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Siebentes Kapitel.

Kaum aber war sie mit sich allein, so wurde zwar der Aufruhr in ihrem Innern nicht auf Einen Schlag besänftigt, aber seltsamer Weise trat alles Peinliche und Kränkende darin zurück, und ein so unzweideutiges Wonne- und Wohlgefühl erfüllte ihre Seele, daß sie selbst, als sie sich's eingestehen mußte, darüber erschrak.

Mit dem besten Willen vermochte sie den heimlichen Unglimpf, der ihrer jungfräulichen Würde angethan war, nicht mehr so übel zu nehmen, wie sie von Rechts wegen gesollt hätte. Es schien, als sei, sobald die Zeugin dieses Frevels ihr aus den Augen verschwunden, aller böse Schein von der Sache gewichen, die nur dadurch überhaupt sträflich und unverzeihlich geworden, daß fremde Augen das streng gehütete Geheimniß einer arglosen Künstlerseele erspäht hatten. Wenn sie jetzt an das Werk zurückdachte, wie es sorgfältig eingehüllt in der öden Werkstatt stand, nur von den Sperlingen umschwirrt und vor jedem verrätherischen Lichtstrahl verwahrt – was war so Sündhaftes daran, daß der Kopf dieser schönen knieenden Gestalt ihre Züge trug?

Beständig schwebte diese Gestalt ihr vor, sie mochte ihren Blick noch so ernstlich auf andere Gegenstände um sich her lenken. Und wenn in dem Werk des Künstlers nichts fertig war, als der Kopf, so that nun ihre Phantasie das Uebrige hinzu, und zum ersten Mal in ihrem Leben sah sie in ihren Gedanken sich selbst, ihre eigene Schönheit, mit anderen Augen als ihren eigenen, denen nichts mehr neu und wichtig daran war. Das herbe Schicksal, das sie während der jugendlichsten Jahre vom Leben abgetrennt, und ihre frühen Erfahrungen, die sie gegen die Männer geringschätzig, wo nicht feindlich gestimmt, hatten ihren Sinn von alle dem entfernt, was eine Mädchenseele in ihrer blühenden Zeit zu beschäftigen pflegt. Es war ihr nie eingefallen, sich selbst gleichsam mit den Augen eines Mannes zu betrachten, da sie keinen wußte, dem zu gefallen ihr der Mühe werth erschienen wäre. Wenn sie ihr Gesicht im Spiegel betrachtete und nicht umhin konnte, sich schon zu finden, machte ihr das so wenig Vergnügen, als wenn sie wie ein weiblicher Robinson auf einer Insel im Ocean sich in einem klaren Wasser bespiegelt und als die Königin einer Wildniß erkannt hätte. Im Zimmer nebenan saß die arme Irre in ihrem Lehnstuhl und nickte ihrer schönen Tochter, der sie das Leben raubte, mit blödem Lächeln zu. Was half ihr da ihre Schönheit gegen das unerbittliche Schicksal?

Manchmal freilich, zwischen Traum und Wachen, in Frühlingsnächten, oder wenn sie eine schöne, leidenschaftliche Geschichte las, war es ihr, als springe der Reif, der sich um ihre Brust gelegt hatte, als schwelle eine heimliche Sehnsucht nach etwas Süßem und Seligem ihr Herz, ein zitterndes Verlangen nach einem unbekannten, ewig versagten Glück. Das aber nahm nie die Gestalt eines Mannes an, den sie lieben und der um ihre Liebe werben möchte. Sie träumte sich dann nichts Besseres, als einzig die Freiheit, sich selbst anzugehören, von der grauenhaften Pflicht losgeschmiedet zu sein, die freilich durch die Gewohnheit minder hart wurde, ja selbst keinen Schauder mehr erweckte, aber sie doch täglich und stündlich gefangen hielt. Wenn diese Fessel von ihr abfiele – würde sie dann die Thörin sein, sich freiwillig in neuen Zwang zu fügen?

Nun aber hatte sie gerade lange genug ihre Freiheit genossen, um sich schon manchmal mit einem stillen Seufzer zu gestehen, daß dieses ersehnte Glück doch nicht so überschwänglich sei, um die Seele wunschlos zu machen. Was sie sich eigentlich wünschen sollte, wußte sie freilich kaum. Sie verfiel auf den Gedanken, wenn sie nur irgend ein Talent hätte, würde diese sehnsüchtige Leere in ihrem Innern ausgefüllt werden. Da sie es nun für zu spät hielt, mit der Musik oder dem Zeichnen anzufangen, gerieth sie auf den Einfall, ihre Gedanken und Stimmungen aufzuzeichnen in einer freien rhythmischen Form, die sie selbst sich dazu erfunden hatte. Es waren durchaus nicht die üblichen Nachklänge aus der Lectüre bekannter lyrischer Poeten, in den hergebrachten, nur hie und da etwas mißhandelten Versmaßen und Strophen. Was sie in ihr geheimes Heft schrieb, verhielt sich zu dieser schulmäßigen Poesie wie etwa das Spiel des Windes auf einer Aeolsharfe zu einer Sonate. Es war ihr aber eine unsägliche Wohlthat, wenn es in ihrer einsamen Seele zu klingen anfing, dann diese auf- und abwogende Gedanken-Melodie zu belauschen und so gut es gelingen wollte, aufzuzeichnen. Das Geheimniß, mit dem sie diese Kunst betrieb, gab derselben einen besonderen Reiz, und manche öde Abendstunde verging auf diese Weise so rasch und anmuthig, wie in der Gesellschaft eines sehr vertrauten Freundes, dem sie ihr innerstes Herz aufschließen durfte.

