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Fünftes Kapitel.

Es war in der That ein auffallendes Paar, das draußen im Hof ihrer wartete. Der Schlachtenmaler, ein beweglicher jugendlicher Mensch mit einem sehr hübschen roth und weißen Gesicht, trug einen riesenhaften grauen Filzhut mit einer kleinen Hahnenfeder, dazu einen starken, röthlich blonden Bart, der aber so wunderlich gegen die Milch- und Blutwangen abstach, als habe ein Mädchen sich als Räuber verkleiden wollen und einen falschen Bart ums Kinn gebunden. Sah man sich das Gesicht näher an, so war ein frischer, mannhafter Ausdruck in den hellblauen Augen nicht zu verkennen, während der lustige Mund sich häufig zu einem gutmüthigen Lachen verzog. Neben ihm nahm sich die Malerin, obwohl sie noch in den Zwanzigen zu sein schien, durch einen charaktervollen Ernst und die entschiedene Raschheit ihrer Geberden fast wie seine Mutter aus. Sie hatte eins jener Gesichter, die man nie darauf ansieht, ob sie hübsch oder häßlich sind, einen etwas großen Mund und lebhafte helle Augen und eine ziemlich untersetzte, rundliche Figur. Dabei trug sie die Haare kurz abgeschnitten unter einem einfachen florentiner Strohhut, im Uebrigen einen Anzug, der in Nichts auffiel.

Jansen hatte Felix vorgestellt, ein paar gleichgültige Worte waren gewechselt worden, und Angelica hatte nach dem ersten Blick dem Bildhauer etwas zugeflüstert, was sich auf den stattlichen Wuchs seines jungen Freundes und die Aehnlichkeit desselben mit der angefangenen Marmorbüste zu beziehen schien. Dann schlenderten sie alle Vier die Schwanthalerstraße hinunter, von dem Hunde gefolgt, der sich dicht hinter Felix hielt und von Zeit zu Zeit seine Nase an dessen herabhangender Linken rieb.

Vor einem eleganten einstöckigen Hause der Vorstadt, das in einem sauberen Gärtchen lag, blieben sie stehen. Rosenbusch zog seine Flöte hervor und blies den Anfang der Arie: »Bei Männern, welche Liebe fühlen.« Es regte sich aber nichts im Hause, obwohl die oberen Fenster nur mit leichten Jalousieen verschlossen waren und in der Mittagsglut jeder Ton weit hinausklang.

Der Dicke schläft oder stellt sich schlafend, um wieder einmal das Hochamt zu schwänzen, sagte der Maler, indem er die Flöte wieder einsteckte. Ich dächte, wir gingen.

Andiamo! nickte Angelica. Sie war ein Jahr in Italien gewesen, und gewisse wälsche Redensarten, Naturlaute des täglichen Lebens, sprangen ihr unbewußt alle Augenblicke über die Lippen.

Das Gespräch, während sie nun weitergingen, wurde nicht gerade lebhaft geführt. Jansen schien in Gedanken vertieft; es war überhaupt seine Art, lange vor sich hin zu schweigen, und zumal unter Mehreren konnte er stundenlang völlig theilnahmlos erscheinen. Wenn dann ein Wort in ihm zündete, brach seine Beredsamkeit um so überraschender hervor. Felix kannte ihn und störte seine sinnende Laune nicht. Er ließ seine Augen herumschweifen und suchte die Straßen wiederzuerkennen, die er noch als Student auf einer Ferienreise zuerst durchwandert hatte. Auch Rosenbusch schien nicht redselig aufgelegt, und nur Angelica, die einen drollig hofmeisternden Ton ihm gegenüber anzuschlagen pflegte und überdies heute übler Laune war, da sie sich bei einem neuen Bilde, wie sie sagte, in eine Sackgasse hineingemalt hatte, ließ es nicht an kleinen Sticheleien und Spottreden gegen ihren Nachbar fehlen. Dabei schwang sie sich zu der Vertraulichkeit, ihn mit seinem Spitznamen anzureden, doch nicht auf, ohne ein »Herr« davor zu setzen.

