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»Die Provinz« (d. h. Berlin, im Gegensatz zur Reichshauptstadt Wien) »hat der Welt zugleich einen Alexander und einen Salomon in der Person des großen Königs geschenket; dieser unvergleichliche Monarch hat als ein zweiter Alexander den Zweifelsknoten, welchen bisher niemand auflösen konnte, koupieret und das seit 700 (sic) Jahren in Teutschland eingeführte, konfuse römische Recht aufgehoben; zugleich aber, als ein anderer Salomon, ein neues Landrecht aus denen Aschen des in vielen Stücken nicht unvernünftigen römischen Rechtes verfertigen lassen.«
Cocceji über Friedrich den Großen, zur Zeit als Cocceji und Friedrich II. das bewährte deutsche Hypothekenrecht durch ihre höchst gefährliche Teilanwendung römischen Rechtes für immer verdrängten.
Friedrich II., der sich gern rühmte, den Franzosen Elsaß-Lothringen gesichert zu haben, der den deutschen Handel Danzigs vernichtet und den Osten einschließlich Österreich-Ungarns dem Deutschen Reich für immer entfremdet hat, darf also – so wurde im vorigen Kapitel gezeigt – auch als der Vater der Berliner Mietskaserne verehrt werden. Es mag wahr sein, daß der Väter Segen den Kindern Häuser baut. Aber die Mietskasernen, die Friedrich der »Große« den Berliner Kindern baute, waren kein Segen, sondern eine der fluchwürdigsten Formen des großstädtischen Massenpferches.
Es wird selten gewürdigt, daß Friedrich II. durch seine durchaus umstürzende Reform des Hypothekenrechtes ganz eigenhändig die Grundlage für die monströse Entwicklung der Berliner Mietskaserne im 19. Jahrhundert geschaffen hat. Die Hypothekenordnung Friedrichs II. gilt in ihren schädlichsten Grundzügen noch heute. Sie galt lange vor der Einführung des neuen Bürgerlichen Gesetzbuches auch schon außerhalb Preußens. Seit 1896 ist durch das Bürgerliche Gesetzbuch (§ 879) der verhängnisvollste Grundgedanke der friderizianischen Hypothekenordnung von 1748 zum deutschen Reichsgesetz erhoben. Das soziale Elend und der wirtschaftliche Schaden, die Friedrich II. damit über das deutsche Volk gebracht hat, sind so groß und unheilbar, daß sie sogar von einigen unbefangenen Vertretern der amtlichen deutschen Wissenschaft bemerkt werden mußten. 1927 erklärte der Geheime Justizrat Dr. Heinrich Erman:
»Durch die Forschungen der Professoren Eberstadt (Berlin) und Weyermann (Bern) wurde als der ›Sündenfall‹ des preußisch-deutschen Hypothekenwesens das Gesetz Friedrichs II. von 1748 ermittelt, das die bis dahin bestehende absichtliche Zurücksetzung der Bodenkaufpreishypothek gegenüber den Baugläubigern ersetzte durch die noch heut geltende einfache Zeitfolge der Hypotheken. Sie ergab außer schwerster Gefährdung der Baugläubiger auch die frevelhafte Hochtreibung der deutschen Baubodenpreise, die vor dem Krieg für Groß-Berlin zehnmal so hoch waren als für gleichartige Gelände von Groß-London, wie ja auch die