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Das brandenburgische Haus, die preußischen Adler sollen herrschen, sollten auch Millionen darum bluten und elend sein.
Ernst Moritz Arndt (über Friedrich den Zweiten)
O wie schön christlich der Papst uns verlacht,
Wenn er zu seinen Wälschen sagt:
Nun, hab' ich's gut gemacht?
Ich habe zwei Tedeschi unter eine Kron' gebracht,
Damit sie das Reich zerstören und verwüsten.
Walther von der Vogelweide (nachdem der Papst Friedrich den Zweiten zum Gegenkaiser gemacht hatte)
Besser als unter dem »Großen« Kurfürsten gedieh Berlin unter dem buckligen Kurfürsten, seinem Sohn. Dieser Friedrich III., der sich bald zum »König« machte und sich dann Friedrich I. nannte, vermeinte, damit »nur das, was sein Vater begonnen und gewollt hatte, zum Schluß zu führen«. Die Folgen des ererbten Größenwahnsinns wurden gewaltig, für Berlin und für Deutschland. Auch ist bis in die Zeit des letzten preußischen Königs in Berlin niemand mit gewaltigeren Schmeicheleien gefeiert worden als der erste »König in Preußen«. Er hat zwar später den Ruf der Größe verloren, den auch blutigere Fürsten schließlich nicht immer bewahren; aber zu seinen Lebzeiten wurde der königliche Hof des armen Preußen einer der glanzvollsten Europas, und einige Strahlen dieses Glanzes durchbrechen noch heute das Grau des Berliner Himmels. Aus Frankreich schrieb damals die Pfalzgräfin Liselotte mit Erstaunen über den Berliner Aufwand; denn in Versailles lebte der kurz vorher noch »große« Ludwig XIV. bereits in strengster Frömmigkeit und ließ auf 42 Jahre königlicher Pracht 30 Jahre klösterlicher Zurückgezogenheit folgen. Die Mode königlicher Pracht war – nach dem Einströmen großer Reichtümer aus eigenen, fremden oder gar überseeischen Ländern – in Madrid, Paris und Wien erfunden und zu einem geistreichen Spiel gesteigert worden, dessen Leidenschaft unermeßliche wirtschaftliche Werte vernichtete, aber eine Zeitlang auch unermeßliche kulturelle Werte schuf. Nach dieser Leistung war die prächtige Mode an »den politisch führenden Höfen wie ein lästiges Kleid wieder abgelegt worden. Aber sie erwies sich dann noch als sehr brauchbar für die Zwecke der Kirche und der jesuitischen Propaganda.
Auch in den geistigen Provinzen des habsburgisch-bourbonischen Absolutismus, zu denen mit anderen kleinen Höfen auch Berlin gehören wollte, wurde sie begierig nachgeahmt und ins Groteske verzerrt. Ähnlich sind einst die prächtigen Kleider der Städter von Bauern bewundert und nachgeahmt, in phantastische Bauerntrachten verwandelt und schließlich dem »Heimatschutz« anvertraut worden, nachdem die Städter selbst schon lange zu viel einfacherer Kleidung übergegangen waren. In Berlin hat zwar der zweite König, der bauernschlaue Friedrich Wilhelm I., die königliche Pracht durch Bier und Tabakspfeife ersetzt. Aber noch Friedrich der »Große«, obschon er gern den »Philosophen« spielte, wetteiferte beim Bau seines »Neuen Palais« mit dem spanischen Escorial, kopierte noch als Greis die Pracht des alten Wiener Barock und ist in Berlin nie anders als sechsspännig gefahren.