Wissen Sie, Herr Röschen, Sie sollten lieber beim Componiren Ihre Gedichte hersagen, anstatt die Flöte zu blasen. Es würde Sie selbst gewiß noch mehr begeistern, und Ihre Nebenmenschen litten weniger darunter. Bloß darum habe ich mir heute mit einer Carminlasur meine ganze Kindergruppe verdorben, weil mich das ewige Adagio nebenan so sentimental gestimmt hat.

Warum haben Sie nicht an die Thür geklopft, verehrte Freundin, wie wir es ausgemacht haben? Ich hätte es dann »genug sein lassen des grausamen Spiels«.

Wenn nicht gerade Sonntag gewesen wäre und ich mir gesagt hätte: es muß gleich Zwölf schlagen, dann hört er ohnehin auf –! Aber sehen Sie dort im Wagen die entzückende junge Person – die im blauen Hütchen – neben dem jungen Herrn – gewiß Hochzeitsreisende! Nein! was das für Augen sind – und wie sie jetzt lacht und sich dabei wie ein ausgelassenes Kind in den Wagen zurückwirft –

Sie war in voller Ekstase stehen geblieben und ahmte in ihrer Lebhaftigkeit die Geberde der vorbeifahrenden jungen Dame nach, indem sie den Oberkörper zurückbog und die Arme hinter dem Kopfe verschränkte.

Die Freunde waren ebenfalls stehen geblieben und lächelten.

Ich bitte Sie, Angelica, mäßigen Sie Ihren Enthusiasmus, brummte Rosenbusch. Sie vergessen immer, daß nicht nur Gott und Ihre künstlerischen Freunde Sie sehen, sondern ganz profane Augen, die nicht wissen, was sie aus Ihren unbefangenen Geberdenstudien machen sollen.

Sie haben Recht, versetzte die Künstlerin und warf einen erschrockenen Blick umher, beruhigte sich aber, da die Straße menschenleer war. Es ist eine dumme Angewohnheit, die ich aber schon als Kind vergebens bekämpft habe. Meine Eltern haben mich nicht mehr ins Theater mitgenommen; sie sagten, ich hätte da zu viel gezappelt. Aber wenn mich was aufregt, vergess' ich meine schönsten Vorsätze, Anmuth und Würde zu bewahren. Wenn Sie mich besuchen, Herr Baron, wandte sie sich an Felix, werden Sie mir hoffentlich das Zeugniß geben, daß ich wenigstens auf der Leinwand Maß zu halten verstehe.

Es ist eigentlich komisch, fuhr sie fort, da Niemand das Wort nahm, was wir für curiose Nachbarn sind. Herr Röschen, der so sanft und unschuldig dahingeht, als ob er keine Fliege morden könnte, watet Tag für Tag bis an die Knöchel im Blut und ist nicht glücklich, wenn er nicht wie ein anderer Heißsporn an Einem Vormittage vierzehn Pappenheimer Kürassiere in Oel umbringen kann. Und ich, der ihre besten Freunde nachsagen, daß die Grazien nicht an ihrer Wiege gestanden haben, ich quäle mich an den duftigsten Blumenstücken und lachenden Kindsköpfen herum und lese in Recensionen, daß ich gut thun würde, mir einen etwas markigeren Vortrag anzugewöhnen.

In diesem Stil plauderte sie noch eine Weile fort, ohne sich oder die Anderen zu schonen, aber auch gänzlich ohne jeden herben, altjüngferlichen Beigeschmack. Eine letzte frauenzimmerliche Koketterie schimmerte hie und da aus ihren ungebundenen und grundehrlichen Aeußerungen hervor, das Bestreben, ihre eigene Person, ihre Schwächen und Unlieblichkeiten zu carikiren, damit man sich ihrer gegen ihre eigenen Uebertreibungen annehmen möchte. Auch das aber war mit so viel guter Laune gepaart, daß die galante Regung gewöhnlich vor Lachen nicht zu Worte kam. Sie gefiel Felix in ihrer Klugheit und drolligen Gutartigkeit ausnehmend, und da er es ihr sehr bald zu erkennen gab, wurde ihre Stimmung immer behaglicher, und die spaßhaften Einfälle drängten sich so ohne Aufhören, daß der weite Weg Allen kurz vorkam und sie am Portal der Pinakothek standen, ehe sie's dachten.