Behausungsziffer für London nur den zehnten Teil der Berliner betrug. Unser Hypothekenwesen mit seinen Hypothekenbanken usw. fördert eben die Bodenpreistreibung und den Enghochbau der Mietskasernen statt des volksnotwendigen Weitflachbaues von Kleinhäusern mit Nutzgärten, wie sie jetzt der Artikel 155 der Reichsverfassung als ›Wohnheimstätten‹ für alle deutschen Familien verheißt und fordert. Diese Heimstätten-Verheißung kann erst dann zur Wirklichkeit werden, wenn die verfassungswidrige Bodenpreistreiberei beseitigt worden ist, die heute mittels unseres fehlgehenden Hypothekensystems möglich und zur Regel geworden ist.«
Eberstadts arbeitsreiches Gelehrtenleben war wie ein einziger großer Geisteskampf gegen die furchtbaren Folgen der Kurzsichtigkeit Friedrichs‹II., namentlich gegen das von ihm befohlene sinnlose Zusammenwerfen der Baugeldschulden mit den Bodenschulden, und ein Kampf für die »Rückkehr zu unserem deutschrechtlichen System und dem Grundsatz der Hypothekendifferenzierung«. In seiner »Geschichte des Immobiliar-Kreditwesens in Preußen« hat Weyermann gezeigt, daß die bis 1748 geltende preußische Hypothekenordnung, die von Friedrich‹II. umgestürzt wurde, unendliche Vorteile vor der heutigen friderizianischen Ordnung besaß. Nach überliefertem deutschem Recht sorgte die frühere Ordnung für mäßigen und vorsichtigen Bodenkredit, für die Notwendigkeit, das geliehene Hypothekengeld schnell zu amortisieren, für die Notwendigkeit niedriger Bodenpreise und für mäßigen Bedarf an Besitzkredit.
Friedrichs II. neue Hypothekenordnung übernahm blind schematisch Formeln des römischen Rechtes, ohne die Schutzmaßregeln des römischen Rechtes (die Privilegierung der Bauhypothek) mit zu übernehmen. Friedrichs‹II. Umsturz der alten deutschen Ordnung verwandelte den Bodenkredit in ein Mittel zu gleichsam untilgbarer Dauerverschuldung, die ohne Gefahr für den Geldgeber beständig gesteigert und zum Aufblähen der Bodenpreise benutzt werden kann. Der einzelne Grundbesitzer, der seinen Boden (bebaut oder unbebaut) zu dem aufgeblähten Preis verkauft, kann Nutzen aus diesem schädlichen Gesetz schlagen. Aber der gesamte Stand der Grundbesitzer und erst recht alle Mieter werden schwer geschädigt: »Was der Vorbesitzer profitiert hatte, mußte er oder sein Nachfolger irgendwann in irgendeiner Form zahlen. Regelmäßig war das Ergebnis eine Höherverschuldung des Grundstücks schon beim Erwerb.« Weyermanns eingehende Untersuchungen zeigen, daß z. B. in Berlin bei den Verkäufen von bebauten Grundstücken in der Breiten Straße die Kaufgeldverschuldung gleich nach Erlaß der friderizianischen Hypothekenordnung auf das Siebenfache angewachsen ist. Künftig war es möglich, Kaufgelder als Dauerverschuldung eines Hauses stehen zu lassen und alle kommenden Geschlechter von Mietern zur Weiterverzinsung und zu einer Art nimmer endender pfandbrieflicher Leibeigenschaft zu zwingen.