Unter dem ersten »König in Preußen« fiel die Entscheidung, die Berlins künftige Erscheinung und seine Rolle im Leben Deutschlands bestimmen sollte. Das steinerne Berlin wurde zum Ausdruck großer geistiger und politischer Erlebnisse und Enttäuschungen. Vorher war das Gesicht von Paris und London durch größere politische und geistige Entscheidungen bestimmt worden. In Paris und London haben sich die katholischen und protestantischen Kräfte zu der gallikanischen und der englischen Kirche und zu wichtigeren nationalen Einheiten zusammengeschlossen. In London, nach dem großen Feuer von 1666, hat ein Zeitgenosse Schlüters und des ersten Preußenkönigs mit 60 neuen Kirchen und öffentlichen Gebäuden die klassische Baukunst Englands und die bauliche Erscheinung der neuen Hauptstadt der Welt bestimmt. In Paris begleitete der Bau des neuen Louvre (seit 1666) und der festlichen Königsplätze Victoires und Vendôme den Sieg der klassischen Baukunst Ludwigs XIV. und seine Niederlage im Kampf um die Universalmonarchie. Die französische Staatskunst hatte sich zu ihrem Verderben in barocke Ausschweifungen verirrt, die den Engländern und vorübergehend auch den Deutschen den Sieg brachten, obgleich in Berlin der »Große« Kurfürst die barocken politischen Torheiten Ludwigs XIV. mitgemacht und nachgeahmt hatte. Aber in Paris und London haben Sprache und Literatur, Baukunst und die ihr dienenden Künste das barock Ausschweifende überwunden und nationale Höchstleistungen ermöglicht.
In Deutschland dagegen waren die protestantischen Kräfte zu schwach, um sich in der Hauptstadt durchsetzen zu können. Zwar war Wien mit seiner großen Verteidigung Deutschlands gegen Franzosen und Türken »in den Mittelpunkt der siegverheißenden Bewegung getreten« und hatte »in der Größe wahrhaft welthistorischer Aktion« Frankreich den Rang abgewonnen (B. Erdmannsdörfer). Trotzdem blieb in Wien das Barocke und Katholische überwiegend. Es gedieh im Anfang des 17. Jahrhunderts namentlich in der Baukunst zu fast überreicher Blüte. Damals wurde dort neben zahllosen barocken Kirchen und Adelsschlössern das unaussprechlich schöne Sommerschloß des größten deutschen Feldherrn, Prinz Eugens, und auch jener Entwurf für eine Schauseite des Kaiserschlosses geschaffen, den Friedrich der »Große« 80 Jahre später beim Bau seiner Berliner Bibliothek nachahmte. Zur Zeit seines Großvaters, des ersten Königs in Preußen, entschieden sich in Berlin die großen deutschen Fragen: war Berlin auf derartige verspätete Nachahmung angewiesen oder würde Berlin eine eigene Kunst, eine strengere und mächtigere Geisteshaltung finden und sichtbar machen können als Wien? Würden sich in Berlin ähnlich wie in London und Paris, und vielleicht gar besser als in London und Paris, das geistige und sinnliche Wollen eines großen Sprachgebietes, die protestantischen und katholischen Kräfte der werdenden Nation zu machtvoller Einheit, zu vollendeter Form und sichtbarer Schönheit zusammenfassen lassen? Würde es auf die Dauer nützlich oder schädlich sein, daß Berlin im Schutz des Kaisers und des Prinzen Eugen (den Friedrich der »Große« den »wahren Kaiser von Deutschland« nannte) friedlich und besonders schnell gerade in jenen schwersten Jahren wachsen konnte, in denen Deutschland vor der Katastrophe der Bürgerkriege von 1740 bis 1779 zum letzten Male seine Stellung als Großmacht ruhmreich verteidigte? Sollte das junge Berlin eine neue, eine bessere Stadt werden als die alten Städte Europas? Von den damals gemachten Berliner Anfängen waren einige vielversprechend; sie bewahren bis heute hohen Wert und sichern ihrem Förderer, dem ersten Preußenkönig, den Rang des kulturellen Führers der Hohenzollern.
