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Die tollen Schattenbilder und die bissigen Epigramme seines neuen Freundes begleiteten Felix die vier Stiegen hinunter. Der Kopf schwirrte ihm davon; sein Herz empfand ein lebhaftes Mitgefühl mit dem wunderlichen Manne. Welch ein Leben! sagte er vor sich hin. Wie viel Kräfte modern und rosten da im Dunkeln! Und wer ist schuld daran – und ich, wer bürgt mir –
Er kam nicht weiter in seinem Selbstgespräch. Als er auf die sonnige Straße hinaustrat, rollte ein Wagen rasch an ihm vorbei, ein silbergraues Schleierchen flatterte darin – im Augenblick waren all seine Gedanken wieder bei Irene. Sie konnte es freilich nicht sein, heute nicht. Aber wenn sie morgen von ihrem Ausfluge wiederkam und so an ihm vorbeifuhr und ihn erkannte – was dann? Was mußte sie denken? Daß er ihr nachgereis't sei und die Gelegenheit suche, sich ihr wieder zu nähern? Nachdem sie ihm den Abschied gegeben! Alles lieber, als diesen Verdacht! Wenn er sich auch nicht ganz schuldlos wußte, sein Stolz war zu tief gekränkt, seine Ehre zu sehr verwundet, um seinerseits ihr einen Schritt entgegen zu thun oder nur den Schein davon ertragen zu können.
Daß sie ihm nicht nachging, nicht die leiseste Ahnung hatte, er könne sich hieher gewendet haben, das bezweifelte er keinen Augenblick. So gut kannte er ihren stolzen Sinn, daß er nur Eins fürchtete: bei der geringsten Spur seiner Nähe würde sie alle anderen Pläne umstoßen und darauf dringen, die Stadt wieder zu verlassen, ja lieber dem italienischen Hochsommer und aller Krankheitsgefahr trotzen, als nur den fernsten Verdacht aufkommen lassen, sie fühle, daß sie ihm zuviel gethan, und wünsche den unglücklichen Brief ungeschrieben.
Aus dieser Noth hätte er sich am einfachsten und zugleich ritterlichsten herausgeholfen, wenn er selbst ihr aus dem Wege gegangen wäre. Dieser Gedanke aber wurde nach kurzem Ueberlegen als völlig unausführbar verworfen. Ein unbezähmbarer Kunsteifer regte sich plötzlich in seiner Seele, ein heftiges Pflichtgefühl Jansen und seiner eigenen Zukunft gegenüber, und so beschämend schien es ihm, den Freund in die guten Gründe einzuweihen, die ihn verlocken wollten, schon jetzt wieder aus der Schule zu laufen, daß er eilig den nächsten Weg nach dem Atelier einschlug, als ob er dort vor allen Anfechtungen und Versuchungen am sichersten wäre.
Blieb ihm doch auch noch ein ganzer Tag, um ernstlich mit sich zu Rache zu gehen, Alles zu prüfen und das Beste zu beschließen.
Als er den Hof betrat, sah er vor der Thür des Hinterhauses einen Wagen halten. Obwohl er wußte, daß es ihr Wagen nicht sein konnte, stutzte er dennoch und winkte den Hausmeister herbei, um sich zu erkundigen, was für Besuch gekommen sei. Eine Dame, nicht jung und nicht alt, mit zwei Herren, und sie hätten Französisch gesprochen. – Das war ihm sehr gleichgültig, und ohne sich länger zu besinnen, öffnete er die Thür von Jansens Atelier und trat ein.