Es hatte eines gekrönten »Dichters« und »Philosophen« bedurft, um dieses phantastische Übermaß von Unwirtschaftlichkeit und volksfeindlichem Unverstand möglich zu machen. Am 4. März 1881 rief Bismarck im Reichstag: »Mir ist aus statistischen Daten zugekommen, daß der Feuerkassenwert der Berliner Häuser etwas über 1900 Millionen beträgt, die Hypotheken aber, die darauf eingetragen sind, über zwei Milliarden; der Wert unter zwei Milliarden, die Schulden über zwei Milliarden!«
Die Schäden, die Friedrich II. eingeführt hatte, trafen das landwirtschaftliche Kreditwesen ebenso schwer wie das städtische. Im Jahre 1770 schilderte sie von Rohwedel, der Syndikus der Neumärkischen Landschaft, in seiner geheimen Denkschrift an den Justizminister von Fürst. Darin heißt es auch: »Wir sind zu der Gewohnheit geraten, daß unerschrocken Güter mit großen Schulden angenommen werden, ohne daß die Gruft, die wir den Unsrigen, unserm guten Namen, unsern Gläubigern und unsern in besseren Umständen befindlichen Mitbürgern bereiten, von uns wahrgenommen wird.« Diese Gruft hat Friedrich der »Große« gegraben. In dieser Gruft sind die wirtschaftlichen Hoffnungen ungezählter Bauhandwerker und immer neuer kleiner Sparer und – was schlimmer ist – die guten Wohnsitten, die »Wohnungskultur« und die Gesundheit von Millionen Frauen und Kindern Berlins und anderer großer deutscher Städte beerdigt worden. Die große Schuldentilgung der Inflation hat diese Gruft eine Weile vergessen lassen. Aber die auf Grund der friderizianischen Hypothekenordnung erwachsene Mietskaserne ist zu einem deutschen Ewigkeitswert geworden. Treffend nannte Hermann Muthesius die Berliner Mietskaserne eine »Unsumme von Unkultur, wie sie in den Wohnungsverhältnissen der Menschheit noch nicht dagewesen ist«. Aber der »große« König Preußens hatte dafür gesorgt, daß diese unmenschliche »Unsumme von Unkultur« stets neue Opfer fand, die darin wohnen und dafür zahlen mußten. Der wirtschaftliche Ruin, mit dem Friedrichs II. Hypothekenordnung nicht nur die städtischen, sondern auch die landwirtschaftlichen Grundbesitzer unablässig bedrohte, wenn sie nicht irgendwie wachsende Erträge einheimsen konnten, zwang die landwirtschaftlichen Großgrundbesitzer zur unablässigen Vergrößerung ihrer Güter mittels Bauernlegens und lieferte die von der Scholle vertriebenen Bauern unablässig als neues williges Futter in den Rachen der großstädtischen Mietskasernen, deren wirtschaftliche Daseinsmöglichkeit auf diese anhaltende Proletarisierung angewiesen war.
Friedrich der »Große« hat sich, nach Koser, »von der Rechtswissenschaft nie mehr als die allge meinsten Grundbegriffe angeeignet«. Diese Schmeichelei des preußischen Professors ist dahin zu verstehen, daß dem unermüdlichen Gesetzgeber Friedrich II. die all gemeinen Grundbegriffe der Rechtswissenschaft in kaum faßlichem Maße fehlten. Wahrscheinlich ist es unmöglich, gleichzeitig ein so emsiger Rekrutenoffizier, unermüdlicher Briefschreiber, täglich vielstündiger Plauderer, Dichter, Geschichtsschreiber und Musiker zu sein, wie Friedrich II. es tatsächlich war, ohne dabei auf die Einzelstudien verzichten zu müssen, die zur Reform einer schwierigen Gesetzgebung, namentlich in wirtschaftlichen Dingen, erforderlich ist.
Bald nach Antritt seiner Regierung hatte Friedrich II. mit noch kronprinzenhaftem Anfängereifer den bis heute vielgerühmten und wenig gekannten Rechtsreformator Cocceji ermahnt, »die Reform zu fördern«. Drei Jahre nach der Thronbesteigung jedoch, so erzählt Friedrichs Anwalt Koser, »erhielt Cocceji unerwarteterweise den Bescheid, die Sache sei bei den gegenwärtigen Zeitläufen mit Rücksicht ›auf die vielen unlöslichen Schwierigkeiten‹, die sich vor allem aus der Finanzlage des Staates ergaben, ›bis auf gelegenere Zeiten auszusetzen‹. So stockte das Werk von neuem.«
Cocceji, den Koser einen »sanguinischen Neuerer« nennt, hatte unter den preußischen Juristen starke Gegner, wie vor allem den Präsidenten des Oberappellations-Gerichtes von Arnim, die über Coccejis »verunglückte, nur durch Kriecherei vor dem einflußreichen Kabinettsrat Eichel überhaupt durchgesetzte Justizreform« spotteten. Von Coccejis Justizreform wissen auch Eingeweihte meistens nur, daß sie ausschließlich dazu da war, als Beweis für Friedrichs II. väterliche Fürsorge um die Rechtspflege den Ruhm des großen Königs zu vermehren, daß sie im übrigen aber schnell vergessenes und vielfach mit barocken Irrtümern des doktrinären Cocceji beschmiertes Papier geblieben ist.
