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So entsage man endlich diesem unfruchtbaren, kleinlichen, feigen, kindischen Keifen und Zappeln impotenter, dürrer, negativ konservativer Doktrin oder Antipathie gegen Riesenmächte der Zeit … Aufs Allerentschiedenste muß die schwere Verantwortlichkeit, wenn in allen diesen Fragen der Wohnungsreform nichts oder nicht das geschieht, was wirklich konservativ, d. h. kreativ und konstruktiv ist, immer wieder denen zugewiesen werden, welche ihre Stellung als konservative Autoritäten nur dazu benutzen, jede wirklich fruchtbare Entwicklung durch den Bann dürrer doktrinärer Formeln und negativer Kritik, oder durch selbstzufriedenes Ignorieren zu ertöten.
Victor Aimé Huber (1800 bis 1869). Professor an der Universität Berlin, Gründer der konservativen Zeitschrift »Janus, Jahrbücher deutscher Gesinnung, Bildung und Tat« (1845 bis 1848) und der ersten »Berliner gemeinnützigen Baugesellschaft«
Während die staatliche und städtische Verwaltung Berlins sich in Reaktion, Unfähigkeit und geschäftiger Faulheit erschöpfte, erstanden dort eine Reihe von so weitsichtigen Sozial- und Wohnungspolitikern, daß ihre Erkenntnisse und Schriften noch heute Wert behalten, obgleich sie im jeweils entscheidenden Augenblick ihrer eigenen Zeit meist durch die Bürokratie der staatlichen und städtischen Ämter Berlins zur praktischen Wirkungslosigkeit verdammt wurden.
Gegen das Verzweifeln am Vaterland und die Auswanderung, die von Goethe dichterisch verherrlicht wurde, wandte sich der Professor der Berliner Universität Victor Aimé Huber (1800 bis 1869), ein von tiefem politischem und sozialem Verständnis erfüllter Mann. Sein Vater war mit Goethe befreundet gewesen; seine Schwester war die Schwiegertochter Herders. Huber stand politisch am äußersten rechten Flügel. Aber er erkannte weitsichtig den (von den liberalen Arbeitgebern bekämpften) Zusammenschluß der Industriearbeiter zu »Associationen«, nach englischem Vorbild, als notwendige Lösung der sozialen Frage. Er hatte mehr von der Welt gesehen als Goethe; folgende Worte Hubers sind wie eine Antwort auf Goethes amerikanische Auswanderungs- und auswärtige Kolonisationspläne: »Zunächst ist es die innere Kolonisation an geeigneten Punkten, in den Vorstädten großer Städte, auf Knotenpunkten der großen Bahnnetze, in passender Mittelstellung zwischen mehreren Gütern oder Dörfern oder Fabriken, oder als ganz neue Anlagen in manchen, noch den ersten Anbau erwartenden Strecken des nördlichen Deutschlands. Aber auch die äußere Kolonisation ist ein geeignetes, ja für die Zukunft das bedeutendste Feld der Association, wo sie die größten Aufgaben zu lösen, am meisten zur Lösung der sozialen Fragen beizutragen hat. Freilich ist dabei nicht an die, Blut und Geldkapital in Strömen und ohne alle Frucht dem Mutterland entziehende, transatlantische Kolonisation zu denken, sondern an die, Deutschland welthistorisch und naturgemäß angewiesene, Entwicklung nach Südost – an der Donau … Freilich scheint es zu einer gewissen conservativen Orthodoxie zu gehören, daß eben die Auswanderungs- und Colonisationsfrage in ächter Straußenweisheit ganz ignoriert wird.« Diese Worte Hubers wurden geschrieben, bevor es zu spät war, und zeugen von einer im preußischen Deutschland fast unglaublichen politischen Weisheit.