Die großen Steuererleichterungen und sonstigen Vorrechte, durch die der »Große« Kurfürst und seine Frau ihre neuen Berliner Privatstädte für gebildete Ausländer einigermaßen bewohnbar gemacht hatten, bewirkten, daß namentlich die »Neustadt«, d. h. die neue Dorotheenstadt, sich als »le quartier des nobles«, d. h. als Heim französischer Einwanderer, entwickelte im Gegensatz zu der Altstadt, wo die eingeborenen und steuerbelasteten Berliner ihre Häuser der militärischen Einquartierung ausliefern mußten. Zu Ehren der noblen Ausländer hatte der »Große« Kurfürst sogar schon versucht, aus der Straße »Unter den Linden« die Misthaufen vor den beiderseitigen Häusern und die Schweine fortzuschaffen, die den Mittelgang der Allee aufwühlten. Die Schweine wühlten aber auch nach dem Tode des »Großen« Kurfürsten noch weiter und benagten die Rinde der Linden. 1680 war ein Gassenmeister eingesetzt worden, der täglich mit zwei Abfuhrkarren durch die Straßen zog und von jedem Haus, wo er etwas aufzuladen fand, für eine volle Ladung einen Groschen sechs Pfennig, vom Kurfürsten selbst aber jährlich 52 Scheffel Korn und freie Wohnung erhielt. Wer vor seinem Haus nicht gekehrt hatte, dem warf der Gassenmeister den Kot ins Haus. Die Pflasterung Berlins war im argen geblieben. Der »Große« Kurfürst hatte in seiner barocken Frömmigkeit an einen Zusammenhang zwischen Pflaster und Laster geglaubt; er hatte deshalb die Gotteslästerungen seiner Untertanen mit Geldbußen bestraft, deren Ertrag für die Pflasterung der hauptstädtischen Straßen dienen sollte. Aber die erschöpfende kurfürstliche Dauereinquartierung hatte die Untertanen so gottesfürchtig gemacht, daß die meisten Straßen Berlins wie der Weg zur Hölle mit guten Vorsätzen gepflastert blieben. Nach verschiedenen großen Bränden hatte der »Große« Kurfürst Feuerlösch-Ordnungen und Verbote der lehmernen und hölzernen Schornsteine erlassen. Seit 1679 sollte nachts aus jedem dritten Hause eine Laterne mit brennendem Licht herausgehängt werden. Seit 1682 wurden trotz der Bewohner, welche die Kosten scheuten, die Laternen auf Pfähle gesetzt.
Diese und ähnliche Fortschritte und Absichten übernahm der Nachfolger des »Großen« Kurfürsten und verlieh ihnen allmählich Wirklichkeit. Nach und nach wurden alle Scheunen aus den Ringmauern, die Schweinekofen aus den Straßen entfernt und schließlich sogar das Halten von Schweinen in der Stadt ganz verboten. Zusammen mit solchen Fortschritten wuchs die französische Gemeinde. Im Jahre 1677 wurden in Berlin erst 600, 22 Jahre später schon 5682 Franzosen gezählt. Dazu kamen die zahlreichen Franzosen im Heer, so daß vorübergehend fast ein Drittel der Gesamtbevölkerung Berlins Franzosen waren. Sie wurden nicht gehemmt durch die unwürdigen Gesetze, unter denen die unterworfenen Berliner Bürger leben mußten, und genossen Selbstverwaltung wie freie Menschen. Unter der Regierung ihres neuen buckligen Herrschers begannen diese französischen Flüchtlinge, Berlin zu einer Kolonie französischen Geistes zu machen, dem die entmannte deutsche Bürgerschaft keine heimische Kultur entgegenzustellen hatte. Diese französische Immigranten-Kolonie vermochte die damals nach Berlin heiratende Mutter Friedrich des »Großen« und ihren bald darauf heranwachsenden Sohn so widerstandslos gefangenzunehmen, daß ihm sein Leben lang alles eingeborene Berlinertum – vielleicht mit Recht – verächtlich und dann auch alles Deutsche, das mit Berlinertum wenig zu tun hatte, verhaßt und sogar politisch bekämpfenswert schien.