Die wenigsten ahnen, daß außer der verlorenen, »verunglückten Justizreform«, die ein unpraktischer Jurist entworfen und sein in Rechtsfragen gleichgültiger König vergessen hatte, noch ein »Projectum des Codicis Fridericiani Marchici« von Cocceji hergestellt wurde und nicht seinem Namen gemäß Projekt blieb, sondern Leben und für alle preußischen Lande Geltung bekam, nämlich in der verhängnisvollen Hypothekenordnung von 1748, die auf Coccejis unpraktischem Projekt und seiner Konkursordnung fußt.
Friedrich II. wünschte seit seiner gescheiterten Justizreform nur noch Vereinfachung. Er wollte »alle drei Instanzen in einem Jahre« fertig gemacht sehen, und er hetzte »in hellem Horn« seine Richter mit empfindlichen Strafen. Der Wunsch nach Vereinfachung beherrscht die Hypothekenordnung Coccejis bis zur gefährlichen Oberflächlichkeit. Koser gibt zu: »Wohl wurde dabei bisweilen das Verfahren ein wenig stark abgekürzt. ›Marsch, marsch, was fällt, das fällt‹, soll Coccejis Gehilfe Jariges einmal gesagt haben.« So fiel in der Hitze des Eifers, dem König zu gefallen, auch die grundsätzlich wichtigste Unterscheidung zwischen Bodenschulden und Baugeldschulden unter den Tisch. Sie wurde ersetzt »durch die noch heute geltende einfache Zeitfolge der Hypotheken«, ohne daß Friedrich der »Große«, der sich gerade seine umfangreiche »schmutzige Wäsche« (seine vielen französischen Gedichte) von Voltaire reinigen lassen mußte, geahnt hätte, daß hier über das Wohl und Wehe von mehreren Hundertmillionen Menschen in schludriger Achtlosigkeit entschieden wurde. Hunderte von Millionen Kinder, Frauen, Greise und in ihrer Lebenskraft geschwächte Männer mußten im Lauf der Jahrhunderte durch die Mietskasernen ziehen, die der »aufgeklärte Despotismus« eines in allen Gebieten der Kunst, Wissenschaft, Gesetzgebung und Soldatenschinderei dilettierenden Königs verfügt hat. Wieviel Friedrich II. selber von diesen Dingen verstand, geht aus seiner berühmten Haltung im Prozeß des Müllers Arnold hervor, von der selbst sein Bewunderer Koser zugibt: »Friedrich hat mit seinem Machtspruch in Sachen des Müllers Arnold geirrt, im besten Glauben und aus dem edelsten Beweggrund Unrecht getan.« Und von den Richtern, die als Opfer der Kabinettsjustiz Friedrichs II. ins Gefängnis wanderten, sagt der geschickte Professor Koser: »So haben die Männer von 1779 in ihrem Männerstolz vor Königsthronen nicht geschickt, nicht klug gehandelt, aber untadelhaft, überzeugungstreu, gerecht.