Der neuzeitliche Kampf um die Ausgestaltung der Städte zu segensreichen menschlichen Wohn- und Arbeitsstätten begann in Deutschland naturgemäß später als in den früher von der Industrialisierung erfaßten Belgien, Frankreich und England. Auf dem Gebiet städtebaulicher Organisation waren im Ausland ernste Erfahrungen gemacht, Mißerfolge erzielt und Abhilfen gefunden worden, bevor die Lage in Berlin unerträglich wurde. Es ist beschämend, daß diese ausländischen Erfahrungen und zum Teil erfolgreichen städtebaulichen Anstrengungen in Berlin, wo die Industrialisierung erst seit 1840 um sich griff, eine Wiederholung und Übertreibung der wohnungspolitischen Fehler nicht verhindern konnten. Aber geradezu tragisch ist, daß in Berlin während der kritischen Jahre immer Männer wirkten, die nicht nur die im Ausland gemachten Fehler und ihre Abhilfe genau kannten, sondern die auch den Berliner Wohnungsbau in ähnliche und in schlimmere Fehler hineintreiben sahen, die eindringlich davor warnten und bis zum heutigen Tag bewährte Schutzmittel empfahlen, daß aber ihre Warnungen und ihre hingebende Arbeit unfruchtbar blieben, weil die schlechte politische Verfassung Berlins und die Beschränktheit seiner Verwalter die erforderlichen Taten unmöglich machten oder zuschanden werden ließen.
Der erste und letzte Zweck des Städtebaues ist die Schaffung würdiger Wohn-, Arbeits- und Erholungsstätten. Die ernsten, aber nicht unüberwindlichen Schwierigkeiten, die sich dem gesunden Städtebau plötzlich entgegenstellten, als die neue Industrie gleichsam über Nacht Hunderttausende von Arbeitern in die Städte rief, wurden in London durch Wort, Schrift und praktische Unternehmungen mit nachhaltigem Ernst bekämpft, seit dem Anfang der vierziger Jahre besonders durch den Grafen Shaftesbury und seine Freunde. Die gebildeten Klassen gaben durch eine umfangreiche gemeinnützige Vereinstätigkeit, besonders aber durch eigene hohe Wohnungsansprüche ein Beispiel, das zwar machtlos geblieben wäre, wenn es keine Nachfolge gefunden hätte, dem aber bald zahllose durch die Politik der englischen Liberalen geförderte Baugenossenschaften wirkungsvoll nacheiferten.
Diese wichtigen englischen Vorgänge hatten einen aufmerksamen Beobachter in Louis Napoleon gefunden, der während seiner zweiten Verbannung seit 1838 in London weilte und nach seinem zweiten fehlgeschlagenen Staatsstreich im französischen Gefängnis Gelegenheit bekam, Vorschläge für den Bau von Arbeitersiedlungen auszudenken. Zur Verwirklichung ihrer Einzelheiten machte er nach seinem dritten und erfolgreichen Staatsstreich allerdings keine ernsthaften Anstrengungen, sondern erschöpfte die beinahe übermenschliche Tatkraft seines Seinepräfekten Hausmann in der alle Welt verblüffenden riesenhaften Neugestaltung des alten und des gerade vorher (1841 bis 1845) neu befestigten und dabei stark erweiterten neuen Paris. Im übrigen verließ sich Napoleon III. zur Sicherung seiner politischen Anmaßung auf das Heer und die Außenpolitik, die ihn zu Fall brachten.
In beiden Richtungen regte Napoleon die »führenden Kreise« Berlins zur Nachahmung an. Von der schlechten Berliner Nachahmung des napoleonischen Städtebaues wird im folgenden Kapitel ausführlich die Rede sein. Vergebens versuchte V. A. Huber seine konservativen Parteigenossen über die andersartigen, aber ebenso dringenden städtebaulichen Notwendigkeiten Berlins aufzuklären. Er predigte unermüdlich, daß, wie in Frankreich und England, auch in Deutschland und namentlich in Berlin »die gegenwärtigen Zustände der Wohnungsverhältnisse der Arbeiter, der kleinen Leute, des Volkes, schon jetzt eines der größten und dringendsten sozialen Übel der Gegenwart sind und daß sie es nach Maßgabe der Zunahme der Bevölkerung in zunehmender Progression mehr und mehr werden, wenn nicht baldmöglichst dem Übel mit kräftiger Abhilfe in großem Maßstab praktisch entgegengewirkt wird«. Die Ursache dieses dringendsten Berliner Übels erkannte Huber in einer durch die »Privat-Spekulation« verursachten »tiefen Depravation derjenigen Gewerbe, welche für die Befriedigung des Wohnungsbedürfnisses zu sorgen haben«. Daß diese »tiefe Verkommenheit« des Berliner Baugewerbes großenteils eine Folge der schlechten friderizianischen Hypothekengesetzgebung war, die Bauhandwerker und Baugläubiger schutzlos dem gesetzlich geschützten Bodenwucher auslieferte, ist eine Erkenntnis, die Hubers spätem Nachfolger an der Berliner Universität, Rudolf Eberstadt, vorbehalten blieb. Huber glaubte deshalb an die Möglichkeit, das verkommene Berliner Baugewerbe könne reformiert werden. Er empfahl die Organisation einer »umfangreichen Konkurrenz«, d. h. einer starken, vorbildlichen und maßgebenden Bautätigkeit auf gemeinnütziger, vor allem baugenossenschaftlicher Grundlage mit kräftiger Unterstützung durch private und öffentliche Arbeitgeber sowie mit gesetzgeberischer, verwaltungspolitischer und finanzieller Förderung durch Staat und Gemeinde. Ähnliches haben 1886 der preußische Finanzminister Miquel und Gustav Schmoller gefordert. Doch konnten diese Forderungen erst auf der durch Weltkrieg und Revolution geschaffenen neuen Grundlage, also 80 Jahre nachdem sie zum ersten Male aufgestellt wurden, in nennenswertem Maß verwirklicht werden.