Hier, Herr Baron, nehmen wir nun vorläufig Abschied von einander, sagte die Malerin. Sie müssen wissen, wir machen's in unserem Kunsttempel wie gute katholische Christen in ihren Kirchen. Jeder knieet vor einem anderen Altar, ich vor St. Huysum und Rachel Ruysch, Herr Röschen vor seinen Wouvermans, Herr Jansen vor St. Peter und Paul, und Homo bleibt draußen, in einer stillen Conversation mit den steinernen Löwen auf den Treppenwangen. Ich hoffe, Sie bald bei mir im Atelier zu sehen. Lassen Sie sich nicht Angst machen von den beiden mißgünstigen Herren, daß ich Sie zu einer Sitzung einfangen würde. Malen muß ich Sie freilich einmal, diesem Schicksal entgehen Sie nicht, aber gar so zudringlich, wie die bösen Männer meinen Pinsel zu schildern pflegen, ist er doch nicht. Erst wenn Sie ein bischen bei uns warm geworden sind – nicht wahr? Und nun Adieu!

Sie nickte den Freunden zu und verschwand in den Seiten-Cabinetten, in die auch Röschen, nach kurzem Verweilen unter den altdeutschen Meistern, sich zurückzog.

Mit dieser Trennung wird es natürlich nicht so streng genommen, sagte der Bildhauer lächelnd. Aber wir haben bemerkt, daß man truppweise eigentlich zu keiner Stimmung kommt, weder lernt noch genießt. Es läuft dann im besten Fall auf ein Gerede über das Technische hinaus, über Farbenprobleme und kleine Palettengeheimnisse, die mir nun vollends, da ich keinen Gebrauch davon mache, sehr wenig wichtig sind.

Warum hältst du nicht überhaupt lieber vor der Medusa und dem Barberinischen Faun deine Sonntagsfeier? sagte Felix.

Weil ich die Glyptothek auswendig weiß. Und übrigens bin ich auch nicht der Meinung, daß wir die großen Meister auf die eigentlich artistischen Dinge ansehen müssen, um etwas von ihnen zu profitiren. Darin hat Jeder, der über die Lehrlingszeit hinaus ist, seine eigene Meinung, seine Vorurtheile, seinen Eigensinn. Was sie uns geben sollen, sind Charakter-Eigenschaften: Muth, Vornehmheit, Verachtung der kleinen Mittel zu kleinen Zwecken. Das kann ich eben so gut aus einer Beethoven'schen Symphonie wie aus einem schönen Gebäude, aus einer Gemäldegalerie oder einem Shakespeare'schen Trauerspiel lernen und am andern Tage an meiner eigenen Arbeit mir wieder zu Nutze machen. Und gerade dies giebt mir hier Keiner so gut wie Rubens, der diesen Saal ganz allein mit seinen Werken ausfüllt. Sobald ich nur in seine Nähe komme, macht er mich wie kein Anderer all den photographischen Kleinkram, den modischen Schnickschnack und Kunstvereinsjammer unsrer Tage vergessen.

