetzt Ihre Kunst hier in voller Freiheit ohne peinliche Sorge ausüben, Dank dem Legat Ihrer mütterlichen Freundin, leben in dieser schönen Stadt, im Verkehr mit Freunden und Kunstgenossen, von denen Sie respectirt werden – ist denn das Alles nichts?

Es ist sogar recht viel, und doch – ich will Ihnen was ins Ohr sagen, es bleibt sehr unter uns, und wenn ich Sie nicht so unvernünftig liebte, daß Sie Alles von mir verlangen könnten, bisse ich mir lieber die Zunge ab, eh' ich es einem lebendigen Menschen gestehen möchte: wenn ich mit der Zeit so berühmt würde wie meine Namensschwester, deren Bilder mir freilich immer sehr langweilig vorgekommen sind, oder gar einmal dahin käme, mit mir selbst als Künstlerin zufrieden zu sein, – all dies ungewöhnliche Glück gäbe ich hin um ein ganz alltägliches Dutzendglück: einen guten Mann, der nicht einmal ein besonderer Ausbund von Vortrefflichkeit zu sein brauchte, und ein paar hübsche Kinder, die immerhin ein bischen unbequem, unbändig und ungezogen sein dürften. So, nun wissen Sie's und nun lachen Sie mich nur aus, daß ich Ihnen so naiv verrathen habe, was Unsereins sonst zu verheimlichen pflegt wie die Sünde.

Sie wären auch gewiß eine prachtvolle Hausfrau geworden, sagte Julie still vor sich hin blickend. Sie sind so warmherzig, so gut, so selbstlos; Sie hätten einen Mann sehr glücklich gemacht. Ich – wenn ich mich mit Ihnen vergleiche – aber wollten wir uns nicht lieber du nennen? Ich habe allerlei unliebsame Erfahrungen mit Duzschwestern gemacht, darum komme ich dir gegenüber so spät damit heraus – nein, aber du mußt mir den Kopf auf den Schultern lassen – du drückst mich ja todt – wenn ich das gewußt hätte –! Und wer weiß, wenn du mich näher kennen lernst –

Die Malerin hatte Palette und Malstock weggeworfen und war in ihrer stürmischen Manier über die angebetete Freundin hergefallen, die endlich ihre eigene Hingebung so lieblich erwiederte.

Wenn ich dich noch hundert Jahre kenne, will ich es fertig bringen, dich noch hundertmal lieber zu haben! rief sie, indem sie vor Julien niederkniete, die Hände in drolliger Lebhaftigkeit in ihrem Schooß gefaltet, und andächtig durch die Brille das schöne Gesicht anstarrte.

Nein, sagte die Freundin ernsthaft, du kennst mich wirklich noch nicht. Hast du eine Ahnung davon, daß ich das Glück, wonach du noch jetzt dich sehnst, aus eigner Schuld verscherzt habe, – weil ich, wie meine besten Jugendfreundinnen sagten, ein herzloses Mädchen war?

Unsinn! rief Angelica. Du und herzlos? Dann bin ich ein Krokodil und lebe von Menschenfleisch!

Julie lächelte.