Sein Vater und Großvater aber sträubten sich noch und blieben in ihrer Politik meist deutsch und reichstreu. Wenn beide heute nicht mehr groß genannt werden, sondern wegen mangelnder blutiger Taten dem Fluche der Lächerlichkeit verfallen sind, so haben doch Friedrich I. und sein Sohn Friedrich Wilhelm I. für die Entwicklung Berlins mehr getan als irgendein anderer Hohenzoller. Aber dieser Sohn, der friedliche »Soldatenkönig«, vermehrte die Bevölkerung Berlins, ähnlich wie der »Große« Kurfürst, vor allem durch eine ungeheuere Vermehrung des stehenden Heeres, das mit seinem Troß von Beamten, Weibern, Kindern und Lieferanten großenteils in Berliner Quartier gelegt wurde. Der »Große« Kurfürst hat beim Regierungsantritt ein Söldnerheer von 6100 Soldaten vorgefunden und bei seinem Tode 29 000 Mann hinterlassen; er vermehrte sein Heer um 22 900, seine Hauptstadt um 11 500 Köpfe (von 7500 auf etwa 19 000 Einwohner). Berlin wuchs also nur um die Hälfte der Heeresvermehrung. Sein Nachfolger, König Friedrich I., vermehrte sein Heer nur um 1000 Mann (von 29 000 auf 30 000); aber seine Hauptstadt wuchs friedlich um das Einundvierzigfache der Heeresvermehrung, also um 41 000 Köpfe (von 19 000 auf etwa 60 000, oder um 216 v. H.). Unter seinem Sohn wuchs Berlin nur um 40 000 Einwohner (um 65 v. H.); aber gleichzeitig vermehrte dieser »Soldatenkönig« sein Heer von 30 000 auf 72 000, also um 42 000 Mann (oder um 140 v. H.); Berlin wuchs wieder vor allem durch Heeresvermehrung, aber es wuchs weniger als das Heer. Friedrich der »Große« schließlich vermehrte das Heer von 72 000 auf 200 000, also um 128 000 Mann. Gleichzeitig wuchs die Einwohnerzahl Berlins nur von 100 000 auf 150 000; das Heer nahm um 178 v. H., Berlin aber nur um 50 v. H. zu. Dabei hat König Friedrich I. nur 25 Jahre geherrscht, während sein Sohn 27 und die beiden »großen« Hohenzollern 46 und 48 Jahre lang ihren Willen haben durften. Nachdem Friedrich der »Große« schon länger geherrscht hatte als Friedrich I., war die Einwohnerzahl Berlins nicht größer, sondern infolge des Siebenjährigen Krieges sogar kleiner geworden und konnte sich erst nachträglich wieder erholen.