Zur Bekämpfung der Berliner Bodenspekulation und ihrer verderblichen Wirkungen auf den Kleinwohnungsbau forderte Huber ferner »Ansiedlungen rings um die großen Städte innerhalb eines Rayons, dessen Entfernung von den Mittelpunkten der städtischen Industrie mittels Dampfwagen innerhalb einer Viertelstunde zurückgelegt werden kann«. Da die so erschließbaren Geländeflächen nicht etwa ebenso schnell wachsen wie die Entfernung, sondern sehr viel schneller (nämlich im Quadrat der Entfernung), hätte eine umsichtige Regierung Raum für alle Auswanderer schaffen können, die Deutschland als »Kulturdünger« nach Amerika lieferte. Die städtebaulichen Taten, die Huber derart für die jungen Industriestädte und besonders für Berlin forderte, gemahnten nach einem Jahrhundert gefährlicher Vernachlässigung dieser wichtigen Gebiete wieder an das Beispiel der gerühmten hohenzollerischen Dorfgründer und Städtebauer.
Die Neusiedlungen in der Umgebung dachte sich Huber jedoch nicht als Willensäußerung des Königs, sondern, den sozialen Verhältnissen der neuen Zeit entsprechend, sollte ihnen neues Leben und werbende Kraft durch starke, auf freier Selbsthilfe beruhende Genossenschaften mit ausgedehntem Wirkungskreis (Konsumvereine usw.) eingehaucht werden. Huber wurde bei diesem Plan gleichermaßen durch genaue Kenntnis ausländischer Ansätze in dieser Richtung wie durch eine ganz ungewöhnliche Fähigkeit, wirtschaftlich-soziale Möglichkeiten vorauszuahnen, geleitet. In allem, was im elsässischen Mülhausen auf paternalistischer Grundlage mit bonapartistischer Geldunterstützung erreicht worden war, in der damals von ganz Europa bewunderten Arbeitervorstadt Mülhausens, mit Badehaus, Waschhaus, Speisehalle und Schlafstellen, Basar, Lesesaal, Herberge für Wanderarbeiter, Kleinkinderschule, Arzt und Diakonissinnen, in allem entdeckte Huber den schlummernden Grundsatz der Kooperation, den er in England wirksam gesehen hatte und dessen ungeheure Entwicklungsfähigkeit, nach Loslösung von paternalistischen und bonapartistisch-sozialistischen Ideen, auf der Grundlage freier Arbeiterverbände, er eindringlich prophezeite.