Ob sie Recht hatten – ich glaube es selbst nicht. Aber du weißt, es ist so allgemeine Sitte, sich »herzlich« zu zeigen, Gefühl, Theilnahme, Zärtlichkeit zu äußern, auch wo man völlig kalt bleibt, daß die Cordelien immer im Nachtheil sein werden. Schon sehr früh – vielleicht als Kind meines Vaters, der ein strenger, nach außen hin starrer und kühler alter Soldat war und sein Gemüth nicht aus der Zungenspitze trug – schon als Backfisch hatte ich einen Widerwillen gegen das Süß- und Holdthun, das Hinschmachten und Anschmiegen, die ganze conventionelle Liebenswürdigkeit, hinter der so oft der grausamste Neid, die eisigste Selbstsucht sich verbergen. Ich konnte mich nie zu den überschwänglichen Busenfreundschaften, den Herzensbündnissen auf Leben und Tod bequemen, die plötzlich an einer Cotillon-Rivalität, an einem ehrlichen Tadel, oder auch bloß an innerer Langerweile zu Grunde gehen. Meine erste Erfahrung in dieser Hinsicht war auch meine letzte. Und wie viel ernstliche Zuneigung und Treue und nie anerkannte Aufopferung hatte ich an diese Kinderei verschwendet! Von da an nahm ich mich bester in Acht. Und wirklich wurde es mir auch nicht so schwer, mein Herz zu hüten. Ich lebte mit meinen alten Eltern, die beide äußerlich trocken und pedantisch erschienen, aber die Kunst verstanden, in der Stille sich selbst und mir ein reiches, warmes und schönes Leben zu schaffen, das meinen Gedanken und Gefühlen hinlängliche Nahrung gab. Nach ihnen bildete ich mich und sprach so ziemlich ihre Sprache. Ich mag mich allerdings seltsam ausgenommen haben, wenn ich in jungen Gesellschaften über gewisse Modegefühle mich so geringschätzig äußerte, wie es allenfalls einem alten General verziehen worden wäre, aber seiner Tochter nicht vortheilhaft stand. Ich war ganz ohne Arg dabei. Ich empfand wirklich bei vielen Anlässen, wo Andere in Rührung oder Begeisterung hinschmolzen, nicht das Geringste, wenn nicht gar ein Unbehagen. So oft mich aber etwas wirklich ergriff – eine schöne Musik, ein Gedicht oder ein feierlicher Eindruck in der Natur, wurde ich ganz stumm und konnte in das entzückte Geplapper um mich her um die Welt nicht einstimmen. Aus reiner Verachtung der Phrasen stellte ich mich dann gegen meine eigene Empfindung kühl und kritisch und mußte hören, daß mit mir nichts anzufangen sei, daß mir, als einem Mädchen ohne Herz, natürlich diese geheimnißvollen Seligkeiten ewig verschlossen bleiben müßten. Ich lächelte dazu, und mein Lächeln bestärkte die zartbesaiteten Gemüther in ihrer Meinung von meiner Gefühllosigkeit. Da ich zufällig Keine von Allen so liebenswürdig fand, um sie trotz dieser schlechten Gewohnheiten zu lieben, machte ich mir durchaus nichts aus meiner Vereinsamung.

So war es mir mit meinem eignen Geschlecht ergangen, und nun mit den jungen Männern sollte mirs nicht viel besser gehen. Sehr bald hatte ich die Bemerkung gemacht, daß das stärkere Geschlecht nur andere, aber nicht gerade liebenswerthere Schwächen hat, als wir, vor Allem, daß sie noch viel eitler sind und daher Diejenigen unter uns besonders schätzen, die ihrer männlichen Ueberlegenheit huldigen. Was man so gewöhnlich mädchenhafte Scheu, weibliche Zartheit, jungfräuliche Innigkeit nennt, ist das nicht in neunzig Fällen unter hundert ein schlau berechnetes künstliches Spiel, das diesen gestrengen Herren der Schöpfung vorgaukeln soll: hier fänden sie, was sie wünschten; in diesem schmiegsamen, biegsamen, unselbständigen Wesen begegne ihnen die beste Ergänzung ihrer zum Herrschen geborenen Natur, die zartfühlendste Ergebung in ihren höheren Willen, ein rein gestimmtes Echo all ihrer trefflichen Wünsche und Gedanken? Hernach, wenn der Zweck der süßen Komödie erreicht ist, wird bald genug die Maske abgelegt, wir guten Lämmer zeigen, daß wir auch einen Willen, eignen Sinn und eigne Macht haben, und der schöne Wahn reißt kläglich entzwei. Als ich mir das zuerst klar gemacht hatte, empfand ich einen tiefen Ekel. Bald aber mußte ich lachen und sagte mir: dieses Possenspiel ist so alt wie die Welt. Wenn die stolzen Herren der Welt trotzdem sich immer wieder täuschen lassen, müssen sie wohl ihren Vortheil dabei finden.

Nur konnte ich mich auch jetzt nicht entschließen, mitzuspielen, wie ich es alle Andern thun sah. Aus dem Zweck, der den Andern all diese kleinen Mittel heiligen mußte, machte ich mir nichts. So bloß im Allgemeinen den Männern zu gefallen – dazu brauchte ich mich nicht besonders anzustrengen, da ich meiner Mutter ähnlich sah, die für eine Schönheit gegolten hatte. Und die Liebe irgend eines Mannes zu gewinnen, dazu hätte mir erst Einer gefallen müssen, mir erst gefährlich werden. Dazu kam es aber nicht. Ich dachte wirklich oft: hast du nun ein Herz, oder hast du keins, daß es gar nichts fühlt in der Gesellschaft dieser schmucken Offiziere, Studenten, Künstler, die so gute Tänzer find, so siegesgewisse Mienen und tadellose weiße Cravatten haben und sich mit der huldvollsten Ueberlegenheit von all den schüchtern erröthenden und demüthig aufhorchenden süßen Geschöpfen ins Netz locken lassen, die dabei heimlich ins Fäustchen lachen?