Mit seiner Friedensleistung für Berlin ist also König Friedrich I. seinen Vorgängern und Nachfolgern weit überlegen. Es ist begreiflich – da fürstliche »Größe« und Kriegslust sich meist decken –, daß der »große« Friedrich II. mit Verehrung von seinem Vater, dem »Soldatenkönig«, und mit Verachtung von seinem Großvater, dem ersten König in Preußen, spricht. Auch Bismarck sagte: »Friedliebende, zivilistische Volksbeglückung wirkt auf die christlichen Nationen Europas in der Regel nicht so werbend, so begeisternd wie die Bereitwilligkeit, Blut und Vermögen der Untertanen auf dem Schlachtfeld siegreich zu verwenden.« Aber sogar das Verdienst der »zivilistischen Volksbeglückung« wurde dem ersten König von seinem unchristlichen Enkel bestritten. Friedrich II. pflegte in einer einzigen seiner ein- oder zweitägigen Schlachten jeweils 10 000 bis 20 000 Soldaten zu verlieren und sich, der Anekdote nach, mit der falschen Rechnung zu trösten: »Eine Nacht in Berlin macht diese Verluste wieder gut.« Aber es war ihm Ehrensache, seine Soldaten eigenhändig zur Schlachtbank zu führen und seine eigenen Länder verwüstet zu sehen, und er nährte gegen seinen Großvater, der das lieber den Nachbarn gönnte, einen aufrichtigen Groll. Friedrich II. mußte aber zugeben, daß Charlottenburg, welches unter der eigenen Regierung Friedrichs II. von feindlichen Truppen geplündert wurde, unter der Regierung seines verachteten Großvaters stets Frieden genoß und »das Stelldichein der Leute von Geschmack« war; »alle Arten von Zerstreuungen und von unablässig neu gestalteten Festen machten diesen Aufenthalt entzückend und verliehen diesem Hofe höchsten Glanz«. So berichtete Friedrich II. Aber nach seiner Ansicht verdankte Berlin diese ganz unberlinische festliche Leistung nur seiner Großmutter, der ihr Enkel Friedrich II. das »Genie eines Mannes« nachrühmte, obgleich es ihre weiblichen Quertreibereien waren, die Friedrichs I. besten Minister, Danckelmann, zu Fall brachten. Ihr Gemahl, den sie mit dem Namen des buckligen Fabeldichters Äsop neckte, hat sich zwar ganz fabelhafte Verdienste um Berlin erworben, hat auf Anregung des großen Leibniz in der preußischen Hauptstadt eine Akademie geschaffen (1700), die sich besonders auch der Pflege der deutschen Sprache widmen sollte; er hat auch die Berliner Akademie der Künste gegründet (1699); er hat eine Anzahl hochgebildeter Deutscher nach Berlin gerufen, und Berlin war unter ihm, wie Friedrich II. selbst kühn behauptete, das »Athen des Nordens«. Aber diese Verdienste bemäkelte Friedrich II., der sich die Verwandlung der deutschen Akademie seines Großvaters in eine französische Akademie zum Verdienste anrechnete, mit den Worten: »Man überredete ihn, daß es sich für seine Königswürde schicke, eine Akademie zu haben, wie man einem Neugeadelten einredet, es sei anständig, eine Meute von Hunden zu halten.«
Das Geheimnis der Blüte Berlins und des Friedens in den preußischen Staaten unter Friedrich I. war auch das Geheimnis des Grolles, den Friedrich II. gegen seinen Großvater hegte. Friedrich II. sah nach seinem testamentarischen Bekenntnis Preußens Aufgabe darin, zusammen mit Frankreich die Macht des deutschen Kaisers zu bekämpfen. Er strebte darum immer (sogar während der Schlacht bei Roßbach) nach Bündnissen mit Franzosen und Türken. Dagegen mußte er feststellen, daß sein Großvater Friedrich I. stets ein Bundesgenosse des deutschen Kaisers im Kampfe gegen Türken und Franzosen gewesen war. Friedrich II. hat seinen Ländern im Kampfe gegen den deutschen Kaiser schwere Opfer von Gut und Blut auferlegt, ohne auch nur Berlin vor feindlichen Einfällen schützen zu können; aber er mußte feststellen, daß es seinem Großvater Friedrich I. gelungen war, »seine Staaten vor feindlichen Einfällen und vor den Verwüstungen und Zufällen des Krieges zu schützen, während die Staaten der Nachbarn vom Kriege verwüstet wurden«. Ja, Friedrich II. mußte zugeben, daß unter Friedrich I. die preußischen Truppen nicht nur »kriegsgewohnt« und »diszipliniert« wurden, sondern daß sie sogar »die große Sauberkeit nachahmten, für welche die englischen Truppen vorbildlich waren«, was für Berlin mit seiner nie endenden Einquartierung nicht ohne einige segensreiche Nachwirkung bleiben konnte. Aber Friedrich