Sage selbst, fuhr er fort, indem er an den Wänden des Rubenssaals herumdeutele, wird dir hier nicht wieder zu Muthe wie in deinen tropischen Wildnissen, wo die Natur sich vor strotzenden Säften nicht zu lassen weiß, wo Alles, was wächs't oder sich regt und bewegt, wie im Rausch seiner eigenen Kraft vor sich hin träumt? Hier fällt es Niemand ein, daß es überhaupt ein alltägliches und prosaisches Leben giebt, das alle Creaturen sich irgendwie dienstbar macht, die Männer für den Staat, die Weiber zu Lastthieren der Familie verbraucht, Pferde in den Pflug spannt und wilde Bestien nur gelten läßt, wenn sie im zoologischen Garten oder in einer Jahrmarktsbude zur Schau stehen. Hier wimmelt wirklich die herrliche Schöpfung noch wie am siebenten Tage nackt und lustig durcheinander, und selbst die anzüglichsten Dinge, die wir in unserer geschniegelten Gesellschaft sorgfältig verstecken, geschehen hier in aller Unschuld am Licht des Tags. Dieser braune, feurige Bauer, der das schöne Frauenbild bestürmt, die schlafenden Nymphen dort, die von den Satyrn beschlichen werden, das himmlische Gewühl von Seligen und Verdammten – all diese unverschleierte Menschlichkeit lebt und webt bloß für sich und denkt nicht von fern daran, ob etwa prüde und pedantische Narren zuschauen und ein Aergerniß an ihr nehmen. Du weißt ja: Nichts ist an sich gut oder böse, das Denken macht es erst dazu. Und diese Geschöpfe haben sich mit dem Denken niemals viel zu schaffen gemacht. Lebensgenuß aus dem Vollen und Uebervollen, wie da oben die dicke Satyrfrau, die ihre Zwillinge tränkt, oder ein derber Kampf ums Dasein! Und auch der wird hier mit so tropischer Gewaltsamkeit geführt, wie wenn Tiger und Schlange oder Büffel und Alligator im Urwald mit einander anbinden. Diese Löwenjagd –! Horace Vernet, der doch nicht der Ungeschickteste war, hat auch eine gemalt. Aber da kannst du den Abstand erkennen zwischen großer Kunst und kleinen Künsten. Hier Alles in einen so furchtbaren Knäuel verschlungen, daß man keine Hand dazwischen bringen könnte, das höchste, augenblicklichste Zugreifen, Sich-wehren, Morden und Hinsterben, jede Muskel zu ihrer letzten Leistung gespannt, Alles ein so tödtlicher und doch so triumphirender Ernst, daß das Herz zugleich erbebt und aufjubelt. Denn Kraft ist ja immer freudenvoll. Bei dem Franzosen dagegen ein Tableau etwa für den Circus, wobei es trotz aller Grimassen nicht bis zum Aeußersten kommt. Und nun, was das Künstlerische betrifft: hier alle Linien so verschmolzen, so aufgelös't trotz der stärksten Contraste, daß sie wie mit Naturnothwendigkeit den Blick in ein unentrinnbares Netz hineinlocken, das Auge nirgends frei bleibt, Etwas anders zu wünschen oder auch nur für möglich zu halten. So was bringt ein geschickter Moderner, der ewig mit seinem Stückwerk von Wissen an die Arbeit geht, nimmermehr zu Stande. Da sind Löcher und Klüfte, schnöde Dreiecke und Sechsecke zwischen den Pferdebeinen, die Figuren so reinlich auseinandergehalten, als ob sie nachher wieder in die Schachtel verpackt werden sollten.

Er blieb wohl eine halbe Stunde vor der Löwenjagd stehen, als betrachtete er das Bild zum allerersten Mal. Dann, gleichsam mit Mühe sich losreißend, faßte er Felix unter den Arm und sagte: Du weißt, ich bin wahrlich kein verrannter Doctrinär. Es kann Niemand mehr Respect haben vor den andern großen Leuten aus der goldenen Zeit. Aber immer kommt mir's vor, als sei bei ihnen, selbst bei den Größten und Unsterblichsten, noch nicht das volle Gleichgewicht zwischen Kunst und Natur, noch immer ein Ueberschuß der künstlerischen Absicht über das ganz naive Schauen und Fühlen, des Könnens über das Müssen. Selbst bei Rafael, den man freilich, wie es heißt, erst in Rom so recht kennen lernen soll, ist mir immer ein bedeutender Ueberschuß von Seele über die Sinnenkraft ausgefallen. Und der herrliche Tizian und die Venetianer – diese paradiesische Unbekümmertheit, dies scheinbar mühelose Hervorquellen der Schönheit aus einem unerschöpflichen Mutterboden, dies Ausathmen reinster, unverfälschtester Kraft und Freiheit findest du bei ihnen nur in ihren höchsten Momenten; während Der hier, wie die seligen Götter, überhaupt nie eine Stunde des Mangels und der Unzulänglichkeit gekannt zu haben scheint.