Julie schwieg eine Weile und drückte die Augen ein. Wunderlich, sagte sie dann mit einem Seufzer, wie wir plötzlich auf diese alten Geschichten gekommen sind! Du mußt wissen, Liebe, sie sind wirklich schon sehr alt, älter als du denkst. Ich werde nächstens einunddreißig Jahr. Als ich diese Betrachtungen zuerst anstellte, war ich achtzehn. Nun subtrahire selbst. Wenn ich mich damals verheirathet hätte, könnt' ich jetzt eine Tochter von zwölf Jahren haben. Statt dessen bin ich eine wohlconservirte alte Jungfer, und mein einziger Anbeter ist eine närrische Malerin, die sich bloß aus coloristischer Marotte in mich verliebt hat.

Nein, sagte Angelica, die inzwischen eifrig fortgemalt hatte, damit lass' ich mich jetzt nicht abspeisen. Ich habe die Männer immer für ziemlich dumm gehalten, weil sie, wie du ganz richtig sagst, sich von so groben Künsten und Kniffen fangen lassen. Aber daß sie deinen Werth nicht erkannt haben sollen, daß sie sich nicht, wie vor Troja um die griechische Hexe, die Hälse um dich gebrochen haben – das ist mir denn doch unbegreiflich; so eitel und unklug sind doch nicht Alle, und Einige giebt es immerhin – ich selbst habe Den und Jenen gekannt –. Aber bitte, das Kinn um eine Linie mehr gesenkt! –

Ja wohl, fuhr Julie fort, es giebt allerdings Einige – Einer sogar ist mir begegnet, dem zu Liebe ich selbst am Ende die Komödie mitgespielt hätte, wenn mir nur nicht alles Talent dazu versagt gewesen wäre. Wie er hieß, wie er sich mir näherte, kann dir gleichgültig sein. Er hat jetzt längst eine Andere geheirathet und mich wohl bis auf den Namen vergessen. Ich – Unsereins vergißt ein solches Erlebniß nie, auch wenn es todt und begraben in irgend einem Winkel unseres Herzens liegt. Denn daß ich ein Herz hatte, so gut wie alle Andern, das merkt' ich damals nur zu deutlich. Ich gefiel ihm sehr, er ließ es mich bei jeder Gelegenheit merken. Und er war auch wirklich um Vieles besser, von Eitelkeit und Selbstsucht viel weniger angekränkelt als die Meisten und meine unbefangene Art, mich zu geben, wie ich war, und keine koketten Empfindsamkeiten zu heucheln, schien ihm schon der Ungewöhnlichkeit wegen anziehend zu sein. Da er reich war und meine Eltern wohlhabend, stand auch äußerlich nichts im Wege. Und so, obwohl kein bindendes Wort gefallen war, sah man uns Beide im Stillen für ein Paar an; ich glaube, die Männer gönnten mich ihm aufrichtiger, als meine »Freundinnen« mir diesen vielumworbenen Mann. Ich selbst war freilich auch bei dieser Gelegenheit wenigstens nach außen hin kühler und zurückhaltender, als glücklich Liebende zu sein pflegen. Ich hing an meinem Erwählten mit sehr innigem Gefühl; aber immer mischte sich darein eine stille Furcht, eine Art Befremden – vielleicht ein prophetischer Zug meines Herzens, das mich warnte, nicht ganz und gar in dieser Liebe aufzugehen.

Und eines Tages, bei dem Gespräch über einen Unglücksfall in einem brasilianischen Bergwerk, wo fünfzig Menschen plötzlich von schlagenden Wettern getödtet worden waren, – da brach das Unheil auch über mich herein, und ich sollte in der Ferne mitverunglücken. Es wurde über das Ereigniß, wie das so Sitte ist, gewaltig lamentirt. Ich schwieg, und als mein Geliebter mich fragte, ob mich das entsetzliche Unglück ganz versteinert habe, sagte ich, ich könne mir nicht helfen, aber ich empfände nicht viel Mehr dabei, als wenn ich in irgend einem Geschichtsbuch läse, es seien vor tausend Jahren in irgend einer Schlacht zehntausend Menschen umgekommen. Das Elend der Welt liege uns täglich und stündlich so nah, und wir seien meist so sträflich gleichgültig dagegen, daß ich nicht einsähe, warum ich auf einmal so viel Mitgefühl bei einem Unfall haben sollte, der nur, weil er gerade in der neuesten Zeitung stehe, Aufsehen errege, übrigens ganz alltäglich und nicht einmal von besonders schrecklichen Umständen begleitet sei.