II. warf seinem Großvater »blinden Haß für alles Französische« vor und konnte ihm nicht verzeihen, daß er das preußische Heer ruhmreich gegen Ludwig XIV. und seine Türken kämpfen ließ: in Ungarn, am Rhein, in den Niederlanden, in Italien und sogar in Irland, immer auf Seiten des deutschen Kaisers und seiner für die Preußen vorbildlich sauberen Bundesgenossen aus England. Dem damaligen König von England, Wilhelm III., errichtete der letzte preußische Kaiser, Wilhelm II. ein Denkmal vor dem Berliner Schloß. Auf dem Sockel wird in wilhelminischem Deutsch der englische König gerühmt als »Vorkämpfer Europas gegen die französische Eroberungspolitik Ludwigs XIV.«. Ein solcher Vorkämpfer gegen die »französische« oder unfranzösische »Eroberungspolitik« der französischen Könige ist weder der »Große« Friedrich noch der »Große« Kurfürst, wohl aber König Friedrich I. von Preußen gewesen. Friedrich II. schrieb deshalb ärgerlich: »Friedrich I. verhandelte das Blut seiner Völker an die Engländer und an die Holländer, wie die Tataren ihre Herden an die Metzger von Podolien zum Schlachten verkaufen … Sein Hof war einer der herrlichsten Europas … Er plünderte die Armen, um die Reichen fett zu machen … Seine Marställe und seine Würdenträger trugen weniger europäische Würde als asiatischen Prunk zu Schau.«
Die reichstreue Politik des ersten Preußenkönigs war in der Tat sehr vorteilhaft für seine Hauptstadt Berlin. Er erhielt dafür so viele Geldzahlungen vom Kaiser und von England, daß Friedrich II. berichten mußte: »Infolge der fremden Subsidien hatte der Hof Friedrichs I. Geld in wachsendem Überfluß; der Luxus zeigte sich in Livreen, Kleidung, Tafelfreuden, Wagen, Pferden und Gebäuden; der König hatte zwei der geschicktesten Architekten Europas in seinem Dienst und einen Bildhauer, genannt Schlüter, der in seiner Kunst ebenso Großes leistete wie die besten und der obendrein ein großer Architekt war. Bott (Jean de Bodt) vollendete das Zeughaus von Berlin; er baute die schöne Säulenhalle des Schlosses von Potsdam, welche noch zu wenig gewürdigt wird. Eosander errichtete den neuen Flügel des Schlosses von Charlottenburg und den westlichen Teil des Schlosses von Berlin. Schlüter baute die südlichen und nördlichen Teile des Schlosses von Berlin, das Posthaus an der großen Brücke und den Münzturm, der später einstürzte; er schmückte das Zeughaus mit den Trophäen und den schönen Masken, welche die Freude der Kenner sind, und er schuf das Reiterbild des Großen Kurfürsten, das als ein Meisterwerk gilt, sowie die Statue Friedrichs I., die von Kennern geschätzt wird. König Friedrich I. schmückte die Stadt Berlin mit der Klosterkirche, mit Arkaden und mit anderen Gebäuden. Er verschönerte die kleinen Lustschlösser in Oranienburg, Potsdam und Charlottenburg auf die mannigfaltigste Weise. Die schönen Künste, die Kinder des Überflusses, begannen zu blühen.«
Friedrich II., der all dies in seinen Mémoires berichtete, nannte es eine »Gemeinheit« (bassesse), daß sein Großvater sich diesen Überfluß durch auswärtige Subsidien, statt durch Auspressung der eigenen Untertanen verschaffte; aber er mußte seinem Großvater zugestehen: »Alle die (französischen Immigranten-)Kolonien des Großen Kurfürsten fingen erst unter Friedrich I. zu blühen an. Dieser Fürst zog Vorteil aus den Arbeiten seines Vaters. Wir bekamen damals Webereien, deren Stoffe denen von Brüssel gleichkamen. Unsere Bänder wurden ebenso gut wie die aus Frankreich. Unsere Spiegel von Neustadt übertrafen in ihrer Reinheit die von Venedig. Das Heer wurde immer in unsere eigenen Tuche eingekleidet.«
Aber auch damit erschöpften sich Kurfürst Friedrichs III. Verdienste nicht. Während er seinem Lande und seiner Hauptstadt mitten im länderverwüstenden europäischen Krieg den Frieden erhielt, die Bevölkerung der Hauptstadt verdreifachte und ihr Gewerbe zum Blühen brachte, gelang es ihm, mit der Erlangung der Königswürde das Staatsgeschäft erfolgreich abzuschließen, das Leibniz »eine der größten Begebenheiten dieser Zeit« und das Friedrich der »Große« abwechselnd eine »Frivolität«, ein »Werk der Eitelkeit« und ein »Meisterwerk der Politik« genannt hat; das Staatsgeschäft, das besonders für Berlins Entwicklung zur Hauptstadt Klein-Deutschlands bedeutsam geworden ist.