« Einer dieser »untadelhaften« Richter, der Regierungsrat Neumann, hinterließ erstaunliche Aufschlüsse über Friedrichs II. Vertrautheit mit seinen einschneidenden königlichen Rechtsreformen. Der »untadelhafte« Neumann erzählte in seinem Tagebuch: »In der ersten Hitze hat der König nur gegen den einzigen General von Buddebrock geäußert, es hätte ihm sehr geärgert, daß die Neu-Märckische Regierung das Römische Recht und mehr Sachen allegirt, die er gar nicht verstände, da er doch den Codicem (Fridericianum Marchicum) publiziren lassen – worauf ihm dann dieser geantwortet, der Codex enthalte nur eine Proceßordnung; welches der König schlechterdings nicht glauben wollen, worauf der v. B. den Codicem hohlen laßen und es dem König nach gewiesen: dieser hat hierauf sehr gelärmt, daß man ihm bisher weiß gemacht, der Codex entbleite die Entscheidung aller möglichen Rechtsfälle.«
Nachdem Friedrich II. damals seinen Großkanzler ohne Grund beschimpft und Knall und Fall entlassen hatte, erließ er am 14. April 1780 die Kabinettsorder, mit der er und der neue Großkanzler wieder einmal den lange vergessenen Versuch einer Gesetzesreform erneuerten, obgleich der König noch drei Jahre vorher befriedigt geschrieben hatte: »Die Gesetze sind hierzulande hinreichend weise geordnet. Ich glaube nicht, daß man nötig hat, sie zu überarbeiten.«
Von dem nie wiedergutzumachenden Schaden, den Friedrichs II. schuldlose Machtfülle und widerstandslose Unwissenheit dem Berliner Wohnwesen zugefügt haben, ist nur selten die Rede, obgleich im Vergleich damit seine vielbesprochenen Berliner Mietshausbauten ziemlich belanglos sind. Von 1769 bis 1786 baute er in den alten Stadtteilen Berlins beinahe 300 seiner drei- und viergeschossigen Häuser. Von ihnen standen 15 vierstöckige in der Königstraße und 75 in der Leipziger Straße.
Noch eifriger als Friedrich II., der also etwa 17 Wohnhäuser im Jahr errichtete, setzte anfangs sein Nachfolger diese Baupolitik fort. Dieser Friedrich Wilhelm II. baute in den ersten beiden Jahren seiner Regierung je 50 Häuser; da er aber noch keine Schlachten gewonnen oder verloren hatte, brachte ihm auch die dreifache Bauleistung weniger Ruhm als die einfache seinem blutigen Vorgänger.
Da Friedrich II. den Hauptstraßen Berlins durch hohe Häuser ein großstädtisches Aussehen geben zu können glaubte, ließ er seine Wohnbauten auch nach seinen eigenen oder von ihm genehmigten Fassadenentwürfen ausführen. Die Grundbesitzer wurden nicht gefragt. Dann beklagte der König sich – das Folgende sind seine eigenen Worte –, daß die »unruhigen und querulierenden Einwohner von Berlin meine Gnade zu sehr mißbrauchen und sie mir sogar mit Undank belohnen und sie mit Verdruß verbittern«. Nach Friedrich Nicolais zeitgenössischen und vertrauenswürdigen Angaben scheint allerdings die Bürgerschaft der Willkür des Königs gewachsen gewesen zu sein. Eine Gruppe geschickter Bau- und Maurermeister scheint sich oft rechtzeitig in den Besitz der Häuser gesetzt zu haben, deren Abbruch und Neubau Friedrich II. gerade plante.
