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Zweites Kapitel.

Auch in Jansen's Atelier war um dieselbe Zeit weniger gearbeitet als geplaudert worden.

Eduard Rossel hatte sich endlich aufgerafft, um den kurzen Weg bis hieher trotz der Hitze zurückzulegen. Ein riesengroßer Panamahut, über den er noch einen hellen Sonnenschirm hielt, beschützte sein Haupt; dazu trug er einen Sommeranzug von schneeweißem Piqué und leichte Schuhe von gelbem Leder.

Er war sehr guter Laune, lobte Felix über die Unverdrossenheit, mit der er an seinem Knochengerüst fortstudirte und trat dann vor die Tänzerin, an welche Jansen eben die letzte Hand angelegt hatte.

Eine ganze Weile stand er stumm davor, dann rückte er einen Stuhl in die Nähe und bat Jansen, die Drehscheibe zu bewegen, um das Werk von allen Seiten betrachten zu können.

Seine Freunde behaupteten, es sei ein Vergnügen, ihn sehen zu sehn. Seine Blicke schienen sich dann an der Form festzusaugen, oder vielmehr sie einzuschlürfen, alle Muskeln seines Gesichts belebten sich, und eine geistreiche Spannung wölbte den etwas schlaffen Mund.

Nun? fragte Jansen endlich; wie scheint dir's denn? Du weißt, ich kann Alles hören.

Est, est, est! Was ist da viel zu sagen? Es hat natürlich gewonnen und verloren, wie das immer geschieht. Die unschuldige Frechheit, das pompejanische Aus-Rand-und-Band-gehn, das mich in der kleinen Skizze entzückte, hat bei der Durcharbeitung im Großen Schaden gelitten. Du könntest vielleicht den Respect vor der Natur ein bischen mehr verstecken. Uebrigens – allen Respect vor dieser Natur! Was hast du denn für ein Modell gehabt? Natürlich immer noch stark idealisirt!

Durchaus nicht. Das reine Facsimile.

Was? dieses Hälschen, diese Schultern, Arme, Brüstchen –

Die gewissenhafteste Abschrift, ohne jede Zuthat.

Der Dicke stand auf. Das muß ich erst sehen, um es zu glauben, sagte er. Höre, dagegen sind ja die zopfigsten Canova's nur armselige Zuckerbäckerei. Und das wollt' ich eben vorhin sagen: das Griechische ist heraus, was in der Skizze war. Dafür aber ist hier eine Grazie, ein Esprit, eine Eleganz in die Form gekommen, dabei doch noch so ganz aus der ersten Hand – finden Sie nicht auch, lieber Baron? – Du bist ein Glücksmensch, Hans, daß dir solche Natur in die Hände läuft. In welchem Garten ist denn dies Kräutlein gewachsen?

Jansen zuckte die Achseln.

Nur heraus mit der Sprache, Neidhart! Du sollst sie mir gar nicht für lange abtreten, nur für einen einzigen Vormittag. Mir spukt gerade eine Composition im Kopf, wozu die Kleine da –

Du mußt dem Glück nur beharrlicher nachrennen, als es das Gesetz deiner Trägheit gestattet, versetzte der Bildhauer ruhig. Diesmal habe ich es auch nicht ohne Mühe beim Schopf gefaßt, und obwohl dieser Schopf sehr dick ist und mit dem schönsten Roth vor mir herleuchtete –

Rothe Haare? Nun helfen keine Winkelzüge, Jansen, nun mußt du sie mir abtreten. Mir schwebt so was vor der Phantasie, seit Wochen schon – so was Waldjüngferliches, Nixenhaftes –

Abtreten? Ueber Die hab' ich keine Gewalt. Freund Felix ist zufällig dazu gekommen, als sie zum zweiten Mal bei mir war. Das hat sie so übel genommen, daß sie seitdem spurlos verschwunden ist.

Wohnt Tugend in dieser schönen Hülle? Um so besser; so wird die Natur sich länger ihrer natürlichen Grenzen erfreuen und diese Tugend auch der Kunst zu Gute kommen. Sage mir nur ihre Wohnung, das Weitere soll meine Sorge sein.

Er notirte sich die Adresse, die mit Kohle an der Wand neben dem Fenster geschrieben stand, und trat dann vor die große verhüllte Gruppe in der Mitte des Ateliers.

Wie weit bist du mit der Eva?

Ich kann sie dir leider heute nicht zeigen, erwiederte Jansen rasch. Sie ist gerade in einem Zustande –

Was tausend, lachte der Dicke, das sieht ja gefährlich aus! Seit wann steckst du denn die Tücher mit Sicherheitsnadeln fest? Sollen dir die Pfaffen nicht daran herumschnüffeln, wenn sie sich aus der Heiligenfabrik hier herein verirren?

Ein Klopfen an der Thür überhob Jansen der sichtbaren Verlegenheit, zu antworten. Die Thür öffnete sich, und Angelica, in der Maljacke und einen Pinsel hinter dem Ohr, wie sie gerade von der Staffelei kam, erschien auf der Schwelle.

Guten Tag, Herr Jansen, sagte sie. Ach, ich störe! Sie haben Besuch. Ich komme später wieder. Ich hatte nur eine Bitte.

Und Sie scheuen sich, vor einem Collegen und Ihrem alten Verehrer diese Bitte auszusprechen? rief Rossel, indem er auf die Malerin zuging und ihr galant die Hand küßte. Wenn Sie wüßten, Fräulein Angelica, wie weh diese unverdiente Kränkung einem fühlenden Herzen thut!

Herr Rossel, versetzte die Künstlerin, Sie sind ein Spötter, und zur Strafe dafür, daß Sie mit einem fühlenden Herzen prahlen, das Sie nicht besitzen, kriegen Sie jetzt etwas sehr Schönes nicht zu sehen. Ich wollte nur Herrn Jansen bitten, mein Bild anzusehen, da gerade die letzte Sitzung ist. Meine Freundin hat es mir erlaubt. Sie weiß, wie wichtig mir sein Urtheil ist.

Wenn ich aber gelobe, sehr artig zu sein und den Mund nicht aufzuthun –

Sie haben eine so einschüchternde Art, die Mundwinkel zu verziehen –

Ich will meinen Hut vors Gesicht halten, nur die Augen sollen über den Rand gucken –

Nun denn in Gottes Namen! Obwohl ich auf Ihre feierlichsten Gelübde nichts gebe. Ich stelle mich unter Herrn Jansen's Schutz, und wenn auch der Herr Baron vielleicht mitkommen will –

Jansen hatte kein Wort gesagt, aber in sichtbarer Hast seinen Kittel mit dem Rock vertauscht und den Staub von den Händen gespült.

Als sie oben in das Atelier eintraten, fanden sie Rosenbusch schon in eifrigster Bewunderung des Bildes, wobei er in seiner ritterlichen Weise sich bemühte, seine Begeisterung zur Hälfte dem Original zukommen zu lassen.

Julie war aufgestanden und neben den Sessel getreten. Als sie statt des Einen, den sie erwartet, Angelica mit dreifachem Geleit zurückkehren sah, schien eine leichte Verlegenheit sie anzuwandeln. Dann aber begrüßte sie die Herren, die ihr die Malerin vorstellte, mit unbefangener Anmuth.

Eine Pause entstand. Jansen war vor das Bild getreten, und bei der großen Autorität, die er in diesem Kreise genoß, wagte selbst Eduard kein Wort zu sagen, ehe er sich geäußert hatte. Es war Jansen's Art, seinen Eindruck nicht 'gleich in Worte zu fassen. Diesmal aber schwieg er ungewöhnlich lange.

Sagen Sie es nur dreist, lieber Freund, fing endlich Angelica an, daß ich da wieder einmal etwas unternommen habe, was nur für seine Kühnheit den Kranz verdient. Wenn Sie wüßten, was für blutige Sottisen ich mir selbst schon ins Gesicht gesagt habe, während ich malte! So schlecht habe ich mich gemacht, mich so heruntergeputzt, daß Homo kein Stück Brod von mir annehmen würde, wenn er es gehört hätte. Und doch, mitten in meinem Katzenjammer hatt' ich wieder ein so unerhörtes Vergnügen an meiner Pfuscherei, daß ich mit dem besten Willen nicht dazu kam, den Muth sinken zu lassen. Wenn meine Freundin nicht zugegen wäre, würde ich Ihnen auch erklären können, woran das liegt. So aber käme es geschmacklos heraus, wenn ich hier vor Zeugen eine Liebeserklärung machte.

Immer noch schwieg der Bildhauer. Endlich sagte er trocken: Sie können ganz ruhig sein, Angelica. Wissen Sie wohl, daß dies nicht nur Ihr bestes Bild ist, sondern überhaupt eine ganz vortreffliche Leistung, wie sie heutzutage nicht allzu oft gelingen?

Das gute, runde Gesicht der Malerin überflog eine dunkle Röthe der freudigsten Beschämung.

Ist das Ihre aufrichtige Meinung? rief sie. O lieber Jansen, wenn das nicht bloß Balsam auf die Bißwunden meines eigenen Gewissens sein soll –

Jansen antwortete nicht. Er war wieder ganz in die Betrachtung des Bildes versunken. Nur selten warf er einen vergleichenden Blick auf das Original, das ruhig danebenstand und an andere Dinge zu denken schien.

Indessen bemühte sich Eduard eifrig, die üble Meinung zu verwischen, die Angelica von seiner kritischen Spottlust gefaßt hatte. Er lobte die Arbeit sehr im Einzelnen, – Zeichnung, Arrangement, die glückliche Farbenstimmung und den einfachen Lichtgang, und was er an Kleinigkeiten der Technik noch auszusetzen fand, diente nur dazu, den Werth seines Lobes im Ganzen zu erhöhen.

Aber wissen Sie, sagte er lebhaft, das ist nur Eine Art, die Aufgabe zu lösen, eine sehr geschickte und talentvolle, aber lange noch nicht die letzte. Was meinen Sie zum Beispiel zu dunkelrothem Sammt, eine leichte goldene Kette um den Hals, im Haar eine dunkle Nelke – à la Paris Bordone? Oder Goldbrocat – ich habe gerade ein prachtvolles echtes Kostüm zu Hause, das mir vorige Woche aus Venedig zugeschickt worden ist – oder auch wieder ganz einfach, das Haar aufgelös't, dunkles Kleid, dahinter ein Lorbeergebüsch –

Und so mit Grazie in infinitum! lachte die Malerin. Du mußt wissen, Julie, dieser Herr hat schon tausend der herrlichsten Bilder gemalt – leider nur fast alle in der Phantasie. Nein, lieber Rossel, wir danken. Wir sind heilfroh, daß wir's auf diese eine ganz bescheidene Art zu Stande gebracht und eine so gute Censur bekommen haben. Meine liebe Freundin, obwohl sie ein Engel an Geduld ist, hat jetzt für eine ganze Weile genug von dem Umgang mit der bildenden Kunst.

O Angelica, seufzte Rossel mit komischem Pathos, Sie sind nur mißgünstig; Sie gönnen das Glück, das Ihnen zu Theil geworden, keinem Anderen. Wenn ich nun einzig auf eine solche Aufgabe gewartet hätte, um endlich einmal auch etwas Unsterbliches zu leisten?

Sie? An Ihnen ist das Unsterblichste Ihre Trägheit! erwiederte die Malerin.

Sie fuhren noch eine Weile fort sich zu necken und zu schrauben, wozu auch Rosenbusch und Felix das Ihrige beitrugen. Nur Jansen fand kein munteres Wort, und auch Julie benutzte ihre Fremdheit, um nur, so weit es die Höflichkeit erforderte, sich an der Unterhaltung zu betheiligen.

Als dann die Männer gegangen waren, blieb es eine lange Zeit ganz still zwischen den Freundinnen. Die Malerin hatte wieder zur Palette gegriffen, um Rossel's Winke sich doch noch zu Nutze zu machen. Plötzlich sagte sie:

Wie hat er dir denn gefallen?

Wer?

Nun, von Einem kann doch nur die Rede sein: von Dem, der am wenigsten sich bemüht, irgend Wem zu gefallen, nicht einmal dir.

Jansen? Ich kenne ihn ja kaum.

Solche Menschen kennt man in der ersten Viertelstunde, wenn man so alt geworden ist, wie wir Beide. Das unterscheidet eben die großen Menschen und die ganzen Künstler von den kleinen und halben: man sieht aus der Klaue den Löwen. Nur ein Blick, und du traust ihm alles Unglaubliche und Uebermenschliche zu.

Ich glaube gar, Liebe, du bist in ihn –

Verliebt? Nein. So gescheidt bin ich denn doch, mir so was Unsinniges nicht einfallen zu lassen. Aber wenn er mir sagte: es wäre hübsch von Ihnen, Angelica, wenn Sie diese Blase voll Kremnitzer Weiß zum Frühstück äßen, oder es einmal probirten mit dem Fuß zu malen – es würde mir ein persönlicher Gefallen damit geschehen: ich glaube, ich besänne mich keinen Augenblick; ich würde denken, er müsse wohl seine Gründe dazu haben, und ich sei nur zu dumm, sie zu begreifen. Siehst du, einen so felsenfesten Glauben habe ich an diesen ganz unerhörten Menschen, so unmöglich scheint es mir, daß er irgend etwas Kleines, Thörichtes oder gar Gemeines begehen könnte. Was Furchtbares, ja! was Ungeheures und Wahnwitziges – das könnt' ich ihm schon zutrauen, und wer weiß, ob er nicht dergleichen schon begangen hat. Er hat etwas von einem kleinen Vesuv, der auch in der schönen Sonne ganz friedfertig dasteht, und alle Welt weiß doch, was in ihm kocht. Von Jansen behaupten seine Freunde, wenn der Berserker in ihm einmal losbreche, sei schlimm mit ihm fertig werden. Ich empfand das im Anfange mit einem sicheren Instinct, und getraute mir in seiner Gegenwart kaum zu niesen. Dann traf ich ihn einmal im Garten bei der Fontäne, wie er seinen Homo kämmte und sich ziemlich ungeschickt dabei anstellte. Da kam er mir so hülflos vor, daß ich lachen mußte und mich zur Kammerjungfer für den Hund anbot, worüber er große Freude hatte. Das brach das Eis zwischen uns, und seitdem nehme ich mir die unglaublichsten Freiheiten gegen ihn heraus, obwohl mir noch immer das Herz klopft, wenn er mich einmal so recht ruhig eine Minute lang ansieht.

Julie schwieg. Nach einer ganzen Weile sagte sie plötzlich: Er hat auch freilich Augen, wie ich sie noch an keinem Menschen gesehen habe. Man sieht es diesen Augen an, er ist nicht glücklich; all sein Genie macht ihn nicht froh. Findest du nicht auch? Wunderbar einsame Augen! Wie ein Mensch, der Jahre lang in einer Wüste gelebt und keine lebendige Seele gesehen hat, nur Erde und Sonne. Weißt du etwas von seinem Leben?

Nein. Er selbst spricht nie davon. Auch keiner von den Anderen weiß, was er Alles erlebt haben mag, eh' er nach München gekommen ist. Das ist nun etwa fünf Jahre her. Aber wenn du jetzt noch einen Augenblick still halten wolltest – so! – es ist nur wegen des Glanzlichtes im linken Auge und der Retouche am Munde –

Dann wurde noch eine Stunde schweigend fortgemalt.


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