Diese Leistung fand neben vielem Spott auch die volle Anerkennung Friedrichs II., der erklärte: »Die Königswürde rettete das Haus Brandenburg vor dem Joch der Sklaverei, in der damals Österreich alle Fürsten festhielt.« Doch Friedrich II. berichtete auch, daß Prinz Eugen, den er (an anderer Stelle) »den Helden Deutschlands« nannte, nach der Genehmigung der preußischen Königswürde durch den deutschen Kaiser erklärte: »Der Kaiser müßte die Minister hängen lassen, die ihm einen so niederträchtigen Ratschlag gegeben haben.« Da Berlin trotz der wirksamen Reichsfeindschaft des »Großen« Kurfürsten noch dem deutschen Reich angehörte, durfte die Hauptstadt auch die Krönung ihres vom Prinzen Eugen verdammten Königs nicht zu sehen bekommen. Der Königskandidat zog zu diesem Zwecke nach dem entlegenen und bereits reichsfremden Königsberg, wo die Krönung sozusagen derrière la mairie vorgenommen werden mußte.
Von einem der beiden Jesuitenpater, denen der vom Kaiser genehmigte neue Berliner König Friedrich I. für ihre unentbehrliche Hilfe bei der Erlangung der Königskrone gedankt hat, ist eine sehr ausführliche Denkschrift in französischer Sprache erhalten. Sie bildet das erste Stück der »Dignitäts-Akten«, die vom preußischen Staatsarchiv als Belege für den langen Handel um die Königswürde aufbewahrt werden. Diese Denkschrift des priesterlichen Wohltäters Preußens zeigt, mit welchen Gründen sich der Kurfürst Friedrich III. zu der Tat aufreizen ließ, die schließlich zur Zersplitterung Deutschlands und zur Erhöhung Berlins in den Rang der Hauptstadt Klein-Deutschlands geführt hat. Es ist hier nicht der Ort, auf die einzelnen Beweggründe der für Berlin bemühten Jesuiten und darauf einzugehen, daß der Papst manchmal Grund zur Unzufriedenheit hatte, nicht nur mit Berlin, sondern auch mit Wien, und daß einige Jahre später bei Ferrara Berliner Truppen im Dienste des deutschen Kaisers ihren Sieg über das päpstliche Heer mit evangelischem Feldgottesdienst auf römischem Gebiet feierten, während in Wien an den Türen der Reichskanzlei der kaiserliche Befehl zu lesen war, »daß des Papstes Autorität in weltlichen Dingen null und nichtig sei, daß der Papst in anderen als geistlichen Dingen keine Macht habe, mit geistlichen Strafen zu verfahren, und daß der Kaiser den in päpstlichen Bullen über ihn verhängten Bann feierlich und förmlich kassiere«. Hier drohte auf deutscher Seite eine Einigung, wie sie auf französischer Seite Ludwig XIV. und die Förderer einer selbständigen gallikanischen Kirche im Jahre 1682 verwirklicht hatten. Derartige nationale Einigungen sind von den Päpsten oft bekämpft worden, bis ihnen die Einigung Italiens den Kirchenstaat wegnahm. In Deutschland waren die Päpste seit langem erfolgreicher. Der päpstliche Gegenkaiser Friedrich II. von Hohenstaufen entwickelte sich zwar zum feierlich