Anastasius Grün
Gedichte
Anastasius Grün

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Der Invalide.

        Im Gartenplan vor der Schenke
Sitzt der alte Invalid,
Erzählt von Schlachten und Siegen
Und singt manch flammend Lied.

Des Dorfes blühende Jugend
Umlagert ihn rings im Gras,
Die rosigen Mädchen füllen
Gar fleißig ihm das Glas.

Ein Kindlein auf seinem Schoße
Spielt ihm in Bart und Haar;
Mit seinem Stock und Säbel
Steht Wacht ein Knabenpaar.

Des Dorfes Schulmagister,
Der Kinder grimmer Tyrann,
Sein alter Spielkamerade,
Sitzt neben dem Krückenmann.

Jetzt streift der Invalide
Den einen Ärmel hinauf:
»Nun will ich euch was erzählen,
Nun, Kinder, horchet auf!«

Und näher rückt dem Greise
Aufhorchend der Knaben Schwarm:
Weh, was für böse Schnörkel
Trägt eingebrannt dein Arm?

»Ich will die Zeichen euch lösen,
Schlimm sind die Züge nicht!
Denn wer sie versteht, dem deuten
Sie die halbe Weltgeschicht'!

Am blühenden Strand der Loire
Wuchs ich zum Jüngling heran,
Da lächelte wie ein Bräutchen
Holdselig das Glück mich an.

Am blühenden Strand der Loire
Ward ein herrliches Mädchen mein;
Da schnitt in den Arm dies Herzlein
Und unsere Namen ich ein.

Da schien zu Paris der König
Mir gegen mich nur ein Wicht;
Zwar kannt' ich nur aus den Münzen
Sein gutes, rundes Gesicht.

Oft fragt' ich, warum auf den blanken
Sein Kopf allein wohl steht?
Wie hätt' ich's damals erraten,
Daß ich nun gar ein Prophet!

Einst klang's und flammt' es im Tale
Von Feldruf und Waffenschein,
Und jubelnde Scharen brachen
Halbnackt und wild herein.

Sie schwangen blutrote Mützen
Auf hohen Lanzen empor,
Sie jauchzten: Freiheit, Gleichheit!
In vollem, rauhen Chor.

Der Klang tät mir gefallen,
Ich trat in ihre Reihn,
Sie brannten die flammende Mütze
Als Bundeszeichen mir ein.

Einst trat vor unsre Scharen
Ein Mann gar ernst und bleich;
Er frug nicht, ob wir gehorchten?
Er gebot, wir folgten sogleich!

Er hielt einen stolzen Adler
In seiner kräftigen Hand,
Er rief mit donnernder Stimme:
Für Ruhm und Vaterland!

Sein Ruf tät uns gefallen,
Wir folgten mit Jubelgeschrei:
Oft mocht' uns dünken, als ob er
Wohl selbst der Adler sei.

Der Aar tat gute Flüge,
Er hielt nur kurze Rast
Auf Afrikas Pyramiden,
Auf Moskaus Zarenpalast;

Zu Wien auf dem Stephansturme,
Auf dem Vatikan zu Rom;
Am liebsten von Notre Dame
Sah er auf der Völker Strom.

Bei Mörserklang und Feldruf
Und Siegesflammenschein
Brannt' auf den Arm den Adler
Mit glühendem Stahl ich ein.

Der Aar tat gute Flüge,
Zuletzt entschwand er dem Blick,
Und ach, wir sahn ihn nimmer,
Und nimmer kam er zurück!

Drauf drängten uns fremde Scharen,
Sie strömten Hord' auf Hord',
Ei, alte Bekannte aus Feldern
Von Süd und Ost und Nord!

Sie riefen: Frieden, Frieden!
So riefen seit Jahren sie schon,
Doch wie sie sonst es riefen,
Klang's einen ganz andern Ton.

Rechtmäßigkeit und Frieden!
So riefen sie all' im Verein,
Und brannten die Städte uns nieder
Und stampften die Saaten uns ein.

Sie schleuderten Friedenspalmen
Mit blutigen Schwertern empor,
Und krachende Kanonen
Spien weiße Lilien hervor!

Solch eine glühende Blume
Fiel auf den Arm auch mir,
Und eingebrannt blieb seither
Das Zeichen der Lilie hier.

So trag' ich auf meinem Arme
Die halbe Weltgeschicht';
Herz, Mütze, Adler und Lilie,
Die geben mir treuen Bericht!

Die Mütze ist längst zerrissen,
Der Aar flog ins Sonnenlicht,
Einst welken auch die Lilien,
So wie dies Herz einst bricht.

Ich setze meinen König
Zu meinem Erben ein,
Und dieser Arm mit den Schnörkeln,
Der soll sein Erbstück sein.

In ein vergütetes Kästlein
Leg' er den Arm sodann,
Wie jener alte König
Mit den Liedern Homers getan.

Der las des Tages mind'stens
Ein Verslein, einen Spruch:
So lese mein König fleißig
In meinem Historienbuch.

Nun, Pädagog, was sagt Ihr
Zu meiner Weltgeschicht'?«
Der meint: In usum Delphini
Wär' sie so übel nicht!


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