Kaum hatte ich das gesagt, so fiel Alles über mich her, natürlich zuerst in der Form der Neckerei, mein altes Beiwort »das herzlose Mädchen« wurde wieder aufgewärmt, aber da ich ruhig blieb und die Anklagen der Empfindsamen ziemlich schlagend abfertigte, erhitzten sich die Gemüther immer mehr, und es wurden mir die eifrigsten Humanitätspredigten gehalten, gerade von Solchen, die keinem kranken Hunde einen Trunk Wasser gereicht hätten und armen Menschen nur halfen, wenn es ihnen nicht allzu unbequem war.

Mein Freund war ebenfalls schweigsam geworden, nachdem er Anfangs versucht hatte, meine Partei zu nehmen. Als ein echter Mann aber, der er doch immer blieb, konnte er sich gegen die entsetzliche Wahrheit nicht verschließen, daß ich durchaus nicht weich und weiblich genug empfände. Mein schlagfertiger Verstand wurde ihm immer bedenklicher, ich merkte es wohl, aber nun wehrte sich der Stolz in mir gegen ein Beschönigen und Verhehlen meiner innersten Natur; obwohl mir die Thränen nahe waren, blieb ich tapfer, führte ruhig meine Sache und hatte die armselige Genugthuung, daß ich äußerlich den Sieg behielt. Einen theuer erkauften Sieg! Von diesem Abend an zog sich mein Geliebter sichtbar zurück, meine »beste Freundin« ließ es sich angelegen sein, ihn über meinen Charakter mehr und mehr aufzuklären, und da sie selbst gerade die Eigenschaften besaß, die mir fehlten und die allein, wie man sagt, das Glück der Ehe verbürgen können, so war nichts natürlicher, als daß er sich drei Wochen daraus mit diesem gefühlvollen Wesen verlobte, das ihn nun dreizehn Jahre lang –

Aber ich will ihr nichts Uebles nachreden. Sie hat gewiß auch mir einen Dienst erwiesen, denn vielleicht hätte ich diesen Mann nicht viel glücklicher gemacht. Und damals bewahrte sie mich vor einem schweren inneren Streit der Gefühle. Wäre ich wirklich verlobt gewesen, so hätte ich am Ende gezaudert, die Pflichten zu erfüllen, die meine arme Mutter von mir fordern konnte.

Mein Vater starb nämlich unerwartet schnell, und nun zeigte sich's, daß die Mutter des herzlosen Mädchens, die gleichfalls für eine kalte Natur galt, eine viel leidenschaftlichere Liebeskraft unter ihrer starren Hülle verbarg, als alte Frauen sonst bis über die silberne Hochzeit hinaus sich zu bewahren pflegen. Meine Mutter wurde durch den Tod ihres alten Mannes erst in eine schwere Krankheit gestürzt, dann in einen halb irrsinnigen Zustand, in welchem sie noch viele Jahre hinvegetirte, zu ihrer Qual – und meiner! –

Sie verstummte, stand dann plötzlich auf und trat zu der Malerin hinter die Staffelei. Verzeih mir, Liebe, sagte sie, aber ich finde, du solltest aufhören; mit jedem Pinselstrich, der noch etwas glättet und vermalt, machst du es unähnlicher. Sieh mich nur genauer an. Bin ich denn noch das blühende Geschöpf, das da von der Leinwand in die Welt hinausprahlt: »zwölf Jahre Entsagung, Einsamkeit, lebendiges Begrabensein haben keine Spur auf meinem Gesicht zurückgelassen« –? So würde ich vielleicht aussehen, wenn ich das Glück gekannt hätte. Man sagt ja: Glück erhält jung. Ich aber – ich bin erschrecklich alt – und habe doch eigentlich noch nicht zu leben angefangen!

Sie wandte sich hastig ab und trat ans Fenster.

Angelica legte die Palette fort, trat leise zu ihr hin und schlang ihren Arm um die seltsam aufgeregte Freundin.