Wenn der König trotz seiner Ungeschicklichkeit auch auf wohnungspolitischem Gebiet einen scheinbaren Erfolg erzielte, so war es, weil die Bevölkerung Berlins unter seiner drückenden Regierung nur noch wenig wuchs; es war deshalb nicht schwer, ihr Wohnungsbedürfnis zu befriedigen. Während sich die Bevölkerung Berlins von 1685 bis 1709 verdreifacht (von 18 000 auf 56 000 Köpfe) und von 1720 bis 1754 noch einmal verdoppelt hatte (von 65 000 auf 125 000 Köpfe), ging sie während des dritten Schlesischen Krieges auf 119 000 zurück und vermehrte sich auch in den 15 Jahren des folgenden Friedens kaum. Friedrichs Kriege hatten dem Land zu schwere Wunden geschlagen, und seine in vieler Hinsicht schädliche und handelsfeindliche Wirtschafts- und Steuerpolitik sowie die Lasten, welche die rasche Vermehrung des Heeres mit sich brachte, führten zwar zur Vermehrung der Berliner Soldatenschaft um 14 000 Köpfe, aber die Bürgerschaft nahm zwischen 1769 und 1786 nur um 8000 Köpfe zu, und sie ging Anfang der siebziger Jahre sogar zeitweilig zurück. So stieg auch die Berliner Behausungsziffer trotz der mangelnden Stadterweiterung nicht mehr so schnell wie vor dem Siebenjährigen Krieg. Es kamen im Jahre 1784 auf jedes Gebäude 21,8 Menschen und sogar nur 16,8, wenn man die Soldaten, die jetzt zum Teil schon in Kasernen lagen, nicht mitrechnet.
Aber auch mit nur 114 000 Zivilisten war Berlin dank seiner 33 600 Köpfe zählenden Militärbevölkerung beim Tod Friedrichs II. eine der größten europäischen Städte. Mit seinen Soldaten hatte es ungefähr ebenso viele Einwohner wie Madrid und Rom. Seine Einwohnerzahl wurde nur von Wien und Amsterdam (die etwa 200 000 Einwohner zählten), von Paris (600 000) und London (800 000) übertroffen. Das polizeilich und militärisch so hochgradig überwachte Berlin war vorläufig auch noch eine verhältnismäßig gesunde Stadt, vorausgesetzt, daß die Berechnung des Berliner Statistikers Süßmilch richtig ist, der allerdings nicht nur Statistiker, sondern auch einer der eifrigsten und orthodoxesten Geistlichen gewesen ist und der als Zensor im Dienste Friedrichs II. den Druck von Lessings »Fragmenten aus den Papieren eines Ungenannten« in dem unfreien Berlin verboten hat. Diesem Süßmilch zufolge hatte Berlin vor dem Ausbruch des Siebenjährigen Krieges eine geringere Sterblichkeit als die anderen Großstädte. Die Sterblichkeit in Berlin betrug nur 36, in den übrigen Großstädten aber 40 bis 50 vom Tausend. Einen starken Gegensatz zu Berlin bot das in seine Festungswälle gepreßte Wien, wo die Sterblichkeit Ende des 18. Jahrhunderts 53 vom Tausend betrug, obgleich Wien nicht mehr erheblich größer war als Berlin. Diese Überlegenheit Berlins darf vielleicht als ein Ergebnis der unermüdlichen Stadterweiterungs- und Baupolitik der Vorgänger Friedrichs II. angesehen werden. In allen Großstädten überstieg im 18. Jahrhundert regelmäßig die Sterblichkeit die Zahl der Geburten. Nur in Berlin gab es – so berichtet Nicolai – einzelne Jahre (1777, 1780, 1781, 1782), in denen die Geburtenzahl die Zahl der Sterbefälle übertraf, wobei allerdings die große Zahl von Soldaten, die als gesunde Erwachsene außerhalb eingefangen und in die Berliner Kasernen gesperrt wurden, eine vielleicht entscheidende Rolle spielte. Hätte man unvorsichtigerweise etwa die Verluste der Berliner Garnison in Friedrichs II. Kartoffelkrieg gegen den deutschen Kaiser (1778 bis 1779) in die Berliner Bevölkerungsstatistik mit eingerechnet, dann hätte sich Berlin als eine sehr lebensgefährliche Stadt entpuppt. In diesem schlachtenlosen Krieg wurden die preußischen Gesamtverluste, allerdings einschließlich der in Friedrichs II. Heeren immer besonders zahlreichen Fahnenflüchtigen, auf 25 000 Mann geschätzt.