Hier drängte Huber tatenlustig aus der Richtung der »organisch-ständischen Neubegründung von unten auf«, von der damals der König von Preußen und sein Bruder Prinz Wilhelm tatenlos träumten. Zwar fühlte sich Huber stets als Konservativer. Aber er wählte den Leitspruch von Kant: »In welcher Ordnung allein kann der Fortschritt zum Bessern erwartet werden? Nicht durch den Gang der Dinge von unten hinauf, sondern durch den von oben herab.« In der Wohnungsreform und in den ansehnlichen Kapitalien, die für sie beschafft werden mußten, sah Huber einen glücklichen Hebel, um von oben her die gewaltige Tätigkeit freier Selbsthilfe in Bewegung zu bringen, die von dem erst entstehenden vierten Stand erwartet wurde: »Die subsidarische Mitwirkung der oberen Stände kann soweit berechtigt sein, als die Unzulänglichkeit der Selbsthilfe zur Erreichung notwendiger und nützlicher Ergebnisse notorisch vorliegt.« Damals hielt es Huber noch für unmöglich, daß der notwendige Zusammenschluß der Arbeiter zur freien Selbsthilfe »von oben her« nicht gefördert, sondern aus politischer Angst »von oben her« gehemmt und daß nicht nur die Arbeiterschaft in staatsgefährliche Opposition gezwungen, sondern auch die Möglichkeit der Wohnungsreform vernichtet oder wenigstens um viele Jahrzehnte verzögert werden sollte.
V. A. Huber fand einen ebenbürtigen Mitarbeiter in C. W. Hoffmann, einem Architekten des preußischen Staatsdienstes. Durch die vereinten Bemühungen beider Männer kam es mitten in der politischen Erregung des Jahres 1847 zur Gründung der ersten »Berliner gemeinnützigen Baugesellschaft«, die mit dem verkommenen Berliner Baugewerbe in »reformatorische Konkurrenz« treten sollte. Der englische Prinzgemahl Albert von Sachsen-Koburg-Gotha, den uns neuerdings der englische Historiker Strachey als einen Staatsmann höchsten Ranges glaubhaft machte, war auch der erfolgreiche Förderer der englischen Wohnungsreform. Er übernahm die Ehrenmitgliedschaft des Berliner Unternehmens, und der »Prinz von Preußen«, der spätere Kaiser Wilhelm I., wurde sein eifrigster Förderer. Die Revolution von 1848 und die Demütigung durch seine Flucht nach England hatten die Augen dieses Prinzen von Preußen wie seinerzeit die Augen Louis Napoleons vorübergehend geschärft. In London hatte er sich eingehend mit den englischen Bestrebungen zur Wohnungsreform beschäftigt. Zwar zeichnete er nach seiner Rückkehr nach Berlin nur für 2000 Taler Aktien der Berliner gemeinnützigen Baugenossenschaft und verpflichtete sich nur zu einem jährlichen Beitrag von 200 Talern, doch übernahm er das tätig wirkende Protektorat der »Baugesellschaft« und erklärte 1851: »Der Argumentation, daß diese Baugesellschaft erst durch eine ausgedehntere Beteiligung des Publikums in den ihr zufließenden Beiträgen ihrer Mitglieder die Mittel erlange, um sich eine nachhaltige Wirkung zu sichern, kann ich durchaus nicht beistimmen, da nach meiner Ansicht erst durch eine Mitwirkung seitens der Regierung eine ausgedehntere Beteiligung des Publikums angeregt wird und deshalb die Regierung darauf bedacht sein muß, durch ihre Hilfe die Teilnahme des Publikums für den Verein zu erwecken.«
Während sich Regierung und Publikum gegenseitig die Verantwortung für die Wirkungslosigkeit der neuen Baugesellschaft zuschoben, führte Prinz Wilhelm regelmäßig den Vorsitz ihrer Generalversammlungen, die mit einem dreimaligen Hoch auf den Prinzen eröffnet und beschlossen wurden. In der Versammlung von 1850 erklärte der Prinz, »daß gerade die Art der Lösung der Aufgabe, wie wir sie hier versuchen, die einzig glückliche ist unter den vielen Versuchen, die man seit der Katastrophe, die uns betroffen, gemacht hat«. Da Prinz Wilhelm kurz vorher beim Niederwerfen der Revolution als »Kartätschenprinz« berühmt geworden war, ist es nicht undenkbar, daß in den Augen der Wohnungsuchenden seine politische Auffassung der schon technisch und sozial mehr als schwierigen Berliner Wohnungsreform geschadet hat.
Die Hauptschuld an ihrer Unfruchtbarkeit lag aber nicht unten, sondern oben. Trotz des von Huber und Hoffmann mit den wärmsten Worten anerkannten »Beispiels der Treue und des Ernstes für die Sache, welches von dem hohen Protektorat gegeben wurde …, wobei der Prinz mit einer Entschiedenheit auftrat, welche auch die kühnsten Hoffnungen befriedigt haben muß«, gelang es dem Prinzen Wilhelm nicht, den muffigen Widerstand der oberen Klassen und namentlich seiner eigenen Umgebung zu überwinden. Alle Bestrebungen, das nötige Kapital flüssig zu machen, scheiterten bei dem damals noch ausschlaggebenden Adel und Beamtentum an jener Verständnislosigkeit für brennende Tagesfragen, die gefährlicher ist als der plumpeste Radikalismus.