verdammten Antichristen, aber die Niederlage seines Hauses verschaffte den siegreichen Päpsten das Kaisertum der lange fügsameren Habsburger. Und Friedrich II., der Enkel des mit Hilfe der Jesuiten in Berlin erstandenen Gegenkönigs, galt zwar manchmal auch als Antichrist, aber er wurde der große Schützer der Jesuiten, als sie aus Österreich und dem Reiche des allerchristlichsten Königs in Paris vertrieben wurden. Aus Rom berichtete Goethe nach dem Tode Friedrichs des »Großen«, daß »dessen Taten ihn sogar des katholischen Paradieses wert machten«.
Dem Kurfürsten Friedrich III. empfahlen die klugen Jesuiten, die Wiedervereinigung des katholischen und protestantischen Glaubensbekenntnisses anzustreben. Ähnliches empfahlen ihm Leibniz und andere geistvolle Deutsche, die keine jesuitischen, sondern vaterländische Ziele verfolgten. Die Jesuiten wollten die Rückkehr des Berliner Kurfürsten unter päpstliche Botmäßigkeit erreichen, worauf der Papst, »der seit Urzeiten das Vorrecht Könige zu schaffen besitzt«, ihm »den schönen Namen eines Königs der Borussen und Vandalen« (Preußen und Pommern) verleihen sollte. Ähnlich wurde damals der Dresdner Kurfürst durch Verleihung der polnischen Königswürde katholisch gemacht.
Nachdem der Berliner Kurfürst Friedrich III. den Ratschlägen der Jesuiten gefolgt war und die Königskrone mit ihrer Hilfe, aber schließlich doch nicht aus päpstlichen Händen errungen, sondern dem Kaiser abgetrotzt hatte, erklärte der Papst, der »Markgraf von Brandenburg« habe »ein freches und bisher unter Christen fast unerhörtes Sacrilegium, einen strafwürdigen Bruch des Rechts« begangen. Die Päpste haben deshalb auch die Berliner Königswürde fast ein Jahrhundert lang nicht anerkannt und in Berlin bis 1787 statt des Königs immer nur einen Marquis de Brandebourg gelten lassen. Wenn der römische Statthalter Christi noch etwas länger als ein zweites Jahrhundert mit seiner Anerkennung des Berliner Königs gewartet hätte, wäre ihm diese Mühe pour le roi de Prusse erspart geblieben. Die Marquis de Brandebourg können sich heute der Wiedervereinigung des von ihnen zerrissenen Deutschland nicht mehr widersetzen; aber sie haben es dem Ausland ermöglicht, diese Wiedervereinigung mühelos zu verhindern.
Als sich die klugen Jesuiten mit Leibniz und anderen deutschen Vaterlandsfreunden in dem Streben nach Wiedervereinigung der katholischen und protestantischen Bekenntnisse einigten, rührten sie an eine der lebenswichtigsten Aufgaben Deutschlands. Wenn den Jesuiten nicht gelungen war, den Kurfürsten von Brandenburg bei der Königskrönung katholisch zu machen, so wird eines der nächsten Kapitel zeigen, daß doch die neue königliche Bau- und Bildhauerkunst Berlins damals für einige Zeit Schülerin und Meisterin und dann auch Überwinderin jenes Barock wurde, der die Kunst der Gegenreformation darstellt.