Julie, sagte sie, wenn du so sprichst, du, die mit einem bloßen Lächeln wilde Thiere zähmen und zahme Menschen toll machen kann –

Sie wandte sich nach der Trösterin um, Thränen standen ihr in den Augen. O Liebe, sagte sie, was redest du für Thorheit! Wie oft habe ich eine junge Bäuerin mit einem garstigen, plumpen Gesicht beneidet, die uns Milch und Eier brachte; bloß weil sie kommen und gehen konnte, wie sie wollte, und unter lebendigen Menschen sich bewegte! Ich aber – kannst du dir vorstellen, was es heißt, einen Menschen, den man doch lieben muß, als einen Abgeschiedenen, ein lebendiges Gespenst neben sich zu sehen, die Stimme, die einem früher geliebkos't, sinnlose Worte ausstoßen zu hören, das Auge, das einem so warm zugelächelt, fremd und halb erloschen zu sehen – das Auge, die Stimme der eigenen Mutter? Und das Jahr um Jahr, – und diese halb erstorbene Seele wachte nur dann mit Angst und Zittern wieder auf, sobald ich den Versuch machte, mich von ihr zu trennen. Denn wirklich, als ich es ein Jahr getragen hatte, glaubte ich, ich ginge daran zu Grunde, ohne daß das Opfer meines Lebens der Aermsten eine Wohlthat sein könne. Aber sobald sie länger als ein paar Stunden täglich, woran sie gewöhnt war, mich entbehren sollte, gerieth sie in die heftigste Unruhe und wurde erst wieder still, wenn sie mich wiedersah. Ich mußte mich darein ergeben, daß ich ihr zum Leben nothwendig war, zu einem Leben, das ich doch mit nichts verschönern, erheitern, auch nur erleichtern konnte. Denn so lang ich neben ihr war, bemerkte sie mich kaum, ja, oft schien sie mich nicht einmal zu kennen. Und doch konnte sie ohne mich nicht bestehen, und in der Heilanstalt, wohin sie einmal zum Versuch gebracht wurde, verfiel sie in einen Zustand, der zu erbarmungswürdig war, als daß selbst ein Mädchen ohne Herz nicht davon gerührt worden wäre.

Entsetzlich! Und so hast du zwölf ganze Jahre mit ihr gelebt?

Zwölf ganze Jahre! Scheint es dir noch so unbegreiflich, noch so »dumm« von den Männern, wenn sie sich zu einem Mädchen nicht eben hindrängten, das ihnen zu ihrem bischen Schönheit und Vermögen auch noch dieses Schicksal mit ins Haus gebracht hätte? Nein, Liebe, die Männer sind gar nicht so dumm. Selbst wenn ich verlobt gewesen wäre und meinen Bräutigam von Herzen geliebt hätte, – das hätte ich ihm nicht zugemuthet, sein Leben an eine Frau zu binden, die an ein so schauerliches Schicksal festgeschmiedet war!

Aber jetzt – seitdem du frei geworden bist –

Frei! Eine schöne Freiheit, tanzen zu dürfen, nachdem das Fest vorüber ist, für die versäumte Rosenzeit mich mit gemachten oder gemalten Blumen zu trösten! Ich las einmal irgendwo, das Glück sei wie Wein; wenn man es nicht gleich alles vom Faß weg austrinke, sondern einiges auf Flaschen fülle, komme es einem später zu Gute. Es reife dann nach und werde edler, wenn es von der rechten Sorte gewesen sei. Es mag etwas daran sein; aber wie edel es dann auch ist: der alte Wein hat keine Blume mehr; das Glück, das man nicht jung gekostet, hat einen herben Geschmack. Und wer bürgt mir, daß ich überhaupt noch einmal meinen Durst lösche? Viele Tausende netzen nie ihre Lippen und leben so nüchtern hin. Warum soll ich es bester haben? Weil ich schöner bin als Viele? Das ist auch was Rechtes. Das Schicksal ist gar nicht galant und faßt seine Beschlüsse ohne Ansehn der Person. Und um mich mit diesen beaux restes zu trösten, müßte ich einfältiger sein. Jetzt, wenn ich vor den Spiegel trete, sehe ich immer dasselbe wohlbekannte Gesicht, das seine Jugend verloren hat. Ich komme mir vor wie ein seidenes Kleid, das zwölf Jahre im Schrank gehangen hat. Wenn man es dann herausnimmt, ist es noch immer Seide, aber die Farbe verblichen, die Falten brechen, wo man es anrührt, und wenn man's schüttelt, schwirren die Motten heraus. Aus meinem Kopf aber hab' ich heute genug hinausfliegen lasten; es kommt nichts Kluges dabei heraus, wenn man von alten Erlebnissen redet. Komm! wir wollen noch ein bischen malen und dann spazieren fahren. Wofür haben wir unsere schöne Freiheit?


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