Als sie aber jetzt nach Hause gekommen war und hastig die Jalousieen geschlossen hatte, um ganz mit sich allein zu sein und über das Erlebte in tiefster Stille nachzudenken, fiel ihr mit plötzlichem Schrecken aufs Herz, daß sie sich gerade in der letzten Woche mit dem verwegenen Manne, der diesen Raub an ihrer Schönheit begangen, auch in ihrem heimlichen Dichten mehr als einmal beschäftigt hatte. Sie hatte sich nicht viel Mehr dabei gedacht, als bei Anderem, was sie in ihrem Tagebuch ausgezeichnet; eine neue Bekanntschaft mehr, die sie gemacht, ein Mensch, der nicht gerade ein Alltagsgesicht hatte und dem alle Anderen in seinem Kreise ohne Neid den ersten Platz einräumten. Aber war es nicht ein wundersames Zusammentreffen, daß dieser Mann sich gerade zu derselben Zeit mit ihrem Bildniß beschäftigt hatte, wo sie den Eindruck, den er auf sie gemacht, in ihrer Weise zu schildern gesucht?

Nachdenklich stand sie auf, um an ihren Schreibtisch zu gehen. Sie mußte an dem Spiegel vorbei, da blieb sie eine Weile stehen und betrachtete sich aufmerksam, gleichsam neugierig, als wäre sie sich nie vorher begegnet und eben erst durch einen Dritten auf sich selber aufmerksam gemacht worden. Aber sie gefiel sich in diesem Augenblick gar nicht. Das Gesicht jener Eva dünkte ihr tausendmal schöner; er selbst mußte das erkennen, wenn er sie neben seinem Werk erblicken und vergleichen könnte. Vor zehn Jahren! sagte sie kopfschüttelnd vor sich hin, da sah ich vielleicht so aus. O die versäumte schöne Zeit!

Dann fing sie doch an, ihr Haar so zu ordnen, wie er das an dem Bildwerk gethan hatte, und fand, daß diese in einen freien Knoten geschlungene Frisur ihr sehr reizend stand. Darüber erröthete sie und wandte sich ab. Immer lebhafter klopfte ihr das Blut am Herzen, als sie jetzt das Büchlein mit ihren Bekenntnissen aus dem Schreibtisch zog und die letzten Seiten wieder überlas. –

Ich glaube gar, ich war auf dem besten Wege, mich in ihn zu verlieben! sagte sie laut vor sich hin, als sie zu Ende war. Und er – nur wie das erste beste Modell hat er mich betrachtet, mein Gesicht studirt, um es mir abzustehlen, alles weibliche Gefühl in mir rücksichtslos verhöhnt. Wenn ich Mehr für ihn gewesen wäre, wenn auch er ein tieferes Interesse an mir genommen hätte – würde er's übers Herz gebracht haben, mich so zur Schau zu stellen, mich in den Verdacht zu bringen, als ob ich – O es ist schändlich! Nie, nie werd' ich ihm das vergessen!

Ein leidenschaftlicher Schmerz, jener Zorn und Unwille, der im ersten Augenblick der Entdeckung sie überkommen, flammte plötzlich wieder in ihr auf. Sie warf das Buch in das Schubfach und verschloß es rasch. Dann ging sie lange durch all ihre Zimmer auf und ab und bemühte sich, mit ihrer Stimmung ins Reine zu kommen.

Es war aber nicht so leicht, wie sie dachte. Zum ersten Mal verstand sie die Stimmen nicht, die durch ihr eigenes Herz zogen, und vermochte auch nicht, sie zum Schweigen zu bringen. Ueber dieses reife, sichere Gemüth war ein Gefühl gekommen, wie sonst nur über ganz jugendliche Menschen in den Zeiten des ersten Safttriebes: jene beklommene Wonne, die fast zum Schmerz wird, die das Herz zu sprengen droht und den Gedanken an Sterben und Vergehen lieblich macht, als wäre der Tod nichts Anderes als ein sanftes Versinken in einen weichen, ganz mit Blumen gefüllten Abgrund.

Ihr Zorn war auf einmal verraucht. Sie bemühte sich, sobald sie das bemerkte, sich ihren Beleidiger in abschreckender Gestalt vorzustellen, um ihn von Neuem zu hassen. Als ihr das nicht gelang, wollte sie auf sich selber zu zürnen anfangen, ihre Weiberschwäche sich vorwerfen, daß sie klein genug denken könne, um sich durch diesen Raub geschmeichelt zu fühlen. Auch damit kam sie nicht weit; immer nur das Eine stand vor ihrer Seele, daß Er in der Welt war und sie, und daß sie Beide zu derselben Zeit an einander gedacht hatten.

Die Thür öffnete sich sacht; der alte Diener trat herein und meldete: Herr Jansen wünsche seine Aufwartung zu machen.


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