Die Fremden standen gerade vor der Gruppe der ersten Menschen, der Thür den Rücken zugekehrt, und überhörten seinen Eintritt. Jansen warf ihm einen grüßenden Blick zu, und der alte Homo erhob sich langsam von seinem Tigerfell, um den grauen Kopf an Felix' Hand zu reiben. So konnte dieser die drei Besucher mit Muße betrachten. In dem schwarzlockigen Jüngling erkannte er sofort den jungen Griechen aus dem Paradiese, der mit lebhaften Gesten an der Gruppe herumdeutend seine enthusiastische Bewunderung der Dame mitzutheilen schien. Diese stand, eine Lorgnette dicht vor die Augen gedrückt, stumm und regungslos vor dem Werk und schien völlig davon hingerissen zu sein. Sie war mit der einfachsten Eleganz gekleidet, eher klein als groß, das Gesicht so im verlorenen Profil, wie es Felix zu sehen bekam, nicht gerade jugendlich oder von besonderer Schönheit, aber auffallend durch die bleiche Farbe der Haut und einen gewissen geistreichen Zug der leicht aufgeworfenen Lippen.
Auf den ersten Blick erkannte man den slawischen Typus, noch ehe sie den Mund öffnete und in jener weichen Tonart, die den Russen und Polen eigen ist, gegen Jansen ihre Bewunderung aussprach.
Der Herr zu ihrer Linken benutzte die erste Pause, um auch seinerseits zu Worte zu kommen. Es war ein dürrer, ältlicher, nachlässig gekleideter Mann, der beim Sprechen beständig den langen Oberkörper hin und her drehte und die Augenbrauen mit einem seltsamen Ausdruck von Wichtigkeit in die Höhe zog. Auch sein Accent war etwas fremdartig; doch ergab es sich im Laufe der Rede, daß er von Geburt ein Deutscher und nur durch längeren Aufenthalt in Rußland zu diesem Anflug slawischer Aussprache gelangt war. Er hatte sich als Kunstforscher und Professor der Aesthetik eingeführt und erzählt, daß er, auf einer wissenschaftlichen Reise nach Italien und Frankreich begriffen, zu seiner größten Freude und Ueberraschung hier im H6tel mit der Gräfin zusammengetroffen sei, die er als eine eifrige Kunstfreundin schon in Berlin kennen gelernt habe. Obwohl er Italien noch nicht kannte, sprach er von den dortigen Meisterwerken der Bildhauerei mit der größten Sicherheit und schien auch in Jansens Atelier nichts zu sehen, wofür er nicht eine fertige Formel in der Tasche hatte.
Indessen hatte Stephanopulos sich umgedreht, Felix erkannt und sich beeilt, ihn der Dame vorzustellen. Sie ließ ihre scharfen braunen Augen mit sichtbarem Wohlgefallen auf der stattlichen Figur des jungen Mannes ruhen, fragte ihn, wie lange er schon das Glück genieße, der Schüler eines solchen Meisters zu sein, und wünschte seine Arbeiten zu sehen, was Felix höflich aber entschieden ablehnte.
Wissen Sie denn auch, sagte sie mit ihrer tiefen, wohlklingenden Stimme zu ihm, was für ein beneidenswerther Mensch Sie sind? Sie vereinigen die Aristokratie des Bluts und des Talents, und daß Sie sich gerade für die Sculptur entschieden haben, setzt Ihrem Glück die Krone auf. Was ist das Leben, was ist alles andere Glück des Lebens, als eine endlose Reihe von Aufregungen, was sind alle anderen Künste, als Oel ins Feuer, Nahrung für eine leidenschaftliche Seele, die aus dem zerstückelten, hastigen Treiben der Welt sich hinaussehnt und Ruhe sucht im Ideal, und statt der Ruhe nur verklärtere Emotionen findet! Ich drücke mich ungeschickt aus – Sie werden ergänzen, was ich meine. Nun aber die Sculptur – ist sie nicht schon durch ihr Material auf Maß und Ruhe angewiesen, selbst im bewegtesten Spiel der Linien und Formen? Diese entzückende Bacchantin dort, – welcher noch so leichtfüßige und tanzlustige Mensch fühlt bei ihrem Anblick den Tact in den Fußspitzen, wie wenn er einen Tanz spielen hört? Selbst der Sturm und Wirbelwind des höchsten Taumels ist vom Gesetz der Schönheit gebändigt, wie man sich etwa die Idee der fessellosen Lust im Geiste des Weltschöpfers vorstellen mag. Und nun gar diese unaussprechlich herrliche Gruppe der ersten Menschen! Alle Unruhe und alle Noth, alle Schicksale, die der Menschheit beschieden waren, ruhen hier gleichsam im Keim, in der Knospe. Man vergißt all seine kleinen Wünsche und Schwächen vor diesem wunderbaren Werk. Warum aber haben Sie den Kopf Ihrer Eva nicht ausgeführt, verehrtester Meister?
Jansen erröthete flüchtig und erwiederte, er sei über den Typus noch nicht ganz im Reinen. Er war nach seiner Gewohnheit einsilbig und fast linkisch dieser beredten Frau gegenüber. Es fiel aber Felix auf, daß sein Gesicht nicht wie sonst bei lästigen Besuchen von verhaltenem Ingrimm wetterleuchtete, sondern selbst während der weisen Reden des Professors und der hin und her gaukelnden Gedankensprünge der Dame immer die gleiche geduldig lächelnde Miene zeigte. Sie waren zwei Tage lang nicht zusammengekommen. Felix ahnte nicht, was sich inzwischen ereignet hatte, daß die Augen seines Freundes von so unverwüstlicher Milde und Heiterkeit leuchteten.
Inzwischen war die Gräfin beschäftigt, die Bildwerke zu mustern, die an den Wänden des Ateliers herumstanden. Der Professor hatte vorhin die Meinung geäußert, je größer das Genie sei, desto weniger wisse es selbst, was es eigentlich mache, und müsse sich erst von dem Kenner seine eignen Werke ausdeuten lassen; – demgemäß überhob er nun Jansen der Mühe, in seiner Werkstatt den Cicerone zu machen. Besonders die Abgüsse einzelner Körpertheile über dem Leben schienen die Dame zu interessiren, und die sehr schön gebildete Brust eines jungen Mädchens veranlaßte den Professor zu einer längeren Abhandlung über die Formen der Venus von Milo im Vergleich zu der Mediceerin.
Plötzlich wandte sich die Dame zu einer kleinen weiblichen Figur, die noch im Thon auf dem Modellirstuhl am Fenster stand und eine Arbeit der letzten Tage sein mußte, da auch Felix sie noch nicht kannte. Obwohl der Kopf nicht größer als eine Kinderfaust und die Ausführung nur skizzenhaft war, ließ es sich doch auf den ersten Blick erkennen, daß Juliens Bild dem Meister vorgeschwebt hatte. Die schöne Gestalt ruhte leicht zurückgelehnt in einem einfachen Sessel, den rechten Arm, von dem der Aermel zurückgefallen war, auf die Lehne gestützt und die Wange sanft in die Hand geschmiegt, die linke träumerisch herabhangend, daß die schöngebildeten langen Finger noch eben den Kopf des Hundes berührten, der schlafend neben dem Sessel lag. Die Augen waren, wie Julie zu thun pflegte, halb zugedrückt, und so rasch die Züge entworfen schienen, war doch schon der Ausdruck eines sinnenden Horchens, einer ernsten und liebevollen Theilnahme deutlich ausgesprochen.
So hatte sie vor ihm gesessen, als er ihr seine unglückselige Geschichte erzählte. Mitten unter den Erinnerungen an alles Vergangene hatte sein Auge sich an dem Reiz der Gegenwart festgeklammert und mit jener wundersamen Unabhängigkeit des künstlerischen Wesens vom menschlichen, jener Fähigkeit der Sinne, scharf zu beobachten, während die Seele brennt oder blutet, jede Linie der geliebten Gestalt in sich ausgenommen.
Als er dann in sein Atelier gekommen war, wo Felix sich diesen ganzen Tag nicht blicken ließ und Niemand sonst seine Einsamkeit unterbrach, hatte er zuerst nur mit spielender Hand aus einem Klumpen Thon das Bild, das ihn nicht mehr verließ, herauszuformen begonnen, bis er aus dem Spiel Ernst machte und nun in unglaublich kurzer Zeit die ganze reizende Figur zu Stande brachte. Ein Lebenshauch, eine natürliche Anmuth war über diese Arbeit ergossen, noch erhöht durch die zierliche Kleinheit der Maße, daß man an das Märchen von jenem zwerghaften Fräulein erinnert wurde, welches der glückliche Liebhaber im Kasten mit sich herumtrug.
Der Aesthetiker nahm die Gelegenheit wahr, über die sitzenden Statuen von den Agrippinen bis zu Marie Luise in Parma und über die Bedeutung des Portraits überhaupt mehreres Tiefsinnige zu äußern. Stephanopulos war von dem Reiz der Arbeit ehrlich entzückt und machte seiner Bewunderung in lebhaften Ausdrücken Luft.
Die Gräfin hatte eine Zeitlang geschwiegen. So enthusiastisch sie sich über die anderen Arbeiten Jansens geäußert hatte, so schwer wurde es ihr offenbar, eine gewisse Eifersucht Angesichts dieses schönen Weibes zu besiegen. Wie oft hat Ihnen die Dame gesessen? fragte sie endlich.
Er erwiederte mit einem eigenthümlichen Lächeln, daß er die Skizze aus der Erinnerung gemacht habe.
Wirklich? Dann sind Sie mehr als ein Zauberer. Sie beschwören nicht bloß Geister, sondern Geist und Körper zusammen. Man weiß freilich, welcher dienstbare Geist den Künstlern bei diesen Hexenwerken hilft, ein Geist, der alle anderen Menschen beherrscht und nur dem Genie dienstbar sein muß. Oder glauben Sie nicht, Professor, wandte sie sich an ihren Begleiter, daß Rafael und Tizian ihre Geliebten leibhaftiger zu sich herzaubern konnten, als andere Sterbliche?
Der Professor gab einige geistreiche Sätze über die magische Kraft der Phantasie zum Besten, die aber die Gräfin nur mit einem zerstreuten Lächeln aufnahm, da sie wieder ganz in die Betrachtung der Statuette vertieft war. Lebt sie hier und kann man sie sehen? unterbrach sie plötzlich den Redefluß.
Ich glaube, gnädige Frau, Sie würden sich umsonst bemühen, ihre Bekanntschaft zu machen, erwiederte Jansen trocken. Die Dame lebt sehr zurückgezogen, und ich zweifle –
Schon gut, schon gut! Ich sehe, Sie sind geizig mit Ihren Schätzen und wollen das Schönste für sich behalten. Man darf leider dem Genie nichts übel nehmen! Grüßen Sie mir das geheimnißvolle reizende Original und sagen Sie ihm – aber wer spielt dort oben?
Man hörte in diesem Augenblick Röschens Flöte, die schon eine Weile in leichten Figuren präludirt hatte, mit aller Macht und Inbrunst, deren ihr Meister fähig war, eine große Bravour-Arie anstimmen.
Jansen warf Felix einen bedeutungsvollen Blick zu. Dann erzählte er von Rosenbusch so viel als nöthig war, um die Neugier der Dame zu reizen. Als sie sich nun verabschiedete, lud sie den Meister und seinen Schüler auf den Abend zu sich ein. Sie müssen kommen, sagte sie; ich habe Ihnen freilich nicht viel zu bieten, vor Allem keine so schönen Frauen, wie Sie gewohnt sind. Aber wir wollen Musik machen – Sie lieben doch auch die Musik? – und im Uebrigen müssen Sie vorlieb nehmen; ich wohne im Hotel, ein Zugvogel hat kein behagliches Nest. Kommen Sie einmal nach Moskau – ich besitze ein paar gute alte Bilder und auch einige Marmorwerke. Wollen Sie? Wir sprechen noch davon. Also auf heut Abend! Und hier ist meine Adresse, falls Sie so vergeßlich sein sollten, wie Genies und Freunde schöner Frauen zu sein pflegen. Au revoir!
Sie gab Jansen ihre Karte und einen Händedruck, grüßte Felix freundlich und verließ, von ihren beiden Adjutanten gefolgt, das Atelier.
Unser Rattenfänger hat's wieder einmal durchgesetzt, lachte Jansen, als sie jetzt die Fremden die Treppe hinaufgehen und gleich darauf oben die Flöte verstummen hörten. Wenn ich Besuch habe, wird er regelmäßig musikalisch, um daran zu erinnern, daß im oberen Stock auch noch Leute wohnen. Diesmal bin ich ihm ganz besonders dankbar. Wahrhaftig, meine Geduld und Wohlerzogenheit ging auf die Neige.
Der Professor war freilich ein harter Bissen, warf Felix hin. Aber die Dame – obwohl ich genug von ihrer Art kennen gelernt habe, um mich nicht mehr dupiren zu lassen, – bei alledem ist es doch eine Spielart des Geschlechts, die man immer wieder mit Interesse studirt.
Eine saubere Spielart! rief Jansen, und sein Gesicht verfinsterte sich. Lieber will ich den stumpfsinnigsten Eskimo oder Hottentotten vor meinen Sachen sehen, als diese hochgebildeten, emotionshungrigen, künstlich aufgeregten Kunstschwelgerinnen, die doch überall nur sich suchen und einen ernsthaften Menschen mit ihrem eitlen Hemmspielen an dem, was ihm heilig ist, aus der Haut ängstigen. Nichts giebt es, wovor sie verstummen, oder einmal sich selbst vergessen. Wie sie sich für lebendige Wesen nur so weit interessiren, als sie ihren Hofstaat vermehren helfen, so sind auch alle Kunstwerke nur für sie da, so weit sie sich zur Decoration für ihr liebes Ich verbrauchen lassen. Diese hat mich schon vor Jahr und Tag besucht, damals ohne Gefolge, und ich war so unartig, daß ich hoffte, ich hätte es für alle Zeiten mit ihr verschüttet. Aber auch Grobheit reizt diese blasirten Weltdamen, wie Pumpernickel einen Gaumen, der zu viel Marzipan genascht hat. Im Grunde ist ihr die Bildhauerei so gleichgültig wie alles Andere; höchstens das Nackte dabei erregt ihre Phantasie. Und sie sucht auch hier in München ganz andere Dinge, da sie für die neueste Musik Propaganda macht.
Du thust ihr denn doch wohl Unrecht. Gerade weil sie Respect vor dir hat und vielleicht sogar eine heimliche Furcht, bist du ihr interessant. Das gefällt mir wenigstens an diesen Damen, daß sie von Allem angezogen werden, was eine Kraft ist und etwas zu schaffen vermag.
Ja wohl, lachte Jansen auf, bis die Kraft sich zum Fußgestell dieser kleinen unruhigen Füße hergegeben hat; dann wird sie abgedankt. Nein, Bester, diese Kometen sind nur darum nicht so wählerisch, weil sie ihren Schweif vergrößern müssen; ich wette, daß ihr selbst unser harmloses Röschen nicht zu gering ist, ihn ihrem Hofstaat einzuverleiben. Uebrigens treibe sie's, wie sie mag und kann. Was kümmert's uns? Wo aber hast du diese Tage gesteckt? Und wo befindest du dich in diesem Augenblick? Du starrst ja auf die russische Visitenkarte, als wäre dein Geist plötzlich nach Sibirien verzaubert!
Es ist Nichts! stotterte Felix, indem er die Karte wieder hinlegte. (Er hatte den Namen des Hôtels darauf gelesen; es war zufällig dasselbe, in welchem Irene wohnte.) »Gräfin Nelida F–« – ich versichere dich, der Name ist mir ganz unbekannt. Wirst du heut Abend hingehen?
Vielleicht – wenn Nichts dazwischen kommt. Es ist mir jetzt sehr gleichgültig, unter was für Menschen ich mich herumtreibe, seitdem ich –
Er stockte. Sein Auge flog unwillkürlich nach der kleinen Statuette. Dann, nach einer Pause: Höre, sagte er, es ist allerlei vorgefallen, seitdem wir uns nicht gesehen haben. Merkst du gar keine Veränderung an mir? Ich dächte, ich müßte mich um zehn Jahre verjüngt haben.
Felix sah ihn forschend an.
Das könnte Niemand froher machen, als mich, alter Dädalus. Da wir doch einmal darauf zu reden kommen: es hat mich einiger Maßen bedrückt, daß ich – grad heraus – einen Anderen in dir fand, als ich vor zehn Jahren verlassen hatte. Ich dachte immer, ich sei am Ende schuld daran, daß du mir verschlossener und fremder warst, als damals. Wenn du nun wieder der Alte geworden wärst – aber darf ich nicht wissen, wie das gekommen ist?
Noch nicht! erwiederte der Bildhauer, indem er die Hand, die Felix ihm entgegenstreckte, lebhaft ergriff und mit sichtbarer Bewegung drückte. Ich habe noch nicht die Erlaubniß dazu, so sehr mir selbst das Geheimniß auf der Seele brennt. Aber vertraue mir nur, Liebster, es wird nun Alles gut. Ich sage dir, es geschehen noch Wunder und Zeichen; ein dürrer Zaunpfahl schlägt aus und kriegt grüne Triebe und weiße Blüten. Der Winter war ein bischen lang, kein Wunder, daß auch dich hier gefröstelt hat.
Ein Klopfen an der Thür unterbrach ihn. Sie hörten die Stimme des Schlachtenmalers draußen, der lebhaft eingelassen zu werden verlangte.
Jansen zog den Riegel zurück, den er im Unmuth gleich hinter dem Aesthetiker vorgeschoben hatte, und ließ Rosenbusch herein.
Nun? rief er den Freunden entgegen. Was sagt denn ihr zu dieser himmlischen Erscheinung? Hat sie es nicht auch euch angethan? Ein Götterweib, bei meinem Leben! Wie sie mit jedem Wort den Nagel auf den Kopf trifft, einem die geheimsten Intentionen aus der Brust herausholt, daß man nur so Mund und Nase aufsperren und immer bloß nicken und Ja sagen kann! Nicht ein Pferdehuf auf meiner Lützener Schlacht, für den sie nicht das tiefste Verständniß hatte, und wenn sie länger in München bliebe, sagte sie, würde sie mich oft besuchen, um mich arbeiten zu sehen. Ich sei auf dem einzig richtigen Wege; die Kunst sei That, Leidenschaft, Aufregung, ein Kampf auf Leben und Tod, und so Sachen mehr, die mir geradezu vom Munde weggestohlen waren. Ein teufelsmäßig gescheidtes Weib, und auch ihr Reisegefährte scheint ein famoser Kenner zu sein! Ihr seid natürlich auch zu der musicalischen Soirée heut Abend eingeladen. Ich soll meine Flöte mitbringen. Aber ich werde kein Narr sein, mich vor dieser Kunst-Semiramis des Nordens und ihrem Generalstab von lauter Virtuosen zu produciren. Was lacht ihr denn?
Wir lachen nur über die schnellen Fortschritte dieser Kunstfreundin in der Erkenntniß dessen, was Noth thut, versetzte Felix. Hier unten erklärte sie, die wahre Kunst sei Ruhe. Eine Treppe höher war ihr schon Angesichts der Schlacht bei Lützen ein Licht darüber aufgegangen, daß die Kunst nichts Anderes als Kampf und Aufregung sei. Sie haben eine schnelle Bekehrung bewirkt, Rosenbusch. Wenn sie nur auch so dauerhaft ist.
Der Schlachtenmaler schien diesmal für den Humor der Sache verschlossen zu sein. Gleichviel, sagte er, ich bin verteufelt begierig, diese Bekanntschaft fortzusetzen. Warum soll ein geistreiches Frauenzimmer nicht vielseitig sein? Heut Abend um Acht also. Ich werde Sie abholen, Baron. Schade, daß ich mir gerade jetzt Haar und Bart geschoren habe! Ich hätte ihr am Ende doch mehr imponirt mit meiner früheren romantischen Hauptumlockung, als in diesem philisterhaften Kahlmäuser-Aufzug. Indessen – wenn der Geist nur ungestutzt und ungeschoren ist! – und auf alle Fälle wird mein Sammtwamms mich herausreißen.