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Als die Freunde ihn auf der Straße eingeholt hatten, blieb er schweigsam und ernst, während Rosenbusch in überschwänglichen Ausdrücken die Schönheit dieses Frauenbildes pries.
Wenn mein Herz nicht schon in festen Händen wäre, sagte er mit einem Seufzer, wer weiß, was geschähe! Aber die Treue, sie ist kein leerer Wahn. Auch würde Angelica einem die Augen auskratzen, wenn man bei dieser Julia den Romeo spielen wollte. – Aber wohin schleppst du uns, Jansen?
Wir gehen zum Dicken.
Dann ziehe ich es vor, mich sofort an die Krippe zu begeben und euch dort zu erwarten. Ich habe es verschworen, jemals wieder vor Tisch zu diesem gottssträflichen Sybariten zu gehen. Es riecht da so teufelsmäßig nach Ambra, Trüffelpasteten und indianischen Vogelnestern, daß man sich hernach in seiner schäbigen Knödelhaftigkeit als ein rechter Lump vorkommt. Hol' der Henker diese faulen Genießlinge! Es lebe die Thatkraft und das Sauerkraut!
Er nickte nach dieser ingrimmigen Expectoration den beiden Anderen ganz freundlich zu, rückte seinen großen Hut auf das linke Ohr und bog pfeifend in eine Seitengasse ein.
Wer ist dieser »Dicke«, gegen den unser Röschen all seine Dornen herauskehrt? fragte Felix.
Er meint es nicht so böse, wie er sich den Anschein giebt. Beide sind gute Gesellen und würden im Nothfall für einander durchs Feuer gehen. Dieser sogenannte »Dicke« aber, ein gewisser Eduard Rossel, ist ein sehr reicher Mensch, der das Malen nicht nöthig hat und darum sein großes Talent brach liegen läßt. Nun hat er die geistreiche Faulheit und den virtuosen Kunstgenuß in ein System gebracht, und darüber geräth Rosenbusch jedesmal mit ihm aneinander, da er doch selbst mit all seiner »Thatkraft« nicht viel Gescheites zu Stande bringt. Hier sind wir an seinem Hause.
Sie traten durch das zierliche Vorgärtchen, vor dem sie schon gestern auf dem Wege nach der Pinakothek Halt gemacht hatten, in die Thür des villenartigen Hauses und stiegen eine mit weichen Teppichen belegte Treppe hinauf. Der Hausflur glänzte von polirtem Stuckmarmor, bronzenen Candelabern und schönen blühenden Gewächsen in Porcellantöpfen, die das ganze Treppenhaus durchdufteten.
Als sie oben in den hohen Raum eintraten, der zum Atelier diente, aber mehr wie ein Museum ausgesuchter Geräthe und Kunstsachen, als wie eine wirkliche Künstlerwerkstatt aussah, erhob sich von einem niedrigen, mit einem Leopardenfell bedeckten Divan eine sonderbare Gestalt. Auf einem wohlbeleibten, doch nichts weniger als unförmlichen Körper saß ein stattlicher Kopf, in welchem ein Paar höchst lebendige schwarze Augen funkelten. Das Gesicht war von sehr weißer Hautfarbe, die schönen Hände sorgfältig gepflegt. Der Schnitt der Züge, dazu das kurzgeschorene, seidenweiche Haar und der lange, schwarze Bart erinnerten an den schönen, charaktervollen Typus der vornehmen Morgenländer. Diesen Eindruck erhöhte ein kleiner rother Fez, weit auf den Hinterkopf zurückgeschoben, und ein bunter persischer Schlafrock nebst dazu passenden Pantoffeln. Die Füße steckten nackt darin, und der Schlafrock schien statt jeder anderen Bekleidung dienen zu müssen.
Langsam, aber mit großer Herzlichkeit ging der Maler Jansen und seinem Freunde entgegen, schüttelte ihnen die Hand und sagte: Ich habe schon gestern von ferne Ihre Bekanntschaft gemacht, Herr Baron, – durch die Jalousieen, als das heimtückische Röschen mich mit seiner Flöte in die Mittagsglut hinauslocken wollte. Dergleichen geht aber gegen meine Grundsätze. Sein Brod essen im Schweiße seines Angesichts mag allenfalls verdienstlich sein. Aber ein schweißbetriefter Kunstgenuß – nimmermehr! Entschuldigen Sie das Costüm, in welchem Sie mich finden. Ich habe eben ein Douchebad genommen und hernach eine Viertelstunde geruht. In fünf Minuten wird auch mein unterer Mensch sich mit Anstand präsentiren können.
Er ging in ein Seitencabinet, das nur durch einen prachtvollen Gobelin von dem Atelier geschieden war, und fuhr fort, während er seine Toilette vervollständigte, mit den Freunden zu plaudern.
Sieh dir einmal meinen Böcklin an, den ich vorgestern gekauft habe, – da neben dem Fenster auf der kleinen Staffelei – ich bin ganz glücklich über diesen Besitz. Nun, was sagst du, Jansen? Nicht wahr, damit kann man sich wieder eine Zeit lang über die landläufige Kunst-Misère trösten?
Es war ein kleines Waldbild, das neben dem Fenster im besten Licht ausgestellt war: ein dichtverwachsener Hain hochstämmiger Steineichen und Lorbeergebüsche, nur an Einer Stelle blickte ein Streifchen des fernen Horizonts herein, und in der Ecke oben blaute ein Stück Himmel. Zu Füßen der schattigen Stämme rieselte durch üppiges Gras eine Quelle, neben welcher eine schlafende Faunin ruhte, ihr Säugling an ihrer Seite, das stumpfe Näschen in die volle Mutterbrust gedrückt, an der er ruhig fortzutrinken schien. In der Mitte des Bildes, an einen blühenden Baum gelehnt, stand der junge Vater, ein schlanker, wohlgebildeter Faun, vergnügt auf die Seinigen herabblickend, in der Hand die Hirtenflöte, mit der er das Weibchen eben in Schlaf gespielt hatte.
Felix und Jansen waren noch in die Betrachtung des reizvollen Werkes vertieft, als Rossel wieder zu ihnen trat. So was ist eine Erquickung, nicht wahr? sagte er. Daß es noch Menschen giebt, die so schöne Träume haben und den Muth, sie dann weiter zu erzählen, gleichviel, ob die aufgeweckte, nüchterne Menschheit, die jetzt gottlob solche Kinderschuhe ausgetreten hat und die breiten Stiefel des Realismus täglich platter tritt, den Kopf dazu schüttelt und von überwundenen Standpunkten spricht. Der ist überhaupt einer von den Wenigen, die mich noch interessiren. Sie haben wohl seine herrlichen Sachen auf der Schack'schen Galerie gesehen? Nicht? Nun, da Sie erst zwei Tage hier sind, soll Ihnen diese Unterlassungssünde vergeben sein. Ich führe Sie hin, ich mache mir gern das Vergnügen, für meine paar Götzen eine stille Gemeinde zu werben.
Zunächst, sagte Felix lächelnd, würden Sie mir einen größeren Gefallen thun, wenn Sie mir etwas von Eduard Rossel zeigten, auf dessen Bekanntschaft man mich sehr begierig gemacht hat.
Meine eigenen unsterblichen Werke! rief der Maler, indem er Jansen mit dem Finger drohte. Ich merke, wer dahinter steckt. Ich kenne die hinterlistigen Cabalen meiner sehr verehrten Freunde, die jede Gelegenheit wahrnehmen, mir meine Unfruchtbarkeit zu Gemüthe zu führen. Ich weiß, daß man es nicht böse meint und mir etwas zutraut; ich soll mich nur schämen, daß ich diese gute Meinung nicht theile, und mich endlich zur Thätigkeit aufraffen. Aber das Alles gleitet am Schuppenpanzer meiner Selbsterkenntniß ab. Ich leugne nicht, daß ich allerlei gute Anlagen zum Künstler habe, Sinn und Verstand und einige Einsicht über die wahren Ziele der Kunst. Es fehlt mir nur leider eine geringe Kleinigkeit: die Neigung, nun auch wirklich etwas zu produciren. Ich wäre sehr dazu geeignet, als ein Rafael ohne Hände auf die Wett gekommen zu sein, und würde dies Schicksal mit der größten Gemüthsruhe ertragen. Aber wollen Sie nicht eine Cigarre anzünden, oder ziehen Sie einen Tschibuk vor? Im Uebrigen wird eine kleine Erfrischung bei dieser tropischen Temperatur –
Er schellte, ohne die Antwort abzuwarten, mit einer kunstreich ciselirten silbernen Glocke. Eine junge Magd von schönem Wuchs und anmuthigem Benehmen trat herein; der Maler sagte ihr ein Wort ins Ohr, worauf das Mädchen nach fünf Minuten mit einem silbernen Brette wiederkam, auf dem eine Strohflasche und einige Gläser standen.
Diesen Wein habe ich selbst aus Samos mitgebracht, sagte Rossel; Sie müssen ihn wenigstens kosten und auf gute Freundschaft mit mir anstoßen!
So lassen Sie mich gleich auf die neue Freundschaft hin sündigen und eine etwas indiscrete Frage thun: wie ist es Ihnen möglich, ein Talent, das Sie sich doch selber zugestehen, wie einen todten Schatz in sich zu vergraben?
Mein Verehrtester, erwiederte der Künstler gelassen, die Sache ist viel einfacher, als Sie glauben. Ich bestrebe mich, wie alle Menschen, sie mögen noch so schöne Worte von Pflicht, Tugend oder Entsagung dabei in den Mund nehmen, so glücklich als möglich zu werden. Das Glück aber besteht, wie ich glaube, in nichts Anderem, als sich einen Zustand, eine Lebensart oder Lebensaufgabe zu schaffen, wobei man sich möglichst auf der Höhe seiner Persönlichkeit, im Vollgenuß seiner eigentümlichsten Kräfte und Gaben befindet. Darum hat jeder Mensch sein eigenes Glück, und nichts ist ein leereres Wort, als daß Einer dem Anderen sein Glück nicht gönnt, oder Andern zuredet, ihre Art, glücklich zu sein, mit der seinigen zu vertauschen. Je mehr Einer durch seine Lebensweise sich selber fühlt als dies besondere Individuum, desto mehr hat die Natur ihren Zweck mit ihm erreicht, und desto zufriedener kann er mit sich selber und seiner Lage sein. Alles Unglück kommt davon her, daß Menschen Dinge treiben, zu denen sie nicht taugen. Wenn Sie einem geborenen Bettlergenie eine Million schenken, machen Sie ihn zu einem unglücklichen Millionär. Er kann sein Talent nicht mehr ausüben. Ein Virtuose im Dulden, ein Säulenheiliger, eine barmherzige Schwester, denen Sie plötzlich ein gesundes und bequemes Leben schaffen, würden sofort um ihr Selbstgefühl kommen und dadurch um ihr Glück. Denn es giebt unbestreitbar Menschen, die sich nur fühlen, wenn sie sich plagen, im gröberen oder feineren Sinne. Solchen ist der Zustand der Ruhe eine Erniedrigung unter ihr eigentliches Wesen, und zu diesen gehören alle wahrhaft productiven Künstler. Arbeiten, etwas Schaffen, was hernach als ein Abbild ihrer Kraft stehen bleibt, dünkt ihnen das höchste Glück, und dieses Glück ist ihnen um so mehr zu gönnen, da die Meisten es überdies zu ihrer äußeren Existenz nöthig haben. Nur sollten sie auch so billig sein und sich in die entgegengesetzte geistige Verfassung hineindenken, in welcher ein Individuum sich seiner Kräfte und Gaben erst recht bewußt wird im freien Spiel einer scheinbar ganz unfruchtbaren Ruhe. Wenn ich auf dem Rücken liege und in den Rauch meiner Cigarre Bilder hineincomponire, oder mir die Werke betrachte, die große schöpferische Menschen vor Zeiten zu Stande gebracht haben, verwerthe ich den in mir begrabenen Schatz, an den Sie so gütig sind zu glauben, auf meine Weise und mache aus diesem Individuum, das seine Freunde einer sträflichen Trägheit zeihen, Alles, wozu es irgend begabt und bestimmt ist, einen ganz harmonischen, glücklichen Menschen. Zuweilen packt auch mich das gemeine Vorurtheil, und ich werde plötzlich ungeheuer thätig. Aber wenn der Paroxysmus höchstens eine Woche gedauert hat, sehe ich mein rasendes Beginnen auf einmal wieder mit klaren Augen an und werfe das unzulängliche Machwerk in eine dunkle Kammer, zu anderen Embryonen unsterblicher Thaten. O mein Verehrtester, es wird so unglaublich viel geschanzt, gescharwerkt und zu Stande gebracht, daß ein stiller, unschädlicher Kunstmensch meines Schlages als heilsames Gegengift gegen diese Epidemie des Thatendranges wohl auch geduldet werden könnte!
Wir wollen diesen alten Zankapfel für heute ruhen lassen, versetzte Jansen lächelnd. Ich gebe meine alte Wette noch nicht verloren, daß dir die mit Sophismen gepolsterte Bärenhaut eines schönen Tages unbequem werden wird und du es auf eine andere Manier anfängst, für dein Glück zu sorgen. Indessen könntest du dich wohl einmal wieder bei mir sehen lassen. Ich möchte wissen, was du jetzt zu meiner Tänzerin sagst, und auch sonst ist noch allerlei Neues inzwischen entstanden.
Ich komme, Hans. Du weißt, wie gern ich in deiner Fabrik das abschreckende Beispiel des Fleißes mir zu Gemüthe führe. Uebrigens – ist nächsten Samstag nicht »Paradies«?
Freilich. Das letzte vor dem Herbst. Die Meisten rüsten sich schon zur Sommerfrische, und in vierzehn Tagen werden wir Drei wohl ziemlich die Einzigen sein, die noch in der Stadt ausharren.
Sie verließen das Atelier, der Maler gab ihnen bis an das Gitter des Vorgärtchens das Geleit und verabschiedete sich aufs Freundschaftlichste von Felix, den er oft zu sehen hoffe.
Was ist es mit dem »Paradies«? fragte dieser, als sie auf der Straße allein geblieben waren.
Du wirst es bald selber kennen lernen. Wir kommen da Einmal in jedem Monat zusammen und suchen uns in die Täuschung zu versetzen, als ob es möglich wäre, mitten in dieser Welt der gesitteten Heuchelei noch einmal in den Stand der Unschuld zurückzukehren. Ein paar Jahre lang ist uns das auch so ziemlich gelungen. Es hat sich da ein Häuflein guter Leute zusammengefunden, die alle gleich tief von der Unersprießlichkeit unserer geselligen Einrichtungen durchdrungen sind. Der Deutsche ist nun einmal kein sociales Geschöpf: was bei den Romanen und Slaven den Reiz der Gesellschaften ausmacht, die Freude am Plaudern um des Plauderns willen, eine gewisse Zierlichkeit im Lügen und zugleich auch die früh anerzogene wirklich humane Discretion und Rücksicht auf den Nächsten, das Alles mag bei uns in einigen Großstädten nach und nach heranblühen. Vorläufig ist es, als dem Genius der Nation nicht entsprechend, überall nur kümmerlich ausgebildet. So hat man auch in unserer Kunststadt, wo von allen Künsten die der Geselligkeit noch am weitesten zurück ist, nur zwischen zwei Uebeln zu wählen: den gewöhnlichen wohlerzogenen Gesellschaften, in denen es auf Essen und Trinken hinausläuft und man selten für den Zwang der gebildeten Langenweile entschädigt wird, oder dem Philisterium hinter dem Biertisch. Wir haben es daher auf eine andere Art versucht, die freilich nur glücken kann, wenn alle Theilnehmer mit dem gleichen Freiheitsbedürfniß auch den gleichen Respect vor der Freiheit ihrer Nebenmenschen verbinden. Wenn Keiner ein Mäntelchen umhängt, sondern sich unbefangen zeigt, wie er ist, darf auch Keiner bösartig über die Blöße herfallen, die sich sein Nachbar etwa geben mag, – und freilich muß ein Jeder im Großen und Ganzen so beschaffen sein, daß er sich allenfalls im Naturzustande sehen lassen kann, ohne Ekel oder Aergerniß zu erregen.