In diesem Stil fuhr er noch eine gute Weile fort, sein Herz vor dem Freunde auszuschütten. Auf einmal aber, während sie gerade vor jenem Bildchen standen, das Rubens im Garten mit seiner schönen jungen Frau an einem Tulpenbeet vorbeispazierend zeigt, hörten sie hinter sich Angelica's Stimme:

Ich kann Ihnen nicht helfen, meine Herren, Sie müssen sich von diesem wohlgenährten Familienglück und den langweiligen Buchsbaumhecken losreißen und mit mir kommen. Ich habe Ihnen etwas zu zeigen, was in seiner Art auch ein Meisterstück ist. Bitte, vertrauen Sie nur diesmal meinem Auge und kommen Sie rasch, ehe das Wunder am Ende wieder verschwindet.

Was haben Sie denn Schönes entdeckt, mein Fräulein, das gleich wieder unsichtbar wird, wenn man nicht rasch dahinterher ist? scherzte Felix.

Etwas Lebendiges, aber schwerlich nach Ihrem Geschmack, wie ich ihn mir vorstelle, entgegnete die Malerin. Indessen unser Meister da –

Eine schöne Frau?

Und was für Eine! Ich gehe ihr nun schon die ganze Zeit nach wie ein junger Don Juan und schiele an den Bildern vorbei nach ihr hin. Sie scheint ein bischen kurzsichtig zu sein, wenigstens drückt sie die Augen etwas ein, wenn sie recht scharf sehen will, und betrachtet die oberen Bilder durch eine Lorgnette. Eine Blondine – und ein Gesicht, sag' ich Ihnen, ein Wuchs –! so recht, was Sie Portament nennen, Jansen, und was freilich in Trastevere häufiger wächs't, als unter deutschen Eichen.

Und warum trauen Sie mir nicht auch so viel guten Geschmack zu, dieser Dame Gerechtigkeit widerfahren zu lassen? fragte Felix.

Weil Sie – nun weil Sie noch ein bischen jung sind und – bis jetzt wenigstens – noch kein Künstler. Meine Schönheit fällt nämlich gar nicht sehr auf – wie alles wahrhaft Gediegene. Ich wette, Herr Baron, Sie werden meinen Enthusiasmus übertrieben finden. Diese flächigen Wangen und Schläfen, und wie der Kopf auf dem Hals und der Hals auf dem Nacken sitzt, und wie die ganze nicht zu volle und nicht zu schlanke Gestalt – aber still! Ich glaube, da steht sie! Richtig, sie ist es – Die in dem rohseidenen Kleide mit dem breiten, nicht mehr ganz modernen Strohhut, der ihr auf den Hinterkopf zurückgerutscht ist – sieht er nicht fast wie ein Heiligenschein aus? Nun, Jansen? So sprechen Sie doch ein Wort! Sie sind ja sonst so fix damit bei der Hand, an meinen Idealen herumzukritisiren.

Jansen war stehen geblieben und hatte seinen ruhig leuchtenden Blick unverwandt auf die Dame gerichtet, die noch durch einige Cabinette von ihnen getrennt ahnungslos vor den Bildern stand und den Spähenden das volle Gesicht zukehrte. In der That hatte Angelica nicht zu viel gesagt. Es war eine Gestalt von seltenem Reiz und Adel, die leichte sommerliche Kleidung zeichnete die schönen Umrisse deutlich gegen den Hintergrund ab, der Kopf, ein wenig zurückgeworfen, bewegte sich kaum auf dem schlanken, freien Halse, und der Hut ließ die Form desselben um so klarer erkennen, da sie die weichen, aschblonden Haare einfach gescheitelt trug, in ein paar Locken auf die Schultern herabfallend. Das Gesicht war in der That nicht auf den ersten Blick auffallend; ruhige, stahlgraue Augen, die ihren Glanz hinter den leichtzugedrückten Wimpern versteckten, der Mund nicht gerade blühend, aber von der schönsten, kräftigsten Form, Kinn und Hals eines antiken Bildwerks nicht unwürdig. Sie schien so völlig in das Studium der Galerie vertieft, daß sie auch bei der Annäherung der Freunde nicht aufsah. Erst als diese das Cabinet betraten und Angelica in ihrem Entzücken, wie sie meinte ganz heimlich, doch aber hörbar genug ihre leidenschaftliche Bewunderung zu äußern fortfuhr, wurde die Fremde plötzlich aufmerksam. Mit einem leichten Erröthen zog sie den weißen Shawl, der ihr nachlässig auf die Hüften herabhing, wie zum Schutz gegen die neugierigen Augen um ihre Schultern, warf einen Blick des Befremdens auf die flüsternde Malerin und verließ das Cabinet.

Sehen Sie nur, wie sie sich bewegt – ein wahrhaft königlicher Gang! rief Angelica, ihr nachblickend. Ich habe sie leider vertrieben – auch das gefällt mir an ihr, daß sie sich viel zu vornehm hält, um sich anstaunen zu lassen. Quant' è Bella! So sagen Sie doch endlich auch etwas, Jansen! Sind Sie denn plötzlich zur Statue entgeistert, oder hätte der Zauber am Ende zu stark gewirkt?

Sie könnten Recht haben, Angelica, versetzte der Meister lächelnd. Dergleichen Erscheinungen bin ich hier oben schon dann und wann begegnet, und da es dann immer Fremde waren – denn die Einheimischen trifft man ja nie auf der Pinakothek – war's eine kurze Freude, und ich hatte nur das Nachsehen. Ich bin jetzt vorsichtiger geworden. Sie wissen ja, gebrannte Kinder –

Unsinn! eiferte die Malerin. Diese himmlische Person mag immerhin eine Fremde sein, aber so gründlich besieht Keiner die Bilder, der zum ersten und letzten Mal nur um Bädeker's willen durchläuft. Wer hindert uns aber, ihr noch einmal aufzulauern? Und wenn ich morgen meinen ganzen Vormittag darüber verlieren und meine Kindergruppe eintrocknen lassen sollte – ich muß dies entzückende Geschöpf noch mal mit Muße studiren. Da – da taucht sie eben wieder auf – Röschen geht gerade an ihr vorbei und fährt zurück, wie wenn plötzlich die Bella di Tiziano in Person ihm erschienen wäre, – sehen Sie nur, wie er ihr nachstarrt. Geschmack hat er, trotz seiner alten Schweden.

Jetzt kam der kleine Schlachtenmaler eilig auf die Freunde zu und wollte ihnen erzählen, was er eben für eine Entdeckung gemacht habe. Angelica lachte.

Sie kommen zu spät, Herr von Röschen! Der Ruhm, diesen Kometen entdeckt zu haben, gebührt mir! Aber wissen Sie was, meine Herren? Da keiner von Ihnen Miene macht, das Abenteuer weiter zu verfolgen, will ich, als die Unverdächtigste von uns Vieren, unserer Schönheit nachgehen und zu erfahren suchen, wo sie wohnt und wer sie ist. Wenn sie nur noch eine Woche bleibt, wird sie gemalt, das habe ich mir zugeschworen. Wer dann besonders artig ist, darf der letzten Sitzung beiwohnen, und Herr Röschen erhält die Erlaubniß, unter meinem Fenster ihr ein Ständchen zu bringen. Addio, Signori! Morgen erfahren Sie, wie die Geschichte abgelaufen ist.

Sie nickte den Freunden eilig zu und folgte der Fremden, die inzwischen die Säle durchwandelt hatte und Miene machte, die Galerie zu verlassen.

Sie setzt es durch! sagte Rosenbusch. Ein merkwürdig resolutes Frauenzimmer, und in der Begeisterung durch Nichts aufzuhalten. Diesmal hat sie wirklich einen verteufelt glücklichen Fund gethan. Aber was sie uns sonst schon Alles als große Schönheiten hat aufschwatzen wollen, – nicht wahr, Jansen? Sie hat nämlich die Manie der Bewunderung. Wenn sie gerade davon besessen ist, ist sie nicht sehr wählerisch in ihren Gegenständen. »Es ras't der See und will sein Opfer haben.«

Der Bildhauer erwiederte nichts. Er schlenderte still und in sich gekehrt eine Zeitlang neben den Andern hin. Dann sagte er plötzlich: Laßt uns gehen! Mir ist auf einmal der Sinn für Kunst wie eingeschlafen und abgestorben. So ein vollkommenes Stück lebendiger Natur macht allen Farbenzauber zu Schanden, daß selbst die Größten einem wie arme Schächer daneben vorkommen.


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