Von dem für den Anfang auf eine Million geplanten Aktienkapital der gemeinnützigen Baugesellschaft konnten nur 211 000 Taler aufgebracht und nur 209 Musterwohnungen für 1168 Seelen gebaut werden. Der Durchschnittspreis von 3000 Mark für Wohnungen, deren Grundrisse zwar heute den Meister der neuzeitlichen Kleinwohnungs-Grundriß-Analyse, Alexander Klein, nicht mehr ganz befriedigen können, die aber meist ein geräumiges Zimmer, Kammer, Küche und weitere Nebenräume hatten, war ein Ergebnis, um das Hoffmann und Huber beneidet werden müssen. Allerdings konnten diese »Musterwohnungen« zum Leidwesen Hubers wegen des aufgetriebenen Preises der erreichbaren Bauplätze und der schlechten Verkehrsmittel meistens nicht als Einfamilienhäuser geliefert werden. Zu diesem Mißerfolg äußerte sich Huber gelegentlich einer Studienreise nach Paris, wo er denselben Schlendrian wie in Berlin vorfand: »Übrigens ist das Kasernierungssystem (wie ich mich sattsam überzeugt habe) keineswegs etwa eine Liebhaberei der Arbeiter, sondern nur eine Ausgeburt und gedankenlose, schlechte Gewohnheit der Presse, der öffentlichen Meinung und der von ihr beherrschten Routine.«
Hubers Versuch mit einigen » cottages« in einiger Entfernung vom damaligen Berlin, bei dem Dorf Schöneberg auf der sogenannten »Bremer Höhe«, blieb wirkungslos; Hubers Schwiegervater, bezeichnenderweise kein Berliner, sondern ein Senator Bremens, der deutschen Hochburg des Einfamilienhauses, hatte 3300 Taler dazu vorgeschossen, aber keine Nachfolger gefunden. Auf der Urkunde im Grundstein des ersten Hauses war »die Verwandlung eigentumsloser Arbeiter in arbeitende Eigentümer« »eine der dringendsten Aufgaben der verhängnisvollen stürmischen Gegenwart« genannt worden.
»Hauptsächlich aus Aktionärmangel« siechte die Berliner Baugenossenschaft dahin, und die großen Hoffnungen ihrer Gründer mußten zu Grabe getragen werden. Huber sprach manches kräftige Wort über die träge Gleichgültigkeit der oberen Klassen und über dieses »Geheimratsgeschlecht, das jetzt überall wieder das große Wort hat, … ein gräßliches Geschlecht lebendiger Leichen«. »Jetzt wieder« heißt: nachdem die Beflügelung der Denktätigkeit durch die Revolution nachgelassen hat, genau wie es bald nach 1918 geschah. Von der preußischen Aristokratie, die 1850 schon vergessen, was sie 1848 gelernt hatte, sagte Huber: »Diese Aristokratie, die noch nichts gelernt hat und mit Skorpionen gepeitscht und im Mörser zerstampft werden muß, ehe sie lernt, was Pflicht, Ehre, Vorteil, Existenz von ihr fordert.« Huber brach mit seiner Partei, den Konservativen, deren Impotenz er erkannt hatte, und schrieb sein Buch »Bruch mit Revolution und Ritterschaft« (Berlin 1852). Schon vorher hatte er sein Abschiedsgesuch eingereicht und begab sich auf Studienreisen nach Belgien, Frankreich und England. Als 1865 Bismarck einen Schlag gegen die »liberalen« Peiniger der schlesischen Weber führte, empfahl er »Professor Huber« für den Untersuchungsausschuß. Im übrigen versuchte Huber vergebens die unschätzbaren Ergebnisse seiner Reisen den beamteten Kreisen Berlins zugänglich zu machen. Kurz vor seinem Tode (1869) schrieb er: »Die Leute können sich nicht denken, daß sie von irgend jemand noch etwas Neues lernen können, sondern setzen voraus, daß jeder nur kommt, um sie zu hören und zu bewundern … Dies war schon früher die Berliner Signatur, die aber seit 1866 aufs höchste gesteigert ist.« Nach dem Erfolg von 1866 scheint auch Wilhelm I. seine »gemeinnützige Baugesellschaft« vergessen zu haben.
Dem geistvollen und erfolglosen Kampf Hubers schrieb 1873 der Direktor des Preußischen Statistischen Büros, Ernst Engel, den Nachruf: »Gegen das Jahr 1840 tauchte die Wohnungsnot – und mit ihr die Wohnungsreformfrage auf. Es war V. A. Huber, der sie aufwarf und mit der ganzen ihm zu Gebot stehenden Gefühlswärme und Überzeugungstreue für sie eintrat … niemals bloß kritisierend, sondern zugleich ratend und helfend … So ward Huber gleichsam der Begründer einer jetzt kaum noch zu bewältigenden Literatur über die Wohnungsnot und Wohnungsreform.« Das war 1873! Seitdem ist Hubers Saat erst recht aufgegangen. Die Literatur hat sich vertausendfacht; aber es wurden, sehr spät, auch praktische Wirkungen erzielt.
C. W. Hoffmann, der andere treibende Geist der Berliner Baugesellschaft, ebenso wie Huber ein Mann von Herz und Bildung, sollte früh – so neckte ihn Huber noch – »kraft bürokratischer Weisheit als Wegebauinspektor in die Regionen der Wasserpolacken und Masuren versetzt, die Leiden der Wohnungsnot aus eigener Erfahrung kennenlernen«. Mit Hoffmanns Versetzung fiel auch sein ausgezeichneter Plan eines »Preußischen Musterbauvereins, einer Aktiengesellschaft mit einem bedeutenden Kapital und dem Beruf, überall auf Bestellung gemeinnützige Bauten, namentlich Kleinwohnungen, Wasch- und Badehäuser usw. möglichst wohlfeil und zweckmäßig auszuführen und auch sonst zur Gründung von Baugesellschaften Anregung und Anleitung zu geben«. Ebenso wie Huber schon seit 1837 vergeblich über die »Wohnungsfrage« geschrieben hatte, so hatte auch Hoffmann schon 1841 einen vergeblichen Versuch zur »Bildung eines Häuserbauvereins« gemacht. Gleichzeitig war sein Vorschlag eines Preisausschreibens für Arbeiterwohnungen vom Berliner Architektenverein abgelehnt worden, »weil eine solche Aufgabe zu wenig architektonisches Interesse biete«.
In seiner Schrift »Die Wohnungen der Arbeiter« (1852) kennzeichnete C. W. Hoffmann die arglose Verdummung der Berliner Bürokratie mit den Worten: »Ganz abgesehen von aller anderen Not sind die Wohnungsverhältnisse nicht nur bei den Arbeitern und bei den Ärmsten Berlins, sondern auch in den meisten anderen Volksschichten von der allererbärmlichsten Art, vergiftete Quellen des traurigsten Siechtums für Leib und Seele. Wir wollen den Stab nicht brechen über diejenigen, welche vorzugsweise berufen sind, hier mit aller ihrer Kraft helfend aufzutreten, und dies unterlassen. Sie befördern sogar das Umsichgreifen des Verderbens in einer Weise, welche der Vermutung Raum geben könnte, daß man die ganze Lebenshaltung einzelner Klassen und mit ihr Staat und Kirche, Gesetz und Sitte unterwühlen wolle. Doch aus der Planlosigkeit des Treibens und seinem Zusammenhang mit anderen Erscheinungen der Zeit geht deutlich hervor, daß jene Arbeiten und Maßregeln nur immer den allernächsten, gewöhnlich untergeordneten, meist mehr oder weniger selbstsüchtigen, oft gleichgültigen Zweck verfolgen. Die weiteren Wirkungen aber – wären sie auch noch so verderblich und gefährlich – werden ganz unbeachtet gelassen, oft gar nicht geahnt, so daß von einer bösen Absicht allerdings nicht die Rede sein kann.« Diese Worte C. W. Hoffmanns liefern die erforderliche Erklärung des abenteuerlichen und folgenschweren Unfugs, den bald darauf der Berliner Polizeipräsident mit der Aufstellung des großen Bebauungsplanes verübte, von dem das folgende